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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 05.03.2007
Aktenzeichen: VI-Kart 3/07 (V)
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB § 65 Abs. 3
GWB § 35 Abs. 2 Satz 2
1. Bei der Anwendung der Bagatellmarktklausel (§ 35 Abs. 2 Satz 2 GWB) ist allein auf die im Inland erzielten Marktumsätze und nicht darauf abzustellen, welches Volumen der über den Geltungsbereich des GWB hinausgehende relevante Markt hat (so schon Senat, WuW/E DE-R 1881, 1883 - E.I du Pont/Pedex).

2. Mehrere sachlich getrennte Bagatellmärkte sind im Rahmen des § 35 Abs. 2 Satz 2 GWB nur dann zusammenzufassen, sofern sie als gleichartig anzusehen sind. Das ist der Fall, wenn sie in sachlicher Hinsicht und auch hinsichtlich ihrer Marktstruktur hinreichende Übereinstimmungen aufweisen, so dass eine isolierte Betrachtung der Einzelmärkte dem Sinn und Zweck der Bagatellmarktklausel, Vorhaben von der Fusionskontrolle auszunehmen, die einen gesamtwirtschaftlich unbedeutenden Markt betreffen, nicht gerecht würde.


Tenor:

I.

Die aufschiebende Wirkung der Beschwerden der Beteiligten zu 1-5 gegen den Beschluss des Bundeskartellamtes vom 14. Februar 2007 - B 5 - 28623 - Fg- 10/07 - wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Beschwerden angeordnet.

II.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligte zu 1 (nachfolgend: S.) ist ein Tochterunternehmen der in der Schweiz ansässigen S. AG, W..

Die Beteiligte zu 2 gehört zur M.-Gruppe (nachfolgend: M.). Sie ist die Muttergesellschaft der M. S. AG, R. (CH), M. Ltd, K. N. (UK), C. P.T. Inc.,, N. H. (USA), T. GmbH i.L., H. und der M. E. Inc., N. H. (USA). M. stellt Zweikomponentenmisch- und -applikationssysteme auf Kartuschenbasis sowie Mischer und Handaustraggeräte her.

Die Beteiligte zu 3 gehört zur W.-Gruppe, die unter anderem im Spritzgusssverfahren Kunststoffartikel herstellt.

Mit Schreiben vom 25. August 2006 meldeten die Beteiligten zu 1-5 beim Bundeskartellamt den geplanten Erwerb von 75,1 % der Anteile der K. H. AG, R. (CH), 76 % der Anteile der W. AG, H. (CH), 76 % der Anteile der M. AG, E. (FL) und von 100 % des Gründerrechts der M. A., E. (FL), sowie von Kaufoptionen über die restlichen Anteile, sofern diese noch unter 100 % liegen. Nach Einleitung des Hauptprüfverfahrens und Mitteilung, dass gegen das Zusammenschlussvorhaben wettbewerbliche Bedenken bestehen, haben die Zusammenschlussbeteiligten die Anmeldung am 29. Dezember 2006 zurückgenommen und den Vollzug des Zusammenschlusses am selben Tag angezeigt.

Durch Beschluss vom 14. Februar 2007 hat das Bundeskartellamt den Zusammenschluss untersagt und dessen Auflösung angeordnet. Der Anteilserwerb an M. durch S. führe zur einer Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung von M. auf dem Markt für die Herstellung von Kartuschen, Mischern und Austraggeräten für Zweikomponenten-Material für medizinische Anwendung und zur Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Markt für die genannten Geräte für Industrieanwendungen. Der Anteilserwerb an M. unterliege gemäß § 35 Abs. 1 GWB der Fusionskontrolle. Die Bagatellmarktklausel (§ 35 Abs. 2 Nr. 2 GWB) sei nicht anwendbar. Zwar sei auf keinem der betroffenen sachlich relevanten Einzelmärkte die Umsatzschwelle von 15 Millionen Euro im Inland überschritten. Jedoch sei entweder auf die bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise zugrundezulegenden räumlich relevanten Märkt abzustellen, die hier zumindest europaweit seien und deren Umsatzschwelle jeweils über 15 Millionen Euro läge, oder aber es seien die Inlandsumsätze beider Märkte zu addieren, da es sich um sachlich eng benachbarte Märkte handele.

