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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 29.04.2002
Aktenzeichen: 1 U 173/01
Rechtsgebiete: AGBG, BGB


Vorschriften:

AGBG § 3
AGBG § 9
BGB § 426
BGB § 426 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 840 Abs. 1
Eine Abfindungserklärung gegenüber einer Versicherung, die auch zugunsten solcher Dritter gelten soll, "denen im Falle der Inanspruchnahme ein Ausgleichsanspruch gegen die Versicherten zusteht", enthält keine unangemessene Benachteiligung i. S. des § 9 AGBG und wirkt auch zugunsten eines Gesamtschuldners, dem ein Ausgleichsanspruch nach § 426 BGB gegen den Versicherungsnehmer zustünde.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

1 U 173/01

Verkündet am 29.4.2002

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main am 29. April 2002 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für den zweiten Rechtszug wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

Der Klägerin kann Prozeßkostenhilfe für den zweiten Rechtszug nicht bewilligt werden, weil die von ihr beabsichtigte Berufung gegen das am 23.11.2001 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Zu Recht hat das Landgericht die Klage auf Schadensersatz, Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für die aus dem Unfall vom 1.12.1997 entstandenen und noch entstehenden Schäden abgewiesen. Die Beklagte haftet für den Unfallschaden nicht.

Es kann offen bleiben, ob die beklagte Gemeinde verpflichtet war, die Verbindungsstraße zwischen dem Breslauer-Ring und der Ulmenstraße in ihrem Gemeindegebiet zu beleuchten und ob der Sturz der Klägerin mit dem Fahrrad auf einer schuldhaften Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht der Beklagten gemäß § 823 Abs. 1 BGB beruht. Die Berufung hat selbst dann keine Aussicht auf Erfolg, wenn durch den Sturz der Klägerin mit dem Fahrrad in dem unbeleuchteten Abschnitt der Straße zunächst eine Haftung der Beklagten begründet worden sein sollte. Denn die Klägerin hat durch den am 8./11.9.1998 mit Herrn T. abgeschlossenen Abfindungsvergleich auf Ansprüche auch gegenüber der Beklagten verzichtet.

In der mit "Vergleich- und Abfindungserklärung" überschriebenen Erklärung wurde seitens der Klägerin gegen Zahlung von 1.000,- DM auf weitergehende Ersatzansprüche nicht nur gegen Herrn T., sondern auch gegen die Beklagte verzichtet. Dieser Verzicht ergibt sich daraus, daß die Klägerin gegenüber dem Haftpflichtversicherer als Vertreter des von ihr in Anspruch genommenen Herrn T. unter dem 8.9.1998 erklärte, wegen aller Ersatzansprüche anläßlich des näher bezeichneten Schadensfalles gegen Herrn T. und jeden weiteren Mitversicherten für jetzt und alle Zukunft abgefunden zu sein. Außerdem heißt es in der Erklärung der Klägerin: "Ich/wir bestätige/n, daß die Regelung ohne Anerkennung einer Haftung erfolgt und auch zu Gunsten solcher Dritter gilt, denen im Falle der Inanspruchnahme ein Ausgleichsanspruch gegen die Versicherten zusteht". Mit dieser Abfindungserklärung hat die Klägerin zugleich zu Gunsten der Beklagten auf Ansprüche anläßlich des Unfallereignisses vom 1.12.1997 verzichtet. Denn der Beklagten würde im Falle ihrer Inanspruchnahme ein Ausgleichsanspruch gegen Herrn T. zustehen. Die zu Gunsten der Klägerin zu unterstellende Haftung des Herrn T. ergibt sich daraus, daß dieser schuldhaft seine Verkehrssicherungspflicht als Eigentümer des Anliegergrundstücks verletzte, in dem er die Kette, die er vor seinem Kfz-Stellplatz angebracht hatte, aufgrund Fahrlässigkeit nicht hinreichend gegen eine mißbräuchliche Verwendung sicherte. Neben der danach anzunehmenden Haftung des Herrn T. aus § 823 Abs. 1 BGB steht die - in diesem Zusammenhang ebenfalls, zu Gunsten der Klägerin zu unterstellende - Haftung der Beklagten wegen fahrlässiger Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht gemäß § 823 Abs. 1 BGB, weil trotz Beleuchtungspflicht im Unfallbereich der Defekt der dort befindlichen Straßenlampe nicht rechtzeitig an die M-Kraftwerke AG, die gegenüber der Beklagten zur Instandhaltung der Straßenbeleuchtung verpflichtet war, gemeldet wurde. Die - hier zu unterstellende Haftung der Beklagten würde danach dazu führen, daß sie neben Herrn T. aus unerlaubter Handlung verantwortlich ist und demgemäß nach § 840 Abs. 1 BGB neben diesem als Gesamtschuldner haftet. Der Beklagten stand somit - unabhängig davon, ob sie von der Klägerin in Anspruch genommen wurde - ein Ausgleichsanspruch nach § 426 BGB gegen Herrn T. zu. Demgemäß wirkt die Abfindungserklärung der Klägerin auch zu Gunsten der Beklagten.

