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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 20.12.2007
Aktenzeichen: VII-Verg 35/07
Rechtsgebiete: GWB, VOL/A, SGB V, ZPO


Vorschriften:

GWB § 98 Nr. 2
GWB § 100 Abs. 2
GWB § 115 Abs. 1
GWB § 116 Abs. 4
GWB § 118 Abs. 1
GWB § 118 Abs. 1 S. 3
GWB § 121
GWB § 123
VOL/A § 1 a Nr. 2 Abs. 2
VOL/A § 3 a Nr. 4
VOL/A § 3 a Nr. 4 Abs. 4 S. 2
VOL/A § 3 a Abs. 6 b
VOL/A § 3 a Abs. 7 a
VOL/A § 3 a Abs. 7 b
VOL/A § 3 a Abs. 7 c
VOL/A § 3 a Abs. 7 d
VOL/A § 8 Nr. 1 Abs. 2
VOL/A § 8 Nr. 1 Abs. 3
VOL/A § 18 Nr. 1 Abs. 1 S. 1
VOL/A § 18 a Nr. 1 Abs. 1
VOL/A § 8 a
VOL/A § 28 a
SGB V § 126
ZPO § 148
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 14. September 2007 (VK 1-101/07) wird bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängert, soweit diese das Fachlos 1 und das Gebietslos 12 (Land ...) der Ausschreibung "Rahmenvertrag über die Versorgung mit wieder verwendbaren Hilfsmitteln aus dem Exklusiv-Pool der B..." betrifft.

Im Übrigen wird der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt.

Das Beschwerdeverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften über das Vorabentscheidungsersuchen des Senats durch Beschluss vom 23. Mai 2007 (VII-Verg 50/06) ausgesetzt.

Die Antragsgegnerin wird aufgefordert, dem Beschwerdegericht etwaige den Bestand des Vergabeverfahrens zum Fachlos 1 und zum Gebietslos 12 betreffende Veränderungen anzuzeigen.

Gründe:

I. Die Antragsgegnerin, eine gesetzliche Krankenkasse, schrieb am 2.7.2007 die Vergabe von Rahmenverträgen über die Versorgung ihrer Versicherten mit wieder verwendbaren Hilfsmitteln aus einem von ihr unterhaltenen Hilfsmittelpool im Deutschen Ausschreibungsblatt aus. Ausgeschrieben wurden zwei Fachlose (Fachlos 1: allgemeiner Hilfsmittelpool; Fachlos 2: Hilfsmittelpool für bestimmte Produktgruppen) sowie ferner Gebietslose jeweils für die Bundesländer und das gesamte Bundesgebiet. Die Angebotseinreichungsfrist lief am 24.7.2007 ab. Die Antragstellerin beteiligte sich mit einem Angebot zum Fachlos 1 und zum Gebietslos 12 (Land ...), wurde nach Rüge von Vergaberechtsverstößen und Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens mit ihrem Angebot wegen formaler Mängel von der Antragsgegnerin jedoch ausgeschlossen.

Die Antragstellerin hat unter anderem geltend gemacht:

Das Auftragsvolumen sei von der Antragsgegnerin nicht genannt worden. Infolgedessen, aber auch weil die Bedingungen für eine Erteilung von Einzelaufträgen in den Verdingungsunterlagen nicht festgelegt worden seien, werde Bietern ein ungewöhnliches Wagnis auferlegt. Davon abgesehen sei auch die Angebotsfrist zu kurz bemessen worden.

Die Vergabekammer (1. Vergabekammer des Bundes, Az. VK 1-101/07) hat den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Sie hat der Antragsgegnerin zwar die Eigenschaft zuerkannt, öffentlicher Auftraggeber i.S. von § 98 Nr. 2 GWB zu sein, hat jedoch keine der von der Antragstellerin behaupteten Rechtsverletzungen angenommen.

Die Antragstellerin hat gegen die Entscheidung der Vergabekammer sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzt. Daneben hat sie einen Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gestellt, dem der Senat einstweilen stattgegeben hat.

Die Antragsgegnerin tritt dem Eilantrag entgegen. Sie meint, eine darauf ergehende Entscheidung des Beschwerdegerichts dürfe sich zumindest nicht auf das bundesweite Gebietslos und auf andere als das Land ... betreffende Bundesländer erstrecken.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

II. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde zu verlängern, hat nur insoweit Erfolg, als er - spiegelbildlich zum Angebot der Antragstellerin - das Fachlos 1 (allgemeiner Hilfsmittelpool) und das Gebietslos 12 (Land ...) umfasst.

