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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 29.09.2008
Aktenzeichen: VII-Verg 50/08
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, GWB, VOL/A


Vorschriften:

ZPO § 148
BGB § 613 a
BGB § 613 a Abs. 1 Satz 1
GWB § 115 Abs. 1
GWB § 118
GWB § 118 Abs. 1 Satz 1
GWB § 118 Abs. 1 Satz 2
GWB § 118 Abs. 1 Satz 3
GWB § 121
GWB § 122
VOL/A § 2 Nr. 1 Abs. 2
VOL/A § 8 Abs. 1 Nr. 3
VOL/A § 8 Nr. 1 Abs. 3
VOL/A § 25 Nr. 2 Abs. 2
VOL/A § 25 Nr. 2 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln vom 13. August 2008, VK VOL 24/2008, wird abgelehnt. Der Senatsbeschluss vom 10. September 2008 ist damit gegenstandslos.

Der auf Gestattung des Zuschlags gerichtete Antrag der Antragsgegnerin vom 9. September 2009 ist gegenstandslos.

Der Antragsteller wird aufgefordert, dem Gericht bis zum 07. Oktober 2008 mitzuteilen, ob und gegebenenfalls mit welchen Anträgen das Rechtsmittel aufrechterhalten wird.

Die Verfahrensbeteiligten werden darauf hingewiesen, dass im Falle der Aufrechterhaltung der sofortigen Beschwerde mit Blick auf das Vorlageverfahren des Oberlandesgerichts Dresden und/oder das Vertragsverletzungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften entsprechend § 148 ZPO eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofs beabsichtigt ist.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin schrieb Ende April 2008 im nicht offenen Verfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb die Vergabe von Rettungsdienstleistungen (Gestellung von Einsatzfahrzeugen und Räumlichkeiten durch den Auftraggeber, des Personals und von weiteren Rettungsfahrzeugen durch den Auftragnehmer) für den Rettungsdienst der Stadt B... europaweit aus.

Gegenstand der Ausschreibung sind zum einen die Besetzung der Rettungstransportwagen (RTW) mit 24 Stunden Vorhaltung (Lose 1 bis 4) und mit 12 Stunden Vorhaltung (Lose 5 bis 8), zum anderen die Besetzung eines Disponenten in der Krankentransportleitstelle (Los 9) und die Gestellung und Besetzung von jeweils vier Krankentransportwagen (KTW) (Los 10 bis 13). Einziges Zuschlagskriterium sollte der Preis sein. Auf entsprechende Bewerbungen und nach Auswertung des Teilnahmewettbewerbs wurden der Antragsteller und drei weitere Bieter am 13. Juni 2008 zur Abgabe eines Angebots aufgefordert und den Teilnehmern die Verdingungsunterlagen übersandt.

Mit Schreiben vom 14. Juli 2008 rügte der Antragsteller u.a., dass die Kalkulationsgrundlagen für die Personalkosten nur unzureichend in den Verdingungsunterlagen bekannt gegeben worden seien. Nach der Entscheidung des LAG Köln vom 19. Oktober 2007 (11 Sa 698/07, ArbuR 2008, 275 - Ls) liege in der Neuvergabe von Rettungsdienstleistungen durch einen Auftraggeber an einen anderen Auftragnehmer auch ohne Übernahme eines nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des vom bisherigen Auftragnehmer eingesetzten Personals ein Betriebsübergang im Sinne von § 613 a BGB. Die Bieter müssten die Angebotspreise mit einem Betriebsübergangszuschlag kalkulieren. Um diese Kalkulation auf eine verlässliche Grundlage stellen zu können, sei es erforderlich, die Konditionen, zu denen die zu übernehmenden Rettungsdienstmitarbeiter derzeit beschäftigt werden, zu kennen. Die Antragsgegnerin wies die Rüge mit der Begründung zurück, es sei ihr rechtlich und tatsächlich unmöglich, den Bietern die gewünschte Auskunft zu erteilen, da sie weder selbst das Personal der Rettungswachen beschäftige noch ihr die Kalkulationsgrundlagen von den bisherigen Rettungsdienstleistern trotz entsprechender Bemühungen zur Verfügung gestellt worden seien.

