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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 17.03.2005
Aktenzeichen: 1 U 149/04
Rechtsgebiete: AktG, BGB


Vorschriften:

AktG § 57 I
BGB § 254
BGB § 826
1. Die Grundsätze zur "Anlagestimmung" finden im Rahmen der deliktischen Haftung für falsche Ad-hoc-Mitteilungen keine Anwendung. Die Ursächlichkeit der falschen Meldung für den Anlageentschluss muss anhand der Umstände des Einzelfalls festgestellt werden.

2. Die sich aus §§ 826, 31 BGB ergebende Haftung der AG für falsche Ad-hoc-Mitteilungen geht dem Grundsatz der Kapitalerhaltung (§ 57 Abs. 1 AktG) vor. Die Haftung der AG ist nicht auf ihr freies Kapital beschränkt.

3. Derartige Ansprüche sind nicht allein deshalb wegen Mitverschuldens (§ 254 BGB) zu kürzen, weil der Anleger ein "hochspekulatives Papier" erworben hat.


Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht seines Freundes ... (nachfolgend als "Zedent" bezeichnet) auf Schadensersatz wegen verschiedener Täuschungshandlungen in Anspruch, die dem Erwerb von Aktien der Beklagten durch den Zedenten voraus gingen. Der Zedent erwarb am 14.3.2001 200 Aktien der Beklagten zu 31 €, am 19.4.2001 300 Aktien der Beklagten zu 9,10 €, nach bestrittener Behauptung des Klägers deshalb, weil er - der Zedent - auf die von ihm selbst im Internet gelesenen Ad-hoc-Mitteilungen der Beklagten vom 26.2.2001 über Gewinn und Umsatz im Geschäftsjahr 2000 (Bl. 13 f. d. A.) und vom 16.3.2001 über die Anhebung der Umsatz- und Gewinnplanzahlen für 2001 bis 2003 (Bl. 53 f. d. A.) vertraut habe. Unstreitig beruhte das Zahlenwerk in beiden Ad-hoc-Mitteilungen wie in zahlreichen anderen ganz überwiegend auf vom damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, ..., fingierten Umsätzen. Außerdem hat sich der Kläger noch auf eine Unrichtigkeit des im November 1999 von der Beklagten heraus gegebenen Börsenprospekts gestützt und - im Anschluss an ein früheres Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main - gemeint, wegen der zahlreichen falschen Ad-hoc-Mitteilungen zu hohen Umsätzen etc. habe eine durchgängige "Anlagestimmung" bestanden, die nach den Regeln des Anscheinsbeweises auf die Ursächlichkeit der Falschmeldungen für die Kaufentschlüsse des Zedenten schließen lasse. Klageforderung ist die Differenz des vom Zedenten für die Aktien 2001 gezahlten und des von ihm nach dem weit gehenden Zusammenbruch der Beklagten am 3.2.2003 noch erzielten Preises von 0,21 € (Bl. 12 d. A.).

Zur Darstellung der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.

Das Landgericht hat der Klage aus §§ 826, 31 BGB stattgegeben.