Der Anteilserwerb an der W.-Gruppe sei in wettbewerblicher Hinsicht hingegen unbedenklich.

Gegen diesen Beschluss haben die Beteiligten zu 1-5 Beschwerde eingelegt und beantragt,

die aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerde bis zur rechtskräftigen Entscheidung ihrer Beschwerde anzuordnen.

Das Bundeskartellamt beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

II.

Der Antrag der Beteiligten zu 1-5 auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer mit Schriftsatz vom 15. Februar 2005 eingelegten Beschwerden gegen den Beschluss des Bundeskartellamtes vom 14. Februar 2007 hat Erfolg.

Das Beschwerdegericht kann gemäß § 65 Abs. 3 Satz 2 GWB auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung bestehen (§ 65 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB) oder die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 65 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB). Vorliegend bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung (§ 65 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB). Solche Zweifel können in tatsächlicher oder in rechtlicher Hinsicht begründet sein. Sie sind bei der vorzunehmenden lediglich summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage regelmäßig dann zu bejahen, wenn nach der Einschätzung des Gerichts die Aufhebung der angefochtenen Verfügung überwiegend wahrscheinlich ist.

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage führt zu dem Ergebnis, dass die Beschwerden der Beteiligten zu 1-5 aller Voraussicht nach Erfolg haben werden und die angefochtene Auflösungsanordnung des Bundeskartellamts aufzuheben ist. Es bestehen in rechtlicher Hinsicht erhebliche Zweifel daran, dass der vollzogene Anteilserwerb von S. an der M.-Gruppe dem Geltungsbereich der Fusionskontrolle unterliegt. Hinsichtlich des Anteilserwerb an der W.-Gruppe bestehen diese Bedenken zwar nicht. Jedoch ist dieser Erwerb nach den Ermittlungen des Bundeskartellamtes wettbewerblich unproblematisch und rechtfertigt die Untersagung und Auflösung des Zusammenschlusses nicht.

1.

Voraussetzung für die Anwendung der Vorschriften über die Zusammenschlusskontrolle ist gemäss § 35 Abs. 1 GWB, dass die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss insgesamt weltweit Umsatzerlöse von mehr als 500 Millionen Euro (Nr. 1) und mindestens ein beteiligtes Unternehmen im Inland Umsatzerlöse von mehr als 25 Millionen Euro (Nr. 2) erzielt haben. Ist der Geltungsbereich hiernach an sich eröffnet, schließt § 35 Abs. 2 Nr. 2 GWB die Anwendbarkeit der Zusammenschlusskontrolle aus, soweit ein Markt betroffen ist, auf dem seit mindestens fünf Jahren Waren oder gewerbliche Dienstleistungen angeboten werden und auf dem im letzten Kalenderjahr weniger als 15 Millionen Euro umgesetzt wurden (sog. Bagatellmarktklausel).

Soweit der vollzogene Zusammenschluss den Anteilserwerb von S. an der M.-Gruppe betrifft, greift nach Auffassung des Senates die Bagatellmarktklausel ein. Der vollzogene Zusammenschluss betrifft lediglich zwei Bagatellmärkte im Sinne von § 35 Abs. 2 Nr. 2 GWB. Eine Addition der Umsätze beider Märkte kommt nicht in Betracht.

a.

Der vollzogene Anteilserwerb an der M.-Gruppe betrifft zwei unterschiedliche sachliche Märkte, die in räumlicher Hinsicht beide mindestens europaweit abzugrenzen.