Alle zur Angebotsabgabe aufgeforderten Bieter reichten Angebote ein. Die Antragsgegnerin beabsichtigte, den Zuschlag für die Lose 1 bis 8 losweise auf die Angebote des A... und der J... zu erteilen. Den Zuschlag für die Lose 10 und 11 sollte demgegenüber das Angebot des Antragstellers erhalten.

Der Antragsteller beanstandete dies mit zwei weiteren Rügeschreiben und reichte unter dem 11. August 2008 einen Nachprüfungsantrag bei der zuständigen Vergabekammer ein. Die Vergabekammer wies am 13. August 2008 den Nachprüfungsantrag als offensichtlich unzulässig zurück, ohne ihn der Antragsgegnerin zuzustellen. Sie nahm an, die Vergabe von Rettungsdienstleistungen unterliege nicht dem sachlichen Anwendungsbereich des Vergaberechts. Am selben Tag reichte der Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Verwaltungsgericht Köln ein. Das Verwaltungsgericht Köln lehnte den Antrag mit Beschluss vom 29. August 2008 als unzulässig ab.

Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller sofortige Beschwerde am 19. August 2008 eingelegt und am 2. September 2008 beantragt, den Nachprüfungsantrag der Antragsgegnerin zuzustellen. Der Senat hat die Zustellung noch am selben Tage veranlasst und bewirkt.

Ferner hat der Antragsteller am 5. September 2008 beantragt,

die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde anzuordnen.

Dem ist die Antragsgegnerin entgegengetreten und beantragt,

den Antrag nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB abzulehnen,

ihr nach § 121 GWB die Fortsetzung des Vergabeverfahrens und die Erteilung des Zuschlags an die Mindestbietenden zu gestatten.

Sie begründet dies mit der Eilbedürftigkeit der Auftragsvergabe und führt dazu aus:

Die Verträge mit den bisherigen Leistungserbringern seien fristgerecht zum 31. Dezember 2008 gekündigt worden. Die nicht mehr beteiligten Anbieter hätten inzwischen Maßnahmen vorgenommen, die nicht mehr rückgängig zu machen seien. Wenn der Zuschlag nicht mehr bis zum 30. September 2009 erteilt werde, so müssten die Bieter ihren Mitarbeitern wegen der zu berücksichtigenden Kündigungsfristen noch bis zum 30. September 2009 kündigen.

Mit Beschluss vom 10. September 2008 hat der Senat die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde einstweilen bis zur Entscheidung über den Antrag nach § 118 Abs. 1 Satz 1 GWB verlängert.

Der Antragsteller beantragt,

den Antrag nach § 121 GWB zurückzuweisen.

Er macht geltend, die Auftragsdurchführung für die Zeit nach dem 31. Dezember 2008 sei gesichert. Er habe sich gegenüber der Antragsgegnerin schon im April 2008 bereit erklärt, auch über den 31. Dezember 2008 hinaus den Rettungsdienst fortzuführen. Auch A... und M... hätten keine Dispositionen zur Reduzierung ihrer rettungsdienstlichen Vorhaltungen getroffen. Der Rettungsdienst sei ab dem 1. Januar 2009 nicht gefährdet.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitsstandes wird auf die Schriftsätze und auf die vorgelegten Anlagen Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde wird abgelehnt. Damit ist der Antrag nach § 121 GWB mangels Rechtsschutzbedürfnisses der Antragsgegnerin gegenstandslos. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist wahrscheinlich unbegründet. Für die Ablehnung der Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ist entscheidend, dass der Nachprüfungsantrag - seine Zulässigkeit unterstellt - in der Sache selbst wohl keine Aussicht auf Erfolg hat.

1. Das Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit des Verfahrens (§ 17 Abs. 1 Satz 2 GVG) steht einer Entscheidung des Senats über den Antrag nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB (und nach § 121 GWB) allerdings nicht entgegen. Zur Begründung wird auf die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 10. September 2008 verwiesen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Beschwerdeverfahren vor den Vergabesenaten kein echtes Hauptsacheverfahren ist, sondern einem einstweiligen Verfügungsverfahren gleichsteht, da es einem besonderen Beschleunigungsbedürfnis unterliegt.

