Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 14.05.2008
Aktenzeichen: VII-Verg 17/08 (1)
Rechtsgebiete: GWB, VgV, VOL/A, BGB, ZPO, GKG


Vorschriften:

GWB § 98 Nr. 2
GWB § 114 Abs. 2 Satz 1
GWB § 115 Abs. 1
GWB § 123 Satz 4
GWB § 128 Abs. 3
GWB § 128 Abs. 4
VgV § 3 Abs. 3
VgV § 13 Satz 1
VgV § 13 Satz 2
VgV § 13 Satz 6
VOL/A § 28 Nr. 1 Abs. 1 Satz 2
VOL/A § 28 Nr. 1 Abs. 2
BGB § 125
BGB § 126
BGB § 146
BGB § 150 Abs. 1
ZPO § 91 Abs. 1
GKG § 50 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Münster vom 13. Februar 2008 (VK 29/07) aufgehoben.

Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

Die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Verfahrens vor der Vergabekammer hat die Antragstellerin zu tragen.

Die Antragstellerin hat die im Verfahren vor der Vergabekammer entstandenen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin zu tragen.

Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin war im Verfahren vor der Vergabekammer notwendig.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zu tragen. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 50.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin ist die Ärztekammer Westfalen-Lippe, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts.

Die Antragsgegnerin schrieb den Druck, Versand und die Anzeigenakquise des Westfälischen Ärzteblatts im offenen Verfahren europaweit aus. Die Auflagenhöhe sollte 38.000 Stück pro Monat betragen. Der Auftrag sollte für drei Jahre erteilt werden. Der geschätzte Auftragswert betrug bis zu 980.000 € inkl. Mehrwertsteuer.

Bereits in der dritten oder vierten Woche des Oktober 2007 rügte die Antragstellerin mündlich gegenüber der Antragsgegnerin eine Unklarheit der Verdingungsunterlagen hinsichtlich der Anzahl der Seiten, die das Ärzteblatt aufweisen sollte.

Die Antragstellerin, die Beigeladene und ein dritter Bieter gaben Angebote ab.

Mit Schreiben vom 8. November 2007 teilte die Antragsgegnerin mit, der Zuschlag solle auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden. Mit Schreiben vom 9. November 2007 forderte sie die Beigeladene und die Antragstellerin auf, einer Verlängerung der Angebotsfrist bis zum 22. November 2007 zuzustimmen. Die Beigeladene und die Antragstellerin akzeptierten die vorgeschlagene Verlängerung der Bindefrist. Mit Telefaxschreiben vom 22. November 2007 erteilte die Antragsgegnerin dem Angebot der Beigeladenen den Zuschlag. Das Originalschreiben übersandte die Antragstellerin der Beigeladenen per Post. Am 26. November 2007 fand ein Bietergespräch zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen statt. In der Besprechung bestätigte die Beigeladene der Antragsgegnerin den Zugang des Auftragsschreibens und erklärte, den Auftrag zu den Bedingungen ihres Angebots entsprechend den Verdingungsunterlagen auszuführen. Über den Inhalt des Gesprächs erstellte die Antragsgegnerin einen Vergabevermerk. Auf den Inhalt des Vermerks wird Bezug genommen.

Am 26. November 2007 rügte die Antragstellerin in einem Schreiben an die Antragsgegnerin eine nicht eindeutige und unklare Leistungsbeschreibung sowie eine fehlerhafte Wertung der Angebote. Am 28. November 2007 reichte sie einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer ein, der am selben Tag zugestellt wurde. Am 28. November 2007 bestätigte die Beigeladene den Zugang des am 27. November 2007 eingegangenen Auftragsschreibens vom 22. November 2007. Das Schreiben ging der Antragsgegnerin am 29. November 2007 zu.

