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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 26.01.2004
Aktenzeichen: VI-Kart 19/03 (V)
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB § 54 Abs. 2 Nr. 3
GWB § 56
GWB § 63 Abs. 1 S. 1
GWB § 66
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) gegen den Beiladungsbeschluss des Bundeskartellamtes vom 24. April 2003, Az.: B5 150/01, wird zurückgewiesen.

Die Beteiligte zu 1) trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Bundeskartellamtes und der Beigeladenen.

Gründe:

I.

Die Beteiligte zu 1) ist Teil einer Unternehmensgruppe, die in der Herstellung von KfZ-Komponenten für die Erstausstattung sowie für den Sekundärbereich tätig ist. Neben Kupplungen stellt die Beteiligte zu 1) unter anderen auch sog. Zwei-Massen Schwungräder (nachfolgend: ZMS) her. Diese sind Bestandteil des Antriebsvorganges von Kraftfahrzeugen und dienen der Absorption von Drehschwingungen. Als Herstellerin von ZMS ist die Beteiligte zu 1) Marktführer mit einem geschätzten Marktanteil von über 80 % in Europa und Deutschland.

Die Beteiligte zu 2) ist ein Gemeinschaftsunternehmen der G. f. I. mbH und S.. Seit Mai 2000 produziert sie ein von ihr entwickeltes ZMS. Ihr Marktanteil in Deutschland beträgt etwa 3-4 %.

Die Beigeladene ist ein in Frankreich ansässiger, aber weltweit tätiger Hersteller von Bauteilen für die Automobilindustrie. Sie produziert ebenfalls von ihr entwickelte ZMS und verfügt über einen Marktanteil von geschätzt 9 % in Europa und 1 % in Deutschland. Die Beigeladene hielt in der Vergangenheit eine Beteiligung von 50 % an der Beteiligten zu 1), die sie im Jahr 1999 an die Mitgesellschafterin I. H. S.-Gruppe veräußerte.

Im November 2001 brachte die Beteiligte zu 2) dem Bundeskartellamt einen Sachverhalt zur Kenntnis, wonach die Beteiligte zu 1) ihre marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für ZMS durch ein absichtlich geschaffenes "Patentdickicht" missbrauchen soll. Nach Ansicht der Beteiligten zu 2) erschwere die Beteiligte zu 1) ihr den Marktzutritt und behindere den Wettbewerb, indem sie in missbräuchlicher Weise vor allem Schutzrechtsverletzungen behaupte und Gerichtsverfahren anstrenge und hierdurch die Nachfrager von ZMS verunsichere (Az.: B5-150/01). Auch die Beigeladene hat im März 2002 gegen die Beteiligte zu 1) gestützt auf einen vergleichbaren Sachverhalt beim Bundeskartellamt einen Missbrauchsvorwurf erhoben (Az.: B5-25/02).

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Bundeskartellamt die Beigeladene auf ihren Antrag hin dem hiesigen Kartellverwaltungsverfahren beigeladen.

Dagegen wendet sich die Beteiligte zu 1) mit ihrer Beschwerde. Ihrer Meinung nach sind die Beiladungsvoraussetzungen nicht erfüllt. Selbst wenn ein missbräuchliches Verhalten der Beteiligten zu 1) bejaht und eine Missbrauchsverfügung erlassen werde, so führe dies allenfalls mittelbar zu einer Verstärkung der Marktposition der Beteiligten zu 2); irgendwelche Auswirkungen auf die Position der Beigeladenen gebe es nicht. Die Beigeladene würde ihre Marktanteile und Kunden unverändert behalten. Sie könne nicht davon ausgehen, nach einer Missbrauchsentscheidung neue Kunden zu werben. Infolge einer solchen Entscheidung erscheine allenfalls eine Kundenwanderung zur Beteiligten zu 2) möglich. Dessen ungeachtet sei die Ermessensausübung des Bundeskartellamtes zweckwidrig, da durch die Beiladung eine Verfahrenskonzentration und -beschleunigung nicht erreicht werde. Eine Verfahrenskonzentration könne durch die Beiladung nicht erreicht werden, weil die Beigeladene bereits eine eigene, ihren spezifischen Sachverhalt betreffende parallele Beschwerde führe. Auch zur Sachverhaltsaufklärung sei eine Beiladung nicht erforderlich. Dasselbe Ziel werde erreicht, wenn die Beigeladene gemäß § 56 GWB angehört werde oder die beiden Verfahren miteinander verbunden würden. Ein Rechtsschutzdefizit der Beigeladenen liege nicht vor, weil sie ihre Interessen uneingeschränkt in dem von ihr angestrengten Beschwerdeverfahren geltend machen könne.

