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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 28.12.2007
Aktenzeichen: VII-Verg 40/07
Rechtsgebiete: GWB
Vorschriften:
GWB § 72 | |
GWB § 111 | |
GWB § 116 | |
GWB § 124 Abs. 2 |
2. Will ein Oberlandesgericht in Bezug auf die Zulässigkeit einer sofortigen Beschwerde gegen die Gewährung von Akteneinsicht von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts abweichen, besteht keine Vorlagepflicht nach § 124 Abs. 2 S. 1 GWB.
3. § 111 Abs. 2 GWB ist im Lichte von § 72 Abs. 2 S. 4 GWB auszulegen und zu verstehen. Bei einer Gewährung von Akteneinsicht ist die Vorschrift zur Ausfüllung der in § 111 GWB bestehenden Lücke heranzuziehen. Die Erteilung von Akteneinsicht durch die Vergabekammer und das Beschwerdegericht hat denselben rechtlichen Regeln zu folgen. Danach ist die von der Forderung nach einem effektiven Rechtsschutz, dessen Unterstützung das Recht auf Akteneinsicht dient, gesicherte Einhaltung des vergaberechtlichen Gebots eines transparenten und chancengleichen Wettbewerbs gegen die auf dem Spiel stehenden Geheimhaltungsinteressen des von der Akteneinsicht Betroffenen abzuwägen. Ein Beurteilungsspielraum steht der Vergabekammer bei der Abwägung nicht zu.
4. Auch der öffentliche Auftraggeber kann Träger von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen sein (im Anschluss an BGH NJW 1995, 2301).
5. Ein "in camera"-Verfahren ist in Vergabenachprüfungsverfahren grundsätzlich ausgeschlossen.
6. Zu einer auf ein Akteneinsichtsgesuch im Einzelfall anzustellenden Interessenabwägung.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln vom 12. Oktober 2007 (VK VOB 24/2007) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 350.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
I. Der Antragsgegner, eine vom Land Nordrhein-Westfalen als teilrechtsfähiges Sondervermögen u.a. für einen Erwerb und eine Veräußerung sowie für Neubauten und die Verwaltung von Liegenschaftsvermögen des Landes eingesetzte Stelle, schrieb im Juni 2007 im offenen Verfahren die schlüsselfertige Errichtung von Neubauten nebst Planungs- und Ingenieurleistungen für die Fachhochschule Aachen in Jülich aus. Die ermittelten Ausführungskosten beliefen sich auf rund 54 Mio Euro, die Planungs- und Ingenieurkosten auf 5,7 Mio Euro. 57 Mio Euro wurden in den Haushalt eingestellt. Die drei eingehenden Angebote übertrafen die Kostenermittlung erheblich. Davon schloss der Antragsgegner zwei Angebote (Angebotspreise gut 64 Mio Euro und knapp 69 Mio Euro) aus formalen Gründen aus. Das Angebot der Antragstellerin (Angebotspreis ca. 73 Mio Euro) verblieb zunächst in der Wertung. Jedoch entschied der Antragsgegner, die Ausschreibung aus anderen schwer wiegenden, nämlich aus wirtschaftlichen Gründen aufzuheben (§ 26 Nr. 1 c VOB/A) und zu einem Verhandlungsverfahren überzugehen.
Nach erfolgloser Rüge stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag, mit dem sie einer Aufhebung des Vergabeverfahrens widersprach. Die Antragstellerin stellte die Richtigkeit der Kostenermittlung des Antragsgegners und die Eignung, zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit einer Auftragserteilung herangezogen zu werden, in Abrede. Sie bezeichnete den von ihr angebotenen Preis als angemessen und beantragte zur Überprüfung von deren Richtigkeit Akteneinsicht in die Kostenermittlung des Antragsgegners.
Der Antragsgegner trat dem Antrag entgegen. Er befürchtete aufgrund einer Einsichtnahme Wettbewerbseinschränkungen und -verzerrungen, insbesondere einen Wissensvorsprung der Antragstellerin bei künftigen Ausschreibungen.
Die Vergabekammer gab dem Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht statt. Dagegen hat der Antragsgegner sofortige Beschwerde erhoben, mit der er seinen bisherigen Vortrag wiederholt und vertieft. Er beruft sich auf Geheimhaltungsinteressen sowie nunmehr ergänzend auf den weiteren Aufhebungsgrund des § 26 Nr. 1 a VOB/A (kein Angebot eingegangen, das den Ausschreibungsbedingungen entspricht). Der Antragsgegner trägt vor, auch das Angebot der Antragstellerin sei aus mehreren, bislang unentdeckt gebliebenen formalen und Eignungsgründen von der Wertung auszuschließen.
Der Antragsgegner beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Akteneinsicht abzulehnen, soweit er die Kostenschätzung betrifft.
Die Antragstellerin beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragstellerin verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer.
Die Verfahrensbeteiligten haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze und auf die vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
II. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die sofortige Beschwerde ist allerdings zulässig.
a) Bei der angegriffenen, die beantragte Akteneinsicht gewährenden Entscheidung der Vergabekammer handelt es sich um eine so genannte Zwischenentscheidung. Zwischenentscheidungen, m.a.W. behördliche oder gerichtliche Verfahrenshandlungen, die keine Endentscheidungen darstellen, sondern diese nur vorbereiten sollen, sind mit der Beschwerde nach § 116 GWB im Prinzip nicht selbständig angreifbar, sondern müssen mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen bekämpft werden. Dies findet sich in mehreren vergaberechtlichen Verfahrensnormen bestätigt. So sind als bloße Zwischenentscheidungen nicht isoliert anfechtbar: Beiladungsentscheidungen (§ 109 S. 2 GWB), Eilentscheidungen nach § 115 Abs. 2 GWB (vgl. Abs. 2 S. 5 der Vorschrift), Entscheidungen über vorläufige Maßnahmen nach § 115 Abs. 3 GWB sowie Entscheidungen über die Versagung von Akteneinsicht (§ 111 Abs. 4 GWB).