Die Vergabekammer gab dem Nachprüfungsantrag der Antragstellerin statt. Sie stellte fest, dass die Verträge vom 22. November und 26. November 2007 nichtig seien und verpflichtete die Antragsgegnerin, den Auftrag neu auszuschreiben. Zur Begründung führte sie aus: Die Antragsgegnerin sei öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB. Es liege eine Finanzierung durch den Staat vor. Der Ärztekammer sei vom Landesgesetzgeber das Recht verliehen, die Höhe der Beiträge durch den Erlass einer Gebührensatzung zu bestimmen und sie im Wege eines Gebührenbescheids bei den Ärzten, ihren Zwangsmitgliedern, zu erheben.

Der Zuschlag vom 22. November 2007 sei der Beigeladenen nicht wirksam erteilt worden, weil die in § 13 Satz 2 VgV vorgesehene 14-tägige Frist im Zeitpunkt der Erteilung des Zuschlags nicht abgelaufen gewesen sei.

Folge man der Behauptung der Antragsgegnerin, dass in einem Gespräch am 26. November 2007 der Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen mündlich erteilt worden sei, so fehle die nach § 28 Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 VOL/A notwendige umgehende schriftliche Bestätigung. § 28 Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 sei eine Formvorschrift im Sinne des § 126 BGB. Die schriftliche Form sei nicht gewahrt, was gemäß § 125 BGB zur Nichtigkeit des Vertragsschlusses führe.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragsgegnerin mit der sofortigen Beschwerde, mit der sie die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags begehrt. Sie macht geltend: Der Vergaberechtsweg sei nicht eröffnet. Sie sei nicht öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB. Das Tatbestandsmerkmal der besonderen Staatsnähe, nämlich der Finanzierung durch den Staat, sei nicht erfüllt.

Der Nachprüfungsantrag sei auch deshalb unzulässig, weil der Vertrag über die Anzeigenakquise, den Druck und den Versand des Ärzteblattes zwischen ihr und der Beigeladenen jedenfalls im Bietergespräch am 26. November 2007 wirksam geschlossen worden sei.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Beschluss der Vergabekammer vom 13. Februar 2007 aufzuheben und den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.

Sie trägt vor: Es sei nach der Aktenlage zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin der Beigeladenen am 26. November 2007 mündlich ein Angebot unterbreitet habe, welches die Beigeladene habe annehmen können.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Akten der Vergabekammer und die Vergabeakten lagen vor.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin hat Erfolg.

1. Ob der Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen im Streitfall eröffnet ist, weil die Antragsgegnerin öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB ist, kann dahinstehen.

Der Nachprüfungsantrag hat ist nämlich aus anderen Gründen als unzulässig zurückzuweisen.

2. Der Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen ist im Streitfall nicht (mehr) eröffnet, weil die Antragsgegnerin und die Beigeladene noch vor Zustellung des Nachprüfungsantrags am 28. November 2007, welche erst das Zuschlagsverbot des § 115 Abs. 1 GWB auslöste, im Rahmen des Bietergesprächs vom 26. November 2007 (mündlich) einen wirksamen Vertrag geschlossen haben.

Der am 26. November 2007 geschlossene Vertrag zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen ist nicht gemäß § 13 Satz 6 VgV unwirksam. Nach § 13 Satz 1 VgV informiert der Auftraggeber (die Vergabestelle) die Bieter, deren Angebot nicht berücksichtigt werden sollen, über den Namen des Bieters, dessen Angebot angenommen werden soll, und über die Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres Angebotes spätestens 14 Kalendertage vor dem Vertragsabschluss. Nach § 13 Satz 6 VgV ist ein Vertrag nichtig, den der öffentliche Auftraggeber innerhalb von 14 Kalendertagen nach Absendung der Bieterinformation über einen beabsichtigten Zuschlag mit dem Bieter schließt.

a) Zwar ist der Auftrag vom 22. November 2007 in diesem Sinn unwirksam. Er ist nach § 13 Satz 6 VgV nichtig. Die Antragsgegnerin hatte bei Absendung des Telefaxauftrags vom 22. November 2007 die Wartefrist von 14 Kalendertagen nicht eingehalten. Diese Frist begann am Tag nach der Absendung der Bieterinformation, nämlich am 9. November, und lief am 22. November 2007 um 24.00 Uhr ab. Der Zuschlag erfolgte aber bereits am 22. November um 15.38 Uhr und damit vor Ablauf der Frist.

