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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 13.03.2008
Aktenzeichen: 1 U 244/07
Rechtsgebiete: BGB, EG, GG, KWG, WpDiRiLi


Vorschriften:

BGB § 839
EG Art. 10
EG Art. 56
GG Art. 34
KWG § 1 Abs. 1
WpDiRiLi
Zur Haftung des Bundeslandes wegen möglicher richterlicher Auslegungsfehler im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens nach § 80 VwGO unter den Gesichtspunkten des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruches und der Amtshaftung.
Gründe:

A. Die Klägerin nimmt das beklagte Land (nachfolgend: den Beklagten) mit der Begründung auf Schadensersatz in Anspruch, das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main und der Hessische Verwaltungsgerichtshof hätten in einem Verfahren nach §§ 80 Abs. 5, 146 VwGO zu ihren Lasten europäisches Recht fehlerhaft bzw. nicht angewendet.

Die Klägerin bot Kapitalanlagen in der Form von Zertifikaten an. Das ihr von den Erwerbern der Zertifikate überlassene Kapital legte sie in eigenem Namen teilweise in Aktien, teilweise in Hedge-Fonds an. Die Kapitalanleger partizipierten an der Wertentwicklung dieser "Portfolios" durch eine Anpassung des von der Klägerin zu zahlenden Rücknahmepreises für die Zertifikate, die außerdem an der XX Börse gehandelt wurden. Mit Verfügung vom 19.2.2003 untersagte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (nachfolgend: BaFin) der Klägerin, zukünftig Gelder von Dritten für diese Zertifikate entgegenzunehmen und diese zu bewerben; sie ersuchte die Klägerin um Mitwirkung an einem Prüfungsverfahren und drohte für den Unterlassensfall sofort vollziehbar ein Zwangsgeld an. Sie meinte, das Geschäftsmodell der Klägerin sei als nach § 32 KWG erlaubnispflichtiges Finanzkommissionsgeschäft im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG anzusehen; eine derartige Erlaubnis war der Klägerin nicht erteilt worden.

Die Klägerin legte unter dem 25.2.2003 Widerspruch gegen die Verfügung vom 19.2.2003 ein, den die BaFin mit Bescheid vom 12.3.2004 zurückwies. Außerdem stellte sie einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Diesen lehnte das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 12.6.2003 (Az. 9 G 955/03 [1]) ab; es schloss sich der Ansicht der BaFin zur Qualifizierung des Geschäftsmodells der Klägerin als Finanzkommissionsgeschäft an und meinte, hierfür reiche aus, dass die Vor- und Nachteile der klägerischen Investitionen wirtschaftlich betrachtet den Inhabern der Zertifikate zugute kämen bzw. zur Last fielen. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof wies die dagegen gerichtete Beschwerde der Klägerin mit Beschluss vom 27.8.2003 (Az. 6 TG 1581/03) zurück und billigte in den Entscheidungsgründen die Auffassung des Verwaltungsgerichts zur Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG im Sinne einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Unter dem 15.4.2004 erhob die Klägerin gegen den Bescheid vom 19.2.2003 Klage zur Hauptsache, primär als Nichtigkeits-, hilfsweise als Anfechtungsklage. Letztere hatte in erster und zweiter Instanz Erfolg. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof rückte in seinem Urteil vom 13.12.2006 (Az. 6 UE 3084/05) von der "wirtschaftlichen Betrachtungsweise" ab und meinte, die Klägerin habe für ihre Geschäfte keiner Erlaubnis nach § 32 KWG bedurft, insbesondere lägen keine Finanzkommissionsgeschäfte im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG vor. Das BVerwG hat die Revision der BaFin mit Urteil vom 27.2.2008 zurückgewiesen (Az. 6 C 12.07); die Entscheidung ist noch nicht veröffentlicht. Zwischenzeitlich hatte die BaFin gegen die Klägerin unter dem 17.9.2006 ein Zwangsgeld verhängt, weil diese keine Auskunft über die angeordnete Abwicklung erteilt hatte. Auch gegen die Zwangsgeldverfügung legte die Klägerin mit anwaltlicher Unterstützung einen Rechtsbehelf ein.