Auch sonst erachten die vergaberechtliche Rechtsprechung und Literatur eine (isolierte) Anfechtung von Zwischenentscheidungen der Vergabekammer überwiegend für unstatthaft (vgl. Thüringer OLG, Beschl. v. 22.12.1999 - 6 Verg 3/99, NZBau 2000, 349: keine Anfechtung der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.1.2000 - Verg 2/00, NZBau 2000, 596 = WuW/E Verg 319: zur Entscheidung der Vergabekammer über die Zustellung eines Nachprüfungsantrags an den öffentlichen Auftraggeber; OLG Dresden, Beschl. v. 4.7.2002 - WVerg 11/02, VergabeR 2002, 544: zur Entscheidung über die Nicht-Zustellung eines Nachprüfungsantrags; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.1.2005 - VII-Verg 104/04: keine selbständige Anfechtung einer Verweisung von Vergabekammer zu Vergabekammer; Jaeger in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl., § 116 GWB Rn. 1113; Otting in Bechtold, GWB, 4. Aufl., § 116 Rn. 5; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 116 Rn. 9 jeweils m.w.N.).
Einigkeit besteht insbesondere darin, dass aus der Unanfechtbarkeit einer Versagung von Akteneinsicht nach § 111 Abs. 4 GWB nicht schon im Umkehrschluss die Zulässigkeit einer selbständigen Beschwerde gegen eine Akteneinsicht gewährende Entscheidung der Vergabekammer zu folgern ist (vgl. Jaeger a.a.O., § 116 GWB Rn. 1115; Stockmann a.a.O., § 116 Rn. 10). Die Zulässigkeit einer sofortigen Beschwerde gegen die Erteilung von Akteneinsicht ist im Vierten Teil des GWB nicht ausdrücklich geregelt.
Die restriktive Behandlung einer isolierten Beschwerde gegen Zwischenentscheidungen ist dem in Vergabenachprüfungsverfahren durch § 113 GWB mit besonderer Geltungskraft ausgestatteten Beschleunigungsgebot geschuldet (vgl. dazu insbes. Jaeger a.a.O., § 116 GWB Rn. 1115 sowie OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.3.2002 - Verg 43/01, VergabeR 2002, 404, 407). Der Beschleunigungsgrundsatz gilt freilich gleichermaßen auch in anderen Verfahrensordnungen. So bestimmt § 44 a S. 1 VwGO aus demselben Grund, dass Rechtsbehelfe gegen belastende behördliche Verfahrensentscheidungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden können (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 44 a Rn. 1).
Jedoch lässt gerade jene, funktional auf das Verfahren der Vergabekammer übertragbare Norm auch erkennen, dass der Grundsatz der Unzulässigkeit von Rechtsbehelfen gegen Zwischenentscheidungen, ohne dass dadurch das Beschleunigungsgebot ausgehöhlt oder entwertet würde, ebenso wenig frei von Durchbrechungen ist. Nach § 44 a S. 2 VwGO ist die (isolierte) Beschwerde gegen Zwischenentscheidungen nämlich dann statthaft, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen. Darum geht es im Streitfall zwar nicht. Doch kommt die angegriffene Entscheidung einer vollstreckbaren Zwischenentscheidung recht nahe, weil die Vergabekammer, sofern die Erteilung von Akteneinsicht für die Antragstellerin keiner Beschwerde unterliegt, die Entscheidung durch Gewähren von Akteneinsicht faktisch vollzieht und - vom Standpunkt des Betroffenen (hier des Antragsgegners) aus - infolgedessen vollendete Tatsachen geschaffen zu werden drohen, die mit einer Hauptsacheentscheidung nicht mehr beseitigt werden können.
Unabhängig davon, ob eine behördliche Verfahrenshandlung im Einzelfall mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchgesetzt werden kann (vgl. VGH Mannheim DVBl 1988, 359), steht der Grundsatz, wonach belastende Verfahrenshandlungen nicht selbständig anfechtbar sind, nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte deshalb unter dem Vorbehalt, dass der Betroffene durch eine im späteren Verfahren ergehende Sachentscheidung einen hinreichend effektiven Rechtsschutz gegen die beanstandete Verfahrenshandlung erlangen kann und ihm nicht rechtliche oder tatsächliche Nachteile verbleiben, die auch durch eine obsiegende Hauptsacheentscheidung nicht mehr rückgängig gemacht oder ausreichend beseitigt werden können. Jene Einschränkung ist wegen des in Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Grundrechts auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle belastender Verwaltungsentscheidungen sowie wegen des aus der Grundrechtsnorm abzuleitenden Justizgewährungsanspruchs geboten (vgl. BVerwG NVwZ-RR 1997, 663, 664 m.w.N.; BVerfG NJW 1991, 415, 416; BVerfGE 107, 395, 401 = NJW 2003, 1924). Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte unterwirft belastende behördliche Verfahrenshandlungen (Zwischenentscheidungen) über den Wortlaut von § 44 a S. 2 VwGO hinaus daher allgemein einer isolierten Anfechtbarkeit, wenn mit ihr selbständige nachteilige Rechtsfolgen für den davon Betroffenen verbunden sind und nicht sicher zu stellen ist, dass diese durch eine künftige Sachentscheidung ausreichend rückgängig gemacht werden können (vgl. Kopp/Schenke, § 44 a VwGO Rn. 8 bis 10 m.w.N.).
