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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 11.02.2009
Aktenzeichen: VII-Verg 69/08
Rechtsgebiete: VgV, GWB, VOB/A, VwGO


Vorschriften:

VgV § 2 Nr. 7
VgV § 13
VgV § 13 Satz 6
GWB § 97 Abs. 7
GWB § 98 Nr. 2
GWB § 98 Nr. 2 Satz 1
GWB § 99 Abs. 1
GWB § 99 Abs. 3
GWB § 107 Abs. 2
VOB/A § 25 Nr. 3 Abs. 1
VOB/A § 25 Nr. 3 Abs. 2
VOB/A § 28
VwGO § 42 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Arnsberg vom 4. November 2008 (VK 23/08) aufgehoben.

Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin sind von der Antragstellerin zu tragen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 38.808,40 Euro festgesetzt.

Gründe:

A.

Die Antragsgegnerin, deren Anteile zu 100% vom Land NRW gehalten werden, schrieb im Auftrag des Grundstückfonds des Landes NRW national den Auftrag "Baugrundaufbereitung ehem. Henrichshütte, Hattingen, Walzwerkfläche, 2. Sprengabschnitt" im September 2008 aus. Die Henrichshütte bei Hattingen befand sich auf einem ca. 140 Hektar großen Gelände, das nach den Vorstellungen des Landes NRW und der Antragsgegnerin in einen Gewerbe- und Landschaftspark umgebaut werden sollte. Ca. 60 Hektar sollten auf Grünflächen (einschließlich eines Museums) entfallen, 80 Hektar des Geländes sollten sukzessive als Gewerbeflächen entwickelt und von der Antragsgegnerin vermarktet werden. Zu diesem Zweck mussten die auf dem Gelände befindlichen Walz- und Stahlwerke sowie Betriebswerkstätten abgerissen werden. Im Jahre 1987 erfolgte die Stilllegung des Walzwerkes. Von 1995 bis 1998 wurde die 8,8 Hektar große Halle des Walzwerkes zurückgebaut. Die Hohlräume im Erdboden der Walzwerkfläche wurden zunächst verfüllt. In der Zeit von 1998 bis 2005 konnte die Entwicklung der Walzwerkfläche, die in drei Teilflächen gegliedert wurde, nicht vorangetrieben werden, da das Stahlwerk noch nicht endgültig stillgelegt war.

Am 14. Juni 2004 beantragte die Antragsgegnerin die Bewilligung von weiteren Fördergeldern beim Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie des Landes NRW für den Auftrag "Verfüllung dritter Sprengabschnitt" (fünfter Förderabschnitt). Die Gelder wurden bereit gestellt. Im Jahr 2005 wurde der Auftrag "Verfüllung dritter Sprengabschnitt" vergeben, der die Verfüllung tiefer Keller vorsah, die sich im Bereich des dritten Sprengabschnitts befanden. Die Fläche des Sprengabschnitts eins wurde an einen Investor veräußert und wird derzeit bebaut. Mitte des Jahres 2008 stellte sich heraus, dass der Investor wegen der im Untergrund befindlichen Bauwerksreste Schwierigkeiten mit der Bebauung des ersten Sprengabschnittes hatte. Deshalb beschloss die Antragsgegnerin, durch eine vorhergehende Herrichtung des zweiten Sprengabschnitts dessen Vermarktung zu erleichtern. Sie beantragte unter dem 20. Juni 2008 die Erweiterung des bewilligten Förderungsbescheides um 1,5 Millionen Euro, die mit Schreiben vom 21. August 2008 gewährt wurde. Zur Sanierung der Walzwerkfläche sollte eine Baugrundaufbereitung erfolgen. Im Rahmen der vorliegenden Ausschreibung sollte der Sprengabschnitt zwei flächendeckend hergestellt werden.

Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 28. August 2008, eine europaweite Ausschreibung des Auftrags im offenen Verfahren sei nicht erfolgt.

Die Antragsgegnerin wies mit Schreiben vom 3. September 2008 die Rüge zurück. Im Zuge der Erschließung seien alle Lose im offenen Verfahren vergeben worden. Die Abbruchmaßnahmen und die Altlastenbehandlung lägen unterhalb des Schwellenwerts. Bei der Baugrundaufbereitung seien erheblich mehr als 80% des geschätzten Gesamtauftragswerts ausgeschrieben worden. Das ausgeschriebene Los sei das letzte Los der Baumaßnahme "Baugrundaufbereitung". Innerhalb des Kontingents sei die öffentliche Ausschreibung als Vergabeart gewählt worden.

