Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 20.11.2008
Aktenzeichen: VII-Verg 37/08
Rechtsgebiete: GWB, VOL/A, ZPO, BGB


Vorschriften:

GWB § 107 Abs. 2
GWB § 107 Abs. 3
GWB § 124 Abs. 2
VOL/A § 7 Abs. 5
VOL/A § 7 Nr. 5
VOL/A § 7 a Nr. 3 Abs. 4
VOL/A § 7 a Nr. 3 Abs. 6
VOL/A § 9a Nr. 1
VOL/A § 21 Nr. 1 Abs. 1
VOL/A § 24 Nr. 1 Abs. 1
VOL/A § 25 Nr. 1 Abs. 2 a
ZPO § 142 Abs. 3 S. 1
BGB § 133
BGB § 157
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die sofortigen Beschwerden der Beigeladenen und und der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf vom 13. Mai 2008 (VK -51/2007-L) werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene als Gesamtschuldner. Die der Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene je zur Hälfte. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten im Verfahren vor der Vergabekammer war für die Antragstellerin notwendig.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen je zur Hälfte auferlegt.

Der Gegenstandswert wird auf bis zu 850.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

A.

Die Antragsgegnerin schrieb im September 2006 den Betrieb und die Weiterentwicklung der städtischen Kommunikationsinfrastruktur und gegebenenfalls die Übergabe (Verkauf und Übereignung) der vorhandenen Kommunikationsanlagen und aktiven Netzwerkkomponenten sowie weitere Leistungen im Wege des Verhandlungsverfahrens mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb europaweit aus.

In der Bekanntmachung wurde hinsichtlich der Zuschlagskriterien auf die Ausschreibungsunterlagen verwiesen. Vier Bewerber sollten zur Angebotsabgabe aufgefordert werden. Darunter befanden sich nach dem Teilnahmewettbewerb auch die Antragstellerin und die Beigeladene. Beide reichten Angebote ein.

In den Ausschreibungsunterlagen unter Teil A, Projektgrundlagen, Ziffern 1.4.2., waren zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots der Preis und die Qualität als Hauptkriterien benannt. Zur Ermittlung des Preis-Leistungs-Verhältnisses sollte wegen der Komplexität der überwiegend funktionalen Leistungsbeschreibung die erweiterte Richtwertmethode UfAB III herangezogen werden. Zwischen den Angeboten, bei denen das Verhältnis von Preis und Qualität nicht mehr als 10 % voneinander abwich, sollte allein der Preis entscheidend sein.

Das Hauptkriterium der Qualität sollte in Form von Leistungspunkten (L) über eine Bewertungsmatrix, die in den Verdingungsunterlagen enthalten war, ermittelt werden. Es wurden anhand der Hauptkapitel 5, 5.5, 5.6, 3.4, 6 und 7 der Leistungsbeschreibung sechs Kriteriengruppen gebildet. Die sechs Kriterien-Gruppen wurden prozentual wie folgt gewichtet:

1. Leistungs- und Lieferumfang Managed Services: 10 %

2. Katalog der zu liefernden Sprachkommunikationsservices in Phase 2: 20 %

3. Katalog der zu liefernden Datenkommunikationsservices in der Phase 2: 15 %

4. Umsetzungs- und Migrationkonzept: 15 %

5. Anforderungen Managed Services: 25 %

6. Systemtechnische Lösungen: 15 %

Anhand der in den Hauptkapiteln der Leistungsbeschreibung enthaltenen technischen Anforderungen wurden weitere 42 Kriterien (z.B. Zeiterfassungssystem, zukünftige Systemarchitektur) gebildet, die ihrerseits zu jeweils mehreren den sechs Kriteriengruppen der Bewertungsmatrix zugeordnet wurden. Den Kriterien wies die Antragsgegnerin bestimmte Unterkapitel des Leistungsverzeichnisses zu, anhand derer der Grad der Erfüllung des Kriteriums überprüft werden sollte. Die Kriteriengruppen und die Gewichtungen sowie die 42 Kriterien und die anteiligen prozentualen Gewichtungen wurden den Bietern mit der Leistungsbeschreibung bekannt gegeben.