Das Bundeskartellamt hat zutreffend unter Anwendung des Bedarfsmarktkonzeptes den Markt für Kartuschen, Mischer und Austraggeräte für Zwei-Komponenten (2K)-Material weiter danach unterteilt, in welchem Bereich die hergestellten Geräte zum Einsatz kommen. Dementsprechend hat das Amt zwischen dem Markt für medizinischen Anwendungen/Dentalanwendungen und dem Markt für Industrieanwendungen (industrielle und Bauanwendungen) unterschieden, weil aus Sicht der Nachfrager die für den medizinischen Bereich hergestellten Kartuschen, Mischer und Austraggeräte für Zwei-Komponenten (2K)-Material nicht mit denen funktionell austauschbar seien, die für den Einsatz im Industriebereich vorgesehen seien. Entscheidend hierfür sei der in beiden Bereichen unterschiedliche Bedarf hinsichtlich der Größe der zum Einsatz kommenden Kartuschen und Dosierpistolen, die zum Teil bestehenden Unterschiede zwischen dem für die Herstellung der Kartuschen verwendeten (Kunststoff) Material sowie die unterschiedlichen Nachfrager und abweichenden Anbieterstrukturen. So werden nach den Feststellungen des Bundeskartellamtes für den medizinischen Bereich viel kleinere Kartuschen (50-ml und kleiner) und dementsprechend auf viel kleinere Dosierpistolen als im Industriebereich nachgefragt. Darüber hinaus würden die für medizinische Anwendungen vorgesehene Kartuschen teilweise aus anderem Material hergestellt, als die Kartuschen für den Industriebereich. Nachfrager der Kartuschen, Mischer und Austraggeräte für den medizinischen Bereich seien die Hersteller medizinischer Produkte insbesondere von Zweikomponenten-Materialien für den Dentalbereich (Abformmassen, temporäre Kronen- und Brücken-Materialien, Zementen, Bleaching-Produkten pp.). Die für den Industriebereich hergestellten Geräte würden hingegen von den Herstellern von Klebstoffen, Füllstoffen und Dichtungsmassen nachgefragt. Überdies seien die Anbieterstrukturen in beiden Bereichen völlig unterschiedlich. Die für die medizinische Anwendung bestimmten Geräte würden fast ausschließlich von der M.-Gruppe hergestellt. Zudem handele es sich um einen einheitlichen Systemmarkt. Die von der M.-Gruppe hergestellten und vertriebenen Systemkomponenten verfügten über patentrechtlich geschützte Schnittstellen, die eine flexible Verwendung der Produkte anderer Hersteller erschwerten oder sogar verhinderten. Demgegenüber seien im Industriebereich mit M., S. und R. mehrere etwa gleich große Anbieter tätig; eine Schnittstellenproblematik wie im medizinischen Anwendungsbereich bestehe nicht.

Die vom Bundeskartellamt vorgenommene Marktabgrenzung ist nicht zu beanstanden. Sie entspricht den Grundsätzen des Bedarfsmarktkonzeptes. Die aufgezeigten Unterschiede zwischen den Kartuschen, Mischern und Austraggeräten für Zwei-Komponenten (2K)-Material, die für die Anwendung im medizinischen Bereich vorgesehen sind, und denen, die im Industriebereich zum Einsatz kommen, sind nach derzeitigem Sachstand so gewichtig, dass die Annahme eines einheitlichen Marktes nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden kann.

b.

Die Bagatellmarktklausel findet Anwendung. Auf keinem der beiden Märkte, die von dem Anteilserwerb von S. an der M.-Gruppe betroffen sind, ist die Umsatzschwelle von 15 Millionen überschritten. Auch sind für die Prüfung der Bagatellmarktschwelle die Umsatzerlöse beider Märkte nicht zusammenzufassen.

aa.

Keiner der beiden Märkte erreicht die Umsatzschwelle des § 35 Abs. 2 Nr. 2 GWB. Weder auf dem Markt für Kartuschen, Mischer und Austraggeräte für Zwei-Komponenten (2K)-Material für medizinische Anwendungen noch auf dem Markt für die genannten Produkte für Industrieanwendungen sind im letzten Kalenderjahr mehr als 15 Millionen Euro umgesetzt worden.

