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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 25.07.2006
Aktenzeichen: VII-Verg 91/05
Rechtsgebiete: VwVfG, GWB


Vorschriften:

VwVfG § 80
VwVfG § 80 Abs. 1
VwVfG § 80 Abs. 1 Satz 1
GWB § 128
GWB § 128 Abs. 4 Satz 1
GWB § 128 Abs. 4 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf vom 2. Dezember 2002, VK - 46/2005-L, zu Ziffern 3. und 4. des Ausspruchs aufgehoben.

Die im Verfahren vor der Vergabekammer entstandenen Aufwendungen tragen die Verfahrensbeteiligten.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Antragsgegnerin und die Beigeladene jeweils zur Hälfte zu tragen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahens beträgt bis zu 10.000 €.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin beteiligte sich als Bieterin an einer Ausschreibung der Antragsgegnerin. Da diese beabsichtigte, den Auftrag an die Beigeladene zu erteilen, stellte die Antragstellerin einen an die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf gerichteten Nachprüfungsantrag. Die Vergabekammer beteiligte die Beigeladene am Nachprüfungsverfahren. Nachdem die Antragstellerin ihren Nachprüfungsantrag zurückgenommen hatte, hat die Vergabekammer mit Beschluss vom 02. Dezember 2005, VK 46/2005, das Nachprüfungsverfahren eingestellt, die Kosten der Antragstellerin auferlegt und ferner entschieden, dass die Antragstellerin die der Antragsgegnerin und der Beigeladenen entstandenen Kosten (Auslagen) zu tragen habe (Tenor zu 3.). Außerdem hat sie die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin und die Beigeladene festgestellt (Tenor zu 4.).

Gegen die Auslagenentscheidung der Vergabekammer richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin.

Sie beantragt,

den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf vom 02. Dezember 2005 aufzuheben, soweit die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufgewandten Kosten der Antragsgegnerin und der Beigeladenen ihr, der Antragstellerin, auferlegt worden sind.

Die Beigeladene ist dem Begehren der Antragstellerin in der Sache entgegengetreten.

Sie vertritt die Auffassung, die sofortige Beschwerde der Antragstellerin sei unbegründet. Zwar finde nach § 80 VwVfG, auf den § 128 Abs. 4 Satz 3 GWB verweise, im erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahren gründsätzlich keine Kostenerstattung statt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG NJW 1982, S. 300; BVerwG NVwZ 1997, 272, 273) erfolge im Anwendungsbereich des § 80 VwVfG aber in Umgehungsfällen ausnahmsweise eine Kostenerstattung. Ein solcher Umgehungsfall liege hier vor, da der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin aussichtslos gewesen sei. Sie, die Beigeladene, habe sich im Nachprüfungsverfahren anwaltlich vertreten lassen müssen, weil die Antragstellerin sich mit ihrem Nachprüfungsantrag in einen bewussten und gewollten Interessengegensatz gestellt habe. Durch die Rücknahme des offensichtlich unbegründeten Nachprüfungsantrags habe die Antragstellerin der Pflicht zur Übernahme ihrer, der Beigeladenen, Kosten der im Falle einer den Nachprüfungsantrag zurückweisenden Entscheidung der Vergabekammer entgehen wollen. In diesem Fällen sei aus Billigkeitserwägungen geboten, dem Verursacher die Kosten der Verfahrensbeteiligten aufzuerlegen. Anderenfalls eröffneten sich Missbrauchsmöglichkeiten. Ein Bieter könne jederzeit ohne größeres Kostenrisiko ein Vergabeverfahren blockieren und sogar einen Nachprüfungsantrag "ins Blaue" hinein stellen.

Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass ein "ins Blaue" hinein gestellter Nachprüfungsantrag die übrigen Verfahrensbeteiligten zum Tätigwerden innerhalb kürzester Zeit zwinge und diese angesichts der komplizierten vergaberechtlichen Materie typischerweise auf rechtlichen Beistand zurückgreifen müssten. Auch bei Anwendung des § 80 VwVfG müsse im Fall einer Rücknahme des Nachprüfungsantrags daher regelmäßig eine Kostenerstattung der Aufwendungen des Antragsgegners und der Beigeladenen durch den Antragsteller stattfinden.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.