1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Dies kann jetzt schon festgestellt werden. Dann ist auch der mit der Beschwerde verbundene Eilantrag nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB zulässig.

Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf ist das für den Sitz der Vergabekammern des Bundes zuständige Beschwerdegericht (§ 116 Abs. 1, 3 GWB). Seine Zuständigkeit knüpft in Verbindung mit der aufgrund von § 116 Abs. 4 GWB ergangenen Konzentrationsverordnung der Landesregierung allein daran an, dass eine Vergabekammer mit Sitz im Land Nordrhein-Westfalen entschieden hat und dagegen von einem Verfahrensbeteiligten sofortige Beschwerde eingelegt worden ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Nachprüfungsantrag zulässig, d.h. der Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen eröffnet ist, weil durch einen öffentlichen Auftraggeber (§ 98 GWB) ein öffentlicher Auftrag (§ 99 GWB), der den maßgebenden Schwellenwert erreicht oder überschreitet und nicht den Ausnahmetatbeständen des § 100 Abs. 2 GWB unterliegt, erteilt werden soll. Dies ist erst bei der Begründetheit der Beschwerde, und zwar im Rahmen der Statthaftigkeit oder Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags zu überprüfen. Erweist sich in diesem Zusammenhang der Nachprüfungsantrag als unstatthaft oder unzulässig, ist er - gegebenenfalls unter Aufhebung der Entscheidung der Vergabekammer - vom Beschwerdegericht (als unzulässig) zu verwerfen, wenn nicht eine Verweisung an das zuständige Gericht in Betracht kommt. Als zuständiges Beschwerdegericht hat der Senat auch über den von der Antragstellerin angebrachten Eilantrag nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB zu befinden.

2. Über die Begründetheit des Nachprüfungsantrags kann derzeit - ungeachtet dessen, dass die Entscheidung über einen Eilantrag nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB ihrer Natur nach ohnehin vorläufig ist - allerdings auch aus einem anderen Grund nicht abschließend entschieden werden. Im Rahmen der Begründetheit des Nachprüfungsantrags ist bei der Statthaftigkeit oder Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags eine Entscheidung darüber notwendig, ob die Antragsgegnerin i.S. von § 98 Nr. 2 GWB öffentliche Auftraggeberin ist. Dies ist höchstrichterlich ungeklärt und Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens des Senats vom 23.5.2007 (VII-Verg 50/06, VergabeR 2007, 622) an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (vgl. Art. 234 EG). Ausweislich des Vorlagebeschlusses sind nach Auffassung des Senats die gesetzlichen Krankenkassen öffentliche Auftraggeber i.S. von § 98 Nr. 2 GWB. Trotz des prozessualen Vorrangs dieser Rechtsfrage kann deren Beantwortung bei der Entscheidung über den Eilantrag der Antragstellerin jedoch ausnahmsweise offen bleiben. Eilanträge nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB sollen den Fortbestand des Zuschlagsverbots nach § 115 Abs. 1 GWB bis zu einer Entscheidung des Beschwerdegerichts nach § 121 oder § 123 GWB sichern (vgl. § 118 Abs. 3 GWB).