Das Bundeskartellamt und die Beigeladene sind dem Beschwerdevorbringen im einzelnen entgegen getreten.

II.

Die gemäß § 63 Abs. 1 S. 1 GWB statthafte und auch im übrigen gemäß § 66 GWB zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 1) ist nicht begründet. Das Bundeskartellamt hat die Beigeladene mit Recht zu dem bei ihr gegen die Beteiligte zu 1) geführten Mißbrauchsverfahrens beigeladen.

Die Voraussetzungen für eine Beiladung nach § 54 Abs. 2 Nr. 3 GWB sind erfüllt.

Nach dieser Vorschrift ist die Kartellbehörde befugt, zu einem von ihr eingeleiteten Verwaltungsverfahren Personen oder Personenvereinigungen auf Antrag beizuladen, wenn deren Interessen durch die Entscheidung der Kartellbehörde erheblich berührt werden. Der Begriff der "Interessen" ist dabei weit zu verstehen. Er beschränkt sich nicht auf rechtliche Belange, sondern umfasst auch wirtschaftliche Interessen, die kartellrechtlich von Belang sind. Die Interessen müssen nicht unmittelbar betroffen sein; vielmehr reichen auch bloß mittelbare Auswirkungen aus (vgl. zu allem: Senat, WuW/E DE-R 523, 525/526 m.w.Nachw.). Andererseits eröffnet nicht jede Interessenberührung die Möglichkeit einer Beiladung. Erforderlich ist vielmehr, dass die rechtlichen oder wirtschaftlichen Belange des Dritten "erheblich" berührt werden. Seine Interessen müssen spürbar beeinträchtigt werden; nur entfernt oder geringfügig in ihren Belangen betroffene Personen oder Personenvereinigungen sind nicht beizuladen. Nach der Rechtsprechung des Senates (a.a.O., Seite 527; Beschluss vom 02. September 2002, Az.: Kart 27/02 (V); Beschluss vom 25. September 2002, Az.: Kart 24/02 (V); Beschluss vom 12. Dezember 2002, Az.: Kart 34/02 (V); Beschluss vom 23. Dezember 2002, Az.: Kart 37/02 (V); Beschluss vom 26. November 2003, Az.: Kart 33/03 (V)) ist die diesbezügliche Abgrenzung auf der Grundlage einer wertenden Betrachtung vorzunehmen. Entscheidend ist, ob die Interessen des Dritten eine solche Nähe zum Entscheidungsgegenstand aufweisen und ob außerdem die mögliche Entscheidung der Kartellbehörde im Hauptverfahren derart gewichtige Auswirkungen auf die Interessen haben kann, dass es angemessen erscheint, ihm die Rechte auf Beteiligung am Kartellverfahren (Vortragsrecht, Recht auf Schriftsatz- und Entscheidungsabschriften, Recht auf Akteneinsicht, etwaiges Beschwerderecht) einzuräumen.

1.

Die wirtschaftlichen Interessen der Beigeladenen werden durch eines der in Betracht kommenden Ergebnisse des gegen die Beteiligte zu 1) gerichteten Kartellverwaltungsverfahrens zumindest mittelbar berührt.

