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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 30.08.2006
Aktenzeichen: VI-3 Kart 295/06 (V)
Rechtsgebiete: BGB, EnWG, StromNEV, GWB, StromNZV, GasNEV


Vorschriften:

BGB § 247
EnWG § 1 Abs. 1
EnWG § 10 Abs. 3
EnWG § 20 Abs. 1
EnWG § 21 Abs. 1
EnWG § 21 Abs. 2
EnWG § 23 a
EnWG § 29
EnWG § 29 Abs. 1
EnWG § 30 Abs. 1
EnWG § 65 Abs. 1
EnWG § 66 Abs. 1
EnWG § 67
EnWG § 72
EnWG § 76 Abs. 1
EnWG § 77 Abs. 3
EnWG § 77 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
EnWG § 77 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
EnWG § 77 Abs. 3 Satz 4
EnWG § 115 Abs. 1 a
StromNEV §§ 4 ff.
StromNEV § 5
StromNEV § 5 Abs. 1
StromNEV § 11
StromNEV § 30
GWB § 65 Abs. 3
StromNZV § 25
StromNZV § 27 Abs. 1 Nr. 7
StromNZV § 27 Abs. 1 Nr. 15
GasNEV § 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf den Antrag der Beschwerdeführerin vom 10. August 2006 wird die aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerde vom selben Tage gegen den Beschluss der 6. Beschlusskammer der Beschwerdegegnerin vom 12. Juli 2006 - AZ: BK6-06/036 - (Vfg. Nr. 34/2006, Amtsblatt 14/2006 vom 19. Juli 2006, S. 1913 ff.) angeordnet.

Gründe:

A.

Durch am 19. Juli 2006 veröffentlichte einstweilige Festlegung - Vfg. Nr. 34/2006 - hat die 6. Beschlusskammer der Bundesnetzagentur allen Netzbetreibern im Wege der vorläufigen Anordnung untersagt, in die bestehenden Lieferantenrahmenverträge sowie in die Angebote auf Abschluss eines Lieferantenrahmenvertrages folgende oder gleichartige Bestimmungen aufzunehmen oder weiter zu verwenden:

"Im Falle, dass gegen die nach Abs. 1 festgesetzten Entgelte im Rahmen von behördlichen oder gerichtlichen Verfahren Rechtsmittel eingelegt werden, bzw. sind derartige Verfahren bereits anhängig (z. B. durch den Netzbetreiber, vorgelagerten Netzbetreiber - hinsichtlich ihrer Entgelte - oder Dritte) ist zwischen den Parteien abschließend das rechts- bzw. bestandskräftige Entgelt maßgeblich. Bis zu diesem Zeitpunkt erfolgt die Abrechnung auf der Grundlage des genehmigten oder bestimmten gegebenenfalls vorläufigen Entgelts. Dies kann dazu führen, dass Entgelte für vorangegangene Zeiträume - gegebenenfalls nach Beendigung der Übergangsvereinbarung oder der Netznutzung für die jeweiligen Entnahmestelle - nachgefordert oder zurückgezahlt werden müssen. Rück- oder Nachzahlungen werden jeweils mit dem für den jeweiligen Zeitraum maßgeblichen Basiszinssatz gem. § 247 BGB verzinst."

Wegen der Gründe wird auf die Ausführungen in dem veröffentlichten Beschluss Bezug genommen.

Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin, die in der Stadt D. und der Region S. Stromnetze betreibt, welche sie Stromlieferanten gegen Entgelt zur Stromdurchleitung zur Verfügung stellt, unter dem 10. August 2006 Beschwerde eingelegt.

Mit Schriftsatz vom selben Tage hat sie beantragt,

die aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerde gegen die vorläufige Anordnung der Beschwerdegegnerin anzuordnen.