Insgesamt beteiligten sich dreißig Unternehmen an der nationalen Ausschreibung, darunter die Antragstellerin.

Am 9. September 2008 unterrichtete die Antragsgegnerin nach der Angebotsöffnung und Wertung der Angebote die Bieter über das Submissionsergebnis. Die Antragstellerin lag auf Platz drei der Bieterrangliste.

Am selben Tag reichte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer ein.

Die Vergabekammer gab mit Beschluss vom 4. November 2008 dem Nachprüfungsantrag statt und verpflichtete die Antragsgegnerin, das nationale Vergabeverfahren aufzuheben und den Auftrag europaweit auszuschreiben. Auf den Inhalt der Entscheidung wird Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin, die die Ablehnung des Nachprüfungsantrags als unzulässig begehrt. Sie vertritt die Auffassung, der Vergaberechtsweg sei nicht eröffnet, weil der Schwellenwert von 5.150.000 Euro nicht erreicht sei. Der Bauauftrag "Herrichtung 2. Sprengabschnitt" stelle im Hinblick auf seine wirtschaftliche und technische Funktion ein eigenständiges Bauwerk dar. Im Hinblick auf die Berechnung des Schwellenwertes sei dieser Bauauftrag separat zu betrachten. Dies müsse auch deshalb geschehen, weil sie, die Antragsgegnerin, zum Zeitpunkt der Vergabe der übrigen das Gelände der ehemaligen Henrichshütte betreffenden Bauaufträge überhaupt nicht geplant habe, Bauleistungen für die Herrichtung des zweiten Sprengabschnittes zu beauftragen. Ursprünglich habe der zweite Sprengabschnitt genauso wie der erste Sprengabschnitt ohne vorhergehende Herrichtung veräußert werden sollen. Zum Zeitpunkt der nationalen Ausschreibung seien alle anderen, die Flächen der ehemaligen Henrichshütte betreffenden Bauaufträge bereits vergeben worden und befänden sich im Stadium der Ausführung oder seien größtenteils sogar schon abgeschlossen, wie unstreitig ist. Die veranschlagten Kosten für das ausgeschriebene Los in Höhe von cirka 550.000 Euro lägen damit unter 20 % des addierten Gesamtwerts aller ausgeschriebenen Lose und unterhalb des Schwellenwerts für Lose von einer Million Euro.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Beschluss der Vergabekammer Arnsberg aufzuheben und den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Sie macht geltend: Der Schwellenwert von 5,15 Millionen Euro sei für das streitgegenständliche Los heranzuziehen. Bei der Schätzung des Schwellenwertes komme es auf den gesamten Bauauftrag " Herbeiführung der Marktreife aller 2005 noch vorhandenen Flächen" an. Die Antragsgegnerin habe selbst keine Unterteilung vorgenommen, die darauf schließen lasse, dass einzelne Bauwerke mit einzelnen in sich abgeschlossenen Bauaufträgen beauftragt werden sollten. Von Projektbeginn an, nämlich dem Kauf der Flächen durch die Antragsgegnerin von der Thyssen AG in einem Stück, sei geplant gewesen, dass nur eine Gesamtmaßnahme verwirklicht werden sollte. Auch raumordnungsrechtlich und entwicklungsplanerisch sei der Gewerbe- und Landschaftspark von Beginn an nur als eine Einheit und somit auch als ein Bauwerk behandelt worden. Sämtliche bauordnungsrechtlichen Anträge, hierauf erteilte Genehmigungen und die von der Antragsgegnerin vorgelegten Zuschussanträge bezögen sich auf die Baumaßnahme "Erschließung und Vermarktung der Fläche der ehemaligen Henrichshütte in Hattingen". Es gebe keine Teilflächen, die planerisch oder funktional als eigenständig zu betrachten seien. Auch aus der Projektchronik ergebe sich, dass die Teilflächen des Geländes erst nach der geplanten Gesamterschließung hätten veräußert werden können. Die Veräußerung in Teilflächen sei lediglich eine Folge der Vermarktungspläne der Antragsgegnerin. Jede erteilte Baumaßnahme und jede Veräußerung einer Teilfläche diene lediglich dem Zweck der Erstellung des Gesamtbauwerks "Landschafts- und Gewerbepark".

