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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 27.02.2008
Aktenzeichen: VII-Verg 41/07
Rechtsgebiete: GWB, VgV, VOL/A, VwVfG


Vorschriften:

GWB § 107 Abs. 2
GWB § 107 Abs. 3 Satz 1
GWB § 107 Abs. 3 Satz 2
GWB § 118 Abs. 1 Satz 3
GWB § 128 Abs. 3
GWB § 128 Abs. 4
VgV § 13
VOL/A § 8
VOL/A § 9 a
VOL/A § 25 Nr. 2 Abs. 1
VwVfG § 80 Abs. 3 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 3. Vergabekammer des Bundes vom 29. Oktober 2007, VK 3-109/07, auf-gehoben.

Der Antragsgegnerin wird untersagt, im Ausschreibungsverfahren Gebäudereinigung 2007/S 122-149359, einen Zuschlag zu erteilen, ohne die Bieter nach erneuter Übersendung der Verdingungsunterlagen und zwar einschließlich einer Bekanntgabe aller Zuschlagskriterien, Unterkriterien und deren jeweiliger Gewichtung zuvor erneut zur Abgabe eines Angebots aufgefordert zu haben.

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer trägt die Antragsgegnerin. Die der Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen trägt die Antragsgegnerin.

Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch die Antragstellerin war im Verfahren vor der Vergabekammer notwendig.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens - einschließlich des Verfahrens nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB - werden der Antragsgegnerin auferlegt.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 60.000 € Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin, eine im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Finanzen errichtete bundesunmittelbare rechtsfähige Anstalt öffentlichen Rechts mit Sitz in Bonn, schrieb im Juni 2007 die Vergabe von Gebäudereinigungsdienstleistungen im offenen Verfahren europaweit aus.

In der Bekanntmachung unter III.2.3). "Technische Leistungsfähigkeit" und in der Aufforderung zur Angebotsabgabe forderte sie von den Bietern die Angabe der Stundenleistungen je Raumgruppe bei der Unterhaltsreinigung und je Reinigungsbereich bei der Glasreinigung. Hierzu musste jeder Bieter in der Anlage 3 zum Preisblatt die Stundenleistungen je Raumgruppe angeben, mit denen er seinen Preis kalkuliert hatte. Ferner behielt die Antragsgegnerin sich vor, auf der Grundlage der angebotenen Stundenleistungen je Raumgruppe bzw. Reinigungsbereich eine leistungsnormative Arbeitszeitprüfung durchzuführen. Eine erhebliche Unterschreitung von Standardzeitwerten in der Unterhaltsreinigung sollte zu einem Ausschluss aus dem weiteren Verfahren führen. Dies ergab sich auch aus der Aufforderung zur Angebotsabgabe unter Ziffern 7.3., die im Juli 2007 an die Bieter versandt wurde.

Noch während der Vorbereitung der Verdingungsunterlagen legte die Antragsgegnerin unter dem 23.Oktober 2006/14. November 2006 pro Raumgruppe Stundenrichtleistungen in Tabellenform fest, wobei sie sich auf die Erfahrungswerte der GCI stütze. Deren Erfahrungswerte übernahm sie weitgehend, Abweichungen nach oben (Erhöhungen) in den Bereichen "täglich genutzte Verkehrsflächen und nichttäglich genutzte Verkehrsflächen" begründete sie mit den Besonderheiten der Liegenschaften des BMF, der BAfin und der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben in Bonn. Die Stundenrichtleistungen rechnete sie auf das Jahr gesehen hoch. Sie kam nach ihren Berechnungen zu dem Ergebnis, dass zur Erbringung der ausgeschriebenen Reinigungsleistungen pro Jahr insgesamt 37.300 Stunden aufzuwenden seien.