Nach Versendung der Angebotsaufforderung nebst den Verdingungsunterlagen wurden zu den Kriterien insgesamt 369 Fragen zu technischen Details (nachfolgend: Einzelkriterien) der Leistungsbeschreibung gebildet. Die Fragen spiegelten nicht sämtliche technischen Anforderungen der Leistungsbeschreibung wider. Sie wurden den 42 Kriterien in unterschiedlicher Zahl und Zusammensetzung zugeordnet. Einem Kriterium waren bis zu 43 Detailfragen zugewiesen.

Für die fachliche Bewertung der Einzelfragen entwickelte die Antragsgegnerin ein Punktesystem. Ausweislich des im Rahmen der späteren Angebotswertung erstellten Prüfberichts wurden für den Grad der fachlichen Erfüllung einer Einzelfrage jeweils Wertungspunkte von Null bis drei vergeben. Der Erfüllungsgrad von 100% einer Detailfrage sollte erreicht sein, wenn alle Vorgaben und Anforderungen "sehr gut" erfüllt wurden. Die Antragsgegnerin erstellte im Anschluss an die fachliche Punktbewertung eine tabellarische Bewertungsübersicht über die Zahl der Einzelkriterien, die den Kriterium zugewiesen waren, über die maximal erreichbare Punktzahl je Kriterium und die prozentualen Gewichtungen der Kriterien.

Schließlich bezeichnete die Antragsgegnerin cirka 70 technische Anforderungen in der Leistungsbeschreibung (nachfolgend Sollkriterien) als "wünschenswert". Auch sie wurden mit Wertungspunkten von Null bis drei bewertet.

Mit Schreiben vom 14. Dezember 2007 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, der Zuschlag solle dem Angebot der Beigeladenen erteilt werden. Zwischen dem Angebot der Beigeladenen und dem Angebot der Antragstellerin liege nach der Wertung im Bereich der Kriteriengruppen "Leistungs- und Lieferumfang Managed Services", "Umsetzungs- und Migrationskonzept" und "Anforderungen Managed Services" eine prozentuale Abweichung von 15,8 %.

Unter dem 17. Dezember 2007 rügte die Antragstellerin einen unvollständigen Inhalt des Informationsschreibens und eine nicht vollständige Bekanntgabe der zur Wertung herangezogenen Wertungsmatrix. Zudem seien das angewandte Punkteschema und die erreichbare Höchstpunktzahl nicht bekannt gegeben worden.

Nachdem die Antragsgegnerin der Rüge nicht abhalf, reichte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag ein. Im Zuge der Gewährung von Akteneinsicht übersandte die Vergabekammer der Antragstellerin den Prüfbericht nebst Anlagen. Aus den ihr übersandten Anlagen ergab sich, dass die Angebote anhand eines Fragenkataloges und eines Punkteschemas bewertet worden waren.

Die Vergabekammer gab dem auf Untersagung des Zuschlags gerichteten Nachprüfungsantrag mit den nachfolgend zusammengefassten Erwägungen statt:

Die Antragsgegnerin habe u.a. durch Unterlassung einer Bekanntgabe der 369 Fragen, welche als Unterkriterien der Wertung anzusehen seien, sowie des dazugehörigen Bepunktungssystems gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz verstoßen. Es handele sich nicht um bloße Bewertungshilfen für die bekannt gemachten Kriteriengruppen und Kriterien, sondern um ein selbständiges Bewertungssystem und eine dritte Bewertungsebene.