Die Herrichtung des zweiten Sprengabschnitts sei keine isolierte Baumaßnahme, sondern sei unter dem Fernziel zu betrachten, das gesamte Gebiet der Henrichshütte als Gewerbe- und Landschaftspark zu erschließen. Auch eine eigenständige technische Funktion könne dem zweiten Sprengabschnitt nicht zuerkannt werden. Nicht nur der zweite Sprengabschnitt sollte bebaut werden, sondern auch der erste und dritte Sprengabschnitt und die umliegenden Grundstücke. Bereits von Beginn an sei geplant gewesen, den zweiten Sprengabschnitt herzurichten und zu vermarkten. Nur der Umfang, das "Wie" seien offen geblieben.

Sie selbst, die Antragstellerin, sei auch antragsbefugt. So sei ein drohender Rechtsverlust darin zusehen, dass sie im Falle einer öffentlichen Ausschreibung nicht die Möglichkeit habe, eine Auftragsvergabe an einen Mitbewerber zu verhindern. Erst durch die Anwendung des § 13 VgV, die Wartefrist und die Möglichkeit, innerhalb der Frist die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens zu prüfen, könne sie, die Antragstellerin, umfassend ihre Rechte wahren. Der faktische Verlust des Rechtsschutzes sei als Schaden anzusehen. Es komme mithin nicht darauf an, ob sie im Falle einer europaweiten Ausschreibung ein anderes Angebot abgeben hätte. Allein infolge der Nachprüfungsmöglichkeit verbessere sich ihre Rechtsstellung erheblich.

Zudem habe das Angebot der J... GmbH & Co. KG nicht bezuschlagt werden dürfen, denn zwischen der Summe ihres, der Antragstellerin, Angebots und der Angebotssumme der J... GmbH & Co. KG liege eine Differenz von mehr als 50%. Auf einen unangemessen niedrigen Preis dürfe der Zuschlag nicht erteilt werden. Bekanntlich bestehe die Verpflichtung der Vergabestelle bei einem Preisabstand von mehr als 10 bis 20% zu dem Zweitbieter das Angebot des Mindestfordernden zu prüfen. Diese Prüfung sei hier offenbar unterblieben. Zudem habe sie, die Antragstellerin, in drei vorangegangenen Vergabeverfahren keinen Auftrag erhalten, obwohl sie einen solchen habe erhalten müssen. Dies lasse darauf schließen, dass die Angebotswertung fehlerhaft sei.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die Vergabeakten und die Verfahrensakten der Vergabekammer Bezug genommen.

B.

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin hat Erfolg.

I.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

1. Die Antragsgegnerin ist öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 98 Nr. 2 Satz 1 GWB. Als Stadtentwicklungsgesellschaft und juristische Person des privaten Rechts ist sie zu Zwecken der Entwicklung und Veräußerung von städtischen Grundstücken gegründet worden. Die Antragsgegnerin nimmt mit der ihr übertragenen Aufgabe der Entwicklung eines Gewerbe- und Landschaftsparks auf dem Gelände der ehemaligen Henrichshütte in Hattingen eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe wahr. Aufgabe des Gewerbe- und Landschaftsparks ist es, Gewerbe und Landschaft miteinander zu verbinden, wobei moderne Arbeitsplätze und ein öffentlicher Park geschaffen und die denkmalgeschützte Bausubstanz integriert werden sollen. Dabei handelt es sich um eine Aufgabe nichtgewerblicher Art. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist darunter eine Aufgabe zu verstehen, die auf andere Art als durch das Anbieten von Waren auf dem Markt erfüllt wird und die der Staat aus Gründen des Allgemeininteresses selbst wahrnehmen oder bei der er einen entscheidenden Einfluss behalten will (vgl. EuGH, Urt. v. 10. Mai 2001 - C-223/99 und C-260/99, Messe Mailand, NZBau 2001, 403, 405; OLG Hamburg, Beschl. v. 25. Januar 2007 - 1 Verg 5/06, VergabeR 2007, 358, 359; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30. April 2003 - Verg 67/02, NZBau 2003, 400, 402; OLG Naumburg, Beschl. v. 17. Februar 2004 - 1 Verg 15/03, NZBau 2004, 403). Diese Voraussetzungen sind bei der hier zu beurteilenden Aufgabe gegeben. Die Antragsgegnerin fragt auf den einschlägigen Märkten ausschließlich Leistungen nach und der Staat, nämlich das Land Nordrhein-Westfalen, soll auf die Erfüllung der Aufgaben einen entscheidenden Einfluss behalten. Die Aufgabe der Antragsgegnerin wurde vollständig vom Land finanziert. Infolge der Finanzierung durch das Land Nordrhein-Westfalen ist auch das für den Auftraggeberbegriff nach § 98 Nr. 2 GWB erforderliche Tatbestandsmerkmal der besonderen Staatsnähe zu bejahen. Die Anteile an der Antragsgegnerin werden zudem zu 100% vom Land Nordrhein-Westfalen gehalten.