Zwar ist auf jedem Markt die Umsatzschwelle von 15 Millionen Euro überschritten, soweit die europaweit erzielten Umsätze zu Grunde gelegt werden. Für die Anwendbarkeit der Bagatellmarktklausel ist hierauf aber nicht abzustellen. Entscheidend ist allein der im Inland, d.h. der in der Bundesrepublik Deutschland erzielte Marktumsatz, der hier auf beiden Märkten unterhalb von 15 Millionen Euro liegt. Nach der Rechtsprechung des Senates ist bei der Anwendung der Bagatellmarktklausel allein auf die im Inland erzielten Marktumsätze und nicht darauf abzustellen, welches Volumen der über den Geltungsbereich des GWB hinausgehende relevante Markt hat (Senat WuW/E DE-R 1881, 1883 - E.I du Pont/Pedex). Die in § 19 Abs. 2 Satz 3 GWB zum Ausdruck kommende ökonomische Marktabgrenzung ist auf die Bagatellmarktklausel nicht anzuwenden. Hierfür spricht eine Gesamtwürdigung des Wortlauts und des Zwecks des § 19 Abs. 2 Satz 3 GWB sowie des Sinn und Zwecks des § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen des Senates in der oben zitierten Entscheidung in vollem Umfang Bezug genommen.

bb.

Für die Prüfung der Bagatellmarktschwelle sind die Inlandsumsätze der beiden sachlich getrennten Bagatellmärkte nicht zusammenzufassen. Eine am Sinn und Zweck der Bagatellmarktklausel orientierte Auslegung gebietet eine solche Zusammenfassung im vorliegenden Fall nicht.

(1)

Es ist bisher höchstrichterlich nicht entschieden, ob die Voraussetzungen der Bagatellmarktklausel erfüllt sind, wenn ein Zusammenschlussvorhaben mehrere sachlich benachbarte Märkte betrifft, auf denen zusammen im letzten Kalenderjahr 15 Millionen Euro und mehr umgesetzt worden sind. Der Bundesgerichtshof hat sich in diesem Zusammenhang bisher nur mit mehreren räumlich nebeneinander liegenden, sachlich gleichartigen Märkten befasst, auf denen erst in der Addition der jeweiligen Marktvolumen die Umsatzschwelle von 15 Millionen Euro erreicht oder überschritten worden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist in diesem Fall die Bagatellmarktklausel nicht anwendbar. Dies ergebe sich aus dem Sinn und Zweck der Bagatellmarktklausel, Vorhaben von der Fusionskontrolle auszunehmen, die einen gesamtwirtschaftlich unbedeutenden Markt betreffen. Erlange ein Zusammenschlussvorhaben dadurch gesamtwirtschaftliche Bedeutung, dass es sich auf mehrere kleine, sachlich gleichartige Märkte auswirke, stehe eine an Sinn und Zweck der Vorschrift ausgerichtete Auslegung ihrer Anwendbarkeit entgegen. Für die Anwendung der Zusammenschlusskontrolle sei es deshalb unerheblich, ob das notwendige Umsatzvolumen auf einem einzigen größeren Markt oder dadurch erzielt werden, dass die Umsatzerlöse der Unternehmen auf mehreren räumlich nebeneinanderliegenden, von dem Vorhaben betroffenen sachlich gleichartigen Märkten addiert werde (BGH WuW/E DE-R 1797 -ÖPNV Saarland; BGH WuW/E BGH 3037 - Raiffeisen).

(2)

Überwiegend wird in der Literatur unter Bezugnahme auf die ständige Praxis des Bundeskartellamtes die Auffassung vertreten, dass sachlich eng verwandte/benachbarte (Bagatell-)Märkte zusammenzufassen sind, sofern die an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen auf diesen Märkten eine einheitliche Unternehmenspolitik verfolgen und die Märkte durch im Wesentlichen homogene Wettbewerbsbedingungen gekennzeichnet sind (Bauer in Loewenheim/Riesenkampff/Meesen, GWB, Bd. 2 § 35 Rn. 14; Ruppelt in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Bd. 1, 10. Aufl., § 35 Rn. 26; Mestmäcker/Veelken in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 35 Rn. 37 a.E.; BKartA WuW/E DE-V 203, 207 - Krautkrämer/Nutronik; BKartA WuW/E DE-V 527, 528 f. - Marzipanrohmasse; BKartA WuW/E DE-V 717 - Schartau/Zentis; a.A. Schütz in GK, § 35 Rn. 25). Eine Gesamtbetrachtung sei deshalb insbesondere dann geboten, wenn die benachbarten Märkte durch eine moderate Angebotsumstellungsflexibilität geprägt seien, die den Markt bestimmenden Anbieter und Nachfrager im Wesentlichen identisch seien und die Produkte über dieselben Vertriebswege abgesetzt und einheitlich vermarktet würden.