Auf das Angebot der Beigeladenen konnte ein Vertrag danach nicht mehr durch eine bloße Annahmeerklärung der Antragsgegnerin zustande kommen, denn das Angebot war wegen Ablaufs der Bindefrist am 22. November 2007 erloschen (vgl. §§ 146, 148 BGB).

b) Anlässlich des Bietergesprächs vom 26. November 2007 ist jedoch ein wirksamer Vertrag zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen geschlossen worden. Dies dokumentiert der diesbezügliche Vergabevermerk der Antragsgegnerin über das mit der Beigeladenen geführte Bietergespräch. Aus diesem ergibt sich, dass die Beigeladene auf Befragen der Antragsgegnerin zugesagt hat, den Auftrag auf der Grundlage des Angebots und den Vergabeunterlagen abzuwickeln.

Gestützt wird diese Annahme durch das Ergebnis der Anhörung des Ressortleiters S. der Antragsgegnerin und des Prokuristen M. der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Beide haben übereinstimmend bestätigt, dass die wechselseitig abgegebenen Erklärungen dazu dienten, die Auftragsvergabe zu bestätigen und Klarheit über den Vertragsschluss herbeizuführen. In der Frage der Antragsgegnerin liegt ein mündliches Angebot. Dieses unter Anwesenden unterbreitete Angebot der Antragsgegnerin hat die Beigeladene angenommen (§ 130 BGB), indem sie erklärt hat, willens und in der Lage zu sein, den Auftrag auf der Grundlage ihres Angebots und der Verdingungsunterlagen auszuführen. Die Beteiligten handelten dabei mit dem Willen, einen Vertrag zu schließen. Der Ressortleiter S. der Antragsgegnerin hatte bei einer Überprüfung der Frist des § 13 Satz 2 VgV erkannt, dass das Auftragsschreiben vom 22. November 2008 zu früh abgesandt worden war. Aus diesem Grund lud er die Beigeladene zu einem Bietergespräch ein. Der Prokurist M. der Beigeladenen wollte den Auftrag nicht nur durch das Telefaxschreiben vom 22. November 2007 erteilt sehen. Ihm ging es darum, aus dem Munde eines Vertreters der Antragsgegnerin zu erfahren, ob die Beigeladene den Auftrag tatsächlich erhalten hatte.

Der Senat (vgl. Senat, Beschl. v. 20.2.2007, VII-Verg 3/07, Umdruck S. 3, IBR 2007, 641 - nur LS) folgt damit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Wie der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 28. Oktober 2003 (X ZR 248/02, Umdruck S. 7/8, VergabeR 2004, 190 = NZBau 2004, 166) entschieden hat, ist der öffentliche Auftraggeber aus haushaltsrechtlichen Gründen gehalten, auch auf ein gemäß § 146 BGB erloschenes Angebot eines Bieters gemäß § 150 Abs. 1 BGB beim Bieter nachzufragen, ob ein Vertragsschluss nach Maßgabe des sachlichen Inhalts des erloschenen Angebots noch möglich sei und dem Bieter den Abschluss eines Vertrags mit diesem Inhalt anzubieten. Mit den haushaltsrechtlichen Bindungen, deren der Ausschreibende unterliegt, ist es in der Regel unvereinbar, ein preislich günstiges Angebot von der Wertung zur Auftragsvergabe nur deshalb auszunehmen, weil darauf der Zuschlag nicht mehr durch einfache Annahmeerklärung erteilt werden kann, sondern ein Antrag des Auftraggebers und die Annahme durch den Bieter nötig sind. Die übrigen Bieter können auch nicht darauf vertrauen, dass ein Vertragsschluss wegen des Ablaufs der Bindefrist unterbleibt.