2. Bei dem mit dem ausgewählten Bieter zu schließenden Vertrag über die Baugrundaufbereitung des zweiten Bauabschnitts der Walzwerkfläche handelt es sich um einen öffentlichen Bauauftrag, § 99 Abs. 1 und 3 GWB. Der Begriff des öffentlichen Bauauftrags erfasst einen entgeltlichen Vertrag über Aushub und Verfüllarbeiten. Zwar beinhaltet der Vertrag auch die Entsorgung von Ausfüllungsmaterial (2.500 t Bauschutt). Diese Dienstleistungselemente stellen jedoch nicht die Einordnung des Vertrags als Bauauftrag in Frage, denn sie bilden nicht die den Auftrag prägenden Leistungen und machen auch wertmäßig nicht den überwiegenden Teil aus. Sie haben nur eine untergeordnete Bedeutung (vgl. EuGH, Urt. v. 21.2.2008, Rs. C-412/04 Kommission ./. Italien, VergabeR 2008, 501, 508).

3. Der sachliche Anwendungsbereich des Vergaberechts ist auch insoweit eröffnet, als der für öffentliche Bauaufträge maßgebliche Auftragswert überschritten wurde (§ 100 Abs. 1 GWB, § 2 Nr. 4 VgV i.V.m. Art 2 Nr. 1 c VO (EG) 1422/2007). Die Richtlinie 2004/18/EG ist auf alle Lose anzuwenden, die den Bauauftrag hinsichtlich der Entwicklung des Gewerbe- und Landschaftspark ausmachen, da bei mehreren Losen für ein Bauwerk die Zusammenrechung des Wertes aller Lose vorgeschrieben ist (vgl. § 3 Abs. 1 VgV; Art. 9 Abs. 5 lit. a) Unterabsatz 1 u. 2). Art. 9 Abs. 5 lit. a) Unterabsatz 3 der Richtlinie lässt jedoch bei Losen, deren geschätzter Wert unterhalb von 1 Million Euro liegt, zu, von der Anwendung der Richtlinie abzusehen, sofern der zusammengerechnete Wert dieser Lose 20% des Wertes der Gesamtheit der Lose nicht übersteigt (vgl. EuGH, Urt. v. 5.10.2000, Rs. C-16/98, Tz. 75). Ein Bauwerk ist gemäß § 99 Abs. 3 GWB das Ergebnis einer Gesamtheit von Hoch- und Tiefbauarbeiten, das seinem Wesen nach eine wirtschaftliche und technische Funktion erfüllen soll (vgl. EuGH, Urt. v. 5.10.2000 - Rs. C 16/98, NZBau 2001, 275, 277 - Kommission ./. Frankreich; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.3.2004- VII-Verg 74/03).