In dem Umfang, in dem der Nachprüfungsantrag bei vorläufiger Bewertung des Sach- und Streitstands mit überwiegender Wahrscheinlichkeit begründet ist, gebietet eine europarechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts aufgrund des Art. 1 Abs. 1 und 3 der (im Streitfall noch anzuwendenden) Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG vom 21.12.1989, wonach die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass die Entscheidungen der Vergabebehörden von jedem Unternehmen, das ein Interesse an einem öffentlichen Auftrag hat und dem durch einen behaupteten Rechtsverstoß ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht, wirksam nachgeprüft werden können, Rechtsfragen, die nach nationalem Recht erheblich, unter dem Gebot einer autonomen, einheitlichen und an der praktischen Wirksamkeit in den Mitgliedstaaten ausgerichteten Auslegung des Gemeinschaftsrechts (vgl. EuGH, Urt. v. 16.10.2003 - C-283/00, Tz. 79, NZBau 2004, 223 - Siepsa; Urt. v. 27.2.2003 - C-373/00, Tz. 35, NZBau 2003, 287 - Adolf Truley) jedoch der von der Rechtsmittelrichtlinie angestrebten Sicherung des Rechtsschutzes unterzuordnen sind, bei einer Entscheidung über einen Nachprüfungsantrag, und demgemäß auch bei einem Eilantrag, offen zu lassen, wenn nur auf diese Weise dem durch die Rechtsmittelrichtlinie, nicht weniger aber auch durch § 118 Abs. 1 GWB, intendierten Primärrechtsschutz wirksam Rechnung getragen werden kann. So liegt auch der Streitfall. Nur durch eine Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde kann - sofern der Nachprüfungsantrag denn im Übrigen hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet - ein der Antragstellerin zustehender Primärrechtsschutz wirksam sichergestellt werden. Abgesehen davon, dass nach nationalem Verständnis der Vorrang prozessualer Rechtsfragen durchbrochen und infolge einer die aufschiebende Wirkung verlängernden Entscheidung in dem Umfang, wie sie ausgesprochen wird, eine Beendigung des Vergabeverfahrens durch Erteilen eines Zuschlags verhindert wird, bleiben die Grundsätze der Rechtskraft unangetastet. Mit der Entscheidung über die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde wird über das Schicksal des Nachprüfungsantrags im Ergebnis nicht rechtskräftig befunden, da Streitgegenstand des Eilverfahrens nicht die Auftragserteilung als solche, sondern nur die einstweilige Sicherung des beim antragenden Unternehmen gegebenen Interesses am Auftrag ist. Ein Interesse am Auftrag hat die Antragstellerin durch ihr Angebot bekundet (§ 107 Abs. 2 GWB). Sie hat auch eine Rechtsverletzung in der Weise dargelegt, dass sie Vergaberechtsverstöße vorgetragen hat, die den Schluss auf die mit dem Nachprüfungsantrag begehrte Rechtsfolge erlauben und die Entstehung eines Schadens besorgen lassen. Außerdem hat die Antragstellerin - wie außer Streit steht - die von ihr behaupteten Vergaberechtsverstöße unverzüglich gerügt (§ 107 Abs. 3 GWB). Davon abgesehen ist der maßgebende Schwellenwert unstreitig überschritten.

a) Der Nachprüfungsantrag hat in der Sache voraussichtlich Erfolg. Er betrifft ein Verfahren zur Vergabe nachrangiger Dienstleistungen nach Anhang I B, Kategorie 25, des 2. Abschnitts der VOL/A. Mit Recht hat die Vergabekammer den Auftrag nach Schwerpunkt und Wert als einen öffentlichen Dienstleistungs- und nicht als einen Lieferauftrag angesehen. Bei der Ausführung kommt es weniger auf eine Beschaffung von Hilfsmitteln an (von Einzelfällen abgesehen verfügt die Antragsgegnerin bereits über einen Hilfsmittelpool) als auf eine Einlagerung, Auslieferung und Einweisung der Versicherten, m.a.W. auf die Verwaltung eines bei der Antragsgegnerin vorhandenen Hilfsmittelbestandes und das Management. Gemäß § 1 a Nr. 2 Abs. 2 VOL/A ist das Vergabeverfahren nach den Basisparagraphen und nach den §§ 8 a und 28 a VOL/A (wobei jene Paragraphen im Streitfall keine Rolle spielen) durchzuführen. Es unterliegt dem Vergaberechtsregime (ständige Rspr. des Senats, so auch OLG München, Beschl. v. 21.4.2006 - Verg 8/06, VergabeR 2006, 561).