Hiergegen richten sich die sofortige Beschwerden der Beigeladenen und der Antragsgegnerin, mit der sie die Aufhebung der Entscheidung der Vergabekammer und die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags erstreben.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene sind u.a. der Ansicht, es handele sich bei den 369 Fragen lediglich um Kontrollfragen bzw. um eine Bewertungshilfe, da die Einzelfragen die 42 Kriterien lediglich konkretisierten und nicht im Sinne der Entscheidungen des EuGH vom 24. November 2005 abänderten. Auch eine Änderung der Gewichtung finde nicht statt. Zudem bildeten die Einzelfragen keine bekannt zu gebenden Einzelkriterien, weil sie die Gewichtung der Haupt- und Untergruppen nicht verschöben. Sie dienten lediglich der von der Rechtsprechung geforderten Begründung der Punktvergabe und stellten nur den in Frageform vorweggenommenen Begründungsrahmen für die Vergabe von Punkten dar. Alle Detailfragen innerhalb einer Untergruppe seien in gleicher Weise gewichtet worden. Der Auftraggeber sei zwar zu einer Dokumentation des Begründungsrahmens im Vergabevermerk verpflichtet, nicht aber zu einer Bekanntgabe der Begründung. Es handele sich bei den Einzelfragen um Begründungselemente der Bewertung oder Hilfskriterien, nicht aber um echte Unterkriterien. Eine Mitteilung der Fragen sei daher entbehrlich gewesen. Dies folge auch aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 17. Januar 2008 (Verg 15/07). Danach könne ein Restbereich nicht bekannt gemachter Kriterien verbleiben, weil dem Auftraggeber sonst jede Differenzierung zwischen den Bewerbern unmöglich wäre. Der Präzisierungsgrad der Veröffentlichung müsse nach dieser Entscheidung lediglich so hoch sein, dass für den Bewerber aufgrund der Bekanntgabe erkennbar sei, worauf es dem Auftraggeber ankomme.

Die Antragsgegnerin macht ferner geltend: Die Antragstellerin sei schon im Teilnahmewettbewerb auszuschließen gewesen, da sie einen ausweislich der Bekanntmachung mit dem Teilnahmeantrag vorzulegenden Eignungsnachweis "Herstellerzertifizierung für Verkauf, Installation und Service" zumindest in inhaltlich unzureichender Form vorgelegt habe. Das mit dem Teilnahmeantrag in englischer Sprache vorgelegte Zertifikat des Herstellers Alcatel bestätige nicht die Kompetenz der Antragstellerin für Verkauf, Installation und Service. Das englischsprachige Dokument sei auch nicht aus sich heraus verständlich. Es bedürfe einer Übersetzung in die deutsche Sprache.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen,

den Beschluss der Vergabekammer vom 13. Mai 2008 aufzuheben und den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die sofortigen Beschwerden zurückzuweisen.

Sie verteidigt den Beschluss der Vergabekammer und führt ergänzend aus: Ihr Teilnahmeantrag sei nicht wegen inhaltlich unzureichender Eignungsnachweise auszuschließen gewesen. Das Herstellerzertifikat "Alcatel Premium Business Partner" werde von Alcatel Lucent nur bei Einhaltung enger Voraussetzungen verliehen. Hierzu müsse ein Produktumsatz von wenigstens einer Million Euro nachgewiesen werden. Zudem müssten die Mitarbeiter des Partners in den Bereichen Verkauf, Planung und Service ein umfängliches Schulungs- und Weiterbildungsprogramm durchlaufen haben. Schließlich müsse ein bestimmter Servicemaßstab (24 h x 7 Tage) für Störungsmeldungen der Kunden garantiert werden. Diese Bedingungen, deren Erfüllung eine Zertifizierung voraussetze, habe Alcatel mit Schreiben vom 18. Dezember 2006 der Antragsgegnerin mitgeteilt. Ferner habe sie, die Antragstellerin, dem Teilnahmeantrag auch eine Zertifizierung als "Cisco Gold Certified Partner" beigefügt, welche ihr eine herausragende Expertise in den Netzwerktechnologien Unified Communications, Routing & Switching, Security und Wireless LAN Technologies bescheinige.

Die Antragsgegnerin habe nicht darauf hingewiesen, dass alle Bestandteile des Teilnahmeantrags in deutscher Sprache abzufassen seien. Soweit die Vergabekammer Sachsen-Anhalt in Beschlüssen vom 4. Oktober 2002 (VK 07-02) und 11. April 2005 (VK 2- LVwA LSA 06/05) anderes ausgeführt habe, sei in den Teilnahmebedingungen damals gefordert worden, das Angebot "in all seinen Bestandteilen" in deutscher Sprache abzufassen. Zudem habe sich die Antragsgegnerin selbst im Rahmen der Ausschreibung vielfach englischsprachiger Begriffe bedient (z.B. der Abkürzung ITIL für IT Infrastructure Library). Zudem habe sie es unterlassen, unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass die Nichtvorlage eines Eignungsnachweises in deutscher Sprache zu einem Ausschluss des Teilnahmeantrags führe. Nicht einmal der Formulierung der Bekanntmachung zu "Angaben und Formalitäten, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Auflagen zu überprüfen" könne mit der erforderlichen Klarheit die Anforderung entnommen werden, dass die Nachweise überhaupt dem Teilnahmeantrag beizufügen waren.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen, die Gründe des angefochtenen Beschlusses sowie auf die zu Informationszwecken beigezogenen Akten der Vergabekammer und die Vergabeakten Bezug genommen.