Die Baugrundaufbereitungsarbeiten mit einem geschätzten Auftragswert von ca. 550.00 Euro stellen einen Teil des Gesamtbauauftrags "Entwicklung eines Landschafts- und Gewerbeparks Hattingen Henrichshütte" dar. Das Gesamtvolumen aller im Zusammenhang mit der Entwicklung des Landschafts- und Gewerbeparks durchgeführten Aufträge überschreitet den maßgeblichen Schwellenwert um ein Vielfaches. Dies ist offensichtlich, denn allein das Auftragsvolumen des 5. und 6. Bauabschnitts überschreitet den maßgeblichen Schwellenwert um das sechsfache. Das Los "Aufbereitung des zweiten Sprengabschnitts des ehemaligen Hüttengeländes" steht in einem technischen und wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Entwicklung des Landschafts- und Gewerbeparks Henrichshütte, es dient nämlich der Vorbereitung und Veräußerung von Grundstücken einer Teilfläche des Walzwerkgeländes an private Investoren. Der Abbruch, die Herrichtung/Altlastenbeseitigung und die Erschließung von Teilflächen sollen den Verkauf von Grundstücken vorbereiten, die im Wege einer neuen Bebauung einer wirtschaftlichen Nutzung zugeführt werden sollen.

Sinn und Zweck des Gebots, den Schwellenwert im Vorhinein zu schätzen und die gebildeten Lose zur Ermittlung des Schwellenwerts zu addieren, ist es, Umgehungen der Pflicht zur europaweiten Ausschreibung durch eine Losaufteilung zu verhindern. Aus diesem Grund hat der öffentliche Auftraggeber mit größtmöglicher Sorgfalt den Schwellenwert eines öffentlichen Auftrags zu bestimmen. Der Umstand, dass die streitgegenständlichen Aufbereitungsarbeiten nach den Schätzungen der Antragsgegnerin einen Wert von 550.000 Euro nicht überschreiten und es sich um das letzte zu vergebende Los des Landschafts- und Gewerbeparks Hattingen Henrichshütte handelt, ändert nichts daran, dass der Auftrag in den sachlichen Anwendungsbereich des Vergaberechts fällt. Dabei kann es für die Pflicht zur Ausschreibung auch nicht darauf ankommen, ob der Auftraggeber mit bestimmten Aufträgen schon bei Planung der Baumaßnahmen rechnen musste oder sich erst im Zuge der Ausführung der Baumaßnahmen herausstellt, dass bestimmte weitere Aufträge erforderlich werden. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Baumaßnahmen nicht einheitlich geplant und erst in unterschiedlichen Phasen (Förderabschnitten) realisiert werden. Es ist allein der objektive Gesamtwert der Baumaßnahmen des Landschafts- und Gewerbeparks Hattingen Henrichshütte maßgebend. Zwar liegt das streitgegenständliche Los mit einem geschätzten Wert von cirka 550.000 Euro unterhalb von 1 Million Euro und überschreitet auch die 20% des Gesamtwertes aller Lose nicht. Die Ausnahmevorschrift (20% Regelung) des § 2 Nr. 7 VgV greift aber nicht ein, da die Festlegung der Lose, die unter die 20% Grenze fallen sollen, zum Zeitpunkt der Einleitung der Vergabeverfahren, Schätzung des Auftragswerts und der Bildung der Lose zu erfolgen hat (vgl. Art. 9 Abs. 2 Richtlinie 2004/18/EG; BayObLG VergabeR 2002, 61, 63). Nur auf diese Weise können Umgehungen des Vergaberechts vermieden werden.

Eine Pflicht zur Ausschreibung des vorliegenden Loses bestünde selbst dann, wenn nur auf die fünften und sechsten Förderabschnitte abzustellen wäre und die vergebenen Aufträge (Lose) nach Gewerken zu unterscheiden wären. Insgesamt erreichten der 5. und 6. Förderabschnitt (Abbruch/Herrichtung/Altlasten/Erschließung) ein Gesamtfördervolumen von 31,782 Millionen Euro. Allein auf das Gewerk "Herrichtung/Altlasten" entfielen insgesamt 9,1 Millionen Euro im fünften (3,422 Mio. Euro) und sechsten Förderabschnitt (5,76 Mio. Euro).