Neben der Antragstellerin und der Beigeladenen gaben 29 Bieter ein Angebot ab. Das Angebot der Antragstellerin wich von den festgelegten Standardzeitwerten pro Jahr um mehr als 40% nach unten ab. Bei weiteren 12 Angeboten betrug die Abweichung der angebotenen Stundenrichtleistungen vom oberen Eckwert des Korridors der Antragsgegnerin mehr als 15%.

Mit Schreiben vom 21. September 2007 unterrichtete die Antragsgegnerin die Antragstellerin über ihre Absicht, das Angebot wegen einer erheblichen Unterschreitung der Standardzeitwerte, einem "Eignungskriterium", auszuschließen. Dies rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 26. September 2007 als vergaberechtsfehlerhaft. Die Antragsgegnerin wies die Rüge mit Schreiben vom 28. September zurück.

Mit ihrem Nachprüfungsantrag hat die Antragstellerin die Verpflichtung der Antragsgegnerin begehrt, ihr Angebot, dasjenige der Antragstellerin, nicht auszuschließen, hilfsweise die Verpflichtung der Antragsgegnerin, die Bieter zur erneuten Angebotsabgabe aufzufordern.

Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag zurück. Zur Begründung führte sie aus, eine Bekanntgabe der Standardzeitwerte durch die Antragsgegnerin sei nicht erforderlich. Die Antragsgegnerin habe dem Transparenzgrundsatz genügt, indem sie auf die Maßgeblichkeit der Stundenrichtwerte in der Bekanntmachung und in den Verdingungsunterlagen hingewiesen habe. Die zu erbringende Leistung sei in den Verdingungsunterlagen hinreichend klar beschrieben. In Anbetracht des Umstandes, dass die Personalkosten im Reinigungsgewerbe tariflich vorgegeben seien, bleibe den Bietern ohnehin nur ein geringer Preisgestaltungsspielraum.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, mit der sie ihre Anträge weiterverfolgt.

Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und vertritt die Auffassung, es handele sich bei den Standardzeitwerten nicht um ein Eignungskriterium, sondern um ein Zuschlagskriterium (Qualitätskriterium).

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss der Vergabekammer aufzuheben,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr Angebot, das Angebot der Antragstellerin, nicht auszuschließen und unter Berücksichtigung des Angebots der Antragstellerin die eingegangen Angebote neu zu werten und die Bieter über das Ergebnis der Wertung gemäß § 13 VgV erneut zu unterrichten,

hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsansicht des Senats die Bieter erneut zur Angebotsabgabe aufzufordern.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt den Beschluss der Vergabekammer. Sie wendet ein, der Nachprüfungsantrag sei unzulässig. Die Antragstellerin habe nicht rechtzeitig den Vergleich der angebotenen Stundenrichtleistungen mit den nicht bekannt gegebenen Standardzeitwerten als vergaberechtsfehlerhaft gerügt. Die Antragstellerin habe sich schon im Jahre 2005 an einer Ausschreibung für Reinigungsdienstleistungen beteiligt. Aus der Vergabebekanntmachung vom 24. Januar 2005 sei der Antragstellerin bekannt gewesen, dass sie, die Antragsgegnerin, ein Verfahren des Vergleichs der angebotenen Stundenrichtleistungen mit Standardzeitwerten vornehme. Das gleiche Verfahren habe sie auch dieses Mal angewandt. Schon damals sei der Antragstellerin mit Schreiben vom 26. April 2005 mitgeteilt worden, dass der Zuschlag auf ihr Angebot nicht erteilt werden könne, weil es sich bei ihrem Angebot nicht um das wirtschaftlichste gehandelt hätte. Der Antragstellerin sei deshalb bereits im Jahre 2005 bekannt gewesen, dass erhebliche Überschreitungen von Standardzeitwerten in der Unterhaltsreinigung und der Glasreinigung zum Ausschluss des Angebots aus dem weiteren Verfahren führen. Die Antragstellerin habe aus der Vergabebekanntmachung und den Verdingungsunterlagen dieses Vergabeverfahrens entnehmen können, dass sie, die Antragsgegnerin, die anzugebenden Stundenrichtwerte erneut mit den Standardzeitwerten vergleichen würde. Sie habe aus dem Vergabeverfahren im Jahre 2005 gewusst, dass sie, die Antragsgegnerin, die Standardzeitwerte grundsätzlich nicht bekannt gebe. Auch über die erforderlichen Rechtskenntnisse habe die Antragstellerin im Zeitpunkt der Bekanntmachung, spätestens aber bei Erhalt der Verdingungsunterlagen verfügt, wie ihr eigenhändig verfasstes Rügeschreiben vom 26. September 2007 belege.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Die Akten der Vergabekammer und die Vergabeakten lagen vor.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

