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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 15.02.2005
Aktenzeichen: 1 Ss 384/04
Rechtsgebiete: BtMG


Vorschriften:

BtMG § 29 a
Zur Erforderlichkeit von Feststellungen zu Menge und Wirkstoffgehalt des Rauschgifts im Rahmen der Strafzumessung
Gründe:

Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat den Angeklagten am 04.05.2004 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Crack) in zwei Fällen sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Crack) in einem weiteren Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten verurteilt. Das sichergestellte Betäubungsmittel wurde eingezogen.

Der Verurteilung wurde der folgende Sachverhalt zugrunde gelegt:

"Am 03.07.2003 hielt sich der Angeklagte in der Xstraße in O1 vor dem Café A auf, wo er in der Zeit von 14.30 Uhr bis 15.00 Uhr Crack verkaufte. So verkaufte er einen Crackstein zum Preis von 50,- € an die Zeugin Z1, die diesen sofort konsumierte. An den Zeugen Z2 verkaufte der Angeklagte einen Crackstein für 10,- €, den dieser bei seiner polizeilichen Kontrolle wegwerfen konnte.

Am 05.08.2003 verkaufte der Angeklagte kurz nach 9.00 Uhr auf dem Treppenabgang der Y-Straße zur ...-Ebene des Hauptbahnhofes einen Crackstein im Gewicht von 0,09 Gramm an die Zeugin Z3. Wenig später verkaufte er dort einen weiteren Crackstein im Gewicht von 0,02 Gramm zum Preis von 10,- € an die Zeugin Z4.

Der Angeklagte tätigte die vorgenannten Rauschgiftgeschäfte, um seinen eigenen Drogenkonsum zu finanzieren.

Am 06.02.2004 führte der Angeklagte gegen 23.10 Uhr am Vorplatz des ... Hauptbahnhofes drei Cracksteine im Gesamtgewicht von 3,31 Gramm mit sich, die anläßlich einer polizeilichen Kontrolle aufgefunden und sichergestellt werden konnten. Das Rauschgift war nach der glaubhaften und unwiderlegbaren Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung für seinen Eigenkonsum bestimmt; er hatte es zuvor für 200,- € von einem unbekannten Drogendealer erworben."

Gegen das Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 05.05.2004 fristgerecht Berufung eingelegt, die er in der Berufungshauptverhandlung am 20.09.2004 auf das Strafmaß beschränkt hat.

Das Landgericht hat die Beschränkung als wirksam beurteilt und die Berufung durch Urteil vom 20.09.2004 verworfen.

Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und in gleicher Weise begründete Revision des Angeklagten. Er erhebt die Sachrüge.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht hat beantragt, das angefochtene Urteil wegen des Fehlens von Feststellungen zu Wirkstoffgehalt und Qualität der Cracksteine im Strafausspruch aufzuheben.

Das Rechtsmittel des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs.

Die vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfende Beschränkung seiner Berufung ist vom Landgericht zu Recht als wirksam beurteilt worden.

Ein Rechtsmittel kann grundsätzlich wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt werden. Eine wirksame Beschränkung ist nur in den Fällen nicht möglich, in denen Schuldspruch und Strafzumessung so eng miteinander verknüpft sind, daß eine getrennte Überprüfung der Strafzumessung nicht möglich wäre, ohne den nicht mitangefochtenen Schuldspruch zu berühren. Ansonsten gebietet es die dem Rechtsmittelberechtigten in § 318 S. 1 StPO eingeräumte Verfügungsmacht über den Umfang der Anfechtung, den in den Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck kommenden Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren. Danach führt nicht jeder Mangel des infolge der Beschränkung grundsätzlich in Rechtskraft erwachsenden Teils, insbesondere auch nicht jede Lücke in den Schuldfeststellungen, zur Unwirksamkeit der Beschränkung. Das gilt auch, wenn infolge der Unvollständigkeit die Feststellungen für die erneut vorzunehmende Strafzumessung zu ergänzen sind, solange die neu zu treffenden Feststellungen den bindend gewordenen nicht widersprechen und der Schuldspruch als solcher davon nicht betroffen sein kann.

