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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 25.07.2008
Aktenzeichen: 1 Ss 407/07
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 95
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat den Angeklagten am 27.8.2007 "wegen unerlaubten Aufenthaltes im Bundesgebiet ohne Pass oder Passersatz" - Straftat gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG - zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 5,- Euro verurteilt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die gem. § 335 StPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und in gleicher Weise begründete Sprungrevision des Angeklagten. Sie führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs.

Soweit sich die Revision gegen den Schuldspruch richtet, ist sie aus den Gründen der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

Anzumerken ist zunächst, dass der Senat den Ausführungen des Revisionsführers in seiner Erwiderung auf die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht, in dem angefochtenen Urteil werde "nicht hinreichend deutlich, ob als Tat das Sich-hier-Aufhalten ohne Pass bestraft wird oder letztendlich die fehlende Mitwirkungsbereitschaft i. S. d. § 48 Abs. III AufenthG als strafwürdig angesehen wird, die aber nur dem Ordnungswidrigkeitenstrafrecht des § 98 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG unterliegt", nicht zu folgen vermag. Aus dem Tenor und den Entscheidungsgründen des Urteils ergibt sich eindeutig die Verurteilung wegen des Straftatbestandes des § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG und nicht wegen des hierzu nach § 21 OWiG subsidiären Bußgeldtatbestands.

Der eingehenderen Erörterung bedarf lediglich die Rüge des Revisionsführers, der Angeklagte habe unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27.12.2006 - Az. 2 BvR 1895/05 - nicht schuldhaft gehandelt, da er sich seit dem Jahr 2000 ununterbrochen unerlaubt ohne Pass in Deutschland aufhalte, deshalb in der Vergangenheit schon mehrfach wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz bzw. Aufenthaltsgesetz verurteilt worden sei und keine hinreichenden Feststellungen zum Vorliegen eines erneuten Tatentschlusses des Angeklagten nach den vorangegangenen Verurteilungen getroffen worden seien.

Auch bei Annahme der dem Revisionsangriff zugrunde liegenden Auffassung, bei dem abgeurteilten Verstoß gegen § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthaltsG handele es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (so BVerfG, Beschluss vom 12.9.2005 - Az. 2 BvR 1361/05, Rn. 19 [zit. nach juris] ohne nähere Begründung zur Vorgängernorm § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG; ebenso BGH, Urteil vom 6.10.2004 - Az. 1 StR 76/04, Rn. 17 [zit. nach juris] in die Entscheidung nicht tragenden Ausführungen zu § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG; anders Senatsbeschluss vom 18.8.2000 - Az. 1 Ws 106/00, Rn. 13 [zit. nach juris] zu § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG), kann der Senat den Ausführungen des Revisionsführers nicht folgen.

Nach bisher allgemeiner Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. die Nachweise bei Kraatz, Jura 2007, 854, 857) wird ein Unterlassungsdauerdelikt durch die von einer wegen dieser Tat erfolgten Verurteilung ausgehende Zäsurwirkung vollendet, so dass die erneute Tatbegehung nach der Vorverurteilung grundsätzlich selbstständig strafwürdig ist. In dem vom Revisionsführer zitierten Kammerbeschluss vom 27.12.2006 hat das Bundesverfassungsgericht demgegenüber ausgeführt, es stelle einen offensichtlichen Verstoß gegen das aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip resultierende Gebot schuldangemessenen Strafens dar, wenn der Staat bei einem Unterlassungsdauerdelikt durch einen bloßen, nicht näher begründeten Verweis auf die dogmatische Figur der Zäsurwirkung einer vorausgegangenen Verurteilung selbst die Voraussetzungen für die Verurteilung wegen einer vermeintlich neuen Tat schaffe. Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde lag eine wiederholte Verurteilung wegen Kindesentziehung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe; der dortige Beschwerdeführer hatte es nach einer vorangegangenen Verurteilung wegen desselben Delikts weiterhin unterlassen, die für die Rückholung des Kindes erforderliche Einverständniserklärung abzugeben. Dabei führte zum Erfolg der Verfassungsbeschwerde, dass die Strafgerichte keine hinreichenden Feststellungen zum Vorliegen eines neuen, selbstständigen Tatentschlusses getroffen und sich insofern für die erneute Verurteilung allein auf die Zäsurwirkung der Vorverurteilung gestützt hatten.