a. Die Antragstellerin ist antragsbefugt im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB. Sie hat ihr Interesse an der Erteilung des Zuschlags bekundet, indem sie ein Angebot abgegeben hat. Sie hatte auch Aussichten auf Erteilung des Zuschlags, denn sie hatte das preisgünstigste Angebot abgegeben. Im Falle der Untersagung des Zuschlags auf das Angebot der Beigeladenen und bei einer Rückversetzung des Vergabeverfahrens wegen eines Verstoßes gegen den Transparenzgrundsatzes hat sie Gelegenheit, ein neues und unter Berücksichtigung der von der Antragsgegnerin festgelegten und bekannt zugebenden Standardzeitwerte kalkuliertes und damit chancenreicheres Angebot vorzulegen.

b. Entgegen der Meinung der Antragsgegnerin ist die Antragstellerin mit der erst am 26. September 2007 erhobenen Rüge der Unklarheit der Verdingungsunterlagen (§ 8 VOL/A) weder nach § 107 Abs. 3 Satz 1 noch nach § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB präkludiert.

§ 107 Abs. 3 Satz 1 GWB lässt bei nicht rechtzeitiger Rüge das Nachprüfungsrecht für Verstöße gegen Vergabevorschriften entfallen, die aufgrund der Bekanntmachung erkennbar sind. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt ist hiernach der bekannt gemachte Inhalt der Ausschreibung. Nur was sich bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt aus der Bekanntmachung erschließt, begründet die Rügeobliegenheit. In der Bekanntmachung war nur ganz allgemein auf die Notwendigkeit der Angabe von Richtleistungen sowie auf die Möglichkeit eines Vergleichs der angegebenen Richtleistungen mit Standardzeitwerten und einen möglichen Ausschluss hingewiesen worden. Der Inhalt der Bekanntmachung allein bot keinen Anlass für die Antragstellerin, zu prüfen, ob in der Ankündigung eines Vergleichs ein Vergaberechtsverstoß liegen könnte, da anhand des Inhalts der Bekanntmachung nicht zu erkennen war, dass die Antragsgegnerin eigene Richtleistungen aufgestellt hatte, die sie zum Vergleich heranzog. Es kann auch ausgeschlossen werden, dass die Antragstellerin mit Vergabesachen so vertraut war, dass die erforderlichen Rechtskenntnisse von ihr im Zeitpunkt der Bekanntmachung erwartet werden konnten (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.10.2006, VII-Verg 35/06, VergabeR 2007, 203 f.). Die Antragstellerin mag zwar im Zeitpunkt der Veröffentlichung der Bekanntmachung über einige Rechtskenntnisse zu § 8 VOL/A verfügt haben; sie konnte aber im Zeitpunkt der Bekanntmachung darauf vertrauen, dass die Verdingungsunterlagen den Anforderungen des § 8 VOL/A genügen würden, mithin die Antragsgegnerin sich vergaberechtskonform verhält.

Nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit der Antragsteller den gerügten Verstoß gegen die Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht unverzüglich gerügt hat. Bloße Vermutungen oder ein Verdacht lösen ebenso wenig wie grob fahrlässige Unkenntnis eine Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB aus. Kenntnis in diesem Sinne verlangt nicht nur eine positive Kenntnis aller tatsächlichen Tatumstände, aus denen die Beanstandung im Nachprüfungsverfahren abgeleitet wird, sondern auch die zumindest laienhafte Wertung, dass sich aus ihnen ein Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren ergibt (vgl. BGH, Urt. v. 26.9.2006, X ZB 14/06, VergabeR 2007, 59, 65). Bloße Erkennbarkeit reicht nicht aus. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Antragstellerin über eine Rechts- und Tatsachenkenntnis von einem Vergabeverstoß die ihre Rügeobliegenheit ausgelöst hätte, zu einem früheren Tag als dem Tage der Rüge verfügte. Zwar kann der Antragstellerin nicht verborgen geblieben sein, dass den Verdingungsunterlagen nichts über die Höhe der Standardzeitwerte zu entnehmen war. Dies belegt aber nicht die erforderliche Tatsachenkenntnis der Antragstellerin von einem Vergaberechtsverstoß. Erst aufgrund des die Rüge zurückweisenden Schreibens der Antragsgegnerin vom 28. September 2007 erlangte die Antragstellerin die erforderliche Tatsachenkenntnis darüber, dass die Antragsgegnerin eigene Standardzeitwerte aufgestellt hat. Zum Zeitpunkt der Abfassung des Rügeschreibens verfügte sie - unwiderlegt von der Antragsgegnerin - nur über die Rechtskenntnis, dass eine unterlassene Bekanntgabe der festgelegten Standardrichtwerte eine Unklarheit der Verdingungsunterlagen im Sinne des § 8 VOL/A bedeutet, weil es sich hierbei um kalkulationsrelevante Umstände handelt. Eine Tatsachenkenntnis besaß sie aber nicht. Ausweislich ihres Rügeschreibens vom 26. September 2007 vermutete die Antragstellerin bis zum Erhalt der Bieterinformation vom 21. September (eine erhebliche Unterschreitung meiner Standardzeitwerte"), dass die Antragstellerin von branchenüblichen "Standardrichtwerten" ausging, da allgemeingültige Richtwerte - wie dem Senat aus dem Vergabeverfahren VII-Verg 59/05 und allen Branchenkundigen bekannt ist - nicht existieren. Erst dem Rügeschreiben und dem Nichtabhilfeschreiben vom 28. September 2007 konnte die Antragstellerin entnehmen, dass die Antragsgegnerin tatsächlich eigene, objektbezogene Erfahrungswerte gebildet hatte.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin folgt eine frühere Tatsachenkenntnis der Antragstellerin auch nicht aus dem Umstand, dass die Antragstellerin sich im Jahre 2005 an einem Verfahren über die Vergabe von Unterhalts- und Glasreinigungsdienstleistungen beteiligt hatte. In diesem Verfahren ist die Antragsgegnerin nach eigenem Vorbringen in gleicher Weise vorgegangen: Sie hat im Voraus Standardrichtleistungen festgelegt, die sie den Bietern nicht bekannt gegeben hat, und hat diese mit den angebotenen Richtleistungen verglichen. Nur den Vergleich hatte sie indes in der Vergabebekanntmachung angekündigt. Der Vergabebekanntmachung konnte die Antragstellerin jedoch nicht entnehmen, dass die Antragsgegnerin eigene Standardrichtleistungen (Erfahrungswerte) festgelegt hatte, die sie zu dem Vergleich heranzog. Die Antragstellerin hatte die damals festgelegten Standardzeitwerte ebenfalls nicht bekannt gemacht. Der Antragstellerin ist mit der Bieterinformation schließlich nur bekannt gegeben worden, dass ihr Angebot nicht das wirtschaftlichste sei. Die tatsächlichen Umstände, die zur Nichtbezuschlagung ihres Angebots im Jahre 2005 führten, vermochte die Antragstellerin damals aufgrund der Geheimhaltung dieser Umstände durch die Antragsgegnerin nicht zu erkennen. Völlig unbekannt ist ihr auch, ob damals dieselben Standardzeitwerte wie heute zu Grunde gelegt wurden.