B.

Die Beschwerden haben keinen Erfolg.

I. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

a) Die Antragstellerin ist antragsbefugt im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB. Ihr droht durch die von ihr schlüssig behauptete Verletzung einer Vergabevorschrift ein Schaden zu entstehen. Sie hat auch Aussichten auf die Erteilung des Zuschlags. Sie hat ein Angebot abgegeben, das ausweislich des Vergabevermerks an zweiter Stelle der Angebotswertung liegt.

b) Die Rügen der Antragstellerin sind nicht nach § 107 Abs. 3 GWB präkludiert.

Es kann - wie die Vergabekammer mit Recht ausgeführt hat - nicht festgestellt werden, die Antragstellerin habe vor Abfassung des Rügeschreibens vom 17. Dezember 2008 eine zuverlässige Kenntnis von den Tatsachen besessen, welche die Annahme eines Vergaberechtsverstoßes begründeten. Die Antragstellerin hat erst aufgrund der Akteneinsicht von dem Umstand erfahren, dass nicht bekannt gemachte 396 Einzelfragen und ca. 70 Sollkriterien aufgestellt, die Einzelfragen bepunktet und den Kriterien zugeordnet worden waren.

II. Der Nachprüfungsantrag hat Erfolg.

1. Die Antragstellerin war nicht wegen eines inhaltlich unzureichenden Eignungsnachweises (Herstellerzertifizierung) vom Teilnahmewettbewerb auszuschließen.

Unter Ziffern III.2.3. der Bekanntmachung war von den Teilnehmern verlangt, eine "Herstellerzertifizierung für Verkauf, Installation und Service" mit dem Teilnahmeantrag vorzulegen. Die Antragstellerin hat mit dem Teilnahmeantrag eine Herstellerzertifizierung vorgelegt.

Die Verfahrensbeteiligten streiten tatsächlich nur darüber, ob der Eignungsnachweis einerseits den in der Bekanntmachung unter III.2.3. genannten inhaltlichen Anforderungen ("Herstellerzertifizierung für Verkauf, Installation und Service") genügt und ob er - wie der Teilnahmeantrag und das Angebot - in deutscher Sprache vorzulegen war.

a) Die vorgelegte Herstellerzertifizierung war in englischer Sprache gehalten und lautete wie folgt:

ALCATEL BUSINESS SYSTEMS

is proud to recognize his partnership with

(Name)

as an

ALCATEL PREMIUM BUSINESS PARTNER.

Eine Vorlage dieses Nachweises in englischer Sprache reichte aus. Es handelte sich bei der Herstellerzertifizierung der Alcatel nicht um eine Eigenerklärung der Antragstellerin, sondern um einen Fremdnachweis, also um die Bescheinigung eines ausländischen Ausstellers. Zwar war unter Ziffern IV.3.6 der Bekanntmachung vorgesehen, dass die Sprache, in der Angebote oder Teilnahmeanträge verfasst werden können, Deutsch sein sollte. Ein an die Teilnehmer gerichtetes Gebot, Urkunden ausländischer Aussteller in deutscher Sprache vorzulegen, ergibt sich hieraus nicht. Auch in § 7 a Nr. 3 Abs. 4, Abs. 5 und Nr. 5 VOL/A wird die Vorlage von fremdsprachigen Bescheinigungen und Urkunden aus anderen Mitgliedstaaten als Eignungsnachweis grundsätzlich für zulässig erachtet.

Auch in einem Zivil- oder Verwaltungsgerichtsprozess ist die Vorlage von fremdsprachigen Urkunden (insbesondere Vertragsurkunden) nach § 142 Abs. 3 S. 1 ZPO als Beweismittel nicht ausgeschlossen, auch wenn die Verfahrens- oder Gerichtssprache Deutsch ist (vgl. § 184 GVG; Zöller/Greger, ZPO, 27. Aufl, § 142 ZPO Rn. 17; BVerwG NJW 1996, 1553). Im Übrigen hätte eine deutsche Übersetzung der Urkunde keinen weiteren Aufschluss über die Bedeutung der Formulierung "ALCATEL PREMIUM BUSINESS PARTNER" erbracht, wie auch die von der Beigeladenen vorgelegte deutschsprachige Urkunde ihres Subunternehmers zeigt. Deshalb ist es unerheblich, ob Alcatel die Urkunde auch in deutscher Sprache hätte ausstellen können, wie die Beigeladene offenbar mit ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 3. November 2008 geltend machen will.