Die vorliegende Fallkonstellation unterscheidet sich maßgeblich von dem Geschehen, das der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27.12.2006 zugrunde lag. Im vorliegend angefochtenen Urteil stellt das Amtsgericht für die Begründung des wiederholten vorsätzlichen Verstoßes gegen den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG entscheidend nicht auf die Wirkung der Vorverurteilungen ab, sondern darauf, dass der zur Sache schweigende Angeklagte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme am 8.6.2006 von der Ausländerbehörde ausdrücklich aufgefordert wurde, sich um die für die Erlangung eines Passes oder Passersatzes erforderliche Vorlage von Identitätsnachweisen wie etwa Geburtsurkunde, Schulzeugnisse, Name und Anschrift der Eltern etc. zu kümmern. Hierbei wurde er nach den Feststellungen des Amtsgerichts auch über seine - aus § 48 Abs. 3 AufenthaltsG resultierende - gesetzliche Pflicht, sich hierum zu bemühen, belehrt und unterschrieb die entsprechende Belehrung persönlich. Wenn er sich sodann trotz Erhalts dieser Aufforderung und Belehrung - wie das Amtsgericht weiter feststellt - nicht um die Ausstellung eines Passes oder Passersatzes kümmerte und am Tattag, dem 8.3.2007, bei seiner Personenkontrolle dementsprechend kein solches Papier vorlegen konnte, ist das Amtsgericht zurecht von der - unabhängig von den sämtlich vor dem 8.6.2006 erfolgten Vorverurteilungen - vorsätzlichen Erfüllung des Straftatbestands des § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthaltsG ausgegangen.

Im Strafausspruch hält das angefochtene Urteil revisionsrechtlicher Überprüfung indes nicht stand.

Das Amtsgericht hat straferschwerend allein "die zahlreichen auch einschlägigen Vorstrafen" des Angeklagten berücksichtigt und dabei hervorgehoben, der Angeklagte sei "auch wegen des Verstoßes gegen das Ausländergesetz wiederholt auch zu unbedingten Freiheitsstrafen verurteilt worden". Im Rahmen der Feststellungen hat es insgesamt 11 Vorstrafen unter Nennung des Datums der Verurteilung, des erkennenden Gerichts, des verwirklichten Straftatbestands und der verhängten Strafen aufgeführt. Darunter finden sich 6 Vorbelastungen "wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz bzw. Aufenthaltsgesetz". Bei keiner Vorstrafe sind nähere Einzelheiten zum zugrunde liegenden Sachverhalt erwähnt. Insbesondere auch bezüglich der 6 genannten ausländerrechtlichen Vorstrafen werden weder die näheren Tatumstände noch der jeweilige Tatzeitraum bezeichnet. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 17.11.2003 - 1 Ss 285/03 - und vom 19.9.2006 - 1 Ss 167/06) muss der Tatrichter jedoch, will er Vorstrafen zum Nachteil des Angeklagten verwerten, neben den Zeiten der Vorverurteilungen sowie Art und Höhe der Rechtsfolgen auch die Tatzeitpunkte mitteilen und in der Regel auch Ausführungen zu den Sachverhalten, die den Vorverurteilungen zu Grunde lagen, machen, da sonst das Revisionsgericht nicht nachprüfen kann, ob das Tatgericht die Vorstrafe in ihrer Bedeutung und Schwere für den Schuldspruch richtig bewertet hat. Dies gilt vorliegend insbesondere für die erwähnten Verstöße gegen das Ausländergesetz bzw. Aufenthaltsgesetz, da diese vom Amtsgericht gerade wegen ihrer Einschlägigkeit als wesentlicher Strafschärfungsgrund herangezogen worden sind.