Sie meint, die aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerde sei anzuordnen, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung bestünden. Die Entscheidung sei bereits formell rechtswidrig, denn ihr fehle eine rechtliche Grundlage. § 72 EnWG könne nur auf konkrete Regulierungsverfahren Anwendung finden, nicht aber auf Festlegungsverfahren nach § 29 EnWG. Jedenfalls sei ihr die angefochtene Verfügung nicht ordnungsgemäß bekannt gegeben worden, da sie ihr nicht zugestellt, sondern nur im Amtsblatt und auf der Internetseite veröffentlicht worden sei. Die angefochtene Verfügung sei auch deswegen rechtswidrig, weil sie inhaltlich unbestimmt sei, denn sie lasse weder die Adressaten noch den Umfang der Untersagung erkennen und sei im Übrigen auch zeitlich unbegrenzt. Auch halte sich die einstweilige Anordnung nicht im Rahmen dessen, was auch Ergebnis des Hauptsacheverfahrens sein könne. Gegenstand einer Festlegung nach § 29 Abs. 1 EnWG könne nur eine Entscheidung über die Bedingungen und Methoden des Netzzugangs, nicht aber eine Untersagung sein. Diese könne allein auf § 65 Abs. 1 EnWG gestützt werden. Selbst wenn es aber zulässig wäre, im Rahmen des Festlegungsverfahrens nach § 29 EnWG eine einstweilige Anordnung zu treffen, lägen deren Voraussetzungen nicht vor, denn die Interessenabwägung der Beschlusskammer sei fehlerhaft. Dem Energieversorgungsunternehmen stehe selbstverständlich ein Anspruch auf Kompensation der ihm zunächst rechtswidrig versagten Strompreiserlöse zu. Fehl gehe auch die Annahme, die Netznutzungsentgelte stellten für die Lieferanten nur einen durchlaufenden Posten dar, weil sie diese an die Endverbraucher weitergäben. Die Lieferanten könnten dies tun, zwingend sei dies aber nicht, so dass auch das Risiko, die von den Netzbetreibern erhobenen Nachzahlungen nicht umlegen zu können, nicht schützenswert sei. Unbillig sei es vielmehr, allein den Netzbetreibern dieses Risiko aufzuerlegen. Dass diese auch ohne die streitgegenständliche Nachzahlungsklausel kein Risiko zu tragen hätten, sei unrichtig. Die von der Beschlusskammer aufgezeigte Möglichkeit, entsprechende Differenzen als außerordentliche Aufwendungen oder Erträge in der folgenden Genehmigungsperiode nach § 5 StromNEV berücksichtigen zu können, kompensiere das Schadensrisiko nicht. Die Zusage der Beschwerdegegnerin erfasse im Übrigen nicht die Netzbetreiber, welche nicht in ihre Zuständigkeit fielen. Unabhängig davon sei völlig unklar, ob die Berücksichtigung auch im Falle einer Anreizregulierung möglich sei, über deren Einführung bis dato nicht entschieden sei. Schließlich habe die von der Beschwerdegegnerin aufgezeigte Möglichkeit erhebliche Belastungsungerechtigkeiten zur Folge.

Die Beschwerdegegnerin bittet um Zurückweisung des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, indem sie die angefochtene einstweilige Untersagungsanordnung verteidigt.

B.

Der Antrag der Beschwerdeführerin hat Erfolg.

I.

Gem. § 77 Abs. 3 Satz 4, Satz 1 Nr. 2, 3 EnWG, der § 65 Abs. 3 GWB nachgebildet ist und für den daher die von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätze gelten, kann das Beschwerdegericht die aufschiebende Wirkung einer nach § 76 Abs. 1 EnWG sofort vollziehbaren Entscheidung der Bundesnetzagentur dann anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung bestehen (Abs. 3 Satz 1 Nr. 2) oder wenn ihre Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (Abs. 3 Satz 1 Nr. 3). Dabei steht dem Beschwerdegericht trotz des Wortlauts ein Ermessen nicht zu (vgl. nur Quack/Birmanns in: Frankfurter Kommentar zum GWB, Rdnr. 26 zu § 65 GWB 1999; K. Schmidt in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. A., 2001, Rdnr. 11 zu § 65).

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung können tatsächlicher oder rechtlicher Art sein, wobei das Verfahren nach § 77 Abs. 3 EnWG allerdings nur eine summarische Prüfung zulässt. Sie sind dann zu bejahen, wenn nach der Einschätzung des Gerichts die Aufhebung der angefochtenen Verfügung überwiegend wahrscheinlich ist. Nicht ausreichend ist es daher, wenn die Rechtslage lediglich offen ist (K. Schmidt in: Immenga/Mestmäcker, Rdnr. 13 zu § 65; Salje, EnWG, 2006, Rdnr. 15 zu § 77; Senat RdE 2006, 162, 163).

