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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 15.02.2006
Aktenzeichen: IV-2 Ss (OWi) 12/06 - (OWi) 15/06 II
Rechtsgebiete: StVG, OWiG, StPO


Vorschriften:

StVG § 25 Abs. 2a
OWiG § 46
OWiG § 46 Abs. 3 S. 1
OWiG § 73 Abs. 2
OWiG § 74 Abs. 2
OWiG § 74 Abs. 2 S. 2 a.F.
StPO § 230 Abs. 2
StPO § 329 Abs. 1 S. 2
StPO § 473 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Das angefochtene Urteil wird dahin geändert, dass der Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid der Stadt Duisburg vom 14. März 2003 mit der Maßgabe verworfen wird, dass gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße von 300 € festgesetzt wird.

2. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.

3. Der Betroffene trägt die Kosten der Rechtsbeschwerde.

Gründe:

I.

Durch Bußgeldbescheid der Stadt Duisburg vom 14. März 2003 (918-4-109-6 SB103) wurden gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße in Höhe von 150 € festgesetzt und ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat angeordnet. Die Frist des § 25 Abs. 2a StVG wurde nicht gewährt. Nach Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht wegen der im Bußgeldbescheid konkretisierten Verkehrsordnungswidrigkeit von der Anordnung eines Fahrverbotes abgesehen und durch Urteil vom 31. Oktober 2003 auf eine erhöhte Geldbuße von 300 € erkannt. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat der Senat - Einzelrichter - durch Beschluss vom 20. September 2004 [III- 2 Ss (OWi) 115/04 - (OWi) 61/04 II] das angefochtene Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Der Betroffene, der von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen nicht entbunden worden war, ist der neuen Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben. Das Amtsgericht hat darauf hin durch das angefochtene Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid der Stadt Duisburg vom 14. März 2003 verworfen.

II.

Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts wegen Verstoßes gegen das Verschlechterungsverbot (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 358 Abs. 2 StPO) nach Maßgabe des Beschlusstenors einen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Die Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 OWiG liegen vor. Die Verwerfung des Einspruchs ist auch dann zulässig, wenn ein vorausgegangenes Sachurteil vom Rechtsbeschwerdegericht (in vollem Umfang) aufgehoben und die Sache zurückverwiesen worden ist.

§ 74 Abs. 2 OWiG schreibt zwingend die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid bei unerlaubter Abwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung vor. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. Danach "hat das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil verwerfen", wenn der Betroffene ohne genügende Entschuldigung ausbleibt. Ein Ermessensspielraum wird dem Richter nach Neufassung der Bestimmung durch Art. 1 Nr. 13 OWiGÄndG vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 156, 157) nicht eingeräumt (KK-Senge, OWiG, 2. Aufl., § 74 Rdn. 1, 19; Lemke § 74 OWiG Rdn. 11).

Auch in den Gesetzgebungsmaterialien werden Einschränkungen in der Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG nicht erörtert. Vielmehr hat der Gesetzgeber aus der Kann-Regelung des § 74 Abs. 2 OWiG a.F. bewusst eine zwingende Regelung gemacht [BT-Drucksache 13/5418 zu Art. 1 Nr. 7 (§ 74) S. 9]. Mit der Neufassung wollte der Gesetzgeber - gerade auch bei Abwesenheit des Betroffenen - eine Vereinfachung des Verfahrens und damit eine Entlastung der Gerichte erreichen, die nach der Zielsetzung des Gesetzesentwurfes "dringend geboten" erschien [BT-Drucksache 13/5418 (A.) S. 1, (A.I.-III.) S. 7]. Eine einschränkende Auslegung des § 74 Abs. 2 OWiG würde dieser Zielrichtung zuwiderlaufen.

Die bei vergleichbaren Verfahrenskonstellationen geltenden strafprozessuale Regelungen gebieten keine abweichende Beurteilung. Die Vorschrift des § 74 Abs. 2 OWiG enthält keine der Bestimmung in § 329 Abs. 1 S. 2 StPO, wonach eine Verwerfung der Berufung nach Zurückverweisung durch das Revisionsgericht unzulässig ist, vergleichbare Regelung. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 74 Abs. 2 OWiG für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren unterschiedliche Regelungen treffen wollte. Die entgegenstehenden Vorschriften des Strafverfahrensrechts (§§ 329 Abs. 1 S. 2, 412 StPO) finden im gerichtlichen Bußgeldverfahren demnach auch keine entsprechende Anwendung (KK-Senge, a.a.O., Rdn. 21).