Soweit die Antragstellerin nunmehr allgemein darauf abstellt, die unterlassene Bekanntmachung der Unterkriterien sei vergaberechtswidrig, bleibt unklar, wann ihr dies vor der Rüge bewusst geworden ist; für eine allgemeine Verbreitung der angesprochenen Senatsentscheidung ist nichts ersichtlich. Antragsgegnerin und Vergabekammer haben einen Vergabeverstoß - ohne Berücksichtigung des Senatsbeschlusses - verneint.

Mit der Rüge, vor Angebotsabgabe entgegen der Vorschrift des § 9 a VOL/A 2002 von der Vergabestelle der Antragsgegnerin nicht über alle Zuschlagskriterien unterrichteten worden zu sein, ist die Antragstellerin ebenfalls nicht ausgeschlossen. Sie hat aber nicht über die spezielleren Rechtskenntnisse verfügt, dass in der unterlassenen Bekanntgabe der Unterkriterien auch ein Verstoß gegen § 9 a VOL/A zu sehen sein könnte. Dies belegt schon ihr Rügeschreiben. Diese Frage kann jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Senats offen bleiben, denn es genügt eine rechtzeitig erhobene Rüge, um die Nachprüfung durch die Vergaberechtsinstanzen zu eröffnen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.7.2006, Verg 27/06; a.A. OLG Bremen, Beschl. v. 18.5.2006, Verg 3/05, VergabeR 2006, 502, 506).

2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.

Gemäß § 9 a VOL/A geben die Auftraggeber in der Vergabebekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen alle Zuschlagskriterien an, deren Verwendung sie vorsehen, möglichst in der Reihenfolge der ihnen zuerkannten Bedeutung. § 9 a VOL/A ist, wie der Senat wiederholt unter Bezugsnahme auf die Entscheidungen des Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vom 11. Dezember 2002 und vom 24. November 2005 (NZBau 2003, 162 - Universale Bau AG und VergabeR 2006, 202 ATI EAC Srl) ausgeführt hat, richtlinienkonform dahin auszulegen, dass der öffentliche Auftraggeber sich nicht darauf beschränken darf, die Zuschlagskriterien als solche zu benennen, sondern den Bietern auch von ihm zu den Zuschlagskriterien aufgestellte Unterkriterien ("alle Zuschlagskriterien") mitzuteilen hat, um so die Transparenz des Verfahrens und die Chancengleichheit der Bieter zu gewährleisten (vgl. Senat, Beschl. v. 16.2.2005, VII-Verg 74/04, VergabeR 2005, 364, 370; Beschl. v. 23.3.2003, Verg 77/03; Beschl. v. 19.7.2006; VII-Verg 27/06, Umdruck S. 19; Beschl. v. 16.11.2005, VII-Verg 59/05, Umdruck S. 11; Beschl. v. 23.1.2008, VII-Verg 31/07, Umdruck S. 9). Dies gilt sowohl für im Voraus, das heißt vor Veröffentlichung der Bekanntmachung und Übersendung der Verdingungsunterlagen aufgestellten Unterkriterien (so auch OLG München, Beschl. v. 28.4.2006, Verg 6/06), als auch für danach (nach Veröffentlichung der Bekanntmachung und Übersendung der Verdingungsunterlagen) aufgestellte Unterkriterien und ihre Gewichtung (so Thüringer OLG VergabeR 2007, 522, 525; a.A. offenbar OLG München, aaO; OLG Dresden, Beschl. v. 6.4.2004, WVerg 01/04, VergabeR 2004, 609, 613.). Eine Festlegung der Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung sowie der Unterkriterien und ihrer Gewichtung nach Ablauf der Angebotsfrist und in Kenntnis der eingereichten Angebote ist dem Auftraggeber ohnedies verwehrt, da dies dem Auftraggeber Raum für Manipulationen eröffnen würde (vgl. Senat, Beschl. v. 19.7.2005, VII-Verg 27/06, Umdruck S. 19; OLG Dresden, Beschl. v. 6.4.2004, WVerg 01/04, VergabeR 2004, 609, 613). Der EuGH hat mit Urteil vom 24. November 2005 (Rs. C 331/04, VergabeR 2007, 202) entschieden und/oder seine Entscheidung ist jedenfalls so zu verstehen, dass eine nachträgliche Änderung, Ergänzung oder Neueinführung von Zuschlagskriterien oder Aufstellung von Unterkriterien und/oder ihrer Gewichtung den dargestellten Beschränkungen unterliegt (vgl. auch Urteil vom 21.1.2008, C-532/06).