II.

Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 77 Abs. 3 Satz 4, Satz 1 Nr. 2 EnWG vor.

Der Senat hat ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Anordnung.

1. Dabei bedarf es in diesem summarischen Verfahren keiner Entscheidung, ob der angefochtene Beschluss schon in formeller Hinsicht solch schwerwiegende Fehler aufweist, die seine Aufhebung nach sich ziehen können.

Allerdings stößt die Verfahrensweise der 6. Beschlusskammer insoweit auf rechtliche Bedenken, als die Beschlusskammer, die Transparenz und Berechenbarkeit zu ihren Handlungsmaximen zählt, die einstweilige Anordnung erlassen hat, ohne den Betroffenen zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (§ 67 Abs. 1 EnWG) .

Die Kammer hatte im Amtsblatt Nr. 10/2006 lediglich öffentlich mitgeteilt, dass sie am 16. Mai 2006 gem. §§ 29 Abs. 1, 66 Abs. 1 EnWG i.V.m. § 27 Abs. 1 Nrn. 7, 15 StromNZV von Amts wegen ein Verfahren zur Festlegung von Inhalten der Lieferantenrahmenverträge nach § 25 StromNZV eröffnet habe, das die einheitliche Ausgestaltung von solchen Vertragsregelungen zum Ziel habe, die für einen funktionierenden Wettbewerb von erheblichem Gewicht sind und die zwischen den Marktbeteiligten besonders streitig diskutiert werden (Mitteilung Nr. 187).

Im Amtsblatt Nr. 11/2006 hatte sie zu diesem konkreten Verfahren auf einen im Internet eingestellten Entscheidungsvorschlag hingewiesen und Interessenten zu diesem gemäß § 67 EnWG Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Entscheidungsvorschlag befasste sich nur mit Bestimmungen zu den Themenkreisen "Voraussetzungen für die Belieferung von Entnahmestellen mit Elektrizität durch den Lieferanten, Unterbrechung der Anschlussnutzung im Auftrag des Lieferanten, Anwendung von Lastprofilverfahren, Eintritt der Fälligkeit von Forderungen, des Eintritts des Verzugs sowie der Berechtigung zur Zahlungsverweigerung und der Aufrechnung, Voraussetzungen für die Erhebung einer Sicherheitsleistung in begründeten Fällen, Laufzeit und Kündigung".

Durch die streitgegenständliche vorläufige Festlegung vom 12. Juli 2006 hat sie sodann den Netzbetreibern einstweilen untersagt, die so genannte Nachzahlungsklausel in bestehende oder neu abzuschließende Lieferantenrahmenverträge aufzunehmen, ohne dass sie die Klausel zuvor mit dem Ziel der Anhörung der hiervon Betroffenen förmlich zum Verfahrensgegenstand gemacht hatte. Dies, obwohl sie einigen Netzbetreibern zuvor noch unter dem 2. Juni 2006 angekündigt hatte, "zur Klärung der Rechtmäßigkeit der Klausel von Amts wegen ein Verfahren nach § 30 Abs. 1 EnWG durchführen" zu wollen.

Ob und inwieweit darin ein beachtlicher, zur Aufhebung führender Verfahrensfehler liegt, braucht der Senat indessen nicht zu entscheiden. Nichts anderes gilt für die Frage, ob der Erlass der vorläufigen Untersagungsverfügung gegenüber allen Netzbetreibern unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit Blick auf die der Beschwerdegegnerin sonst zur Verfügung stehenden Verfahrensarten geboten und die notwendige Eilbedürftigkeit gegeben war.

In dem vorliegenden summarischen Verfahren kommt es hierauf und die weiteren verfahrensrechtlichen Aspekte nicht entscheidend an, weil jedenfalls materiellrechtlich solche ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung bestehen, dass ihre Aufhebung wahrscheinlich erscheint, so dass die aufschiebende Wirkung der Beschwerde anzuordnen ist.

2. Der Senat hat erhebliche rechtliche Zweifel an der ausgesprochenen Untersagung. Dass die so genannte Nachzahlungsklausel die Lieferanten i.S.d. §§ 20 Abs. 1, 21 Abs. 1 EnWG unangemessen benachteiligt, weil sie diese - wie die Beschlusskammer meint - einem unnötigen Schadensrisiko aussetzt, lässt sich bei summarischer Prüfung nicht feststellen.