4. Die Antragstellerin ist antragsbefugt (vgl. § 107 Abs. 2 GWB).

aa) Die Antragstellerin hat ihr Interesse am Auftrag durch die Einreichung eines Angebots dokumentiert.

bb) (1) Hinsichtlich einer Rechtsverletzung fehlte es aber an einer schlüssigen Darlegung in der das Nachprüfungsverfahren einleitenden Antragsschrift. Durch die unterlassene Veröffentlichung einer europaweiten Bekanntmachung ist die Antragstellerin nicht in Rechten verletzten worden, da sie von dem Auftrag auch ohne eine europaweite Bekanntmachung erfahren und ein Angebot eingereicht hat. Zudem hat sie auch nicht dargelegt, dass sie ein anderes aussichtsreicheres Angebot eingereicht hätte, wenn eine europaweite Bekanntmachung erfolgt wäre (vgl. OLG Koblenz, Beschl. v. 8.12.2008, 1 Verg 4/08, Tz. 12). In einem solchen Fall muss der Antragsteller geltend machen, dass er durch weitere, hinzugetretene Vergaberechtsfehler in Rechten verletzt worden ist.

Die Antragstellerin hat in der mündlichen Verhandlung zwar erklärt, sie habe möglichst frühzeitig mit einem Nachprüfungsantrag auf das Vergabeverfahren einwirken wollen, da bei weiterem Zuwarten bis zu einer Zuschlagserteilung ein Zeitverlust sowie die Erteilung eines wirksamen Zuschlags nach § 28 VOB/A zu befürchten gewesen seien. Dies enthob sie jedoch nicht davon, für die Antragsbefugnis eine Rechtsverletzung schlüssig darzulegen. Die schlüssige Darlegung einer Rechtsverletzung ist für die Annahme der Antragsbefugnis unverzichtbar. Das Fehlen einer europaweiten Ausschreibung lässt nicht auf eine Rechtsverletzung schließen. Der Antragstellerin wird nämlich dadurch nicht der Rechtsschutz vor den Vergabenachprüfungsinstanzen verweigert. Für die Frage, ob der Rechtsweg zu den Nachprüfungsinstanzen eröffnet ist, ist allein die objektive Sachlage entscheidend. Demgegenüber kommt es für die Eröffnung des Rechtswegs zu den Nachprüfungsinstanzen nicht darauf an, ob eine nationale Bekanntmachung und eine Vergabe in öffentlicher Ausschreibung anstelle einer europaweiten Bekanntmachung und eine Vergabe im offenen Verfahren erfolgen. Auch kann ein wirksamer Auftrag ohne vorherige Bieterinformation und Einhaltung der Wartefrist nicht erteilt werden. Ein ohne Bieterinformation und Ablauf der Wartefrist erteilter Zuschlag ist nach § 13 Satz 6 VgV rechtsunwirksam.

(2) Für das Vorliegen der Antragsbefugnis im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB - wie für das Vorliegen der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO - genügt es, wenn eine Verletzung von Rechten nach dem Tatsachenvortrag nicht offensichtlich ausgeschlossen ist (vgl. Senat, Beschl. v. 4.2.2009, VII-Verg 70/08; BGH, Beschl. v. 26.9.2006 - X ZB 14/06, VergabeR 2007, 59, 61 Rn. 20; BVerfG, Beschl. v. 29.7.2004 - 2 BvR 2248/03, NZBau 2004, 564, 566 = VergabeR 2004, 597, 599; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 29.1.2009, 5 S 149/08, Tz. 37). Die Antragstellerin macht eine Rechtsverletzung im Sinne des § 97 Abs. 7 GWB geltend, soweit sie erstmals mit der Beschwerdeerwiderung beanstandet hat, eine gebotene Prüfung des Preises des aussichtsreichsten Angebots sei unterblieben und die Beigeladene habe die ausgeschriebenen Leistungen zu einem Preis angeboten, der in einem Missverhältnis zu den Leistungen stehe. Der Vortrag der Antragstellerin ist nicht unbeachtlich, weil willkürlich, auf Geradewohl oder ins Blaue hinein angebracht worden (vgl. BGH aaO 65 f. Rn. 39). Die Antragstellerin hat Anhaltspunkte für ein ungewöhnlich niedriges Preisangebot der Beigeladenen, denn ihr eigenes Angebot weist einen um ca. 50 % höheren Preis auf. Ob eine Rechtsverletzung auch mit Blick auf einen bieterschützenden Charakter der Vorschriften des § 25 Nr. 3 Abs. 1 und Abs 2 VOB/A vorliegt, ist dagegen eine Frage der Begründetheit des Nachprüfungsantrags (vgl. Senat, Beschl. v. 9.2.2009, VII-Verg 66/08, Umdruck S. 7).