b) Nach derzeitiger Lage der Dinge hat die Antragsgegnerin gegen das bieterschützende Gebot nach § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A verstoßen, dass, um eine einwandfreie Preisermittlung zu ermöglichen, alle die Preiskalkulation beeinflussenden Umstände in den Verdingungsunterlagen (Vergabeunterlagen oder Vertragsbedingungen) anzugeben sind. Die Verdingungsunterlagen müssen den Bietern erlauben, die Angebotspreise möglichst sicher und ohne umfangreiche, gegebenenfalls nicht zielführende und dann unzumutbare Recherchen zu kalkulieren. Aufgrund dessen hat ihnen der Auftraggeber alle wesentlichen Parameter für eine Kalkulation, die ihm selbst bekannt oder für ihn jedenfalls feststellbar sind, spätestens in der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots mitzuteilen. Dazu zählt insbesondere das voraussichtliche Auftragsvolumen (ebenso Prieß in Kulartz/ Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, § 8 Rn. 61 m.w.N.). Die zur Ermittlung erforderlichen Nachforschungen hat - sofern diese ohne einen unzumutbaren Aufwand möglich sind - der Auftraggeber in seinem Geschäftsbereich vorzunehmen. Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin nicht in Abrede gestellt, sondern bestätigt, dass sie - bezogen auf Fach- und Gebietslose sowie auf die verschiedenen Hilfsmittel - aus der Vergangenheit über Daten hinsichtlich einer Inanspruchnahme von Hilfsmitteln durch die Versicherten und die Ausgaben verfügte. Diese hätten den Bietern bekannt gegeben werden können. Die Bieter hätten daraus das voraussichtlich auf die Gebietslose entfallende Auftragsvolumen abschätzen können. In Verbindung mit einer - freilich ebenfalls unterbliebenen - Bekanntgabe der Zuschlagskriterien für die Erteilung von Einzelaufträgen (siehe unten) hätten sie nur dann eine einigermaßen zuverlässige Kalkulationsgrundlage besessen. Eine Bekanntgabe der Inanspruchnahmedaten einschließlich einer vorherigen Zusammenstellung jener Daten war der Antragsgegnerin unter Berücksichtigung der Bieterinteressen auch zuzumuten. Die vom Auftragnehmer vertraglich erwarteten Dienstleistungen sind komplexer Natur. Dazu sollen Bieter unter anderem Lagerflächen bereitstellen, bei der Lieferung und Beratung einen Bereitschaftsdienst für die Versicherten unterhalten und ein Datenverarbeitungssystem betreiben. Mehrere Bieter haben wegen des zu erwartenden Auftragsvolumens Fragen an die Antragsgegnerin gerichtet, was hat erkennen lassen, dass im Rahmen einer an betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten orientierten Kalkulation des Angebotspreises eine Kenntnis von den bisherigen, auf die verschiedenen Hilfsmittel entfallenden Bereitstellungen und Ausgaben nicht nur nützlich, sondern auch unerlässlich erscheinen konnte. Die Antragsgegnerin hatte den Bietern deshalb nach Gebietslosen geordnet mindestens die bei ihr vorhandenen und bei einer Preiskalkulation als Schätzungsgrundlagen verwendbaren Daten über eine Bereitstellung von Hilfsmitteln und die Ausgaben in der Vergangenheit zur Verfügung zu stellen. Denn je komplexer die Leistungsabfrage ist und je schwieriger sich deswegen die Parameter für eine Preisbildung bestimmen lassen, desto mehr ist gefordert, dass der Auftraggeber den Bietern bei ihm vorhandene oder mit zumutbarem Aufwand beschaffbare Daten für eine Preisbildung mitteilt. Dabei handelt es sich um eine Minimalforderung zur Sicherung eines chancengleichen und transparenten Wettbewerbs.