2.1. Die streitgegenständliche Klausel gewinnt entgegen der Annahme der Beschlusskammer - und der Beschwerdeführerin - nur dann Bedeutung, wenn die behördliche Genehmigung nachträglich mit Rückwirkung - ex tunc - abgeändert werden sollte. Durch sie behält sich der Netzbetreiber es vor, seine Netzentgelte rückwirkend an die rechtskräftige Genehmigungsentscheidung anzupassen. Ein Bedürfnis hierfür besteht naturgemäß nur, wenn der abschließenden behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung über das nach § 23 a EnWG zu genehmigende Netznutzungsentgelt Rückwirkung zukommt, was bislang noch nicht entschieden worden ist und vom Senat auch im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht zu entschieden werden braucht.

Zutreffend ist die Beschlusskammer davon ausgegangen, dass diese Rechtsfrage letztlich von den Gerichten zu entscheiden ist und von daher nicht der Disposition der Parteien unterliegt. Nur für den Fall, dass rückwirkend ein höheres oder niedrigeres Netzentgelt genehmigt wird, soll nach der streitgegenständlichen Klausel eine Nachberechnung und eine entsprechende Nachforderung oder Rückzahlung erfolgen können. Der Netzbetreiber will sich also nur vertragsrechtlich die Befugnis einräumen lassen, die schuldrechtlichen Konsequenzen aus einer etwaigen rückwirkenden Genehmigung seiner Netznutzungsentgelte - Rückerstattung zu viel gezahlter oder Nachforderung zu gering erhobener Entgelte - zu ziehen. Für ein anderes Verständnis der Klausel ist auch unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben kein Raum. Insbesondere kann ihr entgegen der Auffassung der Beschlusskammer nicht entnommen werden, dass sich der Netzbetreiber eine Nacherhebung für vergangene Zeiträume vorbehalten will, obwohl ihm behördlich oder gerichtlich höhere Netznutzungsentgelte nur mit Wirkung für die Zukunft, also ex tunc zu gebilligt worden sind. Hierfür gibt schon der Wortlaut nichts her, im Übrigen verstieße der Netzbetreiber damit gegen das gesetzliche Verbot, höhere als die genehmigten Entgelte zu erheben.

2.2. Der von der Beschlusskammer herangezogene § 27 Abs. 1 Nr. 15 StromNZV räumt der Beschwerdegegnerin die Befugnis ein, zur Verwirklichung eines effektiven Netzzugangs und der in § 1 Abs. 1 EnWG genannten Zwecke Festlegungen nach § 29 Abs. 1 EnWG zu den Inhalten der Verträge nach den §§ 24 bis 26 zu treffen. Auf diese Weise soll die Regulierungsbehörde die Vorgaben der Stromnetzzugangsverordnung im Wege behördlicher Entscheidung inhaltlich ergänzen und konkretisieren können. Der Gesetz- und Verordnungsgeber hat so dem Umstand Rechnung getragen, dass ein funktionierendes Netzzugangssystem eine Vielzahl von einheitlichen Regelungen und Verfahren voraussetzt, die sehr detailliert sein können. Um die dabei erforderliche Flexibilität zu gewährleisten, sind diese Regelungen nicht sämtlich in einer Verordnung festgeschrieben worden, sondern ist der Regulierungsbehörde in bestimmten Bereichen - so auch zu Lieferantenrahmenverträgen nach § 25 StromNZV - die Möglichkeit eingeräumt worden, ergänzende und konkretisierende Entscheidungen im Wege der Festlegung nach § 29 EnWG zu treffen (vgl. nur: Begründung zum Entwurf der StromNZV vom 14. April 2005, BR-Drs. 244/05, S. 29 zu § 27).