Die Klägerin verlangt im vorliegenden Verfahren von dem Beklagten den Ersatz der ihr im o. a. Eilverfahren und im Zwangsgeldverfahren entstandenen Gerichts- und Anwaltskosten, die sie auf insgesamt 10.697,69 € beziffert; hiervon sind 3.084 € unstreitig. Mit diesen Kosten sei sie allein deshalb belastet worden, weil das Verwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof das europäische Recht grob fehlerhaft falsch bzw. überhaupt nicht angewandt hätten. Außerdem hat sie noch einen Feststellungsantrag gestellt, den sie mit der Berufung nicht weiter verfolgt.

Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.

Das Landgericht hat die Klage hinsichtlich des Feststellungsantrages als unzulässig, hinsichtlich des Zahlungsantrages im Kern mit der Begründung als unbegründet abgewiesen, es fehle an einem qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht, an einer offenkundigen Missachtung europarechtlicher Vorschriften.

Die Klägerin rügt mit ihrer Berufung, das Landgericht habe unter Verstoß gegen § 139 ZPO den Sachstand nicht mit den Parteien erörtert. Es habe einen mit der Rechtsprechung des EuGH, insbesondere den Leitentscheidungen "Köbler" (NJW 2003, 3539 ff.) und "Traghetti" (NJW 2006, 3337 ff.) unvereinbaren Haftungsmaßstab zugrunde gelegt; das Verwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof hätten die einschlägige Rechtsprechung des EuGH offenkundig verkannt, nach der die Aufnahme von Kapital zwecks Beteiligung an anderen Gesellschaften keine regulierbare Dienstleistung sein könne, weshalb auch die Anwendung der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie von vornherein ausgeschieden sei. Die ausdehnende Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG im Sinne einer "wirtschaftlichen Betrachtungsweise" sei außerdem aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 12, 103 Abs. 2 GG) und nach der Entstehungsgeschichte der Vorschrift unzulässig gewesen. Es habe sich nicht um eine offene, streitige Rechtsfrage gehandelt. Der gebotene Schutz der Anleger könne durch den Erlaubniszwang nicht erreicht werden.

Die Klägerin beantragt,

das landgerichtliche Urteil abzuändern und den Beklagten zur Zahlung von 10.697,69 € nebst 14% Zinsen hieraus seit dem 21.7.2003 zu verurteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das landgerichtliche Urteil insbesondere bezüglich der Verneinung eines qualifizierten Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht, von dem im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren nicht die Rede gewesen sei. Dass die Klägerin dort Verstöße gegen Art. 56 EG oder die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie nicht andeutungsweise geltend gemacht habe, müsse vor dem Hintergrund der Beschränkung des Prüfungsprogramms in § 146 Abs. 4 VwGO als Unterlassung der Einlegung eines Rechtsmittels angesehen werden, was analog § 839 Abs. 3 BGB auch einem gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch entgegenstehe. Ein 3.084 € übersteigender Schaden der Klägerin sei zudem nicht ausreichend dargelegt.

B. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Das Landgericht hat die Klage bezüglich des nunmehr allein im Streit befindlichen Zahlungsantrages zu Recht abgewiesen. Die Klageforderung besteht nicht.

I. Die Klageforderung rechtfertigt sich nicht aus den Grundsätzen zum gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch.

1. Nach der Rechtsprechung des EuGH (NJW 2003, 3539, 3541 - "Köbler" - [Rn. 51 ff.]; 2006, 3337, 3338 f. - "Traghetti del Mediterraneo" - [Rn. 32]; dem folgend etwa BGH NJW 2005, 742; NVwZ 2007, 362, 363) muss ein Mitgliedstaat Schäden, die einem Einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind, ersetzen, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Die verletzte Rechtsnorm bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß ist hinreichend qualifiziert, und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang. Das gilt auch für die Haftung des Staates für Schäden, die durch eine gemeinschaftsrechtswidrige Entscheidung eines nationalen letztinstanzlichen Gerichts verursacht wurden. Bei der Prüfung der Frage, ob der Rechtsverstoß als hinreichend qualifiziert anzusehen ist, sind die Besonderheit der richterlichen Funktion sowie die berechtigten Belange der Rechtssicherheit zu berücksichtigen. Der Staat haftet für eine solche gemeinschaftsrechtswidrige Entscheidung nur in dem Ausnahmefall, dass das Gericht offenkundig gegen das geltende Recht verstoßen hat. Bei der Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, muss das mit einer Schadensersatzklage befasste nationale Gericht alle Gesichtspunkte des Einzelfalls berücksichtigen. Zu diesen Gesichtspunkten gehören unter anderem das Maß an Klarheit und Präzision der verletzten Vorschrift, eine etwaige Vorsätzlichkeit des Verstoßes, die Entschuldbarkeit des Rechtsirrtums, gegebenenfalls die Stellungnahme eines Gemeinschaftsorgans sowie die Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG durch das in Rede stehende Gericht. Ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ist jedenfalls dann hinreichend qualifiziert, wenn die fragliche Entscheidung die einschlägige Rechtsprechung des EuGH offenkundig verkennt. An der Offenkundigkeit des Rechtsverstoßes kann es etwa dann fehlen, wenn die vom Gericht falsch beantwortete Rechtsfrage im Gemeinschaftsrecht nicht ausdrücklich geregelt und in der Rechtsprechung des EuGH noch nicht beantwortet worden war und wenn die Antwort auch sonst nicht auf der Hand lag (vgl. EuGH, NJW 2003, 3539, 3544 - "Köbler" - [Rn. 122]).