Die von der Antragstellerin aufgeworfene Frage, ob die Antragsgegnerin mit hinreichender Deutlichkeit darauf hingewiesen hat, dass Eignungsnachweise in fremder Sprache einen zwingenden Ausschlusstatbestand bilden, kann offen bleiben.

b) Die von der Antragstellerin vorgelegte englischsprachige Urkunde erfüllt auch in inhaltlicher Hinsicht die Anforderung der Bekanntmachung an ein vom Hersteller zertifiziertes Unternehmen für Verkauf, Installation und Service von Kommunikationsanlagen und Netzwerkkomponenten. Die Bezeichnung eines Bewerbers als "Premium Business Partner" ist nicht inhaltsleer. Die Urkunde gibt zwar keinen ausdrücklichen Aufschluss darüber, ob neben dem Verkauf auch die Installation und der Service von Telefonanlagen zum Geschäftsfeld eines "Premium Business Partners" zählen. Sie ist aber in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB aus der Sicht des öffentlichen Auftraggebers in der Situation der Antragsgegnerin auszulegen.

Dabei ist zu bedenken: Unternehmen, die sich auf dem Gebiet der Kommunikationsdienstleistungen um Aufträge der vorliegenden Art bewerben, sind im Allgemeinen in der Lage, die Lieferung, Installation und Wartung von Anlagen "aus einer Hand" anzubieten und durchzuführen. Daran ist nicht nur die Nachfrage, sondern sind auch die Erwartungen eines Herstellers wie Alcatel an einen Vertriebspartner orientiert, da bei Geschäftsabschlüssen Lieferung, Installation und Wartung oftmals zusammen anfallen und vom Auftragnehmer, wenn nicht im eigenen Betrieb, so doch unter Einschaltung verbundener Unternehmen durchgeführt werden. Unabhängig davon ist die Forderung eines Herstellerzertifikats für Verkauf, Installation und Service ohnedies nicht so zu verstehen, dass der Auftragnehmer die Lieferungen und Leistungen selbst ausführen sollte. Dies stünde auch im Widerspruch zu § 7 a Nr. 3 Abs. 6 VOL/A, wonach sich der Auftragnehmer der Fähigkeiten anderer Unternehmen und bei der Erfüllung des Auftrags mithin ihrer Mittel bedienen kann. Vor diesem Hintergrund konnte das von Alcatel ausgestellte Zertifikat ("partnership", "premium business partner") in einem umfassenden Sinn dahin verstanden werden, dass dieses sowohl den Verkauf als auch die Installation und Wartung betraf.

Die Antragsgegnerin durfte sich durch Nachverhandlungen mit der Antragstellerin nach § 24 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A auch über den Inhalt der im Zertifikat bescheinigten Alcatel-"premium business"-Partnerschaft unterrichten. Davon hat sie auch Gebrauch gemacht, wie sich am Schreiben von Alcatel vom 18. Dezember 2008 zeigt. Mit diesem Schreiben hat die Antragsgegnerin Auskunft über die nicht geringen Anforderungen erhalten, die Alcatel an die Erlangung einer "premium"-Partnerschaft stellt. Infolgedessen konnten verbleibende Zweifel an der Tauglichkeit des Zertifikats auch in der Sache als ausgeräumt gelten.