Kommt das Bundeskartellamt zu dem Ergebnis, dass die Beteiligte zu 1) ihre marktbeherrschende Stellung auf dem relevanten Markt für ZMS gegenüber der Beteiligten zu 2) mißbraucht, indem sie eine unüberschaubare Anzahl von nationalen Patenten und Patentanmeldungen für das von ihr entwickelte ZMS bewusst dazu ausnutzt, die Nachfrager von ZMS zu verunsichern und die Beteiligte zu 2) u.a. mit einer Vielzahl von Patentverletzungsverfahren zu überziehen, wird es gegen die Beteiligte zu 1) eine Mißbrauchsverfügung erlassen und ihr das missbräuchliche Verhalten gegenüber der Beteiligten zu 2) untersagen. Dies würde die Marktposition der Beteiligten zu 2) erheblich verbessern. Wenn für sie die Patente und Patentanmeldungen der Beteiligten zu 1) überschaubarer sind und sie nicht in jedem Fall damit rechnen muss, bei der von ihr entwickelten ZMS mit Schutzrechtsverletzungsverfahren überzogen zu werden, werden ihr der Marktzutritt erleichtert und ihre Wettbewerbschancen verbessert. Dies kann nicht ohne Auswirkungen auf die Wettbewerbslage der Beigeladenen und auf die Wettbewerbsstrukturen des relevanten Marktes bleiben. Unstreitig ist die Beteiligte zu 2) einer von nur insgesamt vier Wettbewerbern auf dem relevanten Markt. Werden in diesem Fall Wettbewerbschancen eines Wettbewerbers erheblich verbessert, wirkt sich das auch auf die anderen Marktteilnehmer aus und erfordert wirtschaftliche Reaktionen.

Durchaus möglich ist aber auch, dass sich die Missbrauchsverfügung sogar unmittelbar auf die kartellrechtlich relevanten Interessen der Beigeladenen auswirkt. Dies gilt dann, wenn der Beteiligten zu 1) untersagt werden sollte, nicht nur gegen die Beteiligte zu 2) sondern auch gegenüber den übrigen drei Wettbewerbern in missbräuchlicher Weise aus ihren Patenten oder Patentrechtsanmeldungen vorzugehen. Dies würde sich unmittelbar auch auf die wirtschaftliche Lage der Beigeladenen auswirken, weil hierdurch auch eine sie als Anbieter von ZMS behindernde Wettbewerbsbeschränkung und deren Folge beseitigt würde. Ihr Auftreten auf dem Markt für ZMS wäre nicht mehr in dem gleichen Umfang wie zuvor dem Risiko ausgesetzt, von der Beteiligten zu 1) mit Schutzrechtsverletzungsverfahren überzogen zu werden. Dies würde auch ihre Stellung gegenüber ihren Kunden verbessern.

2.

Als Wettbewerberin der Beteiligten zu 1) und 2) auf dem relevanten Markt für ZMS ist die Beigeladene durch das in Betracht kommende Verfahrensergebnis auch "erheblich", nämlich in spürbarer Weise berührt.

Der Gegenstand der möglichen Entscheidung des Bundeskartellamtes ist für die Tätigkeit der Beigeladenen auf dem relevanten Markt und damit in wirtschaftlicher Hinsicht von Bedeutung. Dies gilt auf jeden Fall, soweit das Verfahrensergebnis und seine Konsequenz (auch) auf Beseitigung des durch die Vielzahl der Patente und Patentanmeldungen verursachten Wettbewerbsvorteils der Beteiligten zu 1) gegenüber den anderen Mitbewerbern gerichtet sein sollte. Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung des Anbieterwettbewerbs sind für die übrigen Wettbewerber auf jeden Fall von erheblicher Bedeutung.

Zutreffend stellt das Bundeskartellamt in diesem Zusammenhang aber auch darauf ab, dass aufgrund der geringen Zahl der Wettbewerber auf dem relevanten Markt selbst eine unmittelbar nur zu Gunsten der Beteiligten zu 2) ergehenden Verfügung eine Veränderung der Wettbewerbsstrukturen und hierdurch bedingte wirtschaftliche Reaktionen möglich erscheinen lässt.

3.

Da die gesetzlichen Erfordernisse für eine Beiladung erfüllt sind, steht die Entscheidung über den Beiladungsantrag im Ermessen des Bundeskartellamtes. Die Überprüfung des Beschwerdegerichts ist daher darauf beschränkt, ob das Bundeskartellamt von seinem Ermessen einen fehlsamen Gebrauch gemacht hat, insbesondere von unrichtigen Vorstellungen ausgegangen ist, die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat, durch die konkrete Ermessensentscheidung Sinn und Zweck des Gesetzes verfehlt oder bei der Ermessensentscheidung Interessen eines Beteiligten in erheblicher Weise außer Acht gelassen hat. Diese Prüfung hat keinen Ermessensfehler ergeben.

