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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 23.01.2006
Aktenzeichen: VII-Verg 96/05
Rechtsgebiete: GWB, VwVfG, VwGO, ZPO


Vorschriften:

GWB § 105 Abs. 1
GWB § 105 Abs. 4
GWB § 113 Abs. 1
GWB § 114
GWB § 114 Abs. 3
GWB § 115 Abs. 2
GWB § 115 Abs. 3
GWB § 116
GWB § 116 Abs. 1
GWB § 124 Abs. 2
VwVfG § 21
VwGO § 146 Abs. 2
ZPO § 46 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen die Entscheidung der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf vom 09.12.2005 (VK-41/2005-L) wird auf Kosten der Antragstellerin als unzulässig verworfen. Gründe:

I.

Der Antragsgegner schrieb im August 2005 sogenannte Bezugsverträge zur Kampfmittelbeseitigung in den Regierungsbezirken Düsseldorf und Köln (Az.: 12.27.04 V 92/05 ) europaweit im Wege des nicht offenen Verfahrens mit vorgeschaltetem Teilnehmerwettbewerb nach der VOL/A aus. Den Teilnahmeantrag der Antragstellerin vom 20. September 2005 lehnte die Vergabestelle mit Schreiben vom 12. Oktober 2005 mit der Begründung ab, dieser enthalte keine Angaben über den Umsatz und die Referenzen der letzten drei Geschäftsjahre.

Nachdem die Antragstellerin die Umsatzzahlen der letzten drei Jahre sowie eine Referenzliste nachgereicht hatte, teilte ihr die Vergabestelle mit, dass ein Nachreichen von Unterlagen nach Fristende unzulässig sei und sie deswegen den Teilnahmeantrag weiterhin ablehne. Der darauf hin erhobenen Rüge half die Vergabestelle nicht ab.

Den am 25.10.2005 bei der Vergabekammer eingegangenen Nachprüfungsantrag hat die Vorsitzende der Vergabekammer dem Antragsgegner mit einer Erwiderungsfrist bis zum 03.11.2005 zugestellt. Der Erwiderungsschriftsatz ging unter dem 09.11.2005 ein, wobei sich der Antragsgegner darauf berief, dass ihm eine Fristverlängerung bis zum 08.11.2005 eingeräumt worden sei. Die Vorsitzende der Vergabekammer bestimmte am 29.11.2005 Termin für den 09.12.2005 und stellte der Antragstellerin den Erwiderungsschriftsatz unter dem 01.12.2005 mit einer Erwiderungsfrist von vier Werktagen zu. Den Antrag auf Verlängerung der Stellungnahmefrist bis zum 21.12.2005 und Terminsverlegung lehnte sie mit der Begründung ab, es sei nicht ersichtlich, welche sachlichen oder rechtlichen Äußerungen aufgrund zu eng gesetzter Fristen abgeschnitten seien. Zudem sei die Herstellung einer "Zeitsymmetrie" zwischen den Beteiligten, die hier ohnehin gegeben sei, kein sachlicher Grund für eine Verfahrensverlängerung.

Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 08. 12. 2005 lehnte die Antragstellerin die Vorsitzende der Vergabekammer wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Sie berief sich darauf, dass durch die Vorgehensweise der Vorsitzenden der prozessuale Gleichbehandlungsgrundsatz in unangemessener Weise verletzt werde. Unter dem 09. 12. 2005 gab die Vorsitzende eine dienstliche Erklärung ab. Mit Beschluss desselben Tages wies die Vergabekammer unter Mitwirkung des stellvertretenden Vorsitzenden sowie des haupt- und ehrenamtlichen Beisitzers das Befangenheitsgesuch zurück.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses begehrt.

Der Antragsgegner tritt dem Beschwerdevorbringen entgegen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist unzulässig.

Gegen die ohne Mitwirkung des betroffenen Mitgliedes ergangene Entscheidung der Vergabekammer, das Ablehnungsgesuch der Antragstellerin zurückzuweisen, findet die sofortige Beschwerde gemäß § 116 Abs. 1 GWB nicht statt.

§ 116 GWB ist die Grundnorm für den Zugang zur zweiten, gerichtlichen Stufe des Vergabenachprüfungsverfahrens. Demgemäß unterliegen alle Endentscheidungen der Vergabekammer der sofortigen Beschwerde gemäß § 116 Abs. 1 GWB. Mit Endentscheidung ist die "Entscheidung der Vergabekammer gemeint", deren Rechtsnatur als Verwaltungsakt § 114 Abs. 3 GWB besonders hervorhebt sowie klarstellt und mit der die Vergabekammer die erste Instanz des Nachprüfungsverfahrens abschließt (vgl. Senat, Beschluss vom 18.01.2000, NZBau 2000, 596, 597).