(3)

Nach Auffassung des Senates kann sich die für das Eingreifen der Bagatellmarktklausel relevante gesamtwirtschaftliche Bedeutung eines Zusammenschlusses auch daraus ergeben, dass sich ein Zusammenschluss auf mehrere sachlich getrennte Einzelmärkte auswirkt. Voraussetzung hierfür ist, dass eine isolierte Betrachtung der Einzelmärkte dem Sinn und Zweck der Bagatellmarktklausel, Vorhaben von der Fusionskontrolle auszunehmen, die einen gesamtwirtschaftlich unbedeutenden Markt betreffen, nicht gerecht wird. Für die Anwendung der Fusionskontrolle darf es also keine Rolle spielen, ob sich die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Zusammenschlusses aus den Auswirkungen der Fusion auf einen sachlichen Markt oder der Gesamtheit mehrerer sachlich getrennter Einzelmärkte ergibt. Allerdings muss aus besonderen Gründen eine Zusammenfassung der Märkte geboten sein. Solche besonderen Gründe sind anzunehmen, wenn die Einzelmärkte als gleichartig anzusehen sind. Sie müssen also in sachlicher Hinsicht und auch hinsichtlich ihrer Marktstruktur hinreichende Übereinstimmungen aufweisen.

Diese Anforderungen sind vorliegend nicht erfüllt. Eine Addition der Inlandsumsätze beider Bagatellmärkte kommt nicht in Betracht. Der Markt für Kartuschen, Mischer und Austraggeräte für Zwei-Komponenten (2K)-Material für medizinische Anwendungen und der Markt für die genannten Produkte für Industrieanwendungen sind nicht gleichartig. Zwar sind die auf beiden Märkten angebotenen Waren als solche sehr ähnlich, da die angebotenen Kartuschen, Mischer und Austraggeräte sich im Wesentlichen nur ihrer Größe nach unterscheiden. Jedoch ist die Marktstruktur beider Märkte völlig unterschiedlich. Der Markt für Kartuschen, Mischer und Austraggeräte für Zwei-Komponenten (2K)-Material für medizinische Anwendungen wird von M.-Gruppe mit einem Marktanteil von über 95 % beherrscht. Nach den Feststellungen des Bundeskartellamtes ist diese Alleinstellung das Ergebnis einer Systemanbieterstellung, die durch einen äußerst hohe Produktqualität und zahlreiche Patente für essentielle Schnittstellen ihrer Produkte abgesichert ist. Die patentrechtlich geschützten Schnittstellen zwischen Kartuschen und Dosierpistolen und zwischen Mischern und Kartuschen haben sich als Industriestandard durchgesetzt. Auf dem Markt für Kartuschen, Mischer und Austraggeräte für Industrieanwendungen sind die Wettbewerbsbedingungen völlig anders. Mit S., R. und M. sind drei etwa gleich große Anbieter tätig. Eine Systembindung besteht nicht. Die Kartuschen und Austraggeräte aller Hersteller können miteinander kombiniert werden.

Auch die Nachfrager sind auf beiden Märkten völlig unterschiedlich. Auf dem einen Markt sind die Hersteller medizinischer Produkte insbesondere von Zweikomponenten-Materialien für den Dentalbereich Nachfrager, auf dem anderen Markt sind es die Hersteller von Klebstoffen, Füllstoffen und Dichtungsmassen.

Nach Auffassung des Senates besteht zwischen den Märkten für Medizin-/Dental- und Industrieanwendungen auch keine Produktionsumstellungsflexibilität, die im Rahmen der Bagatellmarktklausel eine Zusammenfassung beider Inlandsumsätze gebietet.