Vereinzelte Entscheidungen der Vergabesenate gehen in dieselbe Richtung. So hat der Senat eine Verfahrensaussetzung durch die Vergabekammer - wegen des dadurch tatsächlich eintretenden und nicht mehr korrigierbaren Effekts einer den Antragsteller vergaberechtswidrig beschwerenden Antragsablehnung auf Zeit - als mit der sofortigen Beschwerde nach § 116 Abs. 1 GWB anfechtbar angesehen (Beschl. v. 11.3.2002 - Verg 43/01, VergabeR 2002, 404, 406 f.). Das Thüringer OLG hat eine Zwischenentscheidung, mit der die Vergabekammer festgestellt hat, das Nachprüfungsverfahren habe sich durch wirksame Zuschlagserteilung erledigt, womit die Entscheidungsfrist des § 113 Abs. 1 GWB außer Kraft gesetzt worden sei, aufgehoben und die Sache an die Vergabekammer zurückverwiesen, da der Antragsteller bei der Entscheidung durch tiefgreifende und anders nicht wieder gutzumachende Verfahrensfehler in seinen Rechten verletzt worden war (Beschl. v. 9.9.2002 - 6 Verg 4/02, VergabeR 2002, 631, 633). Die genannten Entscheidungen des Senats und des Thüringer OLG qualifizieren die angefochtenen Beschlüsse wörtlich zwar nicht als Zwischenentscheidungen, sondern messen ihnen wegen der Rechtswirkungen einen zumindest sachentscheidungsähnlichen und infolgedessen die Anfechtung (erst) eröffnenden Charakter zu. Auf die Bezeichnung kommt es indes nicht an. Denn der Sache nach standen jeweils die Hauptsacheentscheidung vorbereitende Verfahrensentscheidungen der Vergabekammer im Streit, die - ohne Zulassung der Beschwerde - irreparabel nachteilige Rechtsfolgen für den Betroffenen (in den genannten Fällen für den Antragsteller) mit sich brachten.
Zumal in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren zur Schließung von Regelungslücken im Vierten Teil des GWB Analogien zur Rechtslage nach der VwGO eher angezeigt sind als solche zu anderen Verfahrensordnungen, da dieses Verfahren dem Kartellverwaltungsverfahren nachgebildet ist (vgl. Senat, Beschl. v. 13.4.1999 - Verg 1/99, BauR 1999, 751 = NZBau 2000, 45, 48; Beschl. v. 15.6.2000 - Verg 6/00, NZBau 2000, 440, 444; Beschl. v. 20.7.2000 - Verg 2/99, NZBau 2001, 164, 165; Beschl. v. 5.2.2001 - Verg 26/00; Thüringer OLG, Beschl. v. 28.2.2001 - 6 Verg 8/00, NZBau 2001, 281, 283; Jaeger a.a.O., § 120 GWB Rn. 1207), erachtet der Senat im Anschluss an die vorgenannten Entscheidungen eine von der Vergabekammer verfügte Erteilung von Akteneinsicht für - im Wege einer Beschwerde nach § 116 Abs. 1 GWB - selbständig anfechtbar, sofern durch einen Vollzug, namentlich durch eine faktisch gestattete Einsichtnahme in die Akten, Rechte des von der Akteneinsicht Betroffenen in einer durch die Hauptsacheentscheidung nicht wieder gutzumachenden Weise beeinträchtigt werden können (so auch Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl., § 111 GWB Rn. 1051; a.A. Jaeger, ebenda, § 116 Rn. 1115). Dabei bleibt darauf hinzuweisen, dass eine Rechtsverletzung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung auf eine vom Betroffenen angebrachte Beschwerde nicht festgestellt werden muss, sondern es - um den gebotenen materiellen Rechtsschutz gegen die angegriffene Entscheidung nicht zu verkürzen - lediglich einer Darlegung des Betroffenen bedarf, die den Schluss auf die geltend gemachte Rechtsverletzung erlaubt. Bei einer solchen Darlegung ist auch die Beschwerdebefugnis des Betroffenen nicht zu verneinen.
Davon ausgehend ist nicht ernsthaft mit einer ungerechtfertigten Beschwerdeflut gegen eine Gewährung von Akteneinsicht zu rechnen. Betroffene Auftraggeber oder Beigeladene sind an einem diesbezüglichen Zwischenstreit in der Regel nicht interessiert, sondern streben eine möglichst rasche Auftragserteilung an. Von daher besteht kein Grund, das Beschwerderecht des Betroffenen gegen eine Gewährung von Akteneinsicht zu beschränken. Die mit einer solchen Beschwerde verbundene, in der Regel nicht unzumutbare Verzögerung der Auftragsvergabe ist im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes hinzunehmen.
