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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 18.12.2006
Aktenzeichen: VII-Verg 51/06
Rechtsgebiete: GWB, VwVfG, ZPO


Vorschriften:

GWB § 98 Nr. 2
GWB § 112 Abs. 1 S. 2
GWB § 128
GWB § 128 Abs. 3
GWB § 128 Abs. 4
GWB § 128 Abs. 4 S. 2
GWB § 128 Abs. 4 S. 3
VwVfG § 80
VwVfG § 80 Abs. 1
ZPO § 269 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes vom 19. September 2006, VK 2-89/06, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 1.500 Euro festgesetzt.

Gründe:

I. Die Antragsgegnerin, eine gesetzliche Krankenkasse, wendet sich mit der sofortigen Beschwerde dagegen, dass die Vergabekammer ihr nach Rücknahme des Nachprüfungsantrags durch die Antragstellerin eine Erstattung entstandener Aufwendungen, insbesondere von Rechtsanwaltskosten, verweigert hat. Die Antragstellerin hatte den Nachprüfungsantrag zurückgenommen, nachdem Schriftsätze gewechselt worden waren und die Vergabekammer bekanntgegeben hatte, der Antrag sei nach § 112 Abs. 1 S. 2 GWB ohne mündliche Verhandlung als unzulässig abzulehnen.

Dagegen hat die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde erhoben. Sie will damit erreichen, dass der Antragstellerin die ihr, der Antragsgegnerin, im Verfahren der Vergabekammer entstandenen Aufwendungen auferlegt werden. Die Antragsgegnerin begründet dies mit einer Auslegung von § 128 GWB sowie mit verfassungsrechtlichen Überlegungen. Sie hält die von der Vergabekammer angeordnete Kostenfolge für unbillig.

Die Antragstellerin tritt dem entgegen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze und die angefochtene Entscheidung der Vergabekammer Bezug genommen.

II. Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.

Die Antragsgegnerin hat nach Rücknahme des Nachprüfungsantrags durch die Antragstellerin keinen Anspruch auf Auslagenerstattung.

a) Der Nachprüfungsantrag kann bis zur Bestandskraft einer Entscheidung der Vergabekammer und - wie im vorliegenden Fall - erst recht vor Ergehen einer Entscheidung der Vergabekammer vom Antragsteller wirksam zurückgenommen werden. Aufgrund der Rücknahmeerklärung des Antragstellers ist eine Entscheidung über die Kosten und die Auslagen zu treffen. Die Kostenentscheidung der Vergabekammer kann wie jede das erstinstanzliche Nachprüfungsverfahren abschließende Entscheidung durch sofortige Beschwerde zur Überprüfung gestellt werden (vgl. § 116 Abs. 1 GWB). Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats. Die sofortige Beschwerde ist im vorliegenden Fall ungeachtet des Umstands zulässig, dass der Nachprüfungsantrag möglicherweise unstatthaft war, da er sich gegen eine gesetzliche Krankenkasse richtete (vgl. BayObLG NZBau 2004, 623). Die dadurch aufgeworfene Rechtsfrage, ob gesetzliche Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB anzusehen sind, muss bei der hier anstehenden Überprüfung der von der Vergabekammer getroffenen Auslagenentscheidung nicht beantwortet - und vor allen Dingen nicht bejaht - werden. Denn auch ein unstatthafter Nachprüfungsantrag kann - mit den gesetzlich eintretenden Kostenfolgen - vom Antragsteller zurückgenommen werden.

b) 1. Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat durch Beschluss vom 25.10.2005 (X ZB 22/05, VergabeR 2006, 73) entschieden, nach Rücknahme des Nachprüfungsantrags im Verfahren vor der Vergabekammer finde eine Erstattung von Auslagen des Antragsgegners grundsätzlich nicht statt. Hieran ist festzuhalten. Dagegen hat die Antragsgegnerin auch nichts Stichhaltiges eingewandt. Die Beschwerdebegründung zeugt vielmehr davon, dass die Entscheidung des BGH nicht vollends verstanden worden ist. § 128 Abs. 4 S. 2 GWB ist - was die Auslagenentscheidung im Fall einer Rücknahme des Nachprüfungsantrags anbelangt - entgegen der Meinung der Antragsgegnerin gerade nicht im Lichte der Bestimmung des § 128 Abs. 3 GWB zu verstehen, da sich jene Vorschrift nur über die Kosten des Verfahrens der Vergabekammer, nicht jedoch über die Auslagen, verhält, sofern der Nachprüfungsantrag von der Vergabekammer nicht abschlägig beschieden worden ist (BGH aaO S. 74). Auch im vorliegenden Fall ist es zu keiner Sachentscheidung der Vergabekammer gekommen.