Die Festlegungsbefugnis der Beschwerdegegnerin besteht nicht uneingeschränkt, sondern nur, soweit ergänzende oder konkretisierende Entscheidungen erforderlich sind, um einen effizienten Netzzugang i.S.d. §§ 20 Abs. 1, 21 Abs. 1 EnWG und die in § 1 Abs. 1 EnWG genannten Zwecke - eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas - zu verwirklichen. In diesem Rahmen kann sie auch vorläufige Anordnungen nach § 72 EnWG treffen. Diese können sowohl belastende als auch begünstigende Wirkungen aufweisen (vgl. nur: Salje, EnWG, Rdnr. 4 zu § 72). Einem effizienten Netzzugang i.S.d. §§ 20 Abs. 1, 21 Abs. 1 EnWG dienen sie, wenn sie gewährleisten, dass Kosten und Nutzen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen und dem Zugangspetenten nur die Netzleistungen angeboten werden, die dieser benötigt (Salje, EnWG, Rdnr. 18 zu § 20).

Nach summarischer Prüfung teilt der Senat die Annahme der Beschlusskammer nicht, dass die Lieferanten durch die Aufnahme der so genannten Nachzahlungsklausel in die Lieferantenrahmenverträge unangemessen benachteiligt werden, indem sie einem unnötigen Schadensrisiko ausgesetzt werden. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass das geltende Recht den Netzbetreibern einen Ausgleich auch auf andere Weise, insbesondere durch eine periodenübergreifende Saldierung ermöglicht.

Das Bedürfnis, die Netznutzungsentgelte an eine rechtskräftige Entscheidung mit entsprechender Rückwirkung anzupassen, besteht zunächst auf Seiten beider Vertragspartner. Dem Netzbetreiber steht das Recht zu, Netzentgelte zu verlangen, die den Kriterien des § 21 Abs. 2 EnWG entsprechen und dementsprechend gem. § 23 a EnWG genehmigt sind. Auf der anderen Seite hat der Lieferant - ebenso wie der Endkunde - ein Recht darauf, nicht mit höheren als den genehmigten Netzentgelten belastet zu werden. Dieser Interessenlage trägt die streitgegenständliche Klausel Rechnung, indem sie eine rückwirkende Anpassung der Lieferantenrahmenverträge vorsieht und damit schuldrechtlich die Rückwirkung der Genehmigung umsetzt. Die gleiche Interessenlage liegt der Übergangsregelung des § 115 Abs. 1 a EnWG zugrunde, in dem unabhängig von einem Anpassungsverlangen die automatische Anpassung der bestehende Netzverträge an die nach § 23 a EnWG genehmigten Entgelte geregelt ist.

Allerdings ist der Beschlusskammer zuzugeben, dass Nachforderungen wie auch Rückzahlungen nur aufwendig und in Anbetracht des möglichen Zeitablaufs bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Entgeltgenehmigungsverfahrens auch nur mit zweifelhaftem Erfolg umgesetzt werden können und die Lieferanten insbesondere dem Risiko unterliegen, Nachforderungen bei ihren Endkunden realisieren zu müssen. Dies allein rechtfertigt es jedoch nicht, den Netzbetreibern die Verwendung der Klausel zu untersagen. Eine Untersagung kann vielmehr nur dann in Betracht kommen, wenn den Netzbetreibern alternativ eine sichere Möglichkeit aufgezeigt werden kann, wie sie nachträglich die sich aus einer rückwirkenden Genehmigungserteilung zu ihren Gunsten ergebenden Differenzen realisieren können. Eine solche ist jedoch für den Senat weder ersichtlich noch von der Beschlusskammer aufgezeigt.

Der Gesetz- und Verordnungsgeber hat für diese Konstellation weder im Energiewirtschaftsgesetz noch in den Netzentgeltverordnungen eine Regelung getroffen, obwohl die Frage einer etwaigen Rückwirkung gerichtlicher Entscheidungen schon während des Gesetzgebungsverfahrens thematisiert worden ist (Büdenbender, Energiewirtschaftliche Tagesfragen 2005 (Special), S. 35, 37 ff.).