2. Diese Haftungsvoraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts konnte den Anspruch von vornherein nicht begründen, weil sie nicht "letztinstanzlich" erging (nachfolgend a). Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs verstieß jedenfalls nicht offenkundig gegen europäisches Recht (nachfolgend b). Angesichts dessen muss nicht darüber entschieden werden, ob der Anspruch auch an dem Rechtsgedanken des § 839 Abs. 3 BGB scheitern würde, weil die Klägerin ihre europarechtlichen Erwägungen im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren nicht ausgeführt hat (nachfolgend c).

a) Die Klägerin kann ihren Anspruch nicht auf Rechtsanwendungsfehler im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 12.6.2003 stützen. Als Auslöser einer Haftung nach den Grundsätzen zum gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch kommt nur die Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts in Betracht, wobei der Begriff "letztinstanzlich" wie im Rahmen der Regeln zur Vorlagepflicht (Art. 234 Abs. 3 EG) konkret auf den jeweils zur Verfügung stehenden Instanzenzug zu beziehen ist, also auch die Entscheidungen von Instanzgerichten erfasst, gegen die kein Rechtsmittel statthaft ist (vgl. Hakenberg DRiZ 2004, 113, 115 f.; Kremer NJW 2004, 480, 481; Schulze ZEuP 2004, 1051, 1056; Wegener EuR 2004, 84, 87). Dem liegt in beiden Regelungszusammenhängen die Erwägung zugrunde, dass der Betroffene sich gegen den Rechtsverstoß zunächst unter Ausschöpfung des Rechtsweges wehren, also Primärrechtsschutz suchen muss (vgl. Kremer und Wegener, jeweils a. a. O.). Der Beschluss des Verwaltungsgerichts erging nicht letztinstanzlich; der Klägerin stand der Beschwerdeweg zum Verwaltungsgerichtshof offen, den sie beschritten hat.

b) Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 27.8.2003 begründet ebenfalls keinen Anspruch nach den o. g. Haftungsgrundsätzen. Dabei liegt im Ansatz auf der Hand, dass es insoweit auf allein das deutsche Recht betreffende Auslegungserwägungen einschließlich der deutschen verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht ankommen kann, weil nur die Verletzung gerade von Gemeinschaftsrecht einschließlich der gemeinschaftsrechtlichen Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung einen gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch begründen kann.

(1) Es kann offen bleiben, ob die Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10.5.1993 über Wertpapierdienstleistungen (nachfolgend: WDLR) bezweckt, der Klägerin Rechte zu verleihen, oder ob als verletzte, Individualrechte begründende Normen an die Grundfreiheiten gemäß Art. 43 ff. EG, insbesondere die Freiheit des Kapitalverkehrs gemäß Art. 56 EG anzuknüpfen ist. Dies erscheint nicht zweifelsfrei. Die Klägerin rügt nicht, ihr hätte nach der Richtlinie die dort vorgesehene Erlaubnis erteilt, d. h. ihr hätte ein auf der Richtlinie beruhendes Recht gewährt werden müssen; sie macht vielmehr geltend, ihre Betätigung sei durch die Richtlinie nicht erfasst worden, weshalb sie von vornherein keiner Zulassung bedurft hätte.

(2) Die Frage bedarf keiner abschließenden Entscheidung, weil der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs das europäische Recht jedenfalls nicht in hinreichend qualifizierter, d. h. - da es um den Vorwurf eines judiziellen Verstoßes geht - offenkundiger Weise verletzte. Es lag nicht auf der Hand, dass die Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG im Sinne einer "wirtschaftlichen Betrachtungsweise" mit europäischem Recht, insbesondere der WDLR und Art. 56 EG unvereinbar war; der gegenteilige Standpunkt war nicht unvertretbar.