Eine Abweichung der Entscheidung des Senats vom Beschluss des OLG Hamburg vom 2.12.2004 (1 Verg 2/04, OLGR Celle Hamburg Schleswig Oldenburg Braunschweig Bremen 2005, 452 f.) erfordert gemäß § 124 Abs. 2 S. 1 GWB keine Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof. In der genannten Entscheidung hat das OLG Hamburg eine sofortige Beschwerde gegen die Erteilung von Akteneinsicht durch die Vergabekammer zwar für unzulässig erklärt. Die anders lautende Entscheidung des Senats begründet jedoch keine Verpflichtung zur Vorlage der Sache. Denn der Anwendungsbereich des § 124 Abs. 2 S. 1 GWB ist dahin eingeschränkt, dass eine Vorlagepflicht nur bei Abweichungen in einer die Hauptsache betreffenden Beschwerdeentscheidung besteht (ebenso OLG Dresden, Beschl. v. 5.4.2001 - WVerg 8/00, WuW/E Verg 497, 499; Senat, Beschl. v. 30.12.2002 - Verg 42/01, WuW/E Verg 828, 832; Beschl. v. 9.5.2003 - Verg 42/01; v. 3.7.2003 - Verg 22/00; Beschl. v. 3.7.2003 - Verg 29/00; OLG Naumburg, Beschl. v. 23.6..2003 - 1 Verg 12/02, VergabeR 2003, 608, 609; OLG Celle, Beschl. v. 1.7.2004 - 13 Verg 8/04; Jaeger a.a.O., § 123 GWB Rn. 1244; Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 GWB Rn. 14; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 124 GWB Rn. 10 m.w.N.). In Zwischenverfahren, namentlich in solchen, in denen ein besonderes Eilbedürfnis im Vordergrund steht (wie insbesondere in Verfahren nach den §§ 118 Abs. 1 S. 3, 121 GWB), gilt die Vorlagepflicht nicht (vgl. Jaeger a.a.O., § 124 GWB Rn. 1246; Boesen, Vergaberecht, § 124 GWB Rn. 23; Röwekamp a.a.O.; Stockmann a.a.O. sowie auch die Gesetzesbegründung der BReg zu § 133 [124] GWB, BT-Drucks. 13/9340, S. 22: "In diesen Eilverfahren werden im Interesse der Beschleunigung Divergenzen hingenommen; sie werden die Ausnahme bleiben und sich durch gerichtliche Entscheidungen nach § 132 [§ 123] oder in Schadensersatzprozessen auflösen."). Dies trifft auch auf das Verfahren der Beschwerde gegen eine Gewährung von Akteneinsicht zu. In derartigen Zwischenverfahren ist zwar ein anders gelagertes, den Eilverfahren nach den §§ 118 Abs. 1 S. 3, 121 GWB im Ergebnis aber vergleichbares Beschleunigungsbedürfnis zu erkennen. Denn die Beschwerde gegen die Erteilung von Akteneinsicht bringt das erstinstanzliche Nachprüfungsverfahren faktisch zum Ruhen. Da sowohl das Oberlandesgericht für eine Vorlageentscheidung als auch der Bundesgerichtshof für die Beschwerdeentscheidung einige Zeit benötigen werden, würde durch eine Vorlage die Sachentscheidung der Vergabekammer über Gebühr verzögert werden.
b) Bei dem dargestellten Vorverständnis ist im Streitfall die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Entscheidung der Vergabekammer zuzulassen. Dem Vortrag des Antragsgegners zufolge beeinträchtigt eine Einsichtnahme der Antragstellerin in die Kostenermittlung Geheimhaltungsbelange, die den zur Vorbereitung der Ausschreibung angestellten Überlegungen, Festlegungen und Berechnungen gelten. Im Hinblick auf eine Geheimhaltung sei die Kalkulation des Auftraggebers grundsätzlich genauso schutzwürdig wie jene der Bieter. Darüber hinaus werde durch eine Einsichtnahme in die Kostenermittlung das rechtliche und tatsächliche Interesse des Auftraggebers an einer Sicherung unverfälschter Wettbewerbsbedingungen bei öffentlichen Aufträgen verletzt. Die Bieter sollten auch mit Blick auf künftige Aufträge nicht von Vorüberlegungen des Auftraggebers profitieren und davon abschreiben dürfen. Der Antragsgegner beruft sich gegen die Entscheidung der Vergabekammer mithin auf einen Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sowie auf den von ihm durch eine Geheimhaltung auch im eigenen Interesse zu wahrenden chancengleichen und ungestörten Wettbewerb unter den an Aufträgen interessierten Unternehmen. Der Vortrag erlaubt den Schluss auf eine Rechtsverletzung, wobei hinzuzufügen ist, dass der Antragsgegner als durch das Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens "Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes Nordrhein-Westfalen" vom 12.12.2000 geschaffene und bei Auftragsvergaben rechtsfähige Institution des Landes kraft der dem Land zustehenden Aufsichtsbefugnisse öffentlicher Auftraggeber i.S. von § 98 Nr. 2 GWB und aufgrund dessen zugleich Träger des dem Land Nordrhein-Westfalen als öffentlichem Auftraggeber in Vergabenachprüfungsverfahren zustehenden Justizgewährungsanspruchs ist. Wird bei dieser Rechtslage Akteneinsicht entgegen vordringlichen Geheimhaltungsinteressen des Antragsgegners erteilt, tritt eine Rechtsverletzung unwiderruflich ein. Dies rechtfertigt die Zulassung der sofortigen Beschwerde gegen die Gewährung einer Einsichtnahme in die Kostenschätzung.
2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet.
Wird der Antragstellerin Einsicht in die Kostenermittlung des Antragsgegners erteilt, werden - wie die Vergabekammer mit Recht entschieden hat - in der Sache weder dessen schutzwürdige Geheimhaltungsbelange noch ein rechtlich geschütztes Interesse an einem auch bei künftigen Auftragsvergaben zu sichernden unverfälschten Wettbewerb verletzt.
a) Wie außer Streit steht, ist der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zulässig. Ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin an der beantragten Akteneinsicht ist mithin nicht zu verneinen.
b) Die den Verfahrensbeteiligten nach § 111 Abs. 1 GWB auf einen zulässigen Nachprüfungsantrag zu erteilende Akteneinsicht ist umfassend. Das Akteneinsichtsrecht erstreckt sich auf alle materiellen Bestandteile der Vergabeakten. Die vom Antragsgegner aufgestellte Kostenschätzung nach DIN 276 ist Bestandteil der Vergabeakten. Der Antragsteller ist grundsätzlich berechtigt, auch die Kostenschätzung des öffentlichen Auftraggebers einzusehen.