c) Von der Antragsgegnerin ist ferner davon abgesehen worden, die Bedingungen festzulegen und den Bietern bekannt zu geben, unter denen innerhalb eines Fach- und Gebietsloses die späteren Einzelaufträge, gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen an mehrere Auftragnehmer, erteilt werden sollen. Ebenso wenig ist Bietern gegenüber Klarheit darüber geschaffen worden, wie die Erteilung solcher Aufträge sich zu den Bedingungen verhält, nach denen im - faktisch konkurrierenden - bundesweiten Gebietslos Einzelaufträge vergeben werden. Die Zuschlagskriterien für die Einzelaufträge sind entweder nicht festgelegt oder aber zwar aufgestellt, den am Auftrag interessierten Unternehmen jedoch nicht bekannt gegeben worden, was spätestens mit der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots zu geschehen hatte (vgl. § 17 Nr. 3 Abs. 1, Abs. 2 d VOL/A). Aufgrund dessen ist nicht gewährleistet, dass die Einzelaufträge in einem transparenten Verfahren vergeben werden, in dem die Bieter durch die Vorhersehbarkeit der Wertungsmaßstäbe nicht nur vor einer willkürlichen Bewertung der Angebote, sondern zugleich vor einer nachträglichen Abweichung des Auftraggebers von den festgelegten und bekannt gegebenen Zuschlagskriterien geschützt sind (vgl. BGH NJW 1998, 3644, 3646). Als elementares Gebot der Transparenz und der Chancengleichheit der Bieter ist das Erfordernis einer Festlegung und Mitteilung von Zuschlagskriterien vom Auftraggeber auch in einem (im Wesentlichen) nach den Basisparagraphen der VOL/A durchzuführenden Vergabeverfahren zu beachten. Darauf darf nur in Verfahren verzichtet werden, in denen der Auftraggeber die Vergabe von Rahmenvereinbarungen im engeren Sinn nach § 3 a Nr. 4 VOL/A beabsichtigt. Rahmenvereinbarungen im engeren Sinn bedürfen keiner zwingenden vorherigen Festlegung der Bedingungen, unter denen Einzelaufträge ergehen sollen (vgl. § 3 a Nr. 4 Abs. 4 S. 2; Abs. 6 b; Abs. 7 a - d VOL/A). Indes sind Rahmenvereinbarungen im engeren Sinn einer Vergabe von, wie hier, nachrangigen Dienstleistungen nach Anhang I B nicht zugänglich. Bei einer Vergabe nachrangiger Dienstleistungen nach Anhang I B des 2. Abschnitts der VOL/A sind - sieht man von den §§ 8 a und 28 a ab - nur die Basisparagraphen anzuwenden (siehe oben). Nach den Basisparagraphen können nur Rahmenverträge vergeben werden. Dies erfordert eine vorherige Festlegung und - spätestens mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe - eine Bekanntgabe der Zuschlagskriterien, und zwar auch soweit diese einer Erteilung der Einzelaufträge gelten.

d) Ob - wie die Antragstellerin geltend macht - bei den anzunehmenden Unklarheiten Bietern außerdem ein ungewöhnliches Wagnis i.S. des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A aufgebürdet war, kann offen bleiben. Denn schon aufgrund der nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand wahrscheinlichen Vergaberechtsverstöße ist das von der Antragsgegnerin durchgeführte Verfahren vergaberechtlich ungeeignet, mit einem Zuschlag beendet zu werden. In Fällen der vorliegenden Art ist den am Auftrag interessierten Unternehmen vielmehr durch eine vollständige Bekanntgabe aller Kalkulationsgrundlagen und Zuschlagskriterien vom Auftraggeber Gelegenheit zu geben, die eingereichten Angebote zu überprüfen und diese gegebenenfalls abzuändern oder zu ergänzen. Deswegen kommt es nicht darauf an, ob das Angebot der Antragstellerin derzeit aus formalen Gründen einem Ausschluss von der Wertung unterliegt. Nach einer teilweisen Aufhebung des Vergabeverfahrens kann die Antragstellerin ein um Mängel bereinigtes neues Angebot abgeben (vgl. Senat, Beschl. v. 24.3.2004 - Verg 7/04, VergabeR 2004, 517, 518; KG, Beschl. v. 15.4.2004 - 2 Verg 22/03, VergabeR 2004, 762, 764 f.).