2. Der Senat lässt offen, ob der Nachprüfungsantrag statthaft ist. Die Frage, ob die streitgegenständliche Ausschreibung in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG fällt und damit dem Vergaberechtsregime des GWB (4. Teil) unterliegt (vgl. Burgi, NVwZ 2007, 383) oder aber eine Bereichsausnahme nach Art. 45, 55 EG (vgl. Senat, Beschl. v. 5.4.2006, VII-Verg 7/06, Umdruck S. 4 ff) eingreift, ist Gegenstand eines Vorlagebeschlusses des Oberlandesgerichts Dresden vom 4. Juli 2008 (WVerg 3/08) und eines Vertragsverletzungsverfahrens der Europäischen Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland (vgl. Klageschrift der Kommission vom 16.4.2008, ABl. v. 15.8.2008, C 209/19, Rs. C -160/08).

Ob das Vergabeverfahren dem sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG unterfällt, muss im Eilverfahren nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB nicht entschieden werden. Es kann ungeklärt bleiben, da die Verfahrensbeteiligten im vorliegenden Verfahren darüber nicht streiten, die Entscheidung über den Eilantrag keine materielle Rechtskraftwirkung entfaltet, der Nachprüfungsantrag in der Sache selbst mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos ist und deshalb im Interesse der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens das Zuschlagsverbot dann nicht weiter andauern darf (vgl. § 115 Abs. 1 GWB, § 118 Abs. 3 GWB und § 121 GWB).

Diese Sachbehandlung erscheint dem Senat mit Blick darauf, dass so unter Umständen lang anhaltende Verzögerungen der Auftragsvergabe durch eine Aussetzung des Vergabeverfahrens vermieden werden können, sachgerecht. Steht mit der im Eilverfahren erforderlichen Gewissheit fest, dass der Nachprüfungsantrag unbegründet ist, wäre es sinnwidrig, den Auftraggeber weiter an einem Zuschlag zu hindern, weil die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags noch nicht höchstrichterlich geklärt ist. Der unterlegene Verfahrensbeteiligte wird dadurch nicht gesetzwidrig beschwert, da die Eilentscheidung nicht in Rechtskraft erwächst. Zwar geht der Auftrag verloren. Doch dies beruht auf der nach den Maßstäben des § 118 GWB zu treffenden Eilentscheidung. Zudem kann der Antragsteller einen Feststellungsantrag stellen.

a. Der Antragsteller kann weder die Unterlassung des Zuschlags, den Ausschluss der Angebote der übrigen Bieter und die Wiederholung der Angebotswertung noch die hilfsweise begehrte Aufhebung des Vergabeverfahrens hinsichtlich der Lose 1 bis 8 bzw. des gesamten Vergabeverfahrens verlangen.

aa) Das Leistungsverzeichnis ist nicht unklar bzw. eine etwaige Unklarheit ist rechtzeitig vor Angebotsabgabe durch die Antragsgegnerin geheilt worden. Der Antragsteller ist jedenfalls wahrscheinlich nicht dadurch in Rechten verletzt worden, dass die Antragsgegnerin es unterlassen hat, im Leistungsverzeichnis die Bieter darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Köln eine Betriebsteilübernahme auch dann vorliegt, wenn bei einer Neuvergabe des Auftrags nur materielle Betriebsmittel vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden. Auf diese Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Köln hat die Antragsgegnerin ausweislich der Vergabeakte alle zur Angebotsabgabe aufgeforderten Bieter mit Schreiben vom 26. Juni 2006 hingewiesen. Dies geschah so rechtzeitig vor Ablauf der Angebotsfrist am 23. Juli 2008, dass alle Bieter einschließlich der Antragstellerin vor Ablauf der Submissionsfrist ihre Kalkulation überarbeiten und einen Betriebsübergangszuschlag aufnehmen konnten. Eine etwaige Unklarheit der Verdingungsunterlagen ist mithin nachträglich, aber rechtzeitig von der Antragsgegnerin beseitigt worden.