Die Antragstellerin ist nicht gehindert, den behaupteten Vergaberechtsverstoß zum Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens zu machen, obwohl er noch nicht Gegen-stand des Verfahrens vor der Vergabekammer war. Der Umstand, dass die Antragstellerin eine Rechtsverletzung erst im Beschwerdeverfahren behauptet hat, führt auch nicht dazu, dass der bei der Einreichung unzulässige Nachprüfungsantrag abzulehnen ist. Die unterbliebene Darlegung einer Rechtsverletzung kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Beschwerdegericht nachgeholt werden.

Die Antragsbefugnis ist ebenso wie die Klagebefugnis im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO und die Prozessführungsbefugnis im Zivilprozess eine von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung. Maßgeblicher Zeitpunkt, in dem diese vorliegen muss, ist aber nicht der der Einreichung der Klage, sondern der Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 29.1.2009, 5 S 149/08, Tz. 37; BGH NJW 2000, 738, 739). Die insoweit im Zivil- und Verwaltungsgerichtsprozess geltenden Grundsätze sind auch im Vergabenachprüfungsverfahren anzuwenden. Anderenfalls wäre der erste Nachprüfungsantrag wegen unzureichender Darlegung einer Rechtsverletzung mangels Antragsbefugnis als unzulässig abzulehnen und ein Bieter wegen erst während des Nachprüfungsverfahrens erkannter Vergaberechtsverstöße auf eine erneute Rüge und im Anschluss daran auf die Beantragung eines neuen Nachprüfungsverfahrens zu verweisen. Indes liefe dies dem Beschleunigungsgebot und der Prozessökonomie zuwider. Mithin genügt es, wenn die Antragsbefugnis im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB jedenfalls in der mündlichen Verhandlung vor dem Beschwerdegericht gegeben ist. Sollten frühere Entscheidungen des Senats anders zu verstehen gewesen sein, hält der Senat daran nicht fest (vgl. Beschl. v. 23.2.2005, VII-Verg 92/04 - nicht veröffentlicht).

Die Antragstellerin hat, soweit sie das Unterbleiben einer Preisprüfung behauptet, eine Rechtsverletzung mit der Beschwerdeerwiderung vom 11. Dezember 2008, also vor Schluss der mündlichen Verhandlung geltend gemacht. Dies war unverzüglich, wobei dahinstehen kann, ob solches überhaupt zu verlangen ist (vgl. OLG Frankfurt a.M. VergabeR 2004, 754-756, Tz. 38; OLG Jena BauR 2000, 388, 292; vgl. OLG Celle VergabeR 2007, 401, 402 Rn 15; Reidt in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 2. Aufl. § 107 Rn. 36a).

(3) Soweit die Antragstellerin in der Beschwerdeerwiderung erstmals Wertungsfehler behauptet hat, weil sie in drei vorangegangenen Vergabeverfahren übergangen worden sei, handelt es sich um Beanstandungen ins Blaue hinein, die nicht geeignet sind, eine Rechtsverletzung darzutun (vgl. zu den Anforderungen an die Darlegung: BGH, Beschl. v. 26.9.2006, X ZB 14/06, Umdruck S. 22, Tz. 39). Die Antragstellerin hat auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen von Wertungsfehlern nicht benannt. Insoweit fehlt es an der Antragsbefugnis.

cc) Es ist nicht zu verneinen, dass der Antragstellerin - soweit sie einen Rechtsverstoß bei der Preisprüfung des konkurrierenden Angebots, das der Zuschlag erhalten soll, behauptet - durch eine Bevorzugung jenes Angebots ein Schaden droht. An die Darlegung eines Schadens sind im Rahmen der Antragsbefugnis keine hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt, wenn, so auch hier, ein Schadenseintritt nicht offensichtlich ausgeschlossen ist (vgl. BVerfG a.a.O. NZBau 2004, 564, 566 = VergabeR 2004, 597, 599). Im vorliegenden Fall ist die Möglichkeit eines Schadens schon deswegen zu bejahen, weil die Antragstellerin drittbeste Bieterin ist, und der Nachprüfungsantrag darauf abzielt, ein vorrangig platziertes Angebot von der Wertung auszuschließen.