(i) Die Richtlinie war nicht zweifelsfrei dahin auszulegen, dass als "Ausführung solcher Aufträge für fremde Rechnung" (Anhang Abschnitt A Nr. 1 lit. b) nur Kommissionsgeschäfte im handelsrechtlichen Sinne erfasst würden. Es verstand sich sprachlich nicht von selbst, den Begriff "Auftrag" auf die Durchführung eines einzelnen Erwerbsvorganges zu einem bestimmten Finanzinstrument zu beschränken (vgl. Voge WM 2007, 1640, 1646; a. A. Dreher ZIP 2004, 2161, 2163, 2166; Hammen WM 2005, 813, 821). Nach dem Wortlaut der Richtlinie war es nicht von vornherein ausgeschlossen, auch Geschäftsmodelle wie das der Klägerin - Bildung eines Sondervermögens aus von zahlreichen Kapitalanlegern empfangenen Mitteln, Investition dieses Sondervermögens und schuldrechtliche Beteiligung der Anleger an der wertmäßigen Entwicklung des Sondervermögens nach näherer Maßgabe der Zertifikatsbedingungen - als von der o. g. Richtlinienbestimmung erfasst anzusehen, denn immerhin sollten die Inhaber der klägerischen Zertifikate an der Wertentwicklung der von der Klägerin erworbenen Vermögenswerte wirtschaftlich partizipieren, die Investitionserfolge der Klägerin sollten ihnen zugute kommen. Auch die Entstehungsgeschichte der Richtlinie legte eine Beschränkung des Begriffs "Auftrag" auf konkrete, einzelne Erwerbsvorgänge nicht zweifelsfrei nahe (so aber wohl Hammen a. a. O.; ihm folgend Gstädtner/Elicker BKR 2006, 437, 439). Die von Hammen a. a. O. bezeichneten Materialien, insbesondere die Bemerkung 2.4 der Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 27.11.1989 (ABl. Nr. C 298/10 vom 27.11.1989) beziehen sich auf Entwürfe, die gerade in Bezug auf die erfassten Tätigkeiten im Abschnitt A des Anhangs anders gefasst waren als die später erlassene Richtlinie; diese griff den Begriff "Kommissionshandel" aus der vorgenannten Stellungnahme in Anhang Abschnitt A Nr. 1 lit. b gerade nicht auf.

Eine vorsätzliche Verletzung der Richtlinie durch die am Verwaltungsgerichtshof tätig gewesenen Richter behauptet die Klägerin selbst nicht; hierfür sind auch keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich. Ein etwaiger Fehler bei der Auslegung der Richtlinie wäre insbesondere angesichts des Umstandes zu entschuldigen, dass jene in der Rechtsprechung des EuGH nicht geklärt war und hierzu - soweit ersichtlich - auch keine Stellungnahmen von Gemeinschaftsorganen vorlagen. Dem von der Klägerin herangezogenen Urteil des EuGH vom 21.11.2002 (C-356/00, Slg. 2002 Seite I-10797 ff. ["Testa und Lazzeri"]) war zur Klärung dieser Auslegungsfrage nichts zu entnehmen. Die dort beanstandete italienische Umsetzungsnorm erstreckte das Zulassungserfordernis eindeutig und zweifellos über die Vorgaben der Richtlinie hinaus, ohne hinreichend zu verdeutlichen, dass dies auf einer autonomen Entscheidung des italienischen Gesetzgebers beruhte. Im Streitfall war demgegenüber erst durch Auslegung der Richtlinie zu prüfen, ob diese eine Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG im Sinne einer "wirtschaftlichen Betrachtungsweise" zuließ; erst nach der - nicht auf der Hand liegenden - Verneinung dieser Frage stellte sich die Folgefrage, welchen gemeinschaftsrechtlichen Regeln der weitergehende Erlaubnisvorbehalte anordnende deutsche Gesetzgeber etwa unter dem Gesichtspunkt der Transparenz zu folgen hatte.

Soweit die Klägerin für die Auslegung der WDLR die Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) fruchtbar machen will, übersieht sie, dass diese schon aus zeitlichen Gründen nicht zur Beurteilung eines etwaigen Auslegungsfehlers im August 2003 herangezogen werden kann.