Die Beklagte rügt mit ihrer Berufung insbesondere, das ggf. sittenwidrige Handeln ... sei ihr nicht nach § 31 BGB zurechenbar, weil der Zedent als Aktionär nicht "Dritter" sei und eine Verletzung von Pflichten aus der Satzung oder dem Mitgliedschaftsverhältnis nicht in Rede stehe. Die Unrichtigkeit von Ad-hoc-Mitteilungen begründe das Verdikt der Sittenwidrigkeit allein nicht. Der Kläger habe die Kausalität der Falschmeldungen für die Kaufentschlüsse des Zedenten unzureichend dargelegt, insbesondere hinsichtlich der zweiten, nach dem Kauf veröffentlichten Mitteilung. Das Landgericht habe auf die nötigen, konkreten Feststellungen hierzu verzichtet und mit unzulässigen Vermutungen gearbeitet. Der Prospekt habe die schwierige finanzielle Situation der Beklagten offen gelegt und sei daher nicht geeignet gewesen, eine Anlagestimmung auszulösen, die durch die Ad-hoc-Mitteilungen hätte perpetuiert werden können. Jedenfalls habe der Kläger eine derartige Wirkung des Prospektes nicht ausreichend dargelegt. Die etwa durch den Prospekt hervorgerufene Anlagestimmung sei um die Jahreswende 1999/2000, also lange vor dem Erwerb des Zedenten wieder erloschen, weil durch die Kursentwicklung überholt worden. Dagegen, dass die Ad-hoc-Mitteilungen eine Kaufstimmung erzeugt hätten, spreche in tatsächlicher Hinsicht schon der insgesamt davon unabhängige Verlauf des Aktienkurses, der vielmehr überwiegend spekulative Erwägungen der meisten Anleger belege; rechtlich gesehen kämen weder Beweiserleichterungen noch ein Anscheinsbeweis in Betracht, weil Erfahrungssätze für ein typisches Anlegerverhalten fehlten. ... habe hinsichtlich der Schädigung von Anlegern nur bewusst fahrlässig, nicht bedingt vorsätzlich gehandelt, weil er sich mit einer Schädigung nicht abgefunden habe; dies ergebe sich aus seiner vom Landgericht herangezogenen Beschuldigtenvernehmung, wonach er sich gewundert habe, wie lange es gut ging. Dem Zedenten sei durch seine Aktienkäufe kein Schaden entstanden, weil sich Wert und Börsen-Kaufpreis definitionsgemäß gedeckt hätten; als Schaden ersatzfähig sei aus Schutzzweckerwägungen allenfalls der Kursverlust, der nach Entdeckung der Unrichtigkeit der Ad-hoc-Mitteilungen eingetreten sei. Außerdem sei nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass der Zedent bei zutreffender Unterrichtung in andere am Neuen Markt gehandelte Aktien investiert und dann ähnliche Verluste erlitten hätte. Eine Naturalrestitution im Sinne des § 249 BGB sei hinsichtlich des "Rechts auf wirtschaftliche Selbstbestimmung" unmöglich, ein Wertersatz scheitere an § 253 BGB. Die Investition in ein auch unabhängig von kriminellen Machenschaften höchst spekulatives Papier begründe einen Mitverschuldensvorwurf. Der Aktienkurs sei eingebrochen, bevor jene Machenschaften bekannt geworden seien; diese Verluste müsse der Anleger selbst tragen. Die Zuerkennung eines Schadensersatzanspruches gegen die AG scheitere am Kapitalerhaltungsgrundsatz (§ 57 Abs. 1 AktG) und dem Gebot der Gleichbehandlung aller Gesellschafter; es dürfe nicht zu einem "Windhundrennen" der getäuschten Anleger kommen.

Die Beklagte beantragt,

das landgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das Urteil des Landgerichts insbesondere unter Hinweis auf die "..."-Urteile des BGH vom 19.7.2004.

Der Senat hat durch Vernehmung des Zedenten Beweis erhoben. Zur Darstellung des Beweisergebnisses nimmt er auf die Sitzungsniederschrift vom 14.2.2005 (Bl. 781 ff. d. A.) Bezug.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.

1. Der Kläger ist infolge Abtretung aktiv legitimiert. Die Abtretungserklärung selbst ist unstreitig. Warum die Abtretung unwirksam sein soll, hat die Beklagte nicht dargelegt; überhaupt hat sie ihre diesbezügliche Rüge nicht ernsthaft verfolgt, zuletzt in der Berufungsbegründung mit einem Halbsatz (Bl. 525 d. A.). Dass der Zedent die Urkunde vom 14.5.2003 (Bl. 5 d. A.) offenbar nicht selbst unterschrieben hat, ist angesichts dessen unschädlich, dass ein Schriftformerfordernis nicht besteht. Der Zedent hat im Übrigen die Abtretung bei seiner Einvernahme als Zeuge glaubhaft bestätigt und freimütig eingeräumt, dass dies den Sinn gehabt habe, ihm seine Vernehmung als Zeuge zu ermöglichen.