bb) Die vom Antragsteller an den Vergabeunterlagen vorgebrachten Beanstandungen sind unbegründet. Das Leistungsverzeichnis weist keine ungewöhnlichen Wagnisse auf (§ 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A). § 8 Abs. 1 Nr. 3 VOL/A gebietet dem Auftraggeber, dem Auftragnehmer keine ungewöhnlichen Wagnisse aufzuerlegen. Ein ungewöhnliches Wagnis im Sinne des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A liegt vor, wenn es Umstände oder Ereignisse betrifft, auf die der Auftragnehmer keinen Einfluss hat und deren Auswirkung auf Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann. Dabei kann die Ungewöhnlichkeit der Leistung sowohl im rechtlichen Bereich, nämlich in der Art der Vertragsgestaltung, als auch im tatsächlichen Bereich liegen. Ein ungewöhnliches Wagnis ist jedoch nicht darin zu sehen, dass im Falle der Auftragsvergabe wegen der Zurverfügungstellung der sachlichen Betriebsmittel durch den Auftraggeber im arbeitsrechtlichen Sinne eine Teilbetriebsübernahme (§ 613a BGB) anzunehmen sein könnte. Die Gestellung von Personal bei der Erbringung einer Dienstleistung geschieht zwar in aller Regel in der Form, dass der Bieter sein eigenes vorhandenes Personal einsetzt oder aber zur Auftragsdurchführung benötigtes Personal rechtzeitig von ihm zu Vertragsbeginn neu eingestellt wird. Nach der Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Köln soll aber eine Neuvergabe von Rettungsdienstleistungen an einen anderen Auftragnehmer durch einen Auftraggeber auch ohne Übernahme eines nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des vom bisherigen Auftragnehmer eingesetzten Personals als Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB zu qualifizieren sein, wenn der Auftraggeber für die Durchführung der Dienste sämtliche materiellen Betriebsmittel (wie Wachgebäude, Fahrzeug und Ausrüstungsgegenstände) zur Verfügung stellt. Dies soll zur Folge haben, dass bei einer Neuvergabe eine zuvor ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung durch den alten Auftragnehmer eines Arbeitsverhältnisses mit einem Rettungsdienstmitarbeiter unwirksam ist und das wirksam begründete Arbeitsverhältnis mit dem neuen Unternehmen nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB mindestens für die Dauer eines Jahres fortbesteht, weil es im Wege des Betriebsteilsüberganges auf den neuen Auftragnehmer übergegangen ist. Auch im vorliegenden Vergabeverfahren soll nach dem Leistungsverzeichnis der Auftragnehmer das Personal für die Rettungsfahrzeuge bereitstellen, während die sachlichen Betriebsmittel (Feuerwache und Rettungsfahrzeuge) vom Auftraggeber überlassen werden.

Der Senat kann im Streitfall für die Beurteilung der vergaberechtlichen Frage, ob in der Personalübernahme ein ungewöhnliches Wagnis liegt, die arbeitsrechtliche Beurteilung durch das Landesarbeitsgericht Köln als richtig unterstellen. Es trifft zwar zu, dass der Auftragnehmer keinen Einfluss auf die Frage hat, ob er Altpersonal zu übernehmen hat. Es ist Sache des ursprünglichen Auftragnehmers zu entscheiden, ob er das von ihm beschäftigte Personals trotz des Verlustes des Auftrages anderweitig einsetzen kann (etwa weil es ihm gelungen ist, einen anderen Rettungsauftrag in einem benachbarten Kreis oder Gemeinde zu akquirieren) oder er eine (unwirksame) Kündigung ausspricht und der Mitarbeiter vom Nachfolger wegen eines Betriebsüberganges weiterbeschäftigt werden muss.

Der Bieter ist nicht außer Stande, die durch die Personalübernahme entstehenden Kosten und ihren Einfluss auf seinen Angebotspreis zu berechnen. Zwar hat die Antragsgegnerin es unterlassen, konkrete Angaben zu den Standorten der einzelnen, den Losen Nr. 1 und 8 zugeordneten Rettungswagen und den bisherigen Auftragnehmern, welche die RTW an den betreffenden Standorten besetzen zu machen und den Bietern vor Angebotsabgabe mitzuteilen, in welchem Umfang das auf den vier Rettungswachen derzeit vorhandene Personal zu welchen Gehaltsstrukturen zu übernehmen ist.