Der Verwaltungsgerichtshof hat schließlich auch seine Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG nicht verletzt. Er war im seinerzeit zur Entscheidung anstehenden Eilverfahren nach §§ 80 Abs. 5, 146 VwGO zu einer Vorlage an den EuGH nicht verpflichtet; vielmehr konnte er die abschließende Prüfung der europäisches Recht betreffenden Auslegungsfragen einschließlich der Frage einer etwaigen Vorlage dem Hauptsacheverfahren vorbehalten (vgl. EuGH NJW 1977, 1585, 1586; 1983, 2751; BVerfG WM 2006, 2326 ff. [juris-Rn. 13, 15]; Nichtannahmebeschluss v. 29.11.2001 - 2 BvR 1486/01, juris-Rn. 2).

(ii) Die Annahme eines Zulassungserfordernisses für die Tätigkeiten der Klägerin verstieß nicht offenkundig gegen Art. 56 EG. Die Abwägung zwischen der Freiheit des Kapitalverkehrs und den Belangen des Anlegerschutzes ist schwierig. Die von der Klägerin herangezogenen Entscheidungen des EuGH (EuGHE I 1991, 3111 ff. - "Polysar" -; Slg. 1995 Seite I-04821 ff. - "Sanz de Lera" -; EuGHE I 1996, 3013 ff. - "Wellcome Trust" -; Slg. 2000 Seite I-09567 ff. - "Floridienne/Berginvest" -; NZG 2005, 683 ff.) beziehen sich überwiegend auf im Streitfall unerhebliche Abgrenzungsfragen im Bereich der Umsatzsteuern; sie lassen nicht den allgemeinen Schluss darauf zu, dass die Freiheit des Kapitalverkehrs unter dem Gesichtspunkt des Anlegerschutzes keinerlei Einschränkungen unterliegt. Im Gegenteil ist in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt, dass auch die Freiheit des Kapitalverkehrs ungeschriebene Ausnahmen kennt, soweit ein Mitgliedstaat im Allgemeininteresse liegende Ziele verfolgt (vgl. Ress/Ukrow, in: GH, Stand 33. Ergänzungslieferung Oktober 2007, Art. 56 EGV Rn. 75 f. m. w. N.); zu den dergestalt verfolgbaren Zielen zählen auch der Gläubiger- und Anlegerschutz (vgl. Ress/Ukrow, a. a. O., Rn. 77). Das Geschäftsmodell der Klägerin lässt sich zudem nicht auf "Beteiligungen" im Sinne der Verwaltung des eigenen Vermögens reduzieren, hatte sie ihre wesentlichen Mittel doch erst durch eine werbende Tätigkeit auf dem Kapitalmarkt erworben.

c) Angesichts dessen muss der Senat nicht entscheiden, ob der Umstand, dass die Klägerin im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren ihre europarechtlichen Argumente nicht näher ausgeführt hat, vor dem Hintergrund der Beschränkung des beschwerdegerichtlichen Prüfungsprogramms durch § 146 Abs. 4 S. 6 VwGO nach dem Rechtsgedanken des § 839 Abs. 3 BGB einem Anspruch der Klägerin entgegensteht. Ob dieser Rechtsgedanke im Rahmen des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruches Anwendung finden kann, ist noch nicht abschließend geklärt; der BGH hat diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt (Beschluss vom 10.12.2006 - III ZR 144/05, NVwZ 2007, 362 - Frage 5 -).

II. Die Klägerin kann den Beklagten auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung (Art. 34 GG in Verbindung mit § 839 BGB) auf Kostenerstattung in Anspruch nehmen.

1. Es kann dahingestellt bleiben, ob richterliche Entscheidungen im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO wie solche nach § 123 VwGO und Entscheidungen im zivilprozessualen Verfahren auf Erlass eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung (vgl. dazu BGH, Urteil vom 09.12.2004 - III ZR 200/04, BGHZ 161, 298, 301 ff.) "urteilsvertretende Erkenntnisse" mit der Folge sind, dass die gesetzliche Haftungsgrenze des § 839 Abs. 2 BGB ("Richterspruchprivileg") eingreift. Eine derartige Einordnung erscheint angesichts dessen fraglich, dass es nach § 80 Abs. 7 VwGO an einer Selbstbindung des beschließenden Gerichts (vgl. hierzu BGH a. a. O., 301 f.; Staudinger [2007]-Wurm, § 839 Rn. 324) fehlt; das Gericht kann seine Entscheidung schon abändern, wenn es bei unveränderter Sachlage zu einer anderen Rechtsauffassung kommt (vgl. Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, a. a. O., § 80 Rn. 385).