Ein Verstoß der Antragsgegnerin gegen die so zu verstehenden Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung ist in der Unterlassung einer Bekanntgabe der zu dem Zuschlagskriterium "Reinigungsstunden Unterhaltsreinigung" aufgestellten Unterkriterien, (nämlich die nach Raumgruppen aufgestellten Richtleistungsspannen und die dazu gebildeten Mittelwerte) zu sehen. Die Richtleistungen pro Raumgruppe sind Unterkriterien des Zuschlagskriteriums Reinigungsstunden (vgl. Senat, Beschl. v. 16.11.2005, VII-Verg 59/05, Umdruck S. 11). Diese Richtleistungen Unterhaltsreinigung lagen der Antragsgegnerin spätestens am 14. November 2006, also noch vor Veröffentlichung der Vergabebekanntmachung am 28. Juni 2007, vor. Sie hätten daher ohne weiteres in die Verdingungsunterlagen eingearbeitet und mit diesen versandt werden können.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin handelt es sich bei den Stundenrichtleistungen bzw. den Standardzeitwerten nicht um Eignungskriterien im Sinne des § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A. Die Eignungsprüfung hat sich gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A darauf zu erstrecken, ob die Bieter die für die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen erforderliche Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit besitzen. Die Prüfung der fachlichen Eignung wird vom öffentlichen Auftraggeber anhand der Kriterien der wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Leistungsfähigkeit vorgenommen. Dagegen stützt sich die Erteilung des Zuschlags auf die in Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18/EG aufgezählten Kriterien, das heißt entweder auf den niedrigsten Preis oder das wirtschaftlich günstigste Angebot, gemessen am Preis, der Qualität, dem technischen Wert, etc. Als Zuschlagskriterien sind nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH, Urt. v. 24.1.2008, Rs. C 532/06) alle Kriterien ausgeschlossen, die nicht der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen, sondern die im Wesentlichen mit der Beurteilung der fachlichen Eignung der Bieter für die Ausführung des betreffenden Auftrags zusammenhängen. Umgekehrt sind als Eignungskriterien alle Zuschlagskriterien ausgeschlossen, also auch die Qualität. Auch wenn der öffentliche Auftraggeber die Richtleistungen als Eignungskriterien in der Bekanntmachung (falsch) bezeichnet hat, stellt dies nur eine falsa demonstratio dar. Die eigenen Vergabevermerke belegen jedoch, dass die Antragsgegnerin ebenfalls die wahre Rechtsnatur dieses Kriteriums erkannt hatte. Ebenso wie beispielsweise Referenzen als Eignungskriterien nicht auch als Zuschlagskriterien verwendet werden dürfen (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 28.2.2006, 11 Verg 15/05), so dürfen umgekehrt auch Stundenrichtwerte, die Zuschlagskriterien sind, nicht als Eignungskriterien doppelt verwertet werden. Wie der Senat bereits mit Beschluss vom 16. November 2005 (VII-Verg 59/05, Umdruck S. 9) ausgeführt hat, sind die Richtleistungen bzw. Richtwerte mitbestimmend für die erreichbare Qualität der Reinigungsdienstleistungen. Je niedriger die Stundenrichtwerte sind, desto höher ist voraussichtlich die Qualität der angebotenen Reinigungsdienstleistungen. Nur insofern kommt den Richtleistungen eine Doppelqualifikation zu, als sie einerseits die Qualität der zu erbringenden Reinigungsleistungen mitfestlegen und damit ein Teil der Leistungsbeschreibung sind, andererseits ist die Qualität der zu erbringenden Leistung auch zweites Zuschlagskriterium neben dem Preis.