§ 269 Abs. 3 ZPO (oder eine entsprechende Regelung in anderen Verfahrensordnungen) ist - so die vom Senat geteilte Rechtsauffassung des BGH (aaO m.w.N.) - auf Antragsrücknahmen im erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahren gerade nicht entsprechend anzuwenden. Statt dessen nimmt § 128 Abs. 4 S. 3 GWB auf § 80 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) Bezug. Nach § 80 Abs. 1 VwVfG ist eine dem Antragsteller nachteilige Auslagenentscheidung - und eine Auslagenerstattung für den Gegner - nur in Betracht zu ziehen, wenn er aufgrund einer Entscheidung der Vergabekammer unterliegt, nicht aber dann, wenn der Nachprüfungsantrag zurückgenommen worden ist. Der Gesetzgeber hat die Rechtslage bei der Auslagenerstattung im erstinstanzlichen Vergabenachprüfungsverfahren auf diese Weise bewusst derjenigen in verwaltungsrechtlichen Widerspruchsverfahren angeglichen. Dem entspricht die Erkenntnis, dass es sich beim Verfahren vor der Vergabekammer der Sache nach - wenn auch gerichtsverfahrensähnlich ausgestaltet - um ein Verwaltungsverfahren handelt. Von den Verwaltungsverfahren unterscheidet sich das Vergabenachprüfungsverfahren nicht dadurch, dass ihm oftmals ein Dreiecksverhältnis zwischen Antragsteller, Antragsgegner und dem bevorzugten Bieter als Beigeladenem zugrunde liegt. Dergleichen kommt bei einem Verwaltungshandeln mit Drittbezug typischerweise auch in Verwaltungsverfahren vor, ohne dass dies eine Ausnahme vom Grundsatz des § 80 Abs. 1 VwVfG gebietet. Abgesehen davon weist der vorliegende Fall tatsächlich keine Drittberührung auf. Es geht allein um die Frage, ob die Antragsgegnerin auf Rücknahme des Nachprüfungsantrags von der Antragstellerin eine Auslagenerstattung zu beanspruchen hat. Dies ist im Grundsatz zu verneinen. Unter Umständen kann in Fällen der vorliegenden Art im Wege einer erweiternden Normauslegung eine Auslagenentscheidung zugunsten des Antragsgegners zwar dann getroffen werden, wenn nach Lage des Einzelfalls der Rechtsbehelf des Nachprüfungsantrags oder die Rücknahme vom Antragsteller missbraucht worden sind. Davon kann in Ermangelung zureichender Anhaltspunkte hier jedoch nicht gesprochen werden. Denn die Antragsgegnerin hat in diese Richtung nichts Konkretes behauptet. Zu diesbezüglichen Amtsermittlungen ist der Senat nicht gehalten. Die Vergabenachprüfungsinstanzen haben den Sachverhalt nur ergänzend aufzuklären, sofern der Vortrag der Verfahrensbeteiligten dazu Anhaltspunkte gibt. Der allgemeine Vortrag der Antragsgegnerin, dass sich das Nachprüfungsverfahren bei der gegebenen Kostenrechtslage dazu eigne, vom Antragsteller zu verfahrensfremden Zwecken instrumentalisiert zu werden, rechtfertigt im Übrigen nicht, sich über die klare und vom Bundesgerichtshof im oben dargestellten Sinn interpretierte Gesetzeslage hinwegzusetzen, sofern - wie anzunehmen ist - Mittel zur Verfügung stehen, einem Missbrauch im Einzelfall wirksam zu begegnen.