Auch beim Fehlen von Angaben zum Wirkstoffgehalt des Betäubungsmittels kann der Schuldspruch je nach Lage des Einzelfalles - wenn tatbestandliche Voraussetzungen, wie zum Beispiel das Vorliegen einer nicht geringen Menge im Sinne des § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, nicht in Frage stehen - revisionsrechtlicher Prüfung standhalten. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ist auch die Rechtsmittelbeschränkung wirksam.

(vgl. insoweit ausführlich und mwN. Senatsurteil vom 27.09.2002 - 1 Ss 49/02).

Vorliegend führt das Fehlen von Angaben zum Wirkstoffgehalt nicht zur Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung.

Die eingangs wiedergegebenen, vom Berufungsgericht als bindend seiner Entscheidung über den Strafausspruch zugrunde gelegten Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils sind zwar knapp, jedoch weder unklar, noch widersprüchlich und lassen den Unrechts- und Schuldgehalt der Taten jedenfalls in groben Zügen erkennen. Dafür reicht die Beschreibung des Gegenstands des Handeltreibens mit 2 Cracksteinen zum Preis von einmal 50,- € und einmal 10,- € (Fall 1) bzw. mit 2 Cracksteinen im Gewicht von 0,09 und 0,02 Gramm, letzterer zum Preis von 10,- € (Fall 2) sowie des Besitzes von 3 Cracksteinen im Gewicht von 3,31 Gramm zum Kaufpreis von 200,- € (Fall 3) aus. Der Unrechts- und Schuldgehalt der Taten ist hier hinreichend dargestellt. Allerdings hätte es - wie auszuführen sein wird - für die Strafzumessung genauerer Feststellungen zu dem Wirkstoffgehalt der Cracksteine bedurft und werden diese in der erneuten Hauptverhandlung über das Strafmaß nachzuholen sein. Dieses Erfordernis steht der Wirksamkeit der Beschränkung jedoch nicht entgegen. Daß die grundsätzlich zulässige Ergänzung den Schuldspruch betreffen könnten, ist hier auszuschließen.

In allen Fällen scheidet das Vorliegen einer "nicht geringen Menge" im Sinne von § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG - bei Crack anzusetzen mit 5 g Kokainhydrochlorid, in das die Base durch Multiplikation mit dem Faktor 1,11 umzurechnen ist - bereits nach den Angaben im Urteil aus. Dies wird in den Fällen 2 und 3 bestätigt durch den Akteninhalt, der bei der von Amts wegen im Wege des Freibeweises vorzunehmenden Prüfung der Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung herangezogen werden darf. Ausweislich der Gutachten des HLKA über das hier sichergestellte Crack handelt es sich bei den am 05.08.2003 sichergestellten Steinen um 0,09 Gramm Kokainbase und um eine Substanz von 0,02 Gramm, in der Kokainbase nachgewiesen wurde. Bei den 3 Cracksteinen im Fall 3 wurde das Material als 3,31 Gramm Kokainbase bestimmt.

Aber auch im Fall 1, in dem mangels Sicherstellung kein Gutachten vorliegt, ist angesichts der Verkaufspreise - die hier in Relation zu dem im gleichen Zeitraum verkauften und gekauften Crack (dessen Gewicht, Preis und teilweise auch Wirkstoffgehalt bekannt ist) gesetzt werden müssen - die Feststellung einer "nicht geringen Menge" im Sinne des § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ausgeschlossen, zumal bei nicht sichergestellten Betäubungsmitteln die Wirkstoffkonzentration unter Berücksichtigung des Grundsatzes "in dubio pro reo" zu bestimmen ist.

Ebenso kann hier § 29 Abs. 5 BtMG keine Anwendung finden, da im Fall 3 die Annahme einer nicht geringen Menge angesichts eines Wirkstoffgehalts von 3,31 Gramm Base nicht in Betracht kommt und in den Fällen 1 und 2 die Heranziehung dieser Vorschrift bereits wegen des Handeltreibens ausgeschlossen ist.

