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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 22.12.2006
Aktenzeichen: VI-U (Kart) 36/06
Rechtsgebiete: UStG, ZPO


Vorschriften:

UStG § 14 Abs. 2 Satz 5
ZPO § 92
ZPO § 321
ZPO § 894
ZPO § 894 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

I.

Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das am 22. Juni 2006 verkündete Urteil des Landgerichts Köln, Az.: 81 O (Kart) 103/06, abgeändert.

Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 24. Mai 2006 wird aufgehoben und der Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 24. Mai 2006 wird zurückgewiesen.

II.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Verfügungsklägerin auferlegt.

III.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 500.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Verfügungsklägerin (nachfolgend: Klägerin) bietet unter dem Namen "L. Card" einer sog. Reisenstellenkarte für Unternehmenskunden an. Hierbei handelt es sich um eine Kreditkarte zur Bezahlung von Flugreiseleistungen.

Die Verfügungsbeklagte (nachfolgend: Beklagte) ist Anbieterin von Flugverkehrsleistungen.

In der Zeit von Juli 2004 bis August 2005 hat die Klägerin, ohne dass es von der Beklagten beanstandet wurde, in der monatlich Abrechnung ihrer Kreditkartenleistungen für die Inanspruchnahme von Flugverkehrsleistungen der Beklagten die Mehrwertsteuer ausgewiesen und es ihren Kunden so ermöglicht, den Vorsteuerabzug monatlich in einer Summe ohne weitere Ausrechnungen vorzunehmen. Als die Beklagte im August 2005 veranlasste, dass der Klägerin vermittelt durch das jeweilige Reisebüro nur noch ein Buchungsbeleg ohne Ausweis der Mehrwertsteuer zur Verfügung gestellt werden, erwirkte die Klägerin am 23. September 2005 beim Landgericht Köln (Az.: 81 O (Kart) 155/05) eine einstweilige Verfügung, durch die der Beklagten aufgegeben worden ist, der Klägerin die Befugnis einzuräumen, auf Rechnungen für die Reisestellenkarte "L. Card" gemäß § 14 Abs. 2 Satz 5 UStG die Umsatzsteuer für Leistungen der Beklagten auszuweisen. Der hiergegen eingelegte Widerspruch der Beklagten blieb ohne Erfolg. Mit rechtskräftigem Urteil vom 16. Dezember 2005 hat das Landgericht die einstweilige Verfügung vom 23. September 2005 bestätigt, allerdings mit der Einschränkung, dass das Gebot nur bis zum erstinstanzlichen Abschluss des mittlerweile eingeleiteten Hauptsacheverfahrens gilt. In dem Hauptsacheverfahren, Az.: 81 O 170/05 LG Köln, ist die Beklagte sodann durch Urteil vom 19. Mai 2006 antragsgemäß verurteilt worden, der Klägerin die entsprechende Befugnis zum Ausweis der Umsatzsteuer einzuräumen.

Am 23. Mai 2006 erhielt die Klägerin Kenntnis davon, dass sich die Beklagte nicht an die Verurteilung halten will, weil die Verpflichtung aus der einstweiligen Verfügung vom 23. September 2005 mit der Verkündung des Urteils vom 19. Mai 2006 entfallen sei und das Urteil vom 19. Mai 2006 die für die Ermächtigung der Klägerin erforderliche Erklärung der Beklagten nicht ersetze.

Auf Antrag der Klägerin erließ das Landgericht Köln am 24. Mai 2006 erneut eine gegen die Beklagte gerichtete einstweilige Verfügung, die der Klägerin einstweilen, diesmal bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, die Befugnis einräumt, auf Rechnungen für die Reisestellenkarte "L. Card" die Umsatzsteuer für Leistungen der Beklagten auszuweisen. Auf den hiergegen gerichteten Widerspruch der Beklagten hat das Landgericht Köln durch Urteil vom 22. Juni 2006 die einstweilige Verfügung bestätigt. Die Rechtskraft des Urteils vom 16. Dezember 2005 stehe dem Erlass der einstweiligen Verfügung nicht entgegen, weil zwischenzeitlich neue Tatsachen in der Form eingetreten seien, dass sich die Beklagte nicht an das erstinstanzliche Urteil in dem Hauptsacheverfahren halte. Ein Umgehung von § 894 ZPO liege nicht vor. Im übrigen müsse eine endgültige Veränderung der Marktverhältnisse auf dem Markt für Reisestellenkarten durch Erlass der einstweiligen Verfügung verhindert werden.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Ihrer Meinung nach ist der Antrag der Klägerin vom 24. Mai 2006 bereits wegen der entgegenstehenden Rechtskraft der Urteils vom 16. Dezember 2005 unzulässig, weil beide Verfügungsverfahren denselben unveränderten Streitgegenstand betreffen. Auch widerspreche der Erlass einer einstweiligen Verfügung dem gesetzgeberischen Willen in § 894 ZPO, der für die Abgabe einer Willenserklärung gerade keine vorläufige Vollstreckbarkeit vorsehe. Darüber hinaus sei der Antrag aber auch unbegründet, weil weder ein Verfügungsanspruch noch ein Verfügungsgrund vorliege.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Köln vom 22. Juni 2006 - 81 O (Kart) 103/06 - abzuändern, die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 24. Mai 2006 aufzuheben und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen,