Entgegen den Ausführungen der Beteiligten zu 1) ist die Beiladung nicht deshalb unzweckmäßig, weil die Beigeladene selbst beim Bundeskartellamt einen Sachverhalt zur Anzeige gebracht hat, wonach die Beteiligte zu 1) auch ihr gegenüber ihre marktbeherrschende Stellung ausgenutzt haben soll, und dieser Vorwurf in einem gesonderten Verfahren behandelt wird. Die mit einer Beiladung bezweckte Verfahrenskonzentration und -beschleunigung kann gleichwohl erreicht werden. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, ob zu erwarten ist, dass die Beigeladene einen Beitrag zur Aufklärung des relevanten Sachverhalts leisten kann (Bechtold, GWB, § 54 Rn. 9). In diesem Punkt steht dem Bundeskartellamt ein Beurteilungsspielraum zu. Das Bundeskartellamt bejaht die Fähigkeit der Beigeladenen, die Sachverhaltsaufklärung zu fördern, weil die Beigeladene schon länger als die Beteiligte zu 2) auf dem relevanten Markt tätig sei und dementsprechend tiefere Kenntnis über die Markt- und Wettbewerbsbedingungen habe. Anhaltspunkte dafür, dass diese, nach Ansicht des Senates, naheliegende Einschätzung unzutreffend ist, liegen nicht vor.

Mag auch das Ziel einer möglichst umfassenden Aufklärung der behaupteten wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen ebenso durch eine Anhörung nach § 56 GWB oder eine Verbindung der beiden Verfahren zu einem Verfahren erreicht werden können, so ist das Bundeskartellamt dadurch nicht gehindert, sich für eine Beiladung zu entscheiden, zumal nicht ersichtlich ist, dass die Beteiligte zu 1) durch die Beiladung irgendwelche Nachteile erleidet. Dass die Beiladung zu einer nicht hinnehmbaren Verzögerung des Verfahrens führen könnte, vermag der Senat nicht festzustellen.

Schließlich dringt die Beteiligte zu 1) auch nicht mit ihrem Einwand durch, die Beiladung sei nicht aus Gründen des individuellen Rechtsschutzes erforderlich, da die Beigeladene ihre Interessen in dem von ihr angestrengten Verfahren ausreichend geltend machen könne.

Der beiden Verfahren zu Grunde liegende Sachverhalt ist - wie die Beschwerdeführerin selbst betont - nicht völlig deckungsgleich; gleiches gilt für das Rechtsschutzziel der Beteiligten zu 2) und der Beigeladenen. Zwar wenden sich beide gegen die "Patentstrategie" der Beteiligten zu 1). Beide Unternehmen sind jedoch unterschiedlich strukturiert, weshalb es naheliegend erscheint, dass das der Beteiligten zu 1) jeweils vorgeworfene Verhalten unterschiedliche Auswirkungen hat. Eine gleichförmige Entscheidung in beiden Verfahren ist daher nicht zwingend vorgezeichnet. Im übrigen ist davon auszugehen, dass eine Entscheidung in dem von der Beteiligten zu 2) initiierten Verfahren auch Einfluss auf das Verfahren der Beigeladenen haben wird.

Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Beigeladenen sind nicht ersichtlich.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 78 Satz 1 und 2 GWB. Die Beteiligte zu 1) hat als unterlegene Partei gemäß § 78 Satz 2 GWB die im Beschwerdeverfahren angefallenen Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten des Bundeskartellamtes zu tragen. Es entspricht überdies der Billigkeit (§ 78 Satz 1 GWB) die Beteiligte zu 1) mit den notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen, die das Beschwerdeverfahren durch Sachvortrag wesentlich gefördert hat, zu belasten (vgl. Senat, WuW/E DE-R 523, 527, 528).

Ende der Entscheidung

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