5. Die Antragstellerin hat ihre Obliegenheit zur Rüge nicht verletzt (§ 107 Abs. 3 Satz 1 GWB).

Die Behauptung, dadurch in Rechten verletzt worden zu sein, dass ein nicht auf seine Angemessenheit geprüftes, unangemessen niedriges Angebot bezuschlagt werden soll, bedurfte keiner Rüge gegenüber dem Auftraggeber, denn die Antragstellerin hat diesen (vermeintlichen) Vergaberechtsfehler jedenfalls nicht vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens erkannt. Erkennt der Antragsteller einen Rechtsverstoß erst im Nachprüfungsverfahren, besteht gegenüber dem Auftraggeber keine Rügeobliegenheit (vgl. BGH, Beschl. v. 26.9.2006 - X ZB 14/06, VergabeR 2007, 59, 65 Rn. 35, 36, 37; Brandenburgisches OLG VergabeR 2007, 529, 533; OLG Schleswig ZfBR 2005, 616; OLG Düsseldorf VergabeR 2005, 364; NZBau 2001, 106, 111; 155; Beschl. v. 19.7.2006, Verg 27/06; BayObLG VergabeR 2001, 438; im Ansatz zutreffend auch: OLG Celle VergabeR 2007, 401-403, Tz.15; OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 24.6.2004, 11 Verg 15/04; Beschl. v. 11.5.2004, VergabeR 2004, 754-756, Tz. 43; OLG Koblenz, Beschl. v. 26.10.2005, 1 Verg 4/05, VergabeR 2006, 392, 297).

6. Ein Zuschlag auf das aussichtsreichste Angebot ist von der Antragsgegnerin noch nicht erteilt worden (§ 114 Abs. 2 Satz 1 GWB).

II. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet.

1. Soweit eine Rechtsverletzung der Antragstellerin in der unterlassenen europaweiten Bekanntmachung und in der Verweigerung von Rechtsschutz liegen soll, gilt das oben Ausgeführte.

2. Die Antragstellerin kann sich ferner nicht mit Erfolg darauf berufen, die Antragsgegnerin habe ihre Pflicht, die Auskömmlichkeit des Angebots der J... GmbH & Co. KG zu prüfen, verletzt. § 25 Nr. 3 Abs. 2 VOB/A sieht vor, dass der Auftraggeber die Kostenpositionen eines Angebots überprüft, wenn der Gesamtpreis des Angebots im Verhältnis der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheint. Die Pflicht des öffentlichen Aufraggebers, ein auf erste Sicht ungewöhnlich niedriges Angebot zu überprüfen, hat zwar bieterschützenden Charakter. § 25 Nr. 3 Abs. 2 VOB/A entfaltet bieterschützende Wirkung jedoch nicht zugunsten des konkurrierenden Bieters (der Antragstellerin) sondern nur zugunsten des Bieters, dessen Angebot wegen Unauskömmlichkeit des Gesamtpreises von einem Ausschluss bedroht wird.

Soweit die Antragstellerin geltend macht, in Rechten dadurch verletzt worden zu sein, dass ein unangemessen niedriges Angebot bezuschlagt werden soll, kann im übrigen schon nicht festgestellt werden, dass ein solches Angebot vorliegt. Das Angebot der J... GmbH & Co. KG beläuft sich auf 515.767,50 Euro brutto. Das zweitplatzierte Angebot der Bietergemeinschaft W... beträgt 661.665,04 Euro brutto. Das Angebot der Antragstellerin weist einen Gesamtpreis von 771.167,69 Euro aus. Das aussichtsreichste Konkurrenzangebot ist damit zwar um 44% günstiger als das Angebot der Antragstellerin. Das Angebot der Antragstellerin liegt aber nur 7% unter dem geschätzten Auftragswert von 550.000 Euro brutto. Bei dieser geringen Differenz kann von einem Unterkostenangebot nicht ausgegangen werden. Auf die Differenz zu anderen Angeboten kommt es nicht an. Ob § 25 Nr. 3 Abs. 1 VOL/A bieterschützende Wirkung hat, kann offen bleiben.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 91 Abs. 1 ZPO analog.

Ende der Entscheidung

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