hilfsweise,

das Urteil des Landgerichts Köln vom 22. Juni 2006 - 81 O (Kart) 103/06 - abzuändern und die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 24. Mai 2006 insofern abzuändern, dass das an sie gerichtete Gebot, der Klägerin die Befugnis einzuräumen, auf Rechnungen für die Reisestellenkarte "L. Card" gemäß § 14 Abs. 2 Satz 5 UStG die Umsatzsteuer für ihre, der Beklagten, Leistungen auszuweisen entfällt, wenn das Urteil des Landgerichts Köln vom 19. Mai 2006 (Az. 81 O 170/05) in der Berufungsinstanz aufgehoben wird.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft ihren bisherigen Vortrag.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

Das Landgericht hat zu Unrecht dem Antrag der Klägerin vom 24. Mai 2006 auf Erlass einer erneuten einstweiligen Verfügung stattgegeben. Der Antrag der Klägerin ist nicht zulässig. Ihm steht die Rechtskraft der im ersten einstweiligen Verfügungsverfahren ergangenen Entscheidung entgegen.

1.

Das Landgericht Köln hat bereits in dem ersten einstweiligen Verfügungsverfahren (Az.: 81 O 155/05) über den im hiesigen Verfahren erneut gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entschieden.

Das Landgericht hat mit rechtskräftigem Urteil vom 16. Dezember 2005 die antragsgemäß erlassene einstweilige Verfügung vom 23. September 2005 mit der Einschränkung bestätigt, dass das Gebot nur bis zum erstinstanzlichen Abschluss des Hauptsacheverfahrens gilt. Hierdurch hat das Landgericht die Wirkungsdauer der einstweiligen Verfügung zeitlich auf den erstinstanzlichen Abschluss des Hauptsacheverfahrens beschränkt. Es hat damit den Antrag der Klägerin teilweise abgewiesen. Der Antrag der Klägerin sah eine solche zeitliche Beschränkung nicht vor. Da eine einstweilige Verfügung ihrer Natur und Zielsetzung her auf den Zeitraum bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache beschränkt ist, hat die Klägerin die begehrte einstweilige Verfügung mangels zeitlicher Einschränkung ihres Antrags für den Maximalzeitraum, d.h. bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsachverfahrens beantragt. Zwar hat das Landgericht den Antrag der Klägerin weder im Beschluss vom 20. September 2005 noch im Urteil vom 16. Dezember 2005 explizit teilweise zurückgewiesen. Auch hat es im Hinblick auf ein Teilunterliegen der Klägerin keine Kostenquotelung nach § 92 ZPO vorgenommen, sondern der Beklagten gemäß § 91 ZPO die Kosten in vollem Umfang auferlegt. Dies ist jedoch ebenso unbeachtlich wie die gewählte Formulierung des Landgerichts, wonach es sich bei der zeitlichen Einschränkung lediglich um eine "klarstellende Maßgabe" handeln soll. Der Entscheidungssatz im Urteilstenor enthält abweichend vom Antrag der Klägerin eine zeitliche Beschränkung der erlassenen einstweiligen Verfügung. Damit ist der Klägerin weniger als beantragt zugesprochen worden ist. Für den Zeitraum zwischen erstinstanzlicher Entscheidung im Hauptsacheverfahren und rechtskräftigem Abschluss des Hauptsacheverfahren ist der Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mangels Verfügungsgrund abgelehnt worden.

Anders als die Beklagte meint, liegt hier kein Fall einer Urteilsergänzung i.S. von § 321 ZPO vor, die, wenn sie nicht innerhalb der vorgesehenen Frist beantragt wird, ein neues Verfahren über den übergangenen Anspruch ermöglicht.

Voraussetzung für eine Ergänzung des Urteils ist eine Entscheidungslücke. Sie liegt vor, wenn das Gericht im Urteil einen Anspruch versehentlich, d.h. nicht rechtsirrig oder bewusst übergangen hat. Eine solche Situation liegt hier aber nicht vor. Das Landgericht hat ausweislich der Entscheidungsgründe rechtsfehlerhaft ein Schutzbedürfnis der Klägerin über den erstinstanzlichen Abschluss des Hauptsacheverfahrens hinaus verneint und hierbei § 894 ZPO übersehen. Von einem versehentlichen Übergehen eines Anspruchs(teils) kann daher nicht ausgegangen werden, da über den Anspruch im Ganzen entschieden worden ist.