c) Die Antragstellerin bedarf auch einer Einsichtnahme in die Kostenermittlung. Die Gewährung von Akteneinsicht ist entscheidungserheblich, d.h. zur Durchsetzung von Bieterrechten der Antragstellerin notwendig (vgl. zu diesem Erfordernis Thüringer OLG, Beschl. v. 4.5.2005 - 9 Verg 3/05). Denn die Antragstellerin macht im Nachprüfungsverfahren geltend, die Kostenermittlung des Antragsgegners sei verfehlt und als Begründung für die Aufhebung des Vergabeverfahrens aus anderen schwer wiegenden, nämlich aus wirtschaftlichen Gründen i.S. von § 26 Nr. 1 c VOB/A nicht tragfähig. Die Antragstellerin darf die Aufhebungsentscheidung des Antragsgegners im Vergabenachprüfungsverfahren - und auch mit dieser Begründung - zur Überprüfung stellen (vgl. BGH, Beschl. v. 18.2.2003 - X ZB 43/02, NZBau 2003, 293 = VergabeR 2003, 313). Für die rechtliche Beurteilung ist ausschlaggebend, ob die Wirtschaftlichkeitsüberlegungen des Antragsgegners auf einer von ihm zutreffend, d.h. vertretbar ermittelten Kostengrundlage beruhen (vgl. BGH, Urt. v. 8.9.1998 - X ZR 99/96, BauR 1998, 1238, 1241; Senat, Beschl. v. 13.12.2006 - VII-Verg 54/06, NZBau 2007, 462). Von ihr behauptete Mängel an der Aufhebungsentscheidung kann die Antragstellerin aber nur aufzeigen und mit Erfolg geltend machen, wenn sie die Kostenermittlung des Antragsgegners kennt und hat überprüfen können. Daran hat sie ein unabweisbares Informationsinteresse.
Davon abgesehen hat die Antragstellerin Mängel an der Kostenermittlung prozessual zulässig behauptet. Sie darf Vergaberechtsverstöße rügen, die sie aus ihrer Sicht der Dinge für wahrscheinlich oder möglich hält. Nur ein willkürlicher oder ins Blaue hinein, d.h. ein ohne tatsächliche Anhaltspunkte angebrachter Vortrag ist prozessual unbeachtlich (BGH, Beschl. v. 26.9.2006 - X ZB 14/06, VergabeR 2007, 59, 65 f.). Im vorliegenden Fall sind Anhaltspunkte für eine von der Antragstellerin behauptete, von vertretbaren Maßstäben abweichende Kostenermittlung des Antragsgegners vorhanden. Dazu genügt, auf die von der Kostenschätzung erheblich nach oben hin abweichenden Endpreise aller drei eingegangenen Angebote sowie darauf hinzuweisen, dass der Antragsgegner nach eigenem Vortrag die Baupreisentwicklung des Jahres 2007 bei der Kostenermittlung unterschätzt und außer Ansatz gelassen hat.
d) Der Antragsgegner kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, das Angebot der Antragstellerin sei aus bislang nicht entdeckten formalen Gründen, und zwar wegen Fehlens geforderter Angaben, Erklärungen oder Eignungsnachweise, oder in Ermangelung einer Eignung, den ausgeschriebenen Auftrag ordnungsgemäß auszuführen, gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 oder Nr. 2 Abs. 1 VOB/A von der Wertung auszunehmen, mit der Folge, dass eine Erteilung von Akteneinsicht nicht erforderlich sei. Derartige Ausschließungsgründe, mit denen sich die Vergabekammer in der Sache noch nicht befasst hat, sind in dem die Gewährung von Akteneinsicht betreffenden Beschwerdeverfahren von einer Prüfung ausgeschlossen. Eine dahingehende Beurteilung und Entscheidung durch das Beschwerdegericht nähme die in erster Instanz der Vergabekammer obliegende Sachentscheidung vorweg und ermöglichte den Verfahrensbeteiligten, im Beschwerdeverfahren über die Erteilung von Akteneinsicht die Hauptsacheentscheidung präjudizieren zu lassen. Dies ist mit dem vom Gesetzgeber geschaffenen Instanzenzug nicht zu vereinbaren. Danach ist den Vergabekammern vorbehalten, erstinstanzlich in eigener Zuständigkeit über den sachlichen Erfolg oder Misserfolg eines Nachprüfungsantrags zu befinden. Das Beschwerdegericht übt hinsichtlich der Sachentscheidungen der Vergabekammer nur eine Kontrollfunktion aus.
Unabhängig davon ist der vom Antrag der Antragstellerin festgelegte Streitgegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens darauf begrenzt, ob ein Akteneinsichtsrecht besteht. Der Gegenstand des Verfahrens kann vom Antragsgegner prozessual nicht zulässig in der Weise erweitert werden, dass nunmehr auch der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin darin einbezogen wird. Auf die vom Antragsgegner im Beschwerdeverfahren geltend gemachten und dem Angebot der Antragstellerin angeblich anhaftenden Ausschließungsgründe kommt es demnach nicht an. Ob dies anders zu beurteilen sein kann, wenn der Nachprüfungsantrag offensichtlich unbegründet ist, sei dahingestellt. Um einen Fall offensichtlicher Unbegründetheit handelt es sich hier nicht.