Die von der Beschlusskammer in den Blick genommene periodenübergreifende Saldierung kommt, wenn überhaupt, nur in entsprechender Anwendung der §§ 11, 5 StromNEV in Betracht, so dass deren Berechtigung nicht abschließend geklärt ist. § 11 StromNEV sieht - ebenso wie § 10 GasNEV - eine periodenübergreifende Saldierung nur für die Differenz zwischen den in der Kalkulationsperiode aus Netzentgelten erzielten Erlösen und den gegenüber den Netznutzern - tatsächlich - zu Grunde gelegten Netzkosten i.S.d. §§ 4 ff. StromNEV und nicht etwa mit den letztlich zu Grunde zu legenden Netzkosten vor. Durch sie sollen - so ist es der Begründung zu entnehmen - solche Mehr- oder Mindererlöse ausgeglichen werden, die auf Prognosefehlern beruhen, also auf Abweichungen der tatsächlichen von den prognostizierten Energiemengen (Begründung zum Entwurf der StromNEV vom 14. April 2005, BR-Drs. 245/05, S. 37). Auch ist die periodenübergreifende Saldierung zeitlich beschränkt auf die der zuletzt abgeschlossenen Kalkulationsperiode, d. h. dem Geschäftsjahr nachfolgenden drei Kalkulationsperioden, also in der Regel auf die nachfolgenden drei Geschäftsjahre, so dass ein nachträglicher Ansatz dann nicht mehr erfolgen kann, wenn dieser Zeitraum überschritten ist. Zweifel bestehen unabhängig davon aber auch an der Annahme der Beschlusskammer, dass es sich bei den "entsprechenden Differenzen" um "außerordentliche Aufwendungen bzw. Erträge ... nach § 5 StromNEV" handeln könne. Als solche kämen allenfalls aufwandsgleiche Kostenpositionen i.S.d. § 5 Abs. 1 StromNEV in Betracht, die jedoch den nach § 10 Abs. 3 EnWG zu erstellenden Gewinn- und Verlustrechnungen zu entnehmen sein müssten. Im Übrigen gelten die Vorgaben des Teils 2 der Stromnetzentgeltverordnung nur für die derzeit maßgebliche kostenorientierte Kalkulation der Netzentgelte, so dass eine periodenübergreifende Berücksichtigung etwaiger Differenzen für den Fall der möglichen Einführung einer Anreizregulierung ab dem 1. Januar 2008 völlig ungewiss ist.

Ob das Instrument der periodenübergreifenden Saldierung auch auf die Fallgestaltung entsprechend angewandt werden kann, dass gerichtlich rückwirkend höhere - oder niedrigere - Entgelte festgesetzt werden, ist daher auf der Grundlage des derzeit geltenden Rechts äußerst fraglich. Gegen eine solche entsprechende Anwendung spricht aus der Sicht des Senats zudem, dass diese Vorgehensweise mit einer erheblichen Belastungsungerechtigkeit verbunden ist. Unproblematisch ist sie nur solange, als die Identität der netznutzenden Lieferanten und ihrer Endkunden gewahrt ist und die Verbrauchszahlen in der jeweiligen Kalkulationsperiode nicht wesentlich voneinander abweichen. Hat sich aber der Kreis der netznutzenden Stromlieferanten und/oder ihrer Kunden oder aber auch nur ihr Verbrauch verändert, so läuft ein nachträglicher Ansatz der Differenz darauf hinaus, dass Lieferanten und/oder Kunden über höhere Entgelte für eine Netznutzung aufkommen müssen, die sie in der Vergangenheit nicht zu gering vergütet haben oder sie in den Genuss von geringeren Entgelten kommen, obwohl sie in der Vergangenheit keine überhöhten Entgelte gezahlt haben.

Sofern der Gesetz- und Verordnungsgeber - oder die Bundesnetzagentur im Rahmen ihrer Festlegungskompetenz nach § 30 StromNEV - sich nicht zu einer Regelung - nachbessernd oder etwa im Zuge der möglichen Einführung einer Anreizregulierung - veranlasst sehen, wird die Frage entsprechender Anwendung der periodenübergreifenden Saldierung daher gerichtlich zu klären sein. Solange eine klare Regelung hierzu oder eine abschließende gerichtliche Entscheidung dieser Frage jedoch fehlt, kann die Beschlusskammer die Netzbetreiber nicht auf die vage Möglichkeit verweisen, dass etwaige Differenzen, die aus einer Rückwirkung der Genehmigung resultieren, in einer späteren Kalkulationsperiode berücksichtigt werden können. Da dies erst recht nicht der Vereinbarung der Parteien unterliegen kann, geht auch von daher die von der Beschlusskammer vorgeschlagene Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien mit diesem Inhalt fehl.

C.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof kommt nur gegen in der Hauptsache erlassene Beschlüsse des Oberlandesgerichts in Betracht (§ 86 Abs. 1 EnWG).

Ende der Entscheidung

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