Ferner kann nicht außer Acht gelassen werden, dass dem Amtsgericht keine Zwangsmittel zur Verfügung stehen, um das Erscheinen des Betroffenen vor Gericht zu erzwingen. Der Gesetzgeber hielt bei der Neufassung des § 74 Abs. 2 OWiG die noch in § 74 Abs. 2 S. 2 OWiG a.F. neben der Verwerfung des Einspruchs vorgesehenen Möglichkeiten, die Vorführung des Betroffenen anzuordnen oder ohne den Betroffenen die Hauptverhandlung durchzuführen, angesichts der zwingenden Regelung des § 74 Abs. 2 OWiG ausdrücklich für entbehrlich [BT-Drucksache 13/5418 zu Art. 1 Nr. 7 (§ 74) S. 9]. § 230 Abs. 2 StPO, der die Vorführung eines Angeklagten im Strafverfahren regelt, ist nicht anwendbar (KK-Senge, a.a.O., § 73 Rdnr. 5). Verhaftung und vorläufige Festnahme sind nach § 46 Abs. 3 S. 1 OWiG unzulässig. Das Verfahren in Abwesenheit des Betroffenen (§ 74 Abs. 1 S. 1 OWiG) setzt voraus, dass dieser auf seinen Antrag gemäß § 73 Abs. 2 OWiG von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden wurde. Ein nicht mitwirkungsbereiter Betroffener hätte demnach die Möglichkeit, das Verfahren auf unabsehbare Zeit zu verhindern, ohne dass eine Verjährung der Ordnungswidrigkeit (§ 32 Abs. 2 OWiG) eintreten würde. Dies erscheint nicht hinnehmbar [vgl. OLG Stuttgart (mit ausführlicher Begr. ) NJW 2002, 978 ff = NZV 2001, 491 f = VRS 101, 128 ff ; ebenso OLG Köln NStZ-RR 2000, 87, 88 = VRS 98, 217, 219 f - jew. m.w.Nachw. -).

2. Die Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass - wie im Entscheidungsfall - eine Divergenz zwischen der durch Bußgeldbescheid und dem aufgehobenen Urteil des Amtsgerichts angeordneten Rechtsfolge besteht.

a) Die nach § 74 Abs. 2 OWiG a.F. eröffnete prozessuale Vorgehensweise, etwaigen "Spannungen" in Fällen, in denen das erste Sachurteil auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen aufgehoben worden ist, dadurch Rechnung zu tragen, dass das zu neuer Entscheidung berufene Gericht trotz des unentschuldigten Ausbleibens des Betroffenen statt Verwerfung des Einspruchs zur Sache verhandeln und ein Urteil erlassen kann [vgl. BGHSt 33, 394, 398 = NJW 1986, 1946, 1947 = MDR 1986, 338 = VerkMitt 1986, Nr. 29 = VRS 70, 290, 292 = JR 1987, 83, 84 f (zust. Anm. Fezer) = NStZ 1987, 564 (zust. Meurer NStZ 1987, 540 f)], ist durch die Neufassung in Wegfall geraten. Die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid ist bei eigenmächtiger Abwesenheit des Betroffenen nunmehr gesetzlich zwingend vorgesehen; das "Spannungsverhältnis" kann nicht mehr im Wege der Ermessensentscheidung gelöst werden. Der Gesetzgeber hat darauf verzichtet, durch Art. 1 OWiGÄndG die Verwerfung des Einspruchs nach Aufhebung und Zurückverweisung entsprechend der Vorschrift des § 329 Abs. 1 S. 2 SPO zu regeln. Damit wurde bei vergleichbaren Verfahrenslagen an den unterschiedlichen Regelungen für das Straf- und Bußgeldverfahren festgehalten, die seit Inkrafttreten des 1. StVRG vom 9. Dezember 1974 (BGBl. I 3393, 3401) bestehen.