e) aa) Es liegt auch kein Grund vor, der Antragstellerin nach § 111 Abs. 2 GWB eine Einsicht in die Kostenermittlung des Antragsgegners zu verweigern. Nach jener Vorschrift ist die Einsicht in Unterlagen zu versagen, soweit dies aus wichtigen Gründen, insbesondere des Geheimschutzes oder zur Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen, geboten ist. Die Aufzählung wichtiger Gründe ist nicht abschließend, sondern nur exemplarischer Natur ("insbesondere"). Im Streitfall kommt eine Versagung der Akteneinsicht zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen des Antragsgegners in Frage. Als Betriebs- und Geschäftsgeheimnis sind Tatsachen zu verstehen, die nach dem erkennbaren Willen des Trägers geheim gehalten werden sollen, die ferner nur einem begrenzten Personenkreis bekannt und damit nicht offenkundig sind und hinsichtlich derer der Geheimnisträger deshalb ein sachlich berechtigtes Geheimhaltungsinteresse hat, weil eine Aufdeckung der Tatsachen geeignet wäre, ihm wirtschaftlichen Schaden zuzufügen (BGH NJW 1995, 2301). Geschäftsgeheimnisse beziehen sich auf den kaufmännischen Bereich, Betriebsgeheimnisse betreffen betrieblich-technische Vorgänge und Erkenntnisse. Anerkannt ist, dass namentlich im Zusammenhang mit Auftragsvergaben auch der öffentliche Auftraggeber Träger von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen sein kann (vgl. BGH NJW 1995, 2301).
Die der Bauausführung geltende Kostenschätzung des Antragsgegners enthält sowohl Betriebs- als auch Geschäftsgeheimnisse. Sie lässt neben Angaben und Berechnungen über die beim Bau anfallenden Gewerke, die Raumflächen, die Geschosszahlen und die Ausstattung auch ersehen, welche baulichen Standards der Antragsgegner zugrunde gelegt und mit welchen Rahmen- und Erfahrungswerten er die Kosten veranschlagt hat, wo Kosteneinsparungs- und -erhöhungs-potentiale gesehen, welche Parameter daran angelegt worden sind und wie die Kostenentwicklung auf dem Bausektor eingeschätzt worden ist. Den technischen und kaufmännischen Angaben zugrunde liegende wertende Annahmen, Festlegungen und Verfahrensweisen des Antragsgegners, insbesondere soweit sie grundsätzlicher Natur sind und über den vorliegenden Einzelfall hinausweisen, sind zweifellos ebenfalls Gegenstand von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Nichts anderes hat für die Ermittlung der bei der Ausführungsplanung (Leistungsphase 5 nach § 15 HOAI) und Ingenieurleistungen bei der technischen Ausrüstung (§§ 68 ff. HOAI) anfallenden Kosten und für die in diesem Zusammenhang getroffenen entsprechenden Aussagen zu gelten.
Das bloße Vorliegen von Geheimnissen besagt freilich noch nichts darüber, ob diese sich auch gegenüber dem Recht anderer Verfahrensbeteiligter auf Akteneinsicht durchsetzen können. Die Regelung, die § 111 Abs. 2 GWB darüber trifft, ist unvollkommen. Allerdings deutet der Wortlaut der Norm, wonach eine Akteneinsicht zu versagen ist, soweit dies aus wichtigen Gründen "geboten" ist, an, dass im Konfliktfall zwischen den Belangen der Akteneinsicht, der davon abhängenden Wirksamkeit des Rechtsschutzes sowie dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) einerseits und des Geheimnisschutzes andererseits abzuwägen ist. Keinem der widerstreitenden Interessen kommt dabei ein prinzipieller Vorrang zu. Der Abwägungsvorgang und die Prüfungsmaßstäbe werden in § 72 GWB näher beschrieben, der nach § 120 Abs. 2 GWB auf die Gewährung von Akteneinsicht durch das Beschwerdegericht entsprechend anzuwenden ist. § 72 GWB regelt hingegen unmittelbar nur die Akteneinsicht in den kartellverwaltungsrechtlichen Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht. Nach Abs. 2 S. 4 der Vorschrift kann die Offenlegung von Tatsachen, deren Geheimhaltung aus wichtigen Gründen, insbesondere zur Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen, verlangt wird, nach Anhörung des von der Offenlegung Betroffenen angeordnet werden, soweit es für die Entscheidung auf diese Tatsachen ankommt, andere Möglichkeiten der Sachaufklärung nicht bestehen und nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls die Bedeutung der Sache für die Sicherung des Wettbewerbs das Interesse des Betroffenen an der Geheimhaltung überwiegt. Den unterschiedlichen Zwecken des Kartellverwaltungsrechts und des Vergaberechts ist durch die im Gesetz vorgegebene entsprechende Anwendung der Norm Rechnung zu tragen. Danach ist die von der Forderung nach einem effektiven Rechtsschutz, dessen Unterstützung das Recht auf Akteneinsicht dient, gesicherte Einhaltung des vergaberechtlichen Gebots eines transparenten und chancengleichen Wettbewerbs gegen die auf dem Spiel stehenden Geheimhaltungsinteressen des von der Akteneinsicht Betroffenen abzuwägen. Bei der Abwägung setzen sich diejenigen Belange durch, die das konkurrierende Interesse überwiegen. Dabei steht der Vergabekammer genauso wenig wie bei anderen nach dem Gesetz vorzunehmenden Interessenabwägungen im Rechtssinn ein Beurteilungsspielraum zu (a.A. Byok a.a.O., § 111 GWB Rn. 1042; Summa in jurisPK, § 111 GWB Rn. 21).