2. Die Klage ist gemäß §§ 826, 31 BGB gerechtfertigt.

a) Die der Klagebegründung folgende Schadensberechnung des Landgerichts trifft zu. Der Schadensersatzanspruch, der auf einen durch falsche Ad-hoc-Mitteilungen verursachten Aktienkauf gestützt wird, geht auf Naturalrestitution (§ 249 BGB) in dem Sinne, dass der gezahlte Kaufpreis gegen Übergabe der gekauften Aktien oder - wenn diese wie hier bereits weiterverkauft sind - gegen Anrechnung des Verkaufserlöses zu erstatten ist (vgl. BGH NJW 2004, 2668 ff. [juris-Rn. 40 ff.]). Der Anspruch beschränkt sich nicht auf die Kurseinbußen, die eintreten, nachdem die Unrichtigkeit der Mitteilung bekannt geworden ist. Ein Schaden kann auch nicht mit der Begründung verneint werden, der Wert der gekauften Aktie entspreche immer dem Börsenkurs; nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 1982, 2827 ff. [juris-Rn. 13]) ist vielmehr der tatsächliche Wert des Unternehmens maßgebend. Für hypothetisch vergleichbare Verluste des Zedenten wegen anzunehmender Anlagen in andere am Neuen Markt gehandelte Papiere und ähnliche Werteinbußen ist die Beklagte beweisfällig; es gibt keine Erfahrungssätze zu typischem Anlegerverhalten, die entsprechende Schlüsse zuließen.

b) Am vom Landgericht festgestellten Vorsatz ... bestehen keine Zweifel.

Der BGH hat in Sachen "..." zum subjektiven Tatbestand u. A. folgendes ausgeführt (NJW 2004, 2668 ff. [juris-Rn. 45, 47]):

"Die Veröffentlichung der beiden angeblichen Geschäftsabschlüsse als Ad-hoc-Mitteilungen setzte bereits nach dem Gesetz (§ 15 Abs. 1 WpHG a. F.) voraus, daß die mitgeteilten neuen Tatsachen "geeignet sind, den Börsenpreis der zugelassenen Wertpapiere erheblich zu beeinflussen". Da dies ohne Kauf- und Verkaufsentscheidungen von individuellen Marktteilnehmern als zu erwartender Reaktion auf die Mitteilungen der meldepflichtigen Tatsachen nicht möglich ist, wissen die verantwortlichen Vorstände, daß es infolge der fehlerhaften Ad-hoc-Information zu entsprechenden Anlageentscheidungen kommen wird (Nachweis). Kennen sie die Unrichtigkeit der Ad-hoc-Mitteilung, so wissen sie auch, daß deshalb Wertpapierkäufe auf fehlerhafter Tatsachengrundlage getätigt werden. Da beide Beklagten die Bedeutung der konkreten Ad-hoc-Mitteilungen und deren Unrichtigkeit kannten, ist (...) schon nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, daß die unrichtigen Meldungen keinen anderen Zweck hatten, als dem Börsenpublikum einen gestiegenen Unternehmenswert vorzuspiegeln und den Börsenpreis positiv zu beeinflussen. (...) Für den Vorsatz im Rahmen des § 826 BGB genügt ein "Eventualdolus". Dabei braucht der Täter nicht im einzelnen zu wissen, welche oder wieviele Personen durch sein Verhalten geschädigt werden; vielmehr reicht aus, daß er die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden irgendwelcher anderer auswirken könnte, und die Art des möglicherweise eintretenden Schadens vorausgesehen und mindestens billigend in Kauf genommen hat (st. Rspr., Nachweise). Nach den Gesamtumständen besteht hier an einer vorsätzlichen Handlungsweise der Beklagten in Bezug auf beide Mitteilungen kein Zweifel. Schon angesichts der bewußt falschen Meldung zweier Großaufträge innerhalb kurzer Zeit war den Beklagten bei einer Parallelwertung in der (juristischen) Laiensphäre positiv bewußt, daß dadurch u. a. die Erwerber von I.-Aktien ihre Kaufentscheidungen auf fehlerhafter Tatsachengrundlage trafen, die sie bei der gebotenen richtigen Information entweder überhaupt nicht oder aber nur zu anderen Konditionen getroffen hätten. Derartige Schäden als Folgen ihrer - direkt vorsätzlichen - Handlungsweise nahmen sie zumindest billigend in Kauf. Ein solcher Eventualvorsatz der Beklagten hinsichtlich der als Folge ihres Tuns erwarteten, mindestens aber für möglich gehaltenen Schäden bei den Investoren läßt sich - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - nicht aufgrund einer lediglich euphorischen Stimmung der Beklagten in bloße Fahrlässigkeit "umqualifizieren". Nach der Lebenserfahrung ist davon auszugehen, daß den Beklagten als u. a. für die zentrale Aufgabe der Publizität verantwortlichen Organen des Unternehmens, die über die Auswirkungen ihrer unrichtigen Ad-hoc-Information auf den Aktienmarkt Bescheid wußten, nicht durch eine (momentane) Euphorie über vermeintliche Chancen und Zukunftsperspektiven der I. AG der Verstand "vernebelt" wurde. (...) Abgesehen davon beträfe die etwaige Hoffnung oder Erwartung der Beklagten, den falsch gemeldeten Mega-Deal zu einem späteren Zeitpunkt noch zustande bringen zu können, nur die Möglichkeit einer künftigen Minderung oder wirtschaftlichen Beseitigung eines beim Anleger mit dem Aktienkauf bereits eingetretenen Vermögensschadens; das gilt insbesondere für den - wie hier - bereits dadurch entstandenen Schaden, daß der Anleger infolge der Irreführung Aktien erworben hat, die er ohne die Falschmeldung nicht erworben hätte. Eine etwaige spätere Schadenskompensation ließe aber die schon eingetretene Vollendung der vorsätzlichen Schädigung unberührt."