Es besteht im Streitfall keine Divergenz zu der Entscheidung des Thüringer OLG vom 30. Oktober 2006 (9 Verg 4/06, VergabeR 2007, 118). Zwar hat das Thüringer OLG - ausgehend von den Grundsätzen der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28. Oktober 2003 - mit Beschluss vom 30. Oktober 2006 (9 Verg 4/06, VergabeR 2007, 118) eine nach Ablauf der Bindefrist des Angebots vorgenommene Fristverlängerung als ein neues (verspätetes) Angebot des Bieters gewertet, das zwingend auszuschließen sei (§ 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. e VOL/A), wenn der verspätete Eingang des Angebots auf vom Bieter zu vertretenden Umständen beruhe; das Angebot könne nicht wirksam angenommen werden. Im Streitfall liegt jedoch die umgekehrte Sachverhaltskonstellation vor, weshalb von tragenden Rechtsgrundsätzen dieser Entscheidung nicht abgewichen wird: Auf der Grundlage des erloschenen Angebots hat die Antragsgegnerin der Beigeladenen den Vertragsschluss angeboten, was die Beigeladene mündlich angenommen hat. Nicht aber hat die Beigeladene der Antragsgegnerin ein (nach Auffassung des Thüringer OLG unzulässiges) Angebot unterbreitet.

Allerdings teilt der Senat die Auffassung der Vergabekammer nicht, es handele sich bei § 28 Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 VOL/A um eine Formvorschrift im Sinne des § 126 BGB, mit der Folge, dass der Zuschlag schriftlich hätte ergehen müssen. Die Bestimmung stellt eine Ordnungsvorschrift dar (so auch Portz in Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl., § 28 Rdnr. 11). Ein mündlich erteilter Zuschlag ist nach dem zweiten Halbsatz des § 28 Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 VOL/A allein zu Dokumentations- und Beweiszwecken schriftlich zu bestätigen. Satz 2 setzt aber voraus, dass der Zuschlag ("ausnahmsweise") auch mündlich wirksam erteilt werden kann. Dies bestätigt § 28 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A. Unabhängig davon bedürfen auch Bauaufträge keiner Schriftform (vgl. §§ 28, 29 VOB/A; vgl. Senat, Beschl. v. 23.5.2007, Verg 14/07, Umdruck S. 7 m.w.N.). Ein sachlicher Grund, die Rechtslage bei Dienst- und Lieferverträgen anders zu beurteilen, besteht nicht.

3. Der Nachprüfungsantrag ist zu verwerfen, da § 114 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 123 Satz 4 GWB anordnet, dass ein bereits erteilter Zuschlag durch die Nachprüfungsinstanzen nicht aufgehoben werden kann. Nach Erledigung des Vergabeverfahrens durch Zuschlagserteilung kann, sofern der Nachprüfungsantrag vorher anhängig gemacht worden ist, nur noch festgestellt werden, dass das Unternehmen, das die Nachprüfung beantragt hat, durch den Auftraggeber in seinen Rechten verletzt worden ist. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH ist nach wirksamer Zuschlagserteilung ein primärer Vergaberechtsschutz nicht geboten.

4. Die Entscheidung über die Kosten und die Erstattung notwendiger Aufwendungen im Verfahren vor der Vergabekammer beruht auf § 128 Abs. 3, 4 GWB. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens stützt sich auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes folgt aus § 50 Abs. 2 GKG i.V.m. § 3 Abs. 3 VgV. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen scheidet aus, da sie sich am Nachprüfungsverfahren mit eigenem Sachvortrag nicht beteiligt hat.

Ende der Entscheidung

Zurück