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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 04.01.2007
Aktenzeichen: 1 Ss 222/06
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 40 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat den Angeklagten wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen á 40 Euro verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt, die durch das Landgericht mit der Maßgabe verworfen wurde, dass die Tagessatzhöhe auf 25 Euro herabgesetzt wurde. Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten.

Die Revision hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet und im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Die Revision ist begründet, soweit damit die Höhe des Tagessatzes angegriffen wird.

Die Strafkammer hat zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten folgende Feststellungen getroffen:

"Der Angeklagte hat in seiner Heimat O1 in O2 die Schule besucht. Er hat sodann Politologie und Philosophie bis zum letzten Semester studiert und alle Scheine erworben. Das Studium dauerte vier bis fünf Jahre. Sodann hat er als Taxifahrer und Kellner in O3 gearbeitet, wo er seit 1986 lebt. Inzwischen arbeitet er in der Reinigung A in O4 seit zwei Jahren bei seinem Bruder. Dort ist er nur 8 Stunden in der Woche tätig. Er erhält 320 Euro netto monatlich. Außerdem tätigt er Übersetzerarbeiten von ... in ... bzw. umgekehrt für Zeitschriften im Exil. Diese Tätigkeit ist unentgeltlich. Ferner schreibt er Prosa und Gedichte. Er hat drei Bücher veröffentlicht in persischer Sprache. Der letzte Band erschien 1996. Auch daraus erzielt er keinen nennenswer-ten Gewinn. Der Angeklagte ist verheiratet. Seine Ehefrau ist Managerin der B. Derzeit erhält sie 1.400 bis 1.500 Euro aus Hartz IV und Kindergeld. Die beiden gemeinsamen Kinder sind 3 1/2 und 1 1/2 Jahre alt."

Zur Berechnung der Tagessatzhöhe hat das Landgericht ausgeführt:

"Der Angeklagte muss sich zu den 320 Euro, die er monatlich erhält, hinzurechnen lassen, dass die Miete über SGB II von seiner Ehefrau bezahlt wird, er also für die Miete nicht aufzukommen braucht. Die Wohnung für eine vierköpfige Familie wird jedenfalls eine Miete weit über 500 Euro erfordern. Unter Berücksichtigung dessen ist davon auszugehen, dass der Angeklagte jedenfalls 750 Euro zur Verfügung monatlich hat. Der Unterhalt für die Kinder wird ebenfalls über SGB II bezahlt. Die Tagessatzhöhe war daher mit 25 Euro pro Tagessatz zu veranschlagen."

Die auf der Grundlage der vorgenannten Feststellungen vorgenommene Festsetzung der Tagessatzhöhe wird den Anforderungen des § 40 Abs. 2 StGB nicht gerecht. Danach bestimmt das Gericht die Höhe des Tagessatzes unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters. Dabei geht es in der Regel von einem Netto-Einkommen aus, das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte. Der Tatrichter hat insoweit allerdings einen weiten Beurteilungsspielraum, weshalb das Revisionsgericht dessen Wertung "bis zur Grenze des Vertretbaren" hinnehmen muss (vgl. BGHSt 27, 250). Nach umfassender Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters darf der rechnerische Tagessatz sowohl unterschritten als auch überschritten werden. Zur Berechnung dürfen insbesondere auch Einkommen Dritter - hier die Ehefrau - berücksichtigt werden, vorausgesetzt diese Einkünfte fließen dem Täter unmittelbar oder mittelbar zu oder kommen ihm sonst zugute (vgl. BGHR StGB, § 40 Abs. 2 S. 1, Einkommen 4). Bei einem Täter mit geringem eigenen Arbeitseinkommen - wie der Angeklagte, der 320 Euro netto monatlich verdient - kann zwar unter Umständen ein wesentlich höheres Einkommen des Ehe- oder Lebenspartners mitberücksichtigt werden, wenn dem Täter hieraus tatsächlich geldwerte Vorteile zufließen, die als (dauerhaftes) "Einkommen" angesehen werden können; das darf freilich nicht dazu führen, eine strafrechtliche "Gesamthaftung" des Familieneinkommens anzunehmen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl., § 40 Rdnr.9). Vorliegend hat die Kammer festgestellt, dass die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch allein die Ehefrau einschließlich des Kindergeldes erhält. Dies bedeutet, dass nicht ohne weiteres dem Angeklagten hieraus tatsächlich geldwerte Vorteile zufließen, die als Einkommen angesehen werden können. Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch stehen grundsätzlich jedem Hilfesuchenden selbständig zu (vgl. zum BSHG OLG Düsseldorf NStZ 1987, 556), so dass sie nicht ohneweiteres dem Einkommen des Angeklagten, der nicht selbst Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch erhält, zuzurechnen sind. Unter Berücksichtigung dessen lässt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit aus den Urteilsfeststellungen entnehmen, wieso das Landgericht von einem berücksichtigungsfähigen Einkommen bei dem Angeklagten von 750 Euro ausgeht. Das Landgericht führt lediglich pauschal aus, dass die Wohnung für eine vierköpfige Familie jedenfalls weit über 500 Euro erfordern wird, ohne dass genaue Feststellungen hierzu getroffen werden. Insbesondere ist nicht ersichtlich, wieso auf den Angeklagten aus einer eventuell anrechenbaren Miete etwaige Sachbezüge wie freie Wohnung sind dem Nettoeinkommen zuzurechnen (vgl. Leipziger Kommentar - Häger, StGB, 11. Auflage § 40 Rdnr. 36)- 430 Euro (750 Euro abzüglich 320 Euro eigenes Nettoein-kommen des Angeklagten) entfallen sollten. Der Unterhalt für die Kinder, der über SGB II bezahlt wird, ist ihm nicht als Einkommen anzurechnen.