Im Streitfall kann nichts Anderes gelten. ... wusste, dass seine Fantasiezahlen zu Umsatz und Gewinn zahlreiche Anleger dazu verleiten würden, Aktien der Beklagten auf falscher Tatsachengrundlage zu erwerben, und er fand sich damit mindestens ab. Auf seine Erwartungen bezüglich der weiteren Entwicklung des Aktienkurses und des Zeitpunktes der Entdeckung seiner Machenschaften kommt es nicht an, weil der Schaden bereits mit dem Aktienerwerb eintrat.

c) Das Verhalten ..., der selbst Aktien in Millionen-Umfang hielt und vom steigenden Kurs durch eigene Verkäufe massiv profitierte, war zweifellos sittenwidrig. Ob unabhängig von solchen eigenen Vorteilen allein der Umfang der Täuschung des Sekundärmarktes zwecks "Pushen" des Aktienkurses für das Verdikt der Sittenwidrigkeit genügt hätte, bedarf deshalb hier keiner Entscheidung (vgl. BGH a. a. O. [juris-Rn. 48 ff.]).

d) Die Kaufentschlüsse des Zedenten beruhten jedenfalls auch auf den fehlerhaften Mitteilungen der Beklagten. Eine Mitursächlichkeit in diesem Sinne genügt nach ständiger Rechtsprechung des BGH, der der Senat folgt, für die Zurechnung (vgl. BGH VersR 1970, 814 [unter I. der Entscheidungsgründe]; 1990, 899 ff. [juris-Rn. 22]; 2000, 1282 f. [juris-Rn. 20]; 2002, 200 f. [juris-Rn. 9, 15]; BauR 2002, 1423 f. [juris-Rn. 19]; anders offenbar OLG Frankfurt am Main - 26. Zivilsenat -, Beschluss vom 7.12.2004 - 26 U 49/04, Umdruck S. 3).

(1) Das Landgericht ist auf den Klagevortrag zur Ursächlichkeit der beiden vom Zedenten gelesenen Ad-hoc-Mitteilungen für seine beiden Aktienkäufe nicht näher eingegangen, sondern hat den Prospekt vom November 1999 und die Vielzahl der danach veröffentlichten falschen Ad-hoc-Mitteilungen zu Umsatzzahlen als Grundlage einer perpetuierten Anlagestimmung angesehen, an die es einen Anscheinsbeweis für die Kausalität angeknüpft hat. Dieser Begründung folgt der Senat nicht.

(a) Der Rechtsbegriff der "Anlagestimmung" ist im Zusammenhang der börsenrechtlichen Prospekthaftung entwickelt worden. Der BGH hat dazu ausgeführt (BGHZ 139, 225, 233 f.):

"Ein Kausalzusammenhang zwischen einem Unternehmensbericht und dem Kaufentschluß des Anlegers wird vermutet, wenn die Aktien nach Veröffentlichung des Unternehmensberichts erworben worden sind. Dabei kommt es (...) nicht darauf an, ob der Anleger den Bericht gelesen oder gekannt hat. Ausschlaggebend ist, daß der Bericht die Einschätzung eines Wertpapiers in Fachkreisen mitbestimmt und damit eine Anlagestimmung erzeugt. Diese Stimmung kann der Erwerber für sich in Anspruch nehmen (Nachweise). Sie endet, wenn im Laufe der Zeit andere Faktoren für die Einschätzung des Wertpapiers bestimmend werden, etwa eine wesentliche Änderung des Börsenindex, der Konjunktureinschätzung oder aber neuere Unternehmensdaten wie etwa ein Jahresabschluß (Nachweise). Die Dauer der von einem Unternehmensbericht ausgehenden Anlagestimmung läßt sich danach nicht allgemeingültig festlegen; in aller Regel wird die Anlagestimmung aber spätestens ein Jahr nach Veröffentlichung des Unternehmensberichts nicht mehr bestehen..."