2. Der von der Antragsgegnerin behauptete Verfassungsverstoß ist in der Auslagenentscheidung der Vergabekammer nicht zu sehen. Auch sind die zugrundeliegenden gesetzlichen Regelungen - die §§ 128 Abs. 4 GWB und 80 VwVfG - verfassungsgemäß. Darüber, ob - wie die Antragsgegnerin meint - die vorstehend genannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs verfassungswidrig ist, hat der Senat schlechterdings nicht zu befinden.

Sofern man der Antragsgegnerin als Körperschaft des öffentlichen Rechts überhaupt einen Grundrechtsschutz zuerkennen will, ist sie aufgrund der getroffenen Auslagenentscheidung insbesondere unter dem Gesichtspunkt der prozessualen Waffen- und Chancengleichheit nicht verletzt. Aus dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) ist zwar abzuleiten, dass in Bezug auf den Auslagenersatz unter den Beteiligten eines gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens grundsätzlich eine vergleichbare Rechtslage herzustellen ist. Ein allgemeingültiges Prinzip der Kosten- und Auslagenerstattung ist in den Verfahrensordnungen jedoch weder festgeschrieben, noch besteht von Rechts wegen eine Verpflichtung, in jedem Fall einer Verfahrensbeendigung eine Erstattung von Kosten und Auslagen vorzusehen (vgl. BVerfG NJW 1987, 2569, 2570 m.w.N.). Bei der Regelung der Erstattungstatbestände steht dem Gesetzgeber vielmehr ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Davon ist in der Weise Gebrauch gemacht worden, dass in Anlehnung an das verwaltungsrechtliche Widerspruchsverfahren (§ 80 Abs. 1 VwVfG) im Vergabenachprüfungsverfahren eine Auslagenerstattung nur vorgesehen ist, sofern die Vergabekammer eine Entscheidung getroffen hat, mit der das sachliche Begehren des Antragstellers ganz oder teilweise als unzulässig oder unbegründet abgelehnt worden ist (vgl. BGH VergabeR 2006, 73, 74). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollte die in § 128 GWB getroffene Kostenregelung neben einer Ausrichtung am Kostendeckungsprinzip bei der Inanspruchnahme der Nachprüfung keine abschreckende Wirkung entfalten (vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf vom 3.12.1997, BT-Drucksache 13/9340 zu § 137). Darum ist u.a. die Rücknahme des Nachprüfungsantrags der Zurücknahme einer Klage kostenrechtlich nicht gleichgestellt worden.

Dies ändert freilich nichts daran, dass sich Antragsteller und Antragsgegner im Fall der Rücknahme des Nachprüfungsantrags in einer vergleichbaren Kostensituation befinden. § 128 Abs. 4 GWB in Verbindung mit § 80 Abs. 1 VwVfG ordnet namentlich keine ungleiche Kostenbelastung zulasten des Antragsgegners an. Wird der Nachprüfungsantrag im Verfahren vor der Vergabekammer zurückgenommen, sollen Antragsteller und Antragsgegner die ihnen durch die Vertretung vor der Vergabekammer entstandenen Aufwendungen vielmehr jeweils selbst tragen. Weder der Antragsteller noch der Antragsgegner unterliegen im Verfahren vor der Vergabekammer auch einem Anwaltszwang. Sie können sich selbst oder durch einen Bediensteten vertreten. Die Verfahrensbeteiligten haben es demnach selbst in der Hand, die mit der Durchführung des erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahrens verbundenen Kostenrisiken und die Aufwendungen gering zu halten, indem sie von einer anwaltlichen Vertretung absehen. Ziehen sie zum Verfahren vor der Vergabekammer allerdings einen Rechtsanwalt hinzu, geschieht dies unter der erkennbaren Gesetzeslage, dass im Fall einer Zurücknahme des Nachprüfungsantrags im Prinzip keinem von ihnen ein Anspruch auf Erstattung der dadurch entstandenen Aufwendungen zuzusprechen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 97 Abs. 1 ZPO. Der Gegenstandswert ist nach dem Kosteninteresse der Antragsgegnerin festgesetzt worden.

Ende der Entscheidung

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