Die Annahme des Antragstellers, ihm sei es nicht möglich, die auf ihn im Wege der Betriebsübernahme zukommenden Personalkosten je Los zu berechnen, ist unzutreffend. Die konkreten Gehaltsstrukturen des zu übernehmenden angestellten Personals musste der Antragsteller nicht kennen. Die Leistungsbeschreibung verlangt von den Bietern, die Gestellung von Personal je Rettungswagen bzw. Krankentransportwagen für die Dauer von 24 Stunden. Der Antragsteller ist seit Jahrzehnten auf dem Markt der Versorgung der Kreise und kreisfreien Städte mit Rettungsdienstleistungen als Anbieter wirtschaftlich tätig. Er kennt die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften (Rettungsgesetz; Rettungsassistentengesetz) und weiß, wie er die Rettungsfahrzeuge mit Rettungssanitätern, Rettungsassistenten und Rettungshelfern in drei Schichten im 24-Stunden-Betrieb zu besetzen hat. Er hat auch detaillierte Kenntnisse und Erfahrungswerte darüber, wieviel Zusatzpersonal für Urlaube und für Krankheitsfälle je zu besetzendes Fahrzeug vorzuhalten ist. Der größte Teil der Personalkosten ist zudem tariflich festgelegt. Er selbst hat einen eigenen Haustarifvertrag mit der Gewerkschaft V... (DRK-Reformtarifvertrag) geschlossen (vgl. § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB). Darüber hinaus sind ihm auch die einschlägigen tariflichen Bestimmungen über das Gehalt, das Urlaubsgeld, der tariflichen Wechselschichtzuschläge sowie die gesetzlichen Abgaben (Steuern, Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge, etc.) seiner Konkurrenten (J..., M..., A...) bekannt. Die J... und der M... wenden die Arbeitsrechtsregelung über die Anwendung der Arbeitsvertragsrichtlinen des D... der E... (AR-AVR) an. Der A... verfügt, soweit nicht der BAT angewandt wird, ebenfalls über eigene (mit der Gewerkschaft V... ausgehandelte) Tarifverträge, die frei zugänglich sind (vgl. §§ 6-8 TVG).

Ein etwaiger Wagniszuschlag, der die jeweilige aktuelle Eingruppierung in die Entgeltgruppen der Tarifverträge, Einstufung, Kinderzahl, anzurechnende Berufszeiten, Verweildauer in der jeweiligen Entgeltgruppe, Dauer der Beschäftigungszeit, Besitzstandszulagen, oder ausgeübte Sonderfunktionen berücksichtigte, konnte deshalb gering ausfallen. Der Antragsteller mache geltend, er habe selbst mit Preisdifferenzen in Höhe von 10,81 % bis zu 23,35% bei den einzelnen Losen gerechnet, ohne allerdings darzulegen, dass diese sich aus den kalkulierten Wagniszuschlägen ergeben. Preisunterscheide zwischen den Angeboten sind allein wegen der unterschiedlich angesetzten Gewinnmargen der Bieter nicht nur nicht auszuschließen, sondern wahrscheinlich. Zudem fällt bei der Preiskalkulation noch ins Gewicht, dass auch der Antragsteller - ebenso wie seine drei Wettbewerber - in einem nicht unerheblichen Umfang ehrenamtliche Mitglieder einsetzen. Eine vollständige Kenntnis der Gehaltsstrukturen des derzeit auf den vier Rettungswachen beschäftigten Rettungspersonals hätte im übrigen zur Folge, dass der Geheimwettbewerb zwischen den Bietern nicht zu wahren wäre, denn die Gehaltskosten bilden neben den Kosten für den Unterhalt und den Betrieb der Rettungsfahrzeuge den größten Kostenfaktor bei der Kalkulation des Gesamtpreises.

cc) Die Angebote der Bieter, die den Zuschlag erhalten sollen, sind nicht von der Wertung wegen Unvollständigkeit der Preisangaben auszuschließen. Damit ein Angebot gewertet werden kann, ist jeder in der Leistungsbeschreibung vorgesehene Preis so - wie gefordert - vollständig und mit dem Betrag anzugeben, der für die betreffende Leistung beansprucht wird (vgl. BGH, Urt. v. 18.5.2004, X ZB 7/04, Umdruck S.). Von einer unvollständigen Preisangabe kann mithin nur ausgegangen werden, wenn (bezüglich sämtlicher oder) zumindest im Hinblick auf eine einzigen Ordnungsziffer des Leistungsverzeichnisses dargelegt wird, dass zwar - wie vom Auftraggeber gefordert - ein Preis angegeben wurde, dieser aber dem tatsächlich vom Bieter beanspruchten Preis nicht entspricht und damit die Preisangabe unvollständig ist. Es kann dahinstehen, ob die übrigen drei Bieter mit einem Wagniszuschlag kalkuliert haben. Entscheidend ist, dass sie hierzu jedenfalls ausreichend Gelegenheit hatten. Sollten die Bieter einen Wagniszuschlag nicht einkalkuliert haben, so können sie einen höheren Preis aufgrund der Betriebsübernahme später jedenfalls nicht mehr beanspruchen.