Die Übertragung dieser auf einen Anscheinsbeweis für die Entscheidungserheblichkeit des Prospekts hinaus laufenden Rechtsprechung auf Fälle unrichtiger Ad-hoc-Mitteilungen hat der BGH nunmehr ausdrücklich abgelehnt und den Tatsachengerichten "die Feststellung der Kausalität im Einzelfall anhand der grundsätzlich vom Kläger vorzutragenden konkreten Umstände" unter gleichzeitiger Warnung vor jeglichem Schematismus aufgegeben (vgl. BGH NJW 2004, 2668-2671 [juris-Rn. 54]; 2664-2668 [juris-Rn. 41 ff.]).

(b) Danach kamen dem Kläger keine Beweiserleichterungen für den Kausalzusammenhang zwischen den streitgegenständlichen falschen Ad-hoc-Mitteilungen und dem Aktienerwerb des Zedenten zugute. Der Prospekt vom November 1999 - für dessen Eignung, eine Anlagestimmung auszulösen, außer der falschen Umsatzangabe weder etwas vorgetragen noch vom Landgericht festgestellt ist - war nahezu 1 1/2 Jahre vor den Aktienkäufen des Zedenten veröffentlicht worden. Im 1. Quartal des Jahres 2000 war nicht nur der Aktienkurs der Beklagten gleichsam explodiert; auch der Nemax 50 verzeichnete einen deutlichen Anstieg. Angesichts dieser Entwicklung liegt es fern anzunehmen, der Prospekt habe im Sommer 2000 oder danach noch eine Anlagestimmung hervorrufen oder aufrechterhalten können; folgerichtig können Ad-hoc-Mitteilungen vom 26.2. und vom 16.3.2001 nicht eine auf den Prospekt zurückzuführende Anlagestimmung perpetuiert haben. Dass die Mitteilungen selbst eine solche Stimmung hervorgerufen, also die Einschätzung der Aktie in Fachkreisen mit bestimmt hätten (vgl. BGHZ 139, 225, 233), ist weder nachvollziehbar vorgetragen noch vom Landgericht mit hinreichender Grundlage festgestellt. Es liegt auch nicht ohne Weiteres auf der Hand. Obwohl ... offenbar andauernd überaus erfreuliche Zahlen veröffentlichte, sank der Aktienkurs etwa seit Februar 2001 mit Ausnahme einer kurzfristigen Erholung Anfang März 2001 rapide. Der Kläger hat nicht behauptet, die Mitteilungen hätten zu entsprechenden Anlageempfehlungen durch beratende Unternehmen oder durch Online-Dienste nennenswerter Bedeutung geführt. Für die Mitteilung vom 16.3.2001 ist schließlich zu bedenken, dass diese - für einen einigermaßen verständigen Leser ohne Weiteres erkennbar - keine greifbaren, für einen vernünftigen Anleger potenziell entscheidungserheblichen Tatsachen enthielt.

(2) Das landgerichtliche Urteil erweist sich indessen im Ergebnis als zutreffend, weil der Kläger bewiesen hat, dass die Anlageentscheidungen des Zedenten auch auf den streitgegenständlichen Ad-hoc-Mitteilungen beruhten. Hiervon ist der Senat überzeugt, nachdem er den Zedenten als Zeugen vernommen hat. Der Zedent hat seine Anlageentscheidung sehr bewusst getroffen und auch auf die Ad-hoc-Mitteilungen gestützt. Er hat den Klagevortrag zur Entscheidungserheblichkeit der Mitteilungen in einer besonders ausführlichen, detaillierten Vernehmung plastisch, lebendig, widerspruchsfrei und erkennbar um Genauigkeit bemüht bestätigt. Dabei hat er sich nicht gescheut, Wissenslücken und sein andauerndes Interesse am Ausgang dieses Rechtsstreits zu offenbaren. Dem Senat ist bewusst, dass der Zedent letztlich in eigener Sache ausgesagt hat. Er folgt seiner Aussage trotzdem, weil er den Zedenten nach dem persönlichen Eindruck, den er vermittelt hat, für glaubwürdig hält.

e) Die Beklagte haftet gegenüber dem Kläger für die Täuschungshandlungen ihres ehemaligen Vorstandes.