Die Entschließung der Vergabekammer im Falle der Ablehnung eines ihrer Mitglieder wegen Besorgnis der Befangenheit fällt dagegen unter die nicht selbständig anfechtbaren Zwischenentscheidungen (so im Ergebnis auch OLG Jena, NZBau 2000, 349, 350; Jaeger in Byok/Jaeger, Komm. z. Vergaberecht, 2. Aufl. 2005, § 105 GWB; Rdnr. 875). Zwar ist die Unstatthaftigkeit der sofortigen Beschwerde gegen die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch anders als in den Fällen der Entscheidung über die Beiladung (§ 109 S. 2 GWB), der Versagung der Akteneinsicht (§ 111 Abs. 4 GWB), der Eilentscheidung der Vergabekammer gemäß § 115 Abs. 2 GWB und der vorläufigen Maßnahmen der Vergabekammer gemäß § 115 Abs. 3 GWB im 4. Teil des GWB nicht ausdrücklich hervorgehoben. Aus dem Fehlen spezieller Regelungen für andere als die genannten Zwischenentscheidungen folgt aber nicht, dass eine gesonderte Anfechtungsmöglichkeit bestehen soll.

Der Gesetzgeber hat für die Arten von Zwischenentscheidungen, für die sich die Unstatthaftigkeit der isolierten Beschwerde möglicherweise nicht von selbst verstanden hätte, die ausdrückliche Hervorhebung gewählt. Abgesehen von dem Sonderfall der Kostenentscheidung, für deren Anfechtbarkeit es eine gesetzliche Spezialvorschrift gibt (§ 128 Abs. 1 S. 2 GWB i.V.m. § 22 VwKostG), können alle anderen Entscheidungen der Vergabekammer, die nicht Endentscheidungen im Sinne des § 114 GWB sind, nicht mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden (vgl. Senat, Beschluss vom 18.01.2000, a.a.O.). Allein der Umstand, dass die Antragstellerin durch die Entscheidung der Vergabekammer, das Ablehnungsgesuch zurückzuweisen, beschwert wird, vermag die Statthaftigkeit der Beschwerde nicht zu begründen. In gerichtlichen und gerichtsähnlichen Verfahren werden die Verfahrensbeteiligten in der Regel Verfahrenspflichten oder Obliegenheiten ausgesetzt, die Beschwerlichkeiten mit sich bringen können, ohne dass gegen jede einzelne Maßnahme der gerichtlichen oder gerichtsähnlichen Instanz eine Anfechtungsmöglichkeit eröffnet werden kann, weil sich sonst die Verfahrensdauer u. U. ins Uferlose verlängern würde. Insbesondere im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer stünde eine gesonderte Anfechtungsmöglichkeit in einem unvereinbaren Widerspruch zu dem Beschleunigungsgrundsatz des § 113 Abs. 1 GWB. Bei Ausnutzung der Beschwerdemöglichkeit gegen Zwischenentscheidungen wäre die Regelfrist von fünf Wochen zwischen Antragseingang und Entscheidung der Vergabekammer kaum je einzuhalten.

Die Nichtstatthaftigkeit der sofortigen Beschwerde gegen eine Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch folgt zudem aus einer entsprechenden Anwendung der Regelungen der VwGO, nach denen Ablehnungsgesuche von dem Gericht, dem der Abgelehnte angehört, durch Beschluss zu bescheiden sind (§ 54 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 45 Abs. 1, 46 Abs. 1 ZPO), diese Entscheidungen aber nicht angefochten werden können (§ 146 Abs. 2 VwGO).

Dem nicht nur rechtsstaatlich ausgestalteten, sondern sogar gerichtsähnlichen erstinstanzlichen Vergabenachprüfungsverfahren liegt die Vorstellung eines fairen Verfahrens zugrunde, bei dem die Nachprüfung von unbeteiligten, nicht vorbefassten Dritten vorgenommen wird (Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht. 2. Aufl. 2005, § 105 Rdnr. 875). Obgleich die Vergabekammern organisatorisch in der Exekutive angesiedelt sind und Ähnlichkeiten zum Verwaltungsverfahren bestehen, hält der Senat für den Fall der Ablehnung von Vergabekammermitgliedern abweichend von der in dem Beschluss vom 22.12.1999 zum Ausdruck gebrachten Auffassung des Oberlandesgerichts Jena (NZBau 2000, 350) die analoge Anwendung der einschlägigen Vorschriften der VwGO und nicht der des VwVfG für angemessen (vgl. OLG Düsseldorf NZBau 2000, 440, 444 - EURO-Münzplättchen).