2. Die Frage kann deshalb offen bleiben, weil das Verhalten der seinerzeit beschließenden Richter des Verwaltungsgerichtshofs nicht den Vorwurf eines groben Verschuldens rechtfertigt. Auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB kommt eine Amtshaftung für richterliches Fehlverhalten nur bei besonders groben Verstößen, d. h. bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit, bei Unvertretbarkeit der richterlichen Rechtsansicht in Betracht (vgl. BGH NJW 2007, 224, 226 m. w. N.). An einem derartigen Verstoß fehlt es im Streitfall.

a) Der in § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG gebrauchte Begriff "Finanzkommissionsgeschäft" bedurfte und bedarf der Auslegung. Es handelte sich um einen neuen Rechtsbegriff, der sich nicht notwendig vollständig mit dem Begriff "Kommissionsgeschäft" im handelsrechtlichen Sinne deckte; anders als etwa § 1 Abs. 6 und 7 KWG verwies die Vorschrift nicht ausdrücklich auf das HGB. Es stellte sich daher zumindest die Frage, ob der Tatbestand des Finanzkommissionsgeschäfts möglicherweise auch atypische Konstellationen erfassen konnte. Zwar könnten insgesamt die besseren Gründe dafür sprechen, Geschäftsmodelle der klägerischen Art nicht als Finanzkommissionsgeschäft im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG anzusehen (vgl. Hessischer VGH WM 2007, 1459 ff. [juris-Rn. 53 ff.] mit zustimmenden Anmerkungen Fock EWiR 2007, 595 f. und Hanten/von Livonius WuB I L 1. § 1 KWG 2.07; Dreher ZIP 2004, 2161 ff.; Hammen WM 2005, 813 ff.; Wolf DB 2005, 1723 ff.). Die Argumente der vom Verwaltungsgerichtshof im streitgegenständlichen Beschluss geteilten, den Anlegerschutz als wesentlichen Sinn und Zweck des Gesetzes akzentuierenden, vor einfachen Umgehungsmöglichkeiten durch Gestaltungsvarianten warnenden Gegenansicht (vgl. Sahavi ZIP 2005, 929 ff.; Voge WM 2007, 1640 ff.) waren und sind aber nicht von vornherein von der Hand zu weisen. Insbesondere lag die Unzulässigkeit der extensiven Auslegung der Vorschrift aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht auf der Hand. Es war gerade die durch Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG zu klärende Frage, ob der Gesetzgeber die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) durch einen Erlaubnisvorbehalt, der auch das Geschäftsmodell der Klägerin einschloss, eingeschränkt und schuldhafte Verstöße gegen diesen Vorbehalt in § 54 KWG unter Strafe gestellt hatte. Die Rechtsordnung kennt eine Vielzahl von Straftatbeständen, deren Abgrenzung im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bereitet, ohne dass daraus jeweils ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG gefolgert worden wäre.

b) Bei der Bewertung des Verschuldens der seinerzeit beschließenden Richter darf zudem nicht außer Betracht bleiben, dass die wesentlichen Beiträge im Schrifttum erst nach Ergehen des Beschlusses im Jahre 2003 veröffentlicht wurden, wobei dieser teilweise auch von Kritikern der "wirtschaftlichen Betrachtungsweise" wegen der besonderen Gestaltung des Falles Zustimmung fand (vgl. Dreher, a. a. O., 2167 f.).

III. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) bestehen ebenso wenig wie solche für eine Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung (Art. 234 Abs. 3 EG). Im Streitfall stellen sich keine neuen Grundsatzfragen des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruches; vielmehr hatte der Senat die hierzu gesicherten Grundsätze auf einen Einzelfall anzuwenden. Die Grundsatzfragen zur Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG einschließlich der europarechtlichen Vorgaben sind angesichts des hier anzulegenden Prüfungsmaßstabes - offenkundig gemeinschaftsrechtswidrig bzw. grob fahrlässig rechtsfehlerhaft - nicht im vorliegenden Verfahren zu klären. Es kommt für die Entscheidung des Streitfalles auch nicht darauf an, ob das Richterspruchprivileg auf im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ergehende Beschlüsse anzuwenden ist.

Die sonstigen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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