Der in der Abfindungserklärung der Klägerin enthaltene Verzicht von Ansprüchen gegen die Beklagte ist nach seinem klaren Wortlaut umfassend und nicht etwa eingeschränkt in dem Sinne, daß Herr T. dessen über 1.000,- DM hinausgehende Verbindlichkeit erlassen wurde, zugleich von seiner im Innenverhältnis aus § 426 Abs. 1 BGB gegenüber der Beklagten als anderem Gesamtschuldner gegenüber begründeten Haftung befreit werden soll. Da die Ausgleichspflicht der Gesamtschuldner bereits bei Begründung des Gesamtschuldverhältnisses und nicht erst mit der Leistung eines Gesamtschuldners an den Gläubiger entsteht, ist dies wirksam nur in der Weise möglich, daß der Anspruch des Gläubigers gegen den am Vergleich nicht beteiligten Gesamtschuldner im Wege eines Vertrages zu Gunsten Dritter in dem Umfang aufgehoben wird, in welchem der durch den Erlaß begünstigte Gesamtschuldner, wäre er vom Gläubiger voll in Anspruch genommen worden, Ausgleich von dem anderen Gesamtschuldner verlangen könnte (BGH NJW 2000 1942,1943 m.w.N.). Für eine nur beschränkte Gesamtwirkung des Vergleiches in dem genannten Sinne enthält die Erklärung der Klägerin nach Wortlaut und Sinn keinen Anhaltspunkt.

Zu Recht geht das Landgericht davon aus, daß die Abfindungserklärung der Klauselkontrolle nach dem AGBG unterliegt, weil sie im Rahmen eines Formulars abgegeben wurde, das der Haftpflichtversicherer des Herrn T. der Klägerin ausgefüllt zur Unterzeichnung übergab und somit als Allgemeine Geschäftsbedingung stellte.

Die Abfindungserklärung ist nicht als überraschende Klausel im Sinne des § 3 AGBG unwirksam. Zwar ist die Erstreckung der Abfindungserklärung zu Gunsten solcher Dritter, denen im Falle der Inanspruchnahme ein Ausgleichsanspruch gegen Herrn T. zusteht, im vorgedruckten Text nicht besonders hervorgehoben. Das ist hier jedoch jedenfalls deshalb unschädlich, weil der Wortlaut der Erklärung, wenn er sich auch über mehrere Zeilen erstreckt - nicht umfangreich ist. Auch schließt sich die Formulierung über die Erstreckung der Abfindungserklärung unmittelbar an die Erklärung zu Gunsten des Versicherungsnehmers und weiterer Mitversicherter an. Ein Überraschungsmoment kam der fraglichen Klausel hier schließlich auch deshalb nicht zu, weil die Klägerin, anwaltlich beraten war und über ihren Rechtsanwalt die von ihr unterzeichnete Abfindungserklärung dem Haftpflichtversicherer des Herrn T. übersandte.

Die Ausdehnung der Abfindungserklärung zu Gunsten solcher Dritter, "denen im Falle der Inanspruchnahme ein Ausgleichsanspruch gegen die Versicherten zusteht", stellt auch keine gegen § 9 AGBG verstoßende unangemessene Benachteiligung der Klägerin dar. Allerdings hat der Bundesgerichtshof die Klausel in einem Vordruck des Haftpflichtversicherers, wonach der Geschädigte auf weitergehende Ansprüche gegen "jeden Dritten" verzichtet, als unangemessene Benachteiligung des Geschädigten im Sinne des § 9 AGBG angesehen (BGH NJW 1985, 970). Hier aber beschränkt sich der Verzicht des Geschädigten auf Ansprüche gegen solche Dritte, bei deren erfolgreicher Inanspruchnahme der Versicherte und damit sein Versicherer das Geltendmachen von Ausgleichsansprüchen gewärtigen müßte. An dem Ausschluß einer Haftung im Rahmen von Ausgleichsansprüchen hat aber der Versicherungsnehmer ein berechtigtes Interesse. Ohne eine Gesamtwirkung des Vergleiches und der Abfindungserklärung zu Gunsten Dritter, denen Ausgleichsansprüche gegen den Versicherter zustehen könnten, wäre die Abfindungserklärung in vielen Fällen bei wirtschaftlicher Betrachtung maßgeblich entwertet und ein Vergleichsabschluß für den Geschädigten infolge dessen nicht zu erreichen. Danach bestehen durchaus berechtigte Interessen an einer Ausdehnung des Anspruchsverzichtes gegenüber solchen Dritten, welche möglicherweise berechtigt sind, nach Inanspruchnahme durch den Geschädigten Ausgleich von dem Versicherungsnehmer zu verlangen. Eine entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessene Benachteiligung des Geschädigten liegt in dieser Klausel nicht (BGH NJW 1985, 970, 971; Landgericht Koblenz, VersR 1995, 577; Landgericht Heidelberg, VersR 1995, 575).

Danach hat die Berufung der Klägerin wegen des gegenüber der Beklagten wirksamen Anspruchsverzichtes keine Aussicht auf Erfolg.

Ende der Entscheidung

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