2.

Die den Antrag der Klägerin somit teilweise ablehnende Entscheidung des Landgerichts ist in materieller Rechtskraft erwachsen. Eine erneute Entscheidung über den abgelehnten Antrag ist ausgeschlossen.

Ob und inwieweit die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangenen Entscheidungen in materieller Rechtskraft erwachsen, soweit sie formell rechtskräftig geworden sind, wird nicht einheitlich beantwortet. Ist das Gesuch um einstweiligen Rechtsschutz rechtskräftig abgewiesen worden, ist nach herrschenden Meinung die erneute Einreichung eines abgelehnten Gesuchs nur dann zulässig, wenn dieses auf neue Tatsachen zum Anspruch oder zum Grund gestützt wird oder wenn die Glaubhaftmachung mit neuen Mitteln geführt wird und wenn diese Tatsachen oder Mittel im ersten Verfahren entweder noch nicht vorhanden waren oder jedenfalls vom Gläubiger wegen der Eile nicht mit der gebotenen Sorgfalt ermittelt bzw. beigebracht werden konnten (Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, Bd. II, 3. Aufl., § 922 Rn. 25; Heinze in MünchKomm, ZPO, vor § 916 Rn. 52; Grunsky in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., vor § 916 Rn. 15; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 5. Aufl., Rn. 1520; Vollkommer in Zöller, ZPO, 25. Aufl., vor § 916 Rn. 13; OLG Frankfurt NJW 1968, 2112; a.A. Bongen/Renaud NJW 1991, 2886).

Ein solche Situation liegt hier nicht vor. Der Antrag der Klägerin vom 24. Mai 2005 ist hinsichtlich des mit Urteil vom 16. Dezember 2005 für die Zeit nach der erstinstanzlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren abgelehnten Verfügungsgrundes auf keine neuen Tatsachen gestützt, die im ersten Verfahren nicht vorhanden waren oder nicht rechtzeitig beigebracht werden konnten. Eine solche neue Tatsache ist nach Abschluss des ersten einstweiligen Verfügungsverfahrens nicht dadurch eingetreten, dass die Beklagte dem mit der Berufung angefochtenen Urteil des Landgerichts Köln vom 16. Februar 2006 keine Folge leistet und der Klägerin über den erstinstanzlichen Abschluss des Hauptsachverfahrens hinaus nicht gestattet, auf den Rechnungen für ihre Reisestellenkarte gemäß § 14 Abs. 2 Satz 5 UStG die Umsatzsteuer für Leistungen der Beklagten auszuweisen. Bereits bei Erlass der ersten einstweiligen Verfügung bestand die Gefahr, dass die vom Landgericht für den Zeitraum bis zu einer erstinstanzlichen Verurteilung der Beklagten im Hauptsacheverfahren angenommenen drohenden Notlage der Klägerin auch nach einer solchen Verurteilung fortbesteht. Das gegen die Beklagte gerichtete Urteil ist auf Abgabe einer Willenserklärung gerichtet. Es ist kein vorläufig vollstreckbarer Titel. Die Erklärung gilt gemäß § 894 Abs. 1 Satz 1 ZPO erst dann als abgegeben, wenn das Urteil in Rechtskraft erwachsen ist. Da keinerlei Anhaltspunkte dafür vorhanden waren, dass die Beklagte eine erstinstanzliche Verurteilung im Hauptsacheverfahren akzeptieren und der Klägerin über diesen Zeitpunkt hinaus den Umsatzsteuerausweis auf ihren Rechnungen gestatten wird, bestand von Anfang an die - vom Landgericht nicht erkannte - Gefahr, dass sich die Beklagte im Falle des Obsiegens der Klägerin im Hauptsacheverfahren nicht an die Verurteilung hält und die Klägerin wegen § 894 ZPO keine Möglichkeiten hat, aus diesem Titel gegen die Beklagte vorläufig vorzugehen. Dass sich diese Gefahr dann nachträglich tatsächlich realisiert hat, stellt keine neue Tatsache dar, die ausnahmsweise eine Wiederholung des insoweit abgelehnten Verfügungsantrags gestattet.

Die Klägerin wird hierdurch auch nicht in ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz verletzt. Sie hätte die Möglichkeit gehabt, gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 16. Dezember 2005 Berufung einzulegen, soweit ihr Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung für den Zeitraum nach einem erstinstanzlichen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zurückgewiesen worden ist.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Ende der Entscheidung

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