Bei dieser Sachlage ist die Beschränkung der Berufung für wirksam zu erachten.

Bei der danach allein noch anstehenden Überprüfung des Strafausspruchs erweist sich das Fehlen der Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des Rauschgifts indessen als rechtsfehlerhaft.

Nach herrschender Meinung (vgl. BGH NJW 1992, 380; StV 2000, 213; StV 2001, 461) und der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 27.09.2002 - 1 Ss 49/02; Beschluß vom 25.11.2004 - 1 Ss 253/04) ist die Menge des Rauschgifts und sein Wirkstoffgehalt - neben der Art des Betäubungsmittels und seiner Gefährlichkeit - für den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat im Rahmen der Strafzumessung maßgebend. Deshalb kann eine nach den Umständen des Falles mögliche, genaue Feststellung der Wirkstoffmenge für eine sachgerechte, schuldangemessene Festsetzung der Strafen im Betäubungsmittelrecht grundsätzlich nicht verzichtet werden. Soweit konkrete Feststellungen nicht getroffen werden können, da die Betäubungsmittel nicht zur Verfügung stehen, muß das Tatgericht dennoch unter Berücksichtigung der übrigen festgestellten Umstände und des Grundsatzes "in dubio pro reo" die Wirkstoffkonzentration bestimmen (vgl. Körner, BtMG, 5 Aufl., § 29 Rn. 489, § 29 a Rn. 97 und 108).

Von genauen Feststellungen darf ausnahmsweise abgesehen werden, wenn ausgeschlossen ist, daß diese das Strafmaß zu Gunsten des Angeklagten beeinflussen können (vgl. BGH, Urteil vom 25.04.1990 - 3 StR 57/90). Das ist auch dann nicht der Fall, wenn dem Aspekt in der Strafzumessung angesichts der unbedeutenden Größenordnung der Gesamtmenge nur untergeordnete Bedeutung zukommt, gleichwohl aber Umstände straferschwerend gewertet wurden, deren konkrete Gewichtung an die Wirkstoffmenge der Betäubungsmittel gebunden ist, sich mithin genauere Feststellungen hierzu auf das Strafmaß auswirken können (vgl. Senat, aaO.).

So verhält es sich hier.

Zwar ist im Rahmen der Strafzumessung im angefochtenen Urteil ausgeführt, daß die gehandelte Menge des Rauschgifts gering war, was zumindest in den Fällen 1 und 2 dafür spricht, daß der jeweiligen Menge als solcher nur untergeordnete Bedeutung beigemessen wurde. Demgegenüber wurde jedoch straferschwerend "die Häufung der Rauschgiftgeschäfte" gewertet. Soweit eine besondere Häufung von Handelsgeschäften als Straferschwerungsgrund in Betracht kommt (vgl. Körner, aaO., § 29 Rn. 554), kann dies nicht losgelöst von dem Gewicht der einzelnen Taten bzw. ihrer Teilakte und damit von den bei den Einzelgeschäften gehandelten Mengen des Rauschgifts und dessen Wirkstoffgehalts bewertet werden.

Daher kann nicht ausgeschlossen werden, daß genauere Feststellungen zur Wirkstoffmenge des Rauschgifts das Strafmaß zu Gunsten des Angeklagten beeinflußt hätten.

Der aufgezeigte Mangel führt zur Aufhebung der Einzelfreiheitsstrafen und des Gesamtstrafenausspruchs.

Das nötigt nicht zur Aufhebung der Einziehungsanordnung, da eine Wechselwirkung zwischen dieser Sicherungsmaßnahme und der Höhe der Strafe nicht besteht (vgl. Senatsbeschluß vom 20.06.2000 - 1 Ss 112/00; Senatsbeschluß vom 25.11.2004 - 1 Ss 253/04).

Mithin war das Urteil im Strafausspruch aufzuheben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main zurückzuverweisen (§§ 349 Abs. 4, 353, 354 Abs. 2 StPO) sowie die weitergehende Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Ende der Entscheidung

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