(1) Diese sind ihr nach § 31 BGB zuzurechnen. Die Beklagte tritt dem lediglich mit dem Argument entgegen, der Zedent sei im Verhältnis zu ihr nicht "Dritter" im Sinne der Vorschrift, weil er als Aktionär "Mitglied" sei und weder Verletzungen der Satzung noch solche seiner Mitgliedschaftsrechte in Rede stünden. Dieser Einwand ist im Ansatz verfehlt. Das deliktische Verhalten des Vorstands ist jeweils in der Zeit vor Aktienerwerb verübt worden, der Begründung der "Mitgliedschaft" voraus gegangen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Zedent beim Erwerb der zweiten Tranche bereits Aktien der Beklagten inne hatte.

(2) Die Zuerkennung eines Schadensersatzanspruches aus § 826 BGB gegen die beklagte Gesellschaft wegen eines durch Täuschung herbei geführten Aktienerwerbs ist mit dem aktienrechtlichen Kapitalerhaltungsgrundsatz (§ 57 Abs. 1 AktG) und dem Verbot des Erwerbs eigener Aktien (§ 71 Abs. 1 AktG) vereinbar.

(a) Die Frage erübrigt sich nicht deshalb, weil der Zedent seine Aktien der Beklagten zwischenzeitlich wieder verkauft hat. Er konnte sich etwaiger Beschränkungen durch die genannten Vorschriften nicht allein durch ein derartiges Veräußerungsgeschäft entledigen.

(b) Die Frage ist bislang insbesondere für die börsenrechtliche Prospekthaftung erörtert worden. Das RG hat in Abkehr von früheren Entscheidungen (RGZ 54, 128, 132; 62, 29, 30; 72, 290, 293 f.), auf die sich die Beklagte stützt, seit 1909 (RGZ 71, 97, 99 ff.) danach differenziert, ob der Aktionär seine Beteiligung durch Zeichnung oder Übernahme des ursprünglichen oder des erhöhten Grundkapitals erworben hat - dann komme ein Anspruch des Aktionärs gegen die Gesellschaft wegen des Vorrangs der Kapitalerhaltung nicht in Betracht - oder ob er infolge eines auf den Erwerb des Wertobjektes Aktie gegen Entgelt gerichteten "Umsatzvertrages" Aktionär geworden sei - dann könne er die Gesellschaft in Anspruch nehmen (ebenso RGZ 88, 187, 188; 271, 272). Danach kann derjenige, der seine Aktie an der Börse kauft, die AG wegen Prospektfehlern auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, ohne dass dem das aktienrechtliche Kapitalerhaltungsgebot entgegen stünde (ebenso für deliktische Ansprüche Zimmer, in: Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 3. Aufl., §§ 37b, 37c WpHG Rn. 15). Dem hat sich das OLG Frankfurt am Main angeschlossen (AG 2000, 132, 134 mit zustimmender Besprechung Kort EWiR 1999, 501, 502). Auch das Schrifttum hält die Prospekthaftung jedenfalls im Bereich der "Umsatzgeschäfte" an der Börse überwiegend für vorrangig (vgl. Assmann, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl., § 7 Rn. 102; MünchKommAktG-Bayer, 2. Aufl., § 57 Rn. 24; Henze, in: Großkommentar AktG, 4. Aufl., § 57 Rn. 20; Hommelhoff/von Aerssen EWiR 1998, 579, 580; Schwark Festschrift Raisch 269, 287 f.; ders., Kapitalmarktrechts-Kommentar, 3. Aufl., § 45 BörsG Rn. 13; für Ansprüche aus den - hier zeitlich unanwendbaren - §§ 37b, 37c WpHG Zimmer, in: Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, §§ 37b, 37c WpHG Rn. 11 ff.; für generellen Vorrang der §§ 57, 71 ff. AktG Lutter, in: Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl., § 71 Rn. 69 ("lex posterior"); Rieckers BB 2002, 1213, 1220; unklar Möllers/Leisch WM 2001, 1648, 1649); streitig ist im Wesentlichen nur noch, ob an der Differenzierung des RG zwischen primärem und abgeleitetem Aktienerwerb festzuhalten (dagegen MünchKommAktG-Bayer a. a. O. Rn. 23; Schwark Festschrift Raisch 269, 289 f.; dafür Henze a. a. O. Rn. 22) und ob die Haftung der AG auf deren freies Vermögen zu beschränken ist (dafür MünchKommAktG-Bayer a. a. O. Rn. 24; Schwark Festschrift Raisch 269, 288 f.; Zöllner/Winter ZHR 158, 59, 78; nach originärem und abgeleitetem Aktienerwerb differenzierend (Haftungsbeschränkung nur bei originärem Erwerb) Henze a. a. O. Rn. 21, 23; Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 45 Rn. 13; dagegen für §§ 37b, 37c WpHG Zimmer a. a. O. Rn. 14). Der BGH hat sich zu diesen Fragen - soweit ersichtlich - noch nicht geäußert.