Im Übrigen hat das Landgericht nicht festgestellt, welchen Betrag der Angeklagte aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse als unerlässlichen Lebensunterhalt benötigt. Dem Gebot der Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wird bei einem Geringverdiener, ähnlich wie bei einem Sozialleistungs-, insbesondere Sozialhilfeempfänger, nur die Bemessung der Geldstrafe anhand desjenigen Betrages gerecht, den dieser während eines angemessenen Ratenzahlungszeitraums nach § 42 StGB ohne Beeinträchtigung seines unerlässlichen Lebensbedarfs aufbringen kann (vgl. hierzu bei einem Sozialhilfeempfänger, Senatsbeschluss vom 12.9.2006, Az.: 1 Ss 145/06 m.w.N.). Bei Einkünften am Rande des Existenzminimums kommt eine Senkung der Tagessatzhöhe in Betracht, wenn die sich aus der rechnerischen Bestimmung ergebene absolute Belastung unverhältnismäßig wäre (vgl. Tröndle/Fischer a.a.O., § 40 Rdnr. 24 m.w.N.). Hierbei ist zu beachten, dass es bei einer hohen Tagessatzanzahl (über 90) angebracht sein kann, die Tagessatzhöhe weiter zu verringern, da sich mit zunehmender Zahl die Fühlbarkeit der Geldstrafe bei gleichbleibender Tagessatzhöhe nicht in entsprechender Weise steigert, sondern progressiv wächst (vgl. Schönke-Schröder-Stree, StGB, 27. Aufl., § 40 Rdnr. 15a m.w.N.; Tröndle/Fischer a.a.O., § 40 Rdnr. 24).

Vorliegend dürfte auch nicht auf ein zumutbar erzielbares Einkommen abzustellen sein. Auf ein zumutbar erzielbares Einkommen ist nur abzustellen, wenn der Täter in vorwerfbarer Weise seine Arbeitskraft Brach liegen lässt oder seine Leistungsfähigkeit herabsetzt. Das potentielle Einkommen ist dann heranzuziehen, wenn das Einwirkungsziel der Geldstrafe, ginge man vom tatsächlichen Einkommen aus, nicht erreicht würde. Potentielles Einkommen darf auch dann nicht zugrunde gelegt werden, wenn der Täter die Einkommensminderung nicht bewusst, wenn auch verschuldet herbeigeführt hat. Von einem fiktiven Einkommen darf daher nur ausgegangen werden, wenn er zumutbare Erwerbsmöglichkeiten ohne billigenswerten Grund nicht wahrnimmt. Dabei sind individuelle Lebensentscheidungen grundsätzlich zu respektieren (vgl. Tröndle/Fischer a.a.O., § 40 Rdnr. 8).

Der oben aufgezeigte Mangel führt zur Aufhebung des Urteils im Rechtsfolgenausspruch bezüglich der Höhe des Tagessatzes mit den dazugehörigen Feststellungen und Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main (§§ 349 Abs. 4, 353, 354 Abs. 2 StPO).

Im Übrigen hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, so dass die Revision als unbegründet zu verwerfen war (§ 349 Abs. 2 StPO). Ergänzend ist insoweit anzumerken, dass entgegen der Darlegung in der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main vom 26.7.2006 der Angeklagte die Entscheidung der Vorsitzenden in der Hauptverhandlung, von der Vereidigung des Zeugen C abzusehen, beanstandet und gem. § 238 Abs. 2 StPO einen Gerichtsbeschluss herbeigeführt hat (vgl. Protokoll Bl. 169 d. A. i.V.m. Anlage 2 und 3 zum Protokoll Bl. 178-182 d. A.). Das Landgericht hat aber in nicht zu beanstandender Weise von der Vereidigung des Zeugen ermessensfehlerfrei abgesehen, wie sich aus der angefochtenen Entscheidung (S. 7 UA.) ergibt. Offenbleiben konnte, ob die Entscheidung nach § 59 StPO über das Absehen der Vereidigung überhaupt revisibel ist, weil die Entscheidung über die Frage der Vereidigung im Ermessen des Gerichts liegt (so Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 59 Rdnr. 13 m.w.N.).

Der Antrag mit Schriftsatz vom 21.12.2006, Rechtsanwalt D als Pflichtverteidiger im Revisionsverfahren beizuordnen, ist durch den Vorsitzenden des letzten Tatgerichts zu bescheiden. Zuständig für die Entscheidung über die Verteidigerbestellung ist der Vorsitzende des für das Hauptverfahren zuständigen Gerichts oder des Gerichts, bei dem die Sache anhängig ist, des letzten Tatgerichts auch für die Beiordnung eines Verteidigers für die Revisionsbegründung oder sonst für das Revisionsverfahren (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 141 Rdnr. 6 m.w.N.).

Das Revisionsgericht ist grundsätzlich nur für die Verteidigerbestellung für die Mitwirkung an der Revisionsverhandlung zuständig (Meyer-Goßner, a.a.O., § 140 Rdnr. 9). Eine Revisionsverhandlung findet vorliegend nicht statt.

Ende der Entscheidung

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