§ 111 Abs. 2 GWB ist im Lichte der Bestimmung des § 72 Abs. 2 S. 4 GWB auszulegen und zu verstehen. Die Vorschrift ist zur Ausfüllung der in § 111 GWB bestehenden Lücke entsprechend heranzuziehen und darin hineinzulesen (im Ergebnis ebenso Gröning, BeckŽscher VOB-Kommentar, § 111 GWB Rn. 39 ff.; ders., NZBau 2000, 366, 368; Byok a.a.O., § 111 GWB Rn. 1042; OLG Naumburg, Beschl. v. 11.10.1999 - 1 Verg 1/99). Die die systematischen und strukturellen Unterschiede der §§ 111 und 72 GWB betonende Gegenauffassung ist abzulehnen (vgl. u.a. Kus in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 111 GWB Rn. 34 m.w.N.). Sie übersieht, dass lediglich eine entsprechende Anwendung von § 72 Abs. 2 S. 4 GWB in Rede steht. Außerdem lässt jene Meinung zu, dass Akteneinsicht von der Vergabekammer aufgrund anderer Kriterien erteilt wird als vom Beschwerdegericht. Dies ist der Sache nach schlechterdings nicht zu tolerieren. Die Gewährung von Akteneinsicht durch die Vergabekammer und das Beschwerdegericht hat vielmehr denselben rechtlichen Regeln zu folgen, zumal eine Einsichtnahme, die von der Vergabekammer gewährt worden ist, im Beschwerdeverfahren nicht mehr rückgängig gemacht werden kann und im umgekehrten Fall, in dem die Vergabekammer die Erteilung von Akteneinsicht verweigert hat, eine erstmalige Gewährung von Akteneinsicht im Beschwerdeverfahren den vom Gesetz intendierten, möglichst raschen Abschluss der Nachprüfung zu verzögern geeignet ist, wenn darauf erst in der Beschwerdeinstanz Streitfragen erstmalig zur Sprache kommen.
bb) Gemessen an den Prüfungskriterien des § 72 Abs. 2 S. 4 GWB hat die Vergabekammer der Antragstellerin im Streitfall zu Recht Akteneinsicht erteilt. Die Entscheidungsrelevanz der Einsichtnahme in die Kostenkalkulation des Antragsgegners ist oben unter c) bereits nachgewiesen worden. Ebenso ist festzustellen, dass andere Möglichkeiten einer Sachaufklärung als jene durch Einsichtnahme in die Kostenschätzung ausscheiden. Ob der Antragsgegner als Grundlage seiner Entscheidung, das Vergabeverfahren aufzuheben, die Bau- und Planungskosten vertretbar kalkuliert hat, kann nur anhand der Kostenschätzung selbst ermittelt und überprüft werden. Die zentrale Frage ist daher, welche der gegenüberstehenden Interessen überwiegen. Die Abwägung hat unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles stattzufinden. Genauere Abwägungsdirektiven gibt das Gesetz nicht vor. Zu bedenken ist:
Die Kostenschätzung folgt dem standardisierten Verfahren der DIN 276, deren Gegenstück auf der Budgetseite die Haushaltsunterlage Bau ist. Die Verfahrensregeln und die Berechnungsweisen sind branchenkundigen Unternehmen bekannt. Die ausfüllenden technischen und kalkulatorischen Angaben des Antragsgegners zu Raummaßen, Geschosszahlen, Ausstattung, baulichen Standards und dergleichen sind ohne einen nennenswerten Geheimhaltungswert, da sie ausschließlich das konkrete Bauvorhaben betreffen. Anders verhält es sich nur, soweit die Kostenschätzung die den technischen und kaufmännischen Angaben zugrunde liegenden, spezifischen Annahmen, Festlegungen und Methoden des Antragsgegners, soweit diese über den Einzelfall hinausweisen, erkennen lassen.
Der Umstand, dass die Ausschreibung teilweise funktionalen Charakter hat, bildet keinen Grund, das Akteneinsichtsrecht einzuschränken. Funktional bestimmte Auftragsbestandteile sind in der Leistungsbeschreibung eingehend darzustellen (vgl. § 9 Nr. 16 Abs. 1 VOB/A). Sie sind den an der Ausschreibung teilnehmenden Unternehmen ohnedies bekannt zu geben. Durch Einsichtnahme in die Kostenschätzung kann nur in Erfahrung gebracht werden, welche Kosten der Antragsgegner insoweit in Ansatz gebracht hat. Die Kostenansätze beziehen sich auf das konkrete Bauvorhaben. Den Inhalt der Angebote kann ihr Bekanntwerden nicht (mehr) beeinflussen. Dies hat genauso für die den Planungsleistungen geltenden Kostenansätze zu gelten.
Von einer Bekanntgabe der Kostenschätzung ist ohne Weiteres auch keine unerwünschte Einschränkung der den Bietern bei künftigen Ausschreibungen zu Gebote stehenden Planungs-, Gestaltungs- und Preisbildungsspielräume, m.a.W. eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung, zu erwarten. Jedes Bauvorhaben folgt seinen eigenen Regeln, die der Auftraggeber einschließlich funktional beschriebener Bestandteile in der Leistungsbeschreibung festzulegen und den Bietern bekannt zu geben hat. Bieter werden ihre Angebote individuell darauf abstimmen und von Gestaltungs- und Preisspielräumen Gebrauch machen, soweit die Leistungsbeschreibung dies zulässt. Selbst wenn alle in Frage kommenden Bieter die im Streitfall aufgestellte Kostenschätzung kennten, ist davon auch die vom Antragsgegner beschworene preiseinebnende Wirkung nicht zu befürchten. Diejenigen Bieter, die den Zuschlag ernsthaft erreichen wollen, werden sich bei der Preisbildung nicht unkritisch an der nur für das vorliegende Bauvorhaben geltenden Kostenschätzung orientieren, zumal diese für künftige Neubauten ohnedies nicht zureichend aussagekräftig ist. Sie werden den Angebotspreis vielmehr unabhängig und selbständig kalkulieren, da im Bieterwettbewerb erfahrungsgemäß nur auf diese Weise ein Vorsprung vor Wettbewerbern erzielt werden kann.