(c) Nach Ansicht des Senats muss Ansprüchen getäuschter Anleger aus § 826 BGB der Vorrang vor §§ 57 Abs. 1, 71 Abs. 1 AktG zukommen. Ob dabei zwischen originärem und abgeleitetem Erwerb zu differenzieren ist, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, weil der Zedent seine Aktien an der Börse erworben hat. Die Haftung aus § 826 BGB ist Rechtsfolge aus einem Verhalten, das zeitlich vor Begründung der Aktionärsstellung liegt; sie knüpft nicht an gesellschaftsrechtliche, sondern an kapitalmarktrechtliche Beziehungen zwischen Anleger und Gesellschaft an (ähnlich Hommelhoff/von Aerssen a. a. O.; Zimmer a. a. O. Rn. 12 f.). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Zedent bereits zuvor Aktien der Gesellschaft besessen hat. Wirtschaftlich wertend ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass eine Überbetonung des Gläubigerschutzes zum Nachteil des Anlegerschutzes den Zugang zu Investoren mit der Bereitschaft, Risikokapital beizusteuern, erschweren muss, was im Ergebnis weder im Interesse der Gesellschaft noch dem ihrer Gläubiger liegen kann (vgl. Schwark Festschrift Raisch 269, 281 ff.; ähnlich Zimmer a. a. O. Rn. 13). Schließlich ist zu bedenken, dass Ansprüche aus § 826 BGB ein besonders schwer wiegendes Fehlverhalten des Verpflichteten und dementsprechend ein besonderes Schutzbedürfnis des Berechtigten voraus setzen, was etwa in der Rechtsprechung zur Rechtskraftdurchbrechung bei sittenwidrig erschlichenen Vollstreckungstiteln seinen Niederschlag gefunden hat.

Die Beschränkung der Haftung auf das "freie Kapital" der Gesellschaft würde in der Prozesspraxis zu kaum lösbaren Schwierigkeiten führen, wie schon das RG zutreffend bemerkt hat (RGZ 88, 187, 189). Schadensersatzansprüche getäuschter Anleger ließen sich praktisch kaum noch durchsetzen, wenn in derartigen Verfahren ausnahmslos eine Bilanz erstellt und um diese gestritten werden müsste. Zudem wäre kaum auszuschließen, dass übersehene Gläubiger der Gesellschaft ausfallen.

f) Eine Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens (§ 254 BGB) kommt nicht in Betracht. Die Beklagte hält dem Zedenten als Mitverschulden allein vor, er habe in ein erkennbar hochspekulatives Papier investiert. Danach stehen sich Leichtsinn auf der Seite des Anlegers und eine vorsätzliche Täuschung auf der Seite der Gesellschaft gegenüber. Der im Vorsatzdelikt zu sehende Beitrag zur Schadensverursachung wiegt so schwer, dass er den Beitrag das Anlegers als nicht haftungsrelevant zurück drängt. Im Streitfall hat sich nicht ein allgemeines Kursrisiko verwirklicht, vielmehr ist der Zedent - untechnisch gesprochen - betrogen worden.

g) Die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede greift gegenüber dem Anspruch aus § 826 BGB nicht durch. Maßgebend ist noch die Dreijahresfrist des § 852 BGB a. F. Der Zedent hat seine Aktien am 14.3.2001 und am 19.4.2001 gekauft; die Klage ist am 21.8.2003 zugestellt worden.

3. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 543 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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