dd) Der Antragsteller kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Antragsgegnerin habe ihre Pflicht, die Auskömmlichkeit der beiden zu bezuschlagenden Angebote zu überprüfen verletzt. § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A sieht vor, dass der Auftraggeber die Einzelposten des Angebotes überprüft, wenn es im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheint. Die Pflicht des öffentlichen Auftraggebers, ein auf erste Sicht ungewöhnlich/unangemessen niedrig erscheinendes Angebot zu überprüfen, hat zwar bieterschützenden Charakter. § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A entfaltet diese Wirkung aber nicht zugunsten des Antragstellers, sondern nur zugunsten desjenigen Bieters, dessen Angebot wegen Unauskömmlichkeit des Preises von einem Ausschluss bedroht ist. Unterlässt der Auftraggeber eine Prüfung, kann (nur) der vom Ausschluss seines Angebots betroffene Bieter im Nachprüfungsverfahren erzwingen, dass das Vergabeverfahren in den Stand zurückversetzt wird, in dem der Auftraggeber diese Prüfung nachholen kann. Aufgrund der Beschwerde des Antragstellers kann die Auskömmlichkeit der Kalkulation des Beigeladenen dagegen nicht zum Gegenstand einer Überprüfung werden. Im Übrigen hat die Antragsgegnerin die Auskömmlichkeit der Angebote geprüft und bejaht.

Nach Lage der Dinge hat auch die Berufung des Antragstellers auf § 25 Nr. 2 Abs. 3 VOL/A keinen Erfolg. Dieser Norm misst der Senat grundsätzlich keine dem Schutz des Mitbewerbers gegen den Billigbewerber dienende Wirkung zu (vgl. Beschl. v. 19.12.2000, VergabeR 2001, 128 f.; Beschluss v. 17.6.2002, BZBau 2002, 627 f.). Die Vorschrift dient in erster Linie dem Schutz des öffentlichen Auftraggebers (vgl. auch BayObLG, Beschl. v. 12.9.2000, VergabeR 2001, 65, 69). Dieser soll vor den Gefahren geschützt werden, die daraus erwachsen, dass der Preis und die zu erbringende Leistung nicht in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, nämlich vor der Gefahr, dass die Leistung vom Bieter nicht ordnungsgemäß erbracht werden kann. Der Auftraggeber ist grundsätzlich aber nicht daran gehindert, einem niedrigen, nicht kostendeckenden Angebot den Zuschlag zu erteilen, denn es ist nicht seine Sache dafür zu sorgen, dass der Auftragnehmer auskömmliche, das heißt in jeder Hinsicht kostendeckende Aufträge erhält. Ausnahmsweise billigt der Senat der Vorschrift dann bieterschützende Wirkung zu, wenn es für den Auftraggeber angesichts seiner aus § 2 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A folgenden Verpflichtung wettbewerbsbeschränkende und unlautere Verhaltensweisen zu beschränken, geboten ist, das Angebot auszuschließen. Dazu hat der Senat Fälle von Angeboten unter Einstandspreisen gezählt, die in der zielgerichteten Absicht abgegeben werden oder die zumindest die Gefahr begründen, dass bestimmte Wettbewerber vom Markt - nicht aus dem konkreten Vergabeverfahren - verdrängt werden. Ferner gehören dazu solche Unterkostenangebote, bei deren Ausführung der Bieter voraussichtlich in so erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät, dass er die Auftragsdurchführung abbrechen muss, und andere Bieter - z.B. infolge anderweiter Dispositionen - nicht mehr in der Lage sind, den Auftrag weiter auszuführen. Es ist schon nicht feststellbar, dass im Streitfall Unterkostenangebote vorliegen.