2. Wie der Senat wiederholt unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH ausgeführt hat (vgl. Senat, Beschl. v. 23.1.2008, VII-Verg 31/07; Beschl. v. 5.5.2008, VII-Verg 5/08, Umdruck S. 8/9; Beschl. v. 21.5.2008, VII-Verg 19/08, Umdruck S. 6 ff; Beschl. v. 19.7.2006, VII-Verg 27/06, Umdruck S.18/19; Beschl. v. 14.11.2007, VII-Verg 23/07; Umdruck S. 9), haben die öffentlichen Auftraggeber in den Verdingungsunterlagen oder in der Vergabebekanntmachung a l l e Zuschlagskriterien anzugeben, deren Verwendung sie vorsehen, möglichst in der Reihenfolge der ihnen zuerkannten Bedeutung. Umgekehrt darf der Auftraggeber keine Unterkriterien oder Gewichtungsregeln anwenden, die er den am Auftrag interessierten Unternehmen nicht vorher zur Kenntnis gebracht hat (vgl. EuGH, Urt. v. 24.1.2008-C 532/06, Tz. 36-38, VergabeR 2008, 496 - Lianakis). Dies hat auch zu gelten, wenn der Auftraggeber solche Kriterien und Regeln im Nachhinein aufgestellt hat (vgl. EuGH aaO. Rn. 42-44; Urt. v. 24.11.2005 , Rs. C 331/04, Slg. 2005, I-10109, Tz. 32 - ATI EAC e Viaggi di Maio,). Im Nachhinein bedeutet, dass Zuschlagskriterien, Unterkriterien und/oder ihre Gewichtung nach der Aufforderung zur Angebotsabgabe geändert, ergänzt oder neu eingeführt worden sind.

Die nachträgliche Festlegung von Kriterien und ihrer Gewichtung unterliegt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs drei (alternativen) Beschränkungen: Der öffentliche Auftraggeber darf keine Unterkriterien aufstellen, welche die bekannt gegebenen Hauptkriterien abändern. Die nachträglich festgelegten Kriterien dürfen keine Gesichtspunkte enthalten, die die Vorbereitung der Angebote hätten beeinflussen können, wenn sie im Zeitpunkt der Vorbereitung bekannt gewesen wären. Schließlich darf der Auftraggeber keine Unterkriterien festlegen, welche geeignet sind, Bieter zu diskriminieren. Im Streitfall ist die zweite Beschränkung nicht beachtet worden.

Aus der zweiten Beschränkung folgt für die nachträgliche Aufstellung von Unterkriterien und deren Gewichtungen: Ist der Auftraggeber aus nachvollziehbaren Gründen (z. B. aus haushalterischen Gründen oder wegen der Komplexität des Auftragsgegenstandes) erst kurz vor oder nach Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe in der Lage, die Zuschlagskriterien und/oder Unterkriterien sowie die Gewichtung festzulegen, muss er die spätere Festlegung den Bietern nachträglich bekannt geben, sofern nicht auszuschließen ist, dass die Kenntnis davon die Vorbereitung der Angebote beeinflussen kann. Darüber hinaus hat der Auftraggeber den Bietern Gelegenheit zu einer Änderung oder Anpassung der Angebote, soweit diese bereits vorbereitet oder eingereicht worden sind, zu geben. Notfalls hat dies dadurch zu geschehen, dass die Frist zu Angebotsabgabe verlängert wird oder den Bietern die bereits eingereichten Angebote zur Überarbeitung zurückgesandt werden. Diese Grundsätze gelten auch im vorliegenden Vergabeverfahren.

Im Streitfall ist ungewiss, zu welchem Zeitpunkt das die Angebotswertung vornehmende Projektunternehmen den Fragenkatalog aufgestellt hat (vor Versendung der Verdingungsunterlagen oder im Nachhinein). Es spricht freilich aufgrund des Vortrags der Verfahrensbeteiligten mehr dafür, dass die Fragen erst vor der Angebotswertung festgelegt worden sind.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 20. Dezember 2007 (Verg 15/07) bietet keinen Anlass, ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten. Was die Bekanntgabe von Zuschlagskriterien, Unterkriterien und deren Gewichtung betrifft, liegt eine gesicherte Rechtsprechung des Gerichthofs vor, so dass keine Zweifel an der Entscheidung der Rechtsfrage bestehen. Eine Vorlagepflicht an den Bundesgerichtshof nach § 124 Abs. 2 GWB besteht ebenfalls nicht, da die Ausführungen des Oberlandsgerichts München zum Verbleib eines Restbereiches nicht bekannt zu machender Kriterien, damit dem Auftraggeber eine Differenzierungsmöglichkeit zwischen den Angeboten verbleibt, nicht entscheidungserheblich sind, sondern ein obiter dictum darstellen.