Es besteht auch kein sachlicher Grund, bei der hier vorliegenden Fallkonstellation von einer Verwerfungspflicht abzusehen. Die weitere Durchführung des gerichtlichen Bußgeldverfahrens war auch nach Aufhebung des Urteils durch das Rechtsbeschwerdegericht von dem Willen des Betroffenen abhängig. Dem Verschlechterungsverbot kann bei der Verwerfung des Einspruch gegen den Bußgeldbescheid dadurch Rechnung getragen werden, dass die Art und Höhe der Rechtsfolge entsprechend dem aufgehobenen Urteil festgesetzt werden (ebenso OLG Köln a.a.O.; OLG Braunschweig NStZ 2003, 96, 97; vgl. im Ergebnis zust. auch Göhler-Seitz, OWiG, 14. Aufl., § 74 Rdn. 24 ("dies erscheint letztlich pausibel"); differenzierend KK-Senge, a.a.O., § 74 Rdn. 21).

b) Schutzzweck des Verbots der Schlechterstellung ist, dass der Betroffene von der Einlegung von Rechtsmitteln nicht durch die Besorgnis abgehalten werden soll, es könne ihm dadurch ein Nachteil entstehen, selbst wenn die erlangten Vorteile gegen das sachliche Recht verstoßen. Diesem Schutzzweck wird Genüge getan, wenn man annimmt, dass die Sperrwirkung, die jedes in der Sache gegen den Betroffenen ergangene und nur von ihm allein angefochtene Urteil zu seinen Gunsten auslöst, den staatlichen Verfolgungsanspruch begrenzt (LR-Gössel, StPO, 25. Aufl., § 331 Rdn 18; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 331 Rdn 1). Im gerichtlichen Bußgeldverfahren gilt das Verschlechterungsverbot auch dann, wenn die (erste) Entscheidung des Amtsgerichts auf einem schweren Verfahrensverstoß beruht hat und deshalb auf eine frühere Rechtsbeschwerde aufgehoben worden ist (vgl. OLG Düsseldorf, 3. Bußgeldsenat, MDR 1999, 500; MDR 1994, 91 = NStZ 1994, 41; OLG Oldenburg NStZ 1997, 397; OLG Karlsruhe NJW 1974, 1718, 1719). Ob im Einzelfall eine Verschlechterung vorliegt, beurteilt sich nach einer Gesamtschau der verhängten "Reaktionsmittel" (vgl. LR-Gössel, a.a.O., Rdn. 33).

c) Der Bewertungsmaßstab für das Verhältnis des Fahrverbots zur Geldbuße ist zwar gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, es ist jedoch allgemein anerkannt, dass die Geldbuße gegenüber dem Fahrverbot die mildere Ahndung darstellt (vgl. BGHSt 24, 11, 13 f = VRS 40, 54, 56) und demnach wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße deren Erhöhung bei Wegfall der Nebenfolge in der Gesamtschau grundsätzlich keine Veränderung zum Nachteil des Betroffenen ergibt (BayObLG NJW 1980, 849; MDR 1973, 246; OLG Stuttgart VRS 66, 467, 469; OLG Hamm VRS 50, 50; HansOLG Hamburg MDR 1971, 510).

Vorliegend ist die durch Bußgeldbescheid angeordnete Rechtsfolge einer Geldbuße von 150 € und einem Fahrverbot von einem Monat ohne Gewährung der "Viermonats-Frist" (§ 25 Abs. 2a StVG) durch das aufgehobene Urteil in eine erhöhte Geldbuße von 300 € bei gleichzeitigem Fortfall des Fahrverbots geändert worden. Diese Rechtsfolge erscheint bei der gebotenen Gesamtschau auch bei wirtschaftlicher Betrachtung für den Rechtsbeschwerdeführer vorteilhafter. Die Frage, ob und inwieweit das Fahrverbot für den Betroffenen mit persönlichen und/oder finanziellen Einbußen verbunden ist, erscheint hier nicht erörterungsbedürftig. Selbst bei einem Betroffenen, der aus beruflichen Gründen nicht auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges "angewiesen" ist und ein Fahrzeug nur aus persönlichen Gründen nutzt, ist ein Fahrverbot regelmäßig mit Einbußen verbunden.

Im Entscheidungsfall erweist sich bei der gebotenen Gesamtschau daher der aufgehobene Rechtsfolgenausspruch des Amtsgerichts im Vergleich zu der durch Bußgeldbescheid festgesetzten Sanktion als für den Betroffenen vorteilhaft. Der Senat hat, um dem Verschlechterungsgebot Rechnung zu tragen, das angefochtene Urteil entsprechend geändert.

III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf §§ 46 OWiG, 473 Abs. 1 StPO. Der Teilerfolg der Rechtsbeschwerde gebietet nicht, den Betroffenen aus Billigkeitsgründen auch nur teilweise von der Belastung mit Kosten und notwendigen Auslagen freizustellen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 4 StPO).

Ende der Entscheidung

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