Eine Absicht der beiden Konkurrenten, den Antragsteller mittels (nicht feststellbarer) Unter-Kostenpreise gezielt vom einschlägigen Markt fernzuhalten, ist nicht festzustellen. Der Antragsteller trägt ferner nicht vor, die beiden Wettbewerber seien wegen einer Unterkostenkalkulation voraussichtlich gezwungen, die Auftragsdurchführung abzubrechen, und er selbst oder andere Unternehmen seien nicht in der Lage, in die Auftragsausführung einzutreten. Dies ist nach den stichhaltigen Feststellungen der Antragsgegnerin zur Kostendeckung der Kalkulation des Angebotspreises weder wahrscheinlich noch anzunehmen.

Der Fall, dass ein Zuschlag auf die Angebote nicht ergehen darf, ist deswegen nicht gegeben.

Deshalb liegen auch schon die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 25 Nr. 2 Abs. 3 VOL/A nicht vor.

Allerdings bejahten einige Oberlandesgerichte (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 30.4.1999, NZBau 2000, 105; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.10.2003, NZBau 2004, 117,118 und Thüringer OLG, Beschl. v. 22.12.1999, NZBau 2000, 349, 352) uneingeschränkt einen bieterschützenden Charakter von § 25 Nr. 2 Abs. 3 VOL/A (und/oder der entsprechenden Vorschrift in § 25 Nr. 3 Abs. 1 VOB/A). Inzwischen haben das OLG Celle (VergabeR 2004, 397, 405), das BayObLG (VergabeR 2004, 743, 745; offen gelassen: OLG München, Beschl. v. 11.5.2007, Verg 4/07, Tz. 39, VergabeR 2007, 536-542 ) und das OLG Koblenz (VergabeR 2006, 392, 401 f.) - mit allenfalls geringen Abweichungen - jedoch genauso entschieden wie der Senat, was auf eine Durchsetzung seiner zwischen den entgegengesetzten Ansichten (bieterschützende Wirkung der Normen oder deren Verneinung) vermittelnden Auffassung hindeutet. Eine Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof ist deshalb nicht geboten (vgl. § 124 Abs. 2 GWB). Sie scheidet auch schon deswegen aus, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 25 Nr. 2 Abs. 3 VOL/A nicht gegeben sind, die Rechtsfrage infolgedessen nicht entscheidungserheblich ist und eine Vorlage mit dem Eilcharakter der - wie hier - im Verfahren über den Antrag nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB zu treffenden Entscheidung nicht zu vereinbaren ist (vgl. auch Jaeger in Byok/Jaeger, § 124 GWB Rn. 1246).

2. Für den Antrag des Antragsgegners auf vorzeitigen Zuschlag besteht kein Rechtsschutzbedürfnis. Da die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen hat, endete das Zuschlagsverbot des § 115 Abs. 1 GWB grundsätzlich zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist, § 118 Abs. 1 S. 2 GWB. Über den Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB wird im Wesentlichen nach denselben Kriterien entschieden wie über einen Antrag auf Gestattung des vorzeitigen Zuschlags. Ein Rechtsschutzbedürfnis für einen derartigen Antrag besteht daher allenfalls für den Zeitraum vor Ablauf der in § 118 Abs. 1 S. 2 GWB genannten Frist oder - bei Änderung der Sach- und Rechtslage - nach erfolgter Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde (vgl. Jaeger, in Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Aufl., § 121 GWB, Rdnr. 1214). Beides ist hier nicht der Fall; der Antrag ist derart kurz vor Ablauf der Frist des § 118 Abs. 1 S. 2 GWB gestellt worden, dass er ersichtlich, insbesondere bei Wahrung des rechtlichen Gehörs der Antragstellerin, nicht mehr vorher hätte beschieden werden können, über den Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ist gleichzeitig mit dem Antrag auf die Gestattung des vorzeitigen Zuschlags zu entscheiden.

Klarstellungshalber ist darauf hinzuweisen, dass mit dieser Entscheidung die Wirkungen des § 122 GWB nicht verbunden sind.

3. Eine Kostenentscheidung ist im Eilverfahren nicht erforderlich.

Ende der Entscheidung

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