e) Nach den Umständen war darüber hinaus die Angebotsfrist zu kurz bemessen. Nach § 18 Nr. 1 Abs. 1 S. 1 VOL/A sind für die Bearbeitung und Abgabe der Angebote ausreichende Fristen vorzusehen. Welche Frist angemessen ist, beurteilt sich nach Art und Umfang des ausgeschriebenen Auftrags. Je schwieriger und komplexer die Anforderungen an die Leistung und die Preiskalkulation sind, desto längere Angebotsfristen sind vom Auftraggeber vorzusehen, wobei die ausreichende Frist - abzüglich eines darin berücksichtigten Zeitraums für verlängerte Postlaufzeiten - die für europaweite Ausschreibungen nach § 18 a Nr. 1 Abs. 1 VOL/A vorgeschriebene Regelfrist erreichen kann (so auch Rechten in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, § 18 Rn. 16 f. m.w.N.). Ob dem Auftraggeber bei der Bemessung der Angebotsfrist ein Beurteilungsspielraum (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 114 Rn. 23 ff.) einzuräumen ist (so Roth in Müller-Wrede, VOL/A, § 18 Rn. 26), und es sich bei einer "ausreichenden Frist" nach § 18 Nr. 1 Abs. 1 S. 1 VOL/A nicht um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, kann zweifelhaft erscheinen. Dies kann hier aber dahingestellt bleiben, da die im Streitfall angegebene Angebotsfrist von 22 Tagen auch unter Berücksichtigung eines der Antragsgegnerin zuzuerkennenden Entscheidungsspielraums auf jeden Fall zu kurz bemessen war. Abgesehen von einer gewissen Überlegungsfrist war bei der Fristbestimmung auf Seiten der am Auftrag interessierten Unternehmen in Rechnung zu stellen, dass sowohl die Vorbereitung als auch die Ausarbeitung der Angebote vielschichtige Anforderungen im Hinblick auf eine etwaige Eingehung von Bietergemeinschaften, die Herstellung der infrastrukturellen und personellen Voraussetzungen für eine Auftragserfüllung sowie die Preisermittlung stellten, die sich in einem entsprechend hohen Zeitaufwand ausdrückten. Auch war zu bedenken, dass am Auftrag interessierte Unternehmen, von ihnen nicht zu vertreten, nicht schon am Tag der Veröffentlichung der Ausschreibung davon Kenntnis erhielten und dadurch Zeit verloren gehen konnte.

f) Die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels ist jedoch gegenständlich auf das Fachlos 1 und das Gebietslos 12 (Land ...) zu beschränken. Die Antragstellerin hat nur auf jenes Fachlos und das Gebietslos geboten. Nur die Nichtberücksichtigung des jenen Losen geltenden Angebots ist im Nachprüfungsverfahren angefallen. Da sie zum Fachlos 2 und zu anderen Gebietslosen des Fachloses 1 kein Angebot eingereicht hat, ist von der Antragstellerin eine hinreichend konkrete Darlegung zu fordern, welche weiteren Angebote sie ohne die geltend gemachten Vergaberechtsverstöße, aber auf der Grundlage der bisherigen Ausschreibung mit Aussichten auf einen Zuschlag abgegeben hätte. Dahingehend hat sich die Antragstellerin jedoch nur zu dem mit allgemeinen Erwägungen begründeten pauschalen Vorbringen verstanden, in Hessen mit mehreren Niederlassungen vertreten und zur Abgabe von Hilfsmitteln nach § 126 SGB V zugelassen zu sein. Vor diesem Hintergrund - so die Antragstellerin - sei davon auszugehen, dass sie bei einer Neuvergabe mit beispielsweise einem geänderten Loszuschnitt und einer nachvollziehbaren Kalkulationsgrundlage ein Angebot auch für das Land Hessen, möglicherweise auch für angrenzende Länder, abgeben werde. Gleiches gelte für das Fachlos 2. Diese Darstellung ist zu vage, um daraus mit ausreichender Wahrscheinlichkeit eine Rechtsverletzung der Antragstellerin auch hinsichtlich des Fachloses 2 sowie anderer Gebietslose des Fachloses 1 abzuleiten. Eine vollständige Neuvergabe, wie die Antragstellerin sich ausdrückt, scheidet aus. Am Loszuschnitt ist aller Voraussicht nach nichts zu beanstanden. Zwar würde eine Bekanntgabe aussagekräftiger Preisermittlungsgrundlagen eine Beteiligung mit weiteren Angeboten begünstigen und erleichtern, doch hat die Antragstellerin eine solche Beteiligung letztlich offen gelassen und dies an eine weitere, wahrscheinlich nicht eintretende Bedingung geknüpft (Neuvergabe mit anderem Loszuschnitt) oder als nur möglich bezeichnet. Eine Rechtsverletzung ist darum fernliegend.

g) Mit Blick auf das bereits angesprochene Vorabentscheidungsersuchen des Senats an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vom 23.5.2007, dessen Beantwortung für die auch im vorliegenden Nachprüfungsverfahren entscheidende Rechtsfrage, ob die Antragsgegnerin öffentliche Auftraggeberin i.S. von § 98 Nr. 2 GWB ist, vorgreiflich ist, hält der Senat entsprechend § 148 ZPO eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofs nach seinem Ermessen für angebracht.

Eine Kostenentscheidung ist im Verfahren nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB nicht zu treffen.

Ende der Entscheidung

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