Die Leistungsbeschreibung ist durch die unterlassene Angabe der Richtleistungen zugleich unklar im Sinne des § 8 VOL/A, weil die Bieter nicht wissen, in welcher Qualität sie die Reinigungsleistungen erbringen sollten (vgl. auch Art. 23 Abs. 1, Abs. 2 VRR (Richtlinie 2004/18/EG)). Allein der Auftraggeber bestimmt aber das Maß an Qualität, das er von der Leistung erwartet (vgl. Senat, Beschl. v. 16.11.2005, VII-Verg 59/06, Umdruck S. 9/10). Ihm kommt dabei ein Ermessen zu. Ermessensfehler sind im Streitfall nicht ersichtlich und auch nicht dargelegt.

Die von der Vergabekammer für das gegenteilige Ergebnis angeführten Erwägungen vermögen nichts an den rechtlichen Erfordernissen zu ändern.

Für die Annahme eines Kausalzusammenhanges zwischen der Bekanntgabe und dem Inhalt der Angebote genügt es, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Bekanntgabe der Stundenrichtleistungen die Angebote hätte beeinflussen können. Die Bekanntgabe der Stundenrichtleistungen je Raumgruppe hätte im Streitfall zu einer besseren Bewertung des Angebots führen können. Die Antragstellerin hat mit sehr hohen Richtleistungen je Raumgruppe kalkuliert. Hätte sie die Richtleistungen der Antragsgegnerin gekannt, so hätte sie sich bei der Vorbereitung des Angebots darauf einstellen und ein besseres Ergebnis erzielen können.

3. Da wegen des Vergaberechtsverstoßes ein Zuschlag nicht ergehen darf, ist der Antragsgegnerin die Erteilung des Zuschlags auf das Angebot der Beigeladenen zu untersagen. Die Antragsgegnerin hat nach ihrem Ermessen zu entscheiden, wie sie weiter verfährt. Da das Vergabeverfahren, wenn es fortgesetzt werden soll, in den Stand vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückzuversetzen ist, erhalten alle Bieter Gelegenheit, ein neues Angebot einzureichen.

4. Die Entscheidung über die Kosten und Aufwendungen im Verfahren vor der Vergabekammer beruht auf §§ 128 Abs. 3, Abs. 4 GWB, da die Entscheidung des Senats ein Unterliegen der Antragsgegnerin in der Sache bedeutet. Ein Teilunterliegen der Antragstellerin liegt nicht vor, denn der Hilfsantrag umfasst das Begehren des Hauptantrags. Die Antragsgegnerin hat die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Verfahrens vor der Vergabekammer zu tragen (vgl. § 128 Abs. 3 GWB). Als aufgrund einer Sachentscheidung Unterlegene hat sie ferner die außergerichtlichen Aufwendungen der Antragstellerin zu tragen. Entsprechend § 80 Abs. 3 Satz 2 VwVfG ist außerdem zu bestimmen, dass die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten vor der Vergabekammer notwendig war (vgl. BGH; Beschl. v. 26.9.2006, X ZB 14/06, VergabeR 2007, 59, 69).

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren und des Verfahrens nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO analog.

Die Beigeladene ist mangels Beteiligung am Verfahren nicht an deren Kosten zu beteiligen.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.

5. Der Inhalt der nicht nachgelassenen Schriftsätze der Antragsstellerin und der Antragsgegnerin vom 8. Februar und 13. Februar 2008 geben dem Senat keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen (§ 156 ZPO analog).

Ende der Entscheidung

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