a) In der unterlassenen Bekanntgabe nachträglich gebildeter Einzelfragen liegt - wie die Vergabekammer mit Recht entschieden hat - ein Verstoß gegen die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung. Es handelt sich bei den Einzelfragen um Einzelkriterien (Unterkriterien) im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs (vgl. EuGH, aaO - ATI EAC e Viaggi di Maio; Lianakis), die zwar nicht die 42 Kriterien (und sechs Kriteriengruppen) abänderten, jene Kriterien aber ausfüllten und präzisierten und eine weitere Bewertungsebene eröffneten. Die Fragen geben zu erkennen, auf welche technischen Anforderungen die Antragsgegnerin besonderen Wert legte. Dies konnten Bieter nicht allein anhand der bekanntgemachten 42 Kriterien und deren Gewichtung feststellen. Außerdem sind dadurch bestimmte Gewichtungen gesetzt worden. Denn den nicht bekannt gemachten Einzelkriterien kam infolge der unregelmäßigen Zuordnung zu den Kriterien ein unterschiedliches Gewicht zu. Erst die nach ihrer Zahl variierende Zuordnung der Einzelkriterien zu den Kriterien konnte einem Bieter aufzeigen, auf welche technischen Anforderungen der Auftraggeber Schwerpunkte legte. Die Einzelkriterien (Unterkriterien) bildeten dabei nicht bloße Bewertungshilfen für den Wertungsvorgang, sondern ein nachrangiges Bewertungssystem hinter den sechs Kriteriengruppen und den 42 Kriterien, die das Hauptkriterium Qualität ausfüllten. Ihnen kam - nicht nur wegen ihrer Bewertung nach Punkten, sondern auch infolge ihrer nach Art und Zusammenstellung unterschiedlichen Zuordnung zu den Kriterien -ein eigenständiges Gewicht zu. Darum handelt es sich auch um Unterkriterien. Auf die Form, in der Unterkriterien festgelegt werden, kommt es nicht an. Es können dafür sowohl schlagwortartige Begriffe (einschließlich der Möglichkeit, diese in Satzform auszuformulieren) als auch Fragestellungen verwendet werden, ohne dass dies in der Sache eine Unterscheidung rechtfertigt. Nicht zuletzt hat zudem das von der Antragsgegnerin eingeschaltete Beratungsunternehmen die Fragen im Prüfbericht als Kriterien bezeichnet, was sie der Sache nach auch waren - ungeachtet des Umstands, dass sich insbesondere die Beigeladene im Prozess erfolglos zu allerlei sprachlichen Differenzierungen verstanden hat, um den Fragenkatalog rechtlich anders eingeordnet zu sehen. Handelte es sich - so die Beigeladene - um Wertungshilfen, dann lagen diesen jedenfalls (Unter-) Kriterien zugrunde, die in den Fragestellungen zum Ausdruck kamen. Wollte man die Fragen gewissermaßen als eine Art vorweggenommener Begründung für den Wertungsvorgang verstehen, musste bei der Wertung jedenfalls aber geprüft werden, ob die Begründung für die jeweiligen Angebote zutraf, mit anderen Worten, ob die Frage positiv zu beantworten war. Dann bildete die Frage aber den Maßstab für die Bewertung, was den Begriff eines Unterkriteriums erfüllt.

Die Antragsgegnerin hat den Bietern auch die für die Einzelkriterien (369 Fragen) vorgesehenen Wertungspunkte nicht bekannt gegeben. Genauso hat sie die Bieter in Unkenntnis darüber gelassen, wie, d.h. in welcher Zusammensetzung und Zahl sie die Einzelkriterien vor der Angebotswertung den (42) Kriterien zugeordnet hat. Der dagegen von der Antragsgegnerin und der Beigeladenen gerichtete Einwand, jedes Einzelkriterium sei mit demselben Gewicht zu bewerten gewesen, ist allein deswegen unerheblich, weil die Einzelkriterien den (42) Kriterien in unterschiedlicher Art und Zusammensetzung zugeordnet worden sind und dem Umstand, ob und in welchem Umfang die Kriterien durch ein Angebot erfüllt wurden, dadurch ein unterschiedliches Gewicht zugemessen worden ist. Darin kam zum Ausdruck, worauf die Antragsgegnerin Wert legte. Diese Information ist den Bietern vorenthalten geblieben.