Eine Erstattung der Auslagen (Aufwendungen) der Antragsgegnerin und/oder der Beigeladenen findet im vorliegenden Verfahren vor der Vergabekammer nicht statt. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene können ihre Ansprüche nicht auf § 128 GWB stützen. Nach § 128 Abs. 4 Satz 1 GWB hat ein Beteilgiter die zur zweckentsprechenden Rechtsvefolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Auslagen des Antragsgegners zu tragen, soweit er im Verfahren unterliegt. Mit Beschluss vom 25. Oktober 2005 (X ZB 22/05, Umdurck S. 4) hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Rücknahme des Nachprüfungsantrags kein Unterliegen im Sinne dieser Vorschrift darstellt. Ein Unterliegen ist nur dann gegeben, wenn die Vergabekammer eine Entscheidung getroffen hat, die das sachliche Begehren des Antragstellers als unzulässig und unbegründet zurückweist. Auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. Oktober 2005, auf die der Senat die Verfahrensbeteiligten hingewiesen hat, wird Bezug genommen.

Ein Anspruch der Antragsgegnerin oder der Beigeladenen auf Kostentragung durch die Antragstellerin folgt ferner nicht aus § 80 Abs. 1 VwVfG NRW, den § 128 Abs. 4 Satz 3 GWB für entsprechend anwendbar erklärt. Eine Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Widerspruchsführers bzw. der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, ist danach nur in den Fällen vorgesehen, in denen sich der Widerspruch als erfolgreich bzw. als erfolglos erweist (§ 80 Abs. 1 VwVfG NRW). Erledigt sich das Widerspruchsverfahren durch Rücknahme des Widerspruchs, kommt eine Kostenerstattung dagegen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 80 VwVfG grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. BVerwGE 101, 64). Dies gilt in entsprechender Anwendung von § 80 VwVfG auch für das erstinstanzliche Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern (vgl. BGH, Beschl. v. 9.12.2003, X ZB 14/03, Umdruck S. 7; BGH, Beschl. v. 25.10.2005, X ZB 22/05, Umdruck S. 4). Der Wortlaut von § 80 VwVfG NRW stimmt mit dem von § 80 VwVfG des Bundes überein. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht (vgl. BVerwG NVwZ 1997, 272) in Umgehungsfällen die Anordnung einer Kostenerstattung zu Gunsten des Widerspruchsführers ausnahmsweise für zulässig gehalten. Dies betraf jedoch einen Fall, dass die Ausgangsbehörde den Widerspruchsführer, der eine Verletzung in seinen Rechten geltend machte und im Widerspruchsverfahren obsiegt hätte, ohne tragfähigen Grund durch Rücknahme des Verwaltungsaktes um den an sich nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG gegebenen Kostenerstattungsanspruch gebracht hatte. Ein Ausweichen in die Rücknahme oder Aufhebung des Verwaltungsakts, um einer Kostenlast nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zu entgehen, widerspricht nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts dem zugunsten des Bürgers geltenden Grundsatz der fairen Verfahrensgestaltung und dem Grundsatz von Treu und Glauben.

Ein solcher Umgehungsfall ist in der Rücknahme des Nachprüfungsantrags durch die Antragstellerin hier nicht zu erkennen.

Die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts betreffen solche Fälle, in denen die Verwaltungsbehörde die zunächst verweigerte Abhilfeentscheidung im Widerspruchsverfahren dennoch getroffen hatte. Damit ist der vorliegende Fall nicht zu vergleichen, denn die Antragsgegnerin hat an ihrer Vergabeentscheidung festgehalten. Die von der Beigeladenen behauptete offensichtliche Erfolgloskeit des Nachprüfungsantrags begründet keinen Umgehungsfall im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 80 VwVfG, sondern beschreibt den "Normalfall", in dem der Antragsteller sich aufgrund der Argumente der gegnerischen Verfahrensbeteiligten zu einer Rücknahme des Nachprüfungsantrags bewogen sehen kann. Hiervon abgesehen sind an einer offensichtlichen Unzulässigkeit oder Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags der Antragstellerin Zweifel anzumelden. Diese knüpfen daran an, dass die Vergabekammer den nachprüfungsantrag nicht als offensichtlich unzulässig oder unbegründet im schriftlichen Verfahren abgeleht (vgl. § 112 Abs. 1 S. 3 GWB), sondern einen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt hat.

Ein etwaiger Missbrauch des Nachprüfungsrechts kann materielle Schadensersatzansprüche begründen (vgl. § 125 GWB), aber keinen Anspruch auf eine dem Antragsteller nachteilige prozessuale Kosten- oder Auslagenentscheidung.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO analog.

Ende der Entscheidung

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