§ 21 VwVfG räumt den Beteiligten zwar das Recht ein, Befangenheitsgründe geltend zu machen, vermittelt aber kein förmliches Ablehnungsrecht (Kopp/Ramsauer, Komm. z. VwVfG, 9. Auflage 2005, § 21 Rdnr. 2). Die Regelung sieht lediglich ein behördeninternes Prüfungsverfahren vor und gibt den Beteiligten die Möglichkeit, durch entsprechendes Vorbringen den betroffenen Amtsträger zu veranlassen, die Entscheidung des Behördenleiters einzuholen; im übrigen können sie nur formlose Vorstellungen erheben. Mit dem gerichtsähnlichen Charakter des Vergabenachprüfungsverfahrens ist das Fehlen eines förmlichen Ablehnungsrechtes der Beteiligten wegen Besorgnis der Befangenheit im Hinblick auf die zentrale Bedeutung der Unvoreingenommenheit der Mitglieder der Vergabekammer für den Inhalt der Entscheidung aber nicht vereinbar.

Für die Anwendung der Regelungen der VwGO spricht zudem der Status der Mitglieder der Vergabekammer. Ihnen wird durch die Garantie der Unabhängigkeit gemäß § 105 Abs. 1 GWB und der fünfjährigen Unabsetzbarkeit gemäß § 105 Abs. 4 GWB eine richterähnliche Unabhängigkeit eingeräumt (Stockmann in Immenga/Mestmäcker, Komm. z. Kartellgesetz, 3. Aufl. 2001, § 105 GWB, Rdnr. 6). Dieser Stellung wird die Überprüfung eines Ablehnungsgesuchs durch die Vergabekammer (§ 54 Abs. 1 VwGO (analog) in Verbindung mit § 45 Abs. 1 ZPO) eher gerecht als die Prüfung durch den Behördenleiter.

Da durch den Ausschluss der Beschwerdemöglichkeit gegen den das Ablehnungsgesuch bescheidenden Beschluss gemäß § 146 Abs. 2 VwGO den Beteiligten der Anreiz genommen wird, Ablehnungsgesuche allein zum Zwecke der Hinauszögerung der Hauptsacheentscheidung anzubringen (zur entsprechenden Intention des Gesetzgebers vgl. BT-Dr 13/3993 S. 22 f.; 13/5098 S. 24 f.), spricht auch der Gesichtspunkt der Begrenzung der Verfahrensdauer für die analoge Anwendung der Vorschriften der VwGO. Demgegenüber kommt eine Heranziehung des § 46 Abs. 2 ZPO, der eine Beschwerdemöglichkeit gegen den das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärenden Beschluss ausdrücklich vorsieht, nicht in Betracht. Für eine Anwendung der Vorschriften der ZPO auf das Verfahren vor der Vergabekammer fehlt ein sachlich legitimierender Grund.

Eine die Vorlage erfordernde Divergenz zu der Entscheidung des Oberlandesgerichts Jena folgt aus der analogen Anwendung der Vorschriften der VwGO nicht. Von einer die Vorlagepflicht auslösenden Abweichung im Sinne des § 124 Abs. 2 GWB kann nur gesprochen werden, wenn eine Rechtsfrage bei einem im wesentlichen gleichen oder vergleichbar gelagerten Sachverhalt anders entschieden werden soll. Anders als im Streitfall hatte das Oberlandesgericht Jena nicht über eine gesonderte Beschwerde gegen eine Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch zu befinden, so dass bereits eine Vergleichbarkeit der Sachverhalte nicht gegeben ist. Darüber hinaus führen die unterschiedlichen Rechtsstandpunkte nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen in der Sache, denn auch das Oberlandesgericht Jena hat ausdrücklich eine gesonderte Anfechtungsmöglichkeit verneint.

Ob die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch im Rahmen einer Entscheidung in der Hauptsache sachlich zu überprüfen wäre, kann der Senat im Streitfall dahinstehen lassen.

Die Statthaftigkeit des Rechtsbehelfs ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung zu dem angefochtenen Beschluss, in dem die Vergabekammer auf die Möglichkeit der Einlegung der sofortigen Beschwerde hingewiesen hat. Eine falsche Rechtsbehelfsbelehrung vermag einen nicht statthaften Rechtsbehelf nicht konstitutiv zu begründen (BVerwGE 33, 211; 43, 326; 71, 76; BVerwG NJW 1986, 1125; Kopp/Schenke, Komm. z. VwGO, 14. Auflage 2005, Vorb § 124, Rdnr. 24).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO (analog).

Ende der Entscheidung

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