b) Ein weiterer Vergaberechtsverstoß liegt darin, dass die Antragsgegnerin es unterließ, Bieter über die Festlegung sogenannter "wünschenswerten" Anforderungen (Sollkriterien), ihrer Bewertung mit Punkten und der Zuordnung zu den Kriterien zu unterrichten. Auch bei jenen Anforderungen handelt es sich um Unterkriterien der Angebotswertung.

c) Kein Vergaberechtsverstoß ist jedoch in dem Maßstab zu sehen, der zur Verteilung der Punkte aufgestellt worden ist. In der Anmerkung auf Seite 1 der Bewertungsübersicht heißt es:

Der Erfüllungsgrad von 100% ist erreicht, wenn alle Vorgaben und Anforderungen "sehr gut" erfüllt wurden. Das entspricht einer Bewertung mit drei Wertungspunkten.

Hiervon ausgehend war mit einer "guten" Erfüllung, die mit einer Vergabe von zwei Wertungspunkten bewertet werden sollte, keine 100%-ige Erfüllung gemeint, sondern ein darunter liegender Erfüllungsgrad.

d) Für die Annahme eines Kausalzusammenhanges zwischen der unterlassenen Bekanntgabe von Zuschlagskriterien und dem Inhalt der Angebote genügt, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Bekanntgabe der Kriterien, ihrer Zuordnung zu den Kriterien und des Punktesystems sowie der sonstigen Gewichtung geeignet ist, den Inhalt der Angebote zu beeinflussen. Dies kann im Streitfall schon deswegen nicht ausgeschlossen werden, weil das Angebot der Antragstellerin die Forderungen des Leistungsverzeichnisses in den Kriteriengruppen Leistungs- und Lieferumfang Managed Service, Umsetzungs- und Migrationskonzept und Anforderungen Managed Services angeblich nicht im geforderten Maß erfüllte.

Da das aus § 9a Nr. 1 VOL/A folgende und an den Auftraggeber gerichtete Gebot, alle Kriterien und ihre Gewichtungen sowie die Gewichtungsregeln den Bietern mitzuteilen, bieterschützenden Charakter hat, ist die Antragstellerin durch die Verstöße in Rechten verletzt.

Die Antragstellerin muss allein für Zwecke des Vergabeverfahrens nicht darlegen, welches abweichende Angebot sie bei gehöriger Bekanntmachung der Wertungskriterien abgegeben hätte.

Auf den Nachprüfungsantrag hat die Vergabekammer der Antragsgegnerin daher mit Recht untersagt, auf die bisherige Ausschreibung einen Zuschlag zu erteilen. Wie die Antragsgegnerin darauf reagiert, steht ihrer Entscheidung anheim. Auf die zur Verfügung stehenden Handlungsvarianten hat die Vergabekammer hingewiesen (VKB 22).

d) Ob - wie die Beigeladene geltend macht - das Angebot der Antragstellerin als unvollständig im Sinne der §§ 25 Nr. 1 Abs. 2 a, 21 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A von der Wertung auszunehmen war, kommt es nicht an. Die Antragstellerin hat aufgrund der (mindestens angeordneten) Zurückversetzung des Vergabeverfahrens Gelegenheit, angebliche Mängel mit einem neuen Angebot zu vermeiden.

Für das weitere Verfahren sei darauf hingewiesen: Es war nur die Vorlage des Musters eines Handbuchs gefordert, nicht jedoch war ein auf das konkrete Projekt abgestimmtes Betriebshandbuch mit dem Angebot vorzulegen. Auch wird die Antragsgegnerin Gelegenheit haben, die Leistungsbeschreibung hinsichtlich der Vorgaben zur Vorlage des ITIL TSI-Zertifikats klar und eindeutig zu fassen, sollte sie die Vorlage eines Fremdnachweises verlangen wollen. Der Begriff "Beleg" ist ein Synonym für die Begriffe "Beweis" oder "Nachweis" und verlangt nicht zwingend die Vorlage eines Fremdnachweises (vgl. Senat, Beschl. v. 4.6.2008, Verg 21/08, Umdruck S. 9).

III. Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beigeladenen vom 3. November 2008 gibt keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO analog.

Die Entscheidung über den Gegenstandswert beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

Zurück