Zunächst sind die hierzu getroffenen Feststellungen des Bundeskartellamtes widersprüchlich. In seinem Beschluss geht das Amt noch von einer lediglich "eingeschränkten" anbieterseitigen Produktionsumstellungsflexibilität zwischen beiden Märkten aus. Es erscheine allenfalls möglich, mit 50 ml-Kartuschen aus dem Dentalbereich in den Industriebereich einzutreten, hingegen sei dies andersrum - also vom Industrie- zum Dentalbereich - bislang nicht möglich gewesen sei (Beschluss Rn. 45). Nunmehr trägt das Bundeskartellamt in seinem Schriftsatz vom 2. März 2007 vor, es bestehe eine "uneingeschränkte" Umstellungsflexibilität. Alle Produkte auf den betroffenen Märkten könnten in demselben Verfahren auf denselben Maschinen mit denselben Kunststoffen zu vergleichbaren Kosten hergestellt werden; das know-how des Formenbaus sei bei den Herstellern aus dem Industriemarkt in vollem Umfang vorhanden und könne direkt auf den Medizin-/Dentalmarkt übertragen werden. Worauf das Bundeskartellamt seine - offenbar neuen - Erkenntnisse stützt, wird nicht erläutert. Aber selbst wenn es den Anbietern für Industrieanwendungen aus den oben genannten Gründen ohne großen Zeit- und Kostenaufwand möglich sein sollte, ihre Produktion umzustellen und Kartuschen, Mischer und Austraggeräte (auch) für medizinische Anwendungen herzustellen, so ist ein Marktzutritt und eine hiermit einhergehende Angleichung der Wettbewerbsverhältnisse zwischen dem Markt für Industrie- und dem Markt für medizinische Anwendungen dennoch nur theoretisch denkbar. Tatsächlich ist die Marktststellung der M.-Gruppe im Medizin-/Dentalbereich so dominant, dass in absehbarer Zeit mit einer Änderung der Wettbewerbsverhältnisse nicht gerechnet werden kann. Ursächlich hierfür sind vor allem die herausragende Qualität und die patentrechtlich geschützten Schnittstellen ihrer sytemgebundenen Produkte. Nach übereinstimmender Aussage aller befragter Abnehmer gibt es keine Alternative zu den Produkten von M.. Die patentrechtlich geschützten Schnittstellen haben sich als Industriestandard durchgesetzt. Nachfrager, auf die mehr als zwei Drittel der ermittelten Bezugsmengen entfallen, haben auf Befragen des Bundeskartellamtes mitgeteilt, dass für sie selbst dann eine Verlagerung auf andere Anbieter oder ein Ausweichen in die Eigenproduktion nicht in Betracht komme, wenn die Preise von M. um bis zu 50 % erhöht würden. Der Wechsel zu einem anderen Anbieter wäre selbst bei vollständiger Kompatibilität der Produkte mit erheblichen Schulungskosten und einer Zeitdauer von mindestens zwei Jahren verbunden (Beschluss Rn. 55). Dementsprechend haben bisher die Unternehmen R. und C. bisher ohne Erfolg versucht, mit eigenen Produkten vom Industriemarkt aus in den Dentalmarkt einzutreten.

2.

Soweit der vollzogene Zusammenschluss den Erwerb der W.-Gruppe durch S. betrifft, ist der Anteilserwerb auch nach Einschätzung des Amtes wettbewerblich unproblematisch ist. Die Marktstellung der W.-Gruppe wird durch den Zusammenschluss nicht verändert. Auch kommt es nicht zu Marktanteilsadditionen, weil weder S. noch M. auf diesem Markt tätig sind.

III.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 74 Abs. 1 GWB zuzulassen.

Es ist über eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (§ 74 Abs. 2 Nr. 2 GWB). So ist von grundsätzlicher Bedeutung, ob im Rahmen der Anwendung der Bagatellmarktklausel auf die im Inland erzielten Umsätze abzustellen oder der nach ökonomischen Grundsätzen abgegrenzte räumlich relevante Markt zu Grunde zu legen ist. Ferner ist im vorliegenden Verfahren zu klären, ob und unter welchen Voraussetzungen die Bagatellmarktklausel Anwendung findet, wenn das Zusammenschlusshaben mehrere unterschiedliche sachliche Märkte betrifft, auf denen im letzten Kalenderjahr insgesamt ein Umsatz von mindestens 15 Millionen Euro erzielt worden ist.

Ende der Entscheidung

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