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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 26.02.2008
Aktenzeichen: III-5 Ss 203/07-93/07 I
Rechtsgebiete: GG, StPO, StGB


Vorschriften:

GG Art. 13
StPO § 103
StPO § 105
StGB § 113
1. Bei der Durchsuchung der Wohnung eines Nichtbeschuldigten gebietet die Schutzwirkung des Art. 13 Abs. 1 GG ("Die Wohnung ist unverletzlich"), dass der Durchsuchungserfolg aus der Sicht der Ermittlungspersonen wahrscheinlich sein muss, mit anderen Worten, dass aus ihrer Sicht mehr für als gegen den momentanen Aufenthalt des Beschuldigten in der Wohnung des anderen spricht.

2. In die Prüfung, ob die Durchsuchung der Wohnung eines Nichtbeschuldigten eine rechtmäßige Diensthandlung war, ist regelmäßig die Frage einzubeziehen, ob die Maßnahme im konkreten Fall mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar war, der bei Wohnungsdurchsuchungen, namentlich bei einem Nichtbeschuldigten, besonders zu beachten ist.


Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 23. kleinen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 13. Juni 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den dazu getroffenen Feststellungen aufgehoben.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht ihn wegen dieser Tat verwarnt und die Verurteilung zu einer Geldstrafe vorbehalten. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge vorläufig Erfolg. Ebenfalls begründet ist die zuungunsten des Angeklagten eingelegte und wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts wollten die Polizeibeamten ......... und .......... im April 2006 gegen 19.10 Uhr in dem Mehrfamilienhaus, in dem der Angeklagte wohnt, einen Haftbefehl der Staatsanwaltschaft gegen eine andere Mieterin vollstrecken. Sie schellten "aus polizeitaktischen Gründen" bei dem Angeklagten im Erdgeschoss und wurden von dessen Ehefrau ins Haus gelassen. Nachdem bei der gesuchten ........... niemand geöffnet hatte, erklärte eine weitere Hausbewohnerin den Beamten, Frau ........ halte sich häufig in der Wohnung des Angeklagten auf; sie sollten es dort einmal versuchen. Die Beamten schellten erneut an der Wohnung des Angeklagten, stellten sich ihm als Polizeibeamte vor und erklärten ihm, sie wollten einen Haftbefehl gegen Frau ......... vollstrecken und hätten den Hinweis erhalten, sie könne sich in seiner Wohnung aufhalten. Der Angeklagte erwiderte, sie sei nicht in seiner Wohnung und sie - die Beamten - "sollten sich verpissen". Dann versuchte er, die Wohnungstür vor den Beamten zuzuschlagen. .......... verhinderte das, indem er einen Fuß in die Tür stellte. Die Beamten bestanden darauf, sich selbst zu überzeugen, ob Frau ....... in der Wohnung war, drückten die Tür auf, legten dem Angeklagten nach einem Gerangel mit gegenseitigen Stößen vor die Brust Handschellen an und hielten in der Wohnung "kurz Umschau". Von einer gründlichen Durchsuchung sahen sie ab, "weil sie sich sagten, dass die gesuchte Person, sofern sie sich zunächst in der Wohnung aufgehalten hätte, ausreichend Zeit und Gelegenheit gehabt hätte, durch die zum Hof gelegenen Fenster ... zu fliehen". Eine Woche später wurde Frau ...........in der Wohnung des Angeklagten festgenommen.

II.

Die Revision des Angeklagten hat vorläufig Erfolg, weil die Feststellungen des Landgerichts den Schuldspruch nicht tragen. Gemäß § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB ist der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig war (zum strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff zuletzt BVerfG, 1 BvR 1090/06 vom 30. April 2007 <bverfg.de> mit Anm. Niehaus/Achelpöhler StV 2008, 71). Das ist hier nicht ausgeschlossen und liegt auch nicht fern.

1. Die Voraussetzungen, unter denen die Wohnung eines Nichtbeschuldigten zur Ergreifung eines Beschuldigten durchsucht werden darf, sind durch §§ 103 Abs. 1 Satz 1, 105 Abs. 1 Satz 1 StPO gesetzlich im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG geregelt. Nach § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO (Abs. 2 dieser Vorschrift schied nach den Feststellungen aus) ist eine Durchsuchung zur Ergreifung des Beschuldigten bei anderen Personen nur dann zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die gesuchte Person sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Die Durchsuchung darf gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen angeordnet werden.

2. Nach den Feststellungen ist schon zweifelhaft, ob Tatsachen vorgelegen haben, aus denen die Polizeibeamten schließen konnten, dass die gesuchte ......... sich in der Wohnung des Angeklagten befand. Die Durchsuchung der Wohnung eines Nichtbeschuldigten greift schwerwiegend in dessen Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG ("Die Wohnung ist unverletzlich") ein. Die Schutzwirkung dieses Grundrechts (Abwehrrecht) liefe weitgehend leer, wenn als Tatsache im Sinne von § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO schon die Vermutung ausreichte, dass der Beschuldigte sich in der Wohnung des Nichtbeschuldigten aufhält (vgl. BVerfG NStZ-RR 2006, 110, unter B 1. b). Ein effektiver Grundrechtsschutz gebietet vielmehr, dass der Durchsuchungserfolg aus der Sicht der Ermittlungspersonen wahrscheinlich sein muss, mit anderen Worten, dass aus ihrer Sicht mehr für als gegen den momentanen Aufenthalt des Beschuldigten in der Wohnung eines anderen spricht. Die bisherigen Feststellungen legen das zumindest nicht nahe, denn danach stand einem allgemeinen Hinweis, Frau ..... halte sich häufig in der Wohnung des Angeklagten auf, dessen konkrete Erklärung gegenüber, jetzt - zurzeit - sei es nicht so.

3. Jedenfalls ist nicht belegt, dass Gefahr im Verzug im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG (§ 105 Abs. 1 Satz 1 StPO) bestanden hat, bei der die Durchsuchung auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen angeordnet werden darf (vgl. dazu BVerfGE 103, 142 = NJW 2001, 207; BVerfG NJW 2003, 2303). Nach den Feststellungen wollten die Beamten einen Haftbefehl der Staatsanwaltschaft vollstrecken. Das kann nur ein Vollstreckungshaftbefehl gewesen sein. Sollte er ergangen sein, weil Frau ........... sich trotz Ladung nicht zum Strafantritt gestellt hatte (§ 457 Abs. 2 Satz 1 Fall 1 StPO), drängte sich die Frage auf, ob und warum ihre Verhaftung zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder Ersatzfreiheitsstrafe keinen Aufschub duldete und so dringlich war, dass zu diesem Zwecke ohne richterliche Anordnung in ein Grundrecht eines Dritten (des Angeklagten) eingegriffen werden durfte. Damit hat das Landgericht sich nicht auseinandergesetzt. Es hat auch nicht erkennbar geprüft, ob die Maßnahme im konkreten Fall mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar war, der bei Wohnungsdurchsuchungen, namentlich bei einem Nichtbeschuldigten, besonders zu beachten ist (BVerfG NJW 2005, 1640; NStZ-RR 2006, 110; NJW 2007, 1804).

III.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat vorläufig Erfolg, weil der Senat nicht sicher ausschließen kann, dass die neue Hauptverhandlung zu Feststellungen führt, die einen Schuldspruch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte tragen, und die Feststellungen keine besonderen Umstände im Sinne von § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB belegen, die eine Verhängung von Strafe entbehrlich machen (vgl. Senat wistra 2007, 235).

IV.

Nach §§ 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO ist das Urteil in dem Umfang, in dem es angefochten ist, mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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