Zudem ist auch die Bemessung der Tagessatzhöhe rechtsfehlerhaft. Das Revisionsgericht hat bei der Überprüfung der Tagessatzhöhe einer gegen einen Angeklagten verhängten Geldstrafe zwar lediglich nachzuprüfen, ob die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters ausreichend festgestellt und in rechtsfehlerfreier Weise berücksichtigt worden sind, wobei die gebotene Würdigung aller tatsächlichen Umstände vom Revisionsgericht nicht in eigener Zuständigkeit vorzunehmen, sondern die Wertung des Tatrichters bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen ist; denn das Gesetz gibt in § 40 Abs. 2 StGB insoweit nur allgemeine Anhaltspunkte für die Bestimmung des Tagessatzes und räumt dem Tatrichter eine weitgehende Ermessensfreiheit ein (vgl. Senatsbeschlüsse vom 12.09.2006 - 1 Ss 145/06 und vom 16.06.2006 - 1 Ss 83/06 -; BGHSt 27, 212, 215). Die Höhe eines Tagessatzes ist hierbei grundsätzlich nach dem Netto-Verdienst des Täters zu bemessen, den dieser tatsächlich erzielt. Denn nach § 40 Abs. 2 S. 1 und 2 StGB ist die Höhe des Tagessatzes nach den - gegebenen - persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters zu bestimmen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 12.09.2006 - 1 Ss 145/06 und vom 16.06.2006 - 1 Ss 83/06 -; BayObLG NStZ 1988, 499; Fischer, StGB, 55. Aufl., § 40 Rdnr. 6).

Hier hat das Amtsgericht zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten festgestellt, dieser sei ledig und kinderlos und werde als früherer Asylbewerber mit monatlich 185,- Euro staatlich unterstützt. Weiterhin hat es im Rahmen der Strafzumessung zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er "als abgelehnter Asylbewerber an der Grenze des Existenzminimums leben muss und nicht arbeiten darf." Sodann hat es unter Berücksichtigung eines "monatlichen Nettoeinkommens von 185,- Euro" die Höhe eines Tagessatzes auf 5,- Euro festgesetzt.

Hierbei hat das Amtsgericht jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Gebot der Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei einem Sozialleistungs- insbesondere Sozialhilfeempfänger nur die Bemessung der Geldstrafe anhand desjenigen Betrages gerecht wird, den dieser während eines angemessenen Ratenzahlungszeitraums nach § 42 StGB ohne Beeinträchtigung seines unerlässlichen Lebensunterhalts aufbringen kann. Bei einem Sozialhilfeempfänger, der über keine anderen Mittel verfügt und auch nicht seine Arbeitskraft verwerten könnte, ist die Tagessatzhöhe damit durch das drei- bis vierfache des Differenzbetrages zwischen erhaltener Sozialhilfe einschließlich Sachbezügen und dem unerlässlichen Lebensunterhalt pro Tag begrenzt (ständige Rechtsprechung des Senats, z.B. Beschlüsse vom 12.09.2006 - 1 Ss 145/06; vom 23.08.2005 - 1 Ss 202/05, vom 6.10.2003 - 1 Ss 223/03 und vom 23.08.2001 - 1 Ss 161/01; ebenso OLG Stuttgart NJW 1994, 745). Damit wird der Erwägung Rechnung getragen, dass bei Einkünften am Rande des Existenzminimums eine Senkung der Tagessatzhöhe in Betracht kommt, wenn die sich aus der rechnerischen Bestimmung ergebende absolute Belastung unverhältnismäßig wäre (vgl. Fischer, StGB, a.a.O., § 40 Rn. 24 m.w.N.). Hierbei ist zudem zu beachten, dass es bei einer hohen Tagessatzanzahl (über 90) angebracht sein kann, die Tagessatzhöhe weiter zu verringern, da sich mit zunehmender Zahl die Fühlbarkeit der Geldstrafe bei gleichbleibender Tagessatzhöhe nicht in entsprechender Weise steigert, sondern progressiv wächst (Schönke/Schröder-Stree, StGB, 27. Aufl., § 40 Rn. 15a m.w.N.; Fischer, a.a.O., § 40 Rn. 24). Da das Amtsgericht diese Grundsätze nicht erkennbar beachtet hat, war auch die Bestimmung der Tagessatzhöhe zu beanstanden.

Das angefochtene Urteil ist aufgrund der vorstehenden Ausführungen bezüglich des Strafausspruchs mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Frankfurt am Main zurückzuverweisen (§§ 349 Abs. 4, 353, 354 Abs. 2 StPO).

Ende der Entscheidung

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