Nicht anders ist die Sachlage bei den Kostenansätzen für die Ausführungsplanung (Leistungsphase 5 nach § 15 HOAI) und für Ingenieurleistungen bei der technischen Ausrüstung (§§ 68 ff. HOAI) zu beurteilen. Eine Kenntnis der im vorliegenden Fall veranschlagten Kosten engt künftige Planungsspielräume nicht ein. Dies anzunehmen verbietet sich schon deswegen, weil Architekten und Ingenieurleistungen nicht nach Art und Maß einer Ausnutzung von Planungsmöglichkeiten vergütet werden, sondern sich das Honorar gemäß den Vorschriften der HOAI im Wege der Interpolation nach anrechenbaren Baukosten und Honorartafeln sowie nach dem Grad der Erfüllung der jeweiligen Leistungsphasen und des jeweiligen Leistungsbildes errechnet und analog dazu die Kostenberechnung sowie i.S. einer Vorstufe auch die Kostenschätzung anzustellen ist.
Eine Kenntniserlangung von den für Kostenerhöhungen und -einsparungen sowie für Kostensteigerungen in der Kostenschätzung angesetzten Margen hat keinen messbaren Einfluss auf das Ergebnis künftiger Ausschreibungen. Welche Sicherheitszuschläge dafür anzubringen sind, ist abhängig von der Beschaffenheit und von den Eigenarten jedes individuellen Bauvorhabens sowie von der zu anderer Zeit gegebenenfalls unterschiedlich zu beurteilenden Kostensituation und -entwicklung.
Andererseits ist zu registrieren, dass für das angestrebte Rechtsschutzziel, vom Antragsgegner eine Rückgängigmachung der Aufhebung des Vergabeverfahrens zu erzwingen, für die Antragstellerin eine Kenntniserlangung von der zugrunde liegenden Kostenschätzung, anhand der allein die Kostenansätze auf eine Vertretbarkeit überprüft werden können, unverzichtbar ist. Anders als durch eine Einsichtnahme und Überprüfung der Kostenschätzung auf ihre Vertretbarkeit ist ein wirksamer Rechtsschutz gegen die Aufhebungsentscheidung des Antragsgegners nicht zu erlangen. Ein als verhältnismäßig milderes Mittel in Betracht zu ziehendes "in camera"-Verfahren (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 27.10.1999 - 1 BvR 385/90 und Beschl. v. 14.3.22006 - 1 BvR 2087/03) scheidet aus. Ein derartiges, den Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG abschneidendes, mindestens aber sehr einschränkendes Verfahren ist wegen der entsprechend anzuwendenden Sonderregelung des § 72 Abs. 2 S. 3 GWB in Vergabenachprüfungsverfahren grundsätzlich ausgeschlossen. Nach dieser sondergesetzlichen Bestimmung dürfen, sofern eine Akteneinsicht abgelehnt wird oder unzulässig ist, Unterlagen der Entscheidung nur insoweit zugrunde gelegt werden, als ihr Inhalt vorgetragen worden ist. § 72 Abs. 2 S. 3 GWB ist auch im Verfahren der Vergabekammer zu beachten (siehe oben). Den Inhalt der Kostenschätzung hat der Antragsgegner freilich nicht im Einzelnen vorgetragen. Ob die Kostenermittlung des öffentlichen Auftraggebers, wie der Antragsgegner für sich in Anspruch nimmt, genauso einem Geheimnisschutz unterliegt wie dies für die Bieterangebote anzunehmen ist, kann im Übrigen offen bleiben. Dies ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn eine Einsichtnahme in die Kostenermittlung zur Sicherstellung eines wirksamen Rechtsschutzes, wie im vorliegenden Fall, unerlässlich ist.
Dem Anspruch der Antragstellerin auf Akteneinsicht steht mithin lediglich das Geheimhaltungsinteresse des Antragsgegners an den aus der Kostenschätzung zu ersehenden spezifischen Annahmen, Festlegungen und Verfahrensweisen bei Kostenermittlungen gegenüber, soweit diese durch die DIN 276 sowie die Haushaltsunterlage Bau nicht standardisiert sind und sie über den streitigen Einzelfall hinausweisen. Darauf ist im vorstehenden Zusammenhang mit dem Ergebnis bereits eingegangen worden, dass die Kostenschätzung, soweit beim geltend gemachten Geheimhaltungsinteresse auf künftige Auftragsvergaben abgestellt worden ist, keinen Geheimnisschutz verdient. Entgegenstehende Gesichtspunkte, die in die Abwägung einzustellen sind, hat der Antragsgegner darüber hinaus nicht konkret aufgezeigt. Im Ergebnis hat die Abwägung der widerstreitenden Belange danach so auszugehen, dass dem im Akteneinsichtsrecht zum Ausdruck kommenden Interesse an einem effektiven Rechtsschutz für die Antragstellerin der Vorzug zu geben ist und Geheimhaltungsinteressen des Antragsgegners dahinter zurückzutreten haben. Von einer Einsichtnahme in die Kostenschätzung sind feststellbar weder überwiegende Nachteile für den Antragsgegner zu befürchten, noch droht davon ein fühlbarer Wissensvorsprung der Antragstellerin, der bei künftigen Ausschreibungen einen transparenten und chancengleichen Bieterwettbewerb ernsthaft in Frage stellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 97 Abs. 1 ZPO.
Der Streitwertfestsetzung nach § 50 Abs. 2 GKG hat der Senat abgerundet ein Zehntel des am Auftragswert auszurichtenden Gegenstandswerts zugrunde gelegt. Dadurch ist berücksichtigt worden, dass nicht schon die Gewährung der Akteneinsicht als solche über den Erfolg oder Misserfolg des Nachprüfungsantrags entscheidet, sondern ein Erfolg maßgebend nicht nur vom Ergebnis einer Prüfung der Kostenschätzung sondern auch von der Entscheidung über weitere unter den Verfahrensbeteiligten umstrittene Rechtsfragen abhängig ist.
Ende der Entscheidung
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