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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 19.06.2008
Aktenzeichen: 1 U 30/08
Rechtsgebiete: HaftpflG


Vorschriften:

HaftpflG § 2
1. Zum gemeindlichen Kanalisationsnetz als Anlage i.S.d. § 2 Satz 2 HaftpflG gehören auch der Kanalschacht und der Kanaldeckel

2. Diese Anlage ist nicht in einem ordnungsgemäßen Zustand, wenn sich die Straßenpflasterung um den Kanaldeckel herum im Nachhinein stellenweise um 4,5 cm abgesenkt hat.

3. Durch eine solche Absendung verwirklicht sich gerade die Gefahr,m die von einer solchen im öffentlichen Straßenraum befindlichen Anlage ausgeht.


Gründe:

I.

Zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung am 17.07.2008 wird auf Folgendes hingewiesen:

Der Berufung wird ein Teilerfolg nicht zu versagen sein. Zwar hat das Landgericht zu Recht darauf verwiesen, dass eine Verschuldenshaftung der Beklagten nicht in Betracht kommt; das wird auch vom Kläger nicht angegriffen. Der Senat sieht jedoch eine Zustandshaftung gem. § 2 Satz 2 HaftpflG als gegeben an.

1. Als Anlage im Sinne der genannten Vorschrift ist das gemeindliche Kanalisationsnetz anzusehen, dazu gehören auch der Kanalschacht und der Kanaldeckel als Bestandteil (OLG Celle VersR 1991, 1382). Diese Anlage befand sich im Zeitpunkt des Unfalls nicht in einem ordnungsgemäßen Zustand im Sinne des § 2 Satz 3 HaftpflG. Zwar war ausweislich der vom Kläger überreichten Lichtbilder der Kanaldeckel als solcher zunächst ordnungsgemäß in die ihn umgebende Pflasterung eingepasst. Bei Beurteilung der Ordnungsgemäßheit genügt allerdings nicht die isolierte Betrachtung der Beschaffenheit der Anlage als solcher bzw. ihrer Teile; vielmehr sind hierbei die jeweiligen örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen (BGH, Urt. v. 29.06.1995 - III ZR 196/94 -, NJW-RR 1995, 1302 [juris Rn. 11] in Abweichung von der Vorinstanz = Senat, Urt. v. 29.09.1994 - 1 U 75/93 -, OLGR 1995, 20). Demzufolge kann es bezüglich der Zustandshaftung des Inhabers einer Kanalisationsanlage keinen Unterschied machen, ob der schadensursächliche Kanaldeckel über eine mangelnde Festigkeit verfügte, sich aus der Fassung gelöst hat oder gefährlich überstand (BGH a.a.O.). Dem folgt der Senat. Aus dem zwischenzeitlich entstandenen Überstand ergibt sich, dass eine Unversehrtheit der Anlage zu verneinen ist. Da der Kanaldeckel nicht mehr vollständig in die Pflasterung eingefügt war, nachdem diese sich gerade am Rand des Kanalschachtes abgesenkt hatte, kommt das "Vorhandensein der Anlage" als Schadensursache in Betracht, zumal ausreicht, dass die Anlage eine der Schadensursachen war (Filthaut, HaftpflG, 7. Aufl. 2006, § 2 Rn. 32). Stößt ein Radfahrer in der vom Kläger geltend gemachten Weise gegen einen aufgrund einer Absenkung des Pflasters teilweise nicht mehr "plan" in die Pflasterung eingebetteten Kanalschacht oder Kanaldeckel, verwirklicht sich damit entgegen der Auffassung des Landgerichts gerade eine typische Gefahr in Zusammenhang mit dem Kanalschacht. Denn bei Pflasterungen wie im vorliegenden Fall sind Absenkungen von Verbundsteinen gerade am Kanalschacht wegen der eingeschränkten Möglichkeiten der Verdichtung des Untergrundes direkt neben dem Kanalschacht eher typisch. Die Zustands-Gefährdungshaftung nach dem HaftpflG findet ihre Rechtfertigung gerade darin, dass sich die in § 2 HaftpflG aufgeführten Anlagen sich größtenteils auf öffentlichen Flächen finden und dadurch einen weiten Personenkreis gefährden (Filthaut, a.a.O., § 3 Rn. 31).

2. Der Senat geht auch davon aus, dass die Anlage bei einer Absenkung der Pflasterung um 4,5 cm nicht mehr als verkehrssicher anzusehen ist. Charakteristisch ist, das die Gefahr gerade in dem querstehenden Rahmen des Kanalschachtes zu sehen ist, die - anders etwa als eine flächige Absenkung von Verbundpflaster - geradezu als Barriere wirkt.

3. Der Senat geht unter Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises auch davon aus, dass sich der bedauerliche Unfall des Klägers so zugetragen hat, wie er von ihm geltend gemacht wird. Denn stürzt jemand in unmittelbarer Nähe einer Gefahrenstelle, so liegt nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises der Schluss nahe, dass die Gefahrenstelle Ursache des Sturzes war (BGH, Urt. v. 02.06.2005 - III ZR 358/04 -, NJW 2005, 219 [juris Rnr. 7 f]). Zwar hat den Sturz selbst niemand beobachtet, die als Zeugen benannte Z1 hat aber angegeben, dass das Fahrrad des Klägers nach dem Sturz etwas unterhalb des in der Mitte befindlichen Kanalrostes lag. Der Senat folgert daraus einen für einen Anscheinsbeweis ausreichenden engen örtlichen Zusammenhang zwischen Unfall- und Schadensstelle. Da das Fahrrad "unterhalb" des mittleren Kanaldeckels lag, sieht der Senat auch keine - der Annahme eines solchen Anscheinsbeweises entgegenstehenden - Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger etwa beim "Querfahren" in den Zwischenräumen des Kanaldeckels hängengeblieben sein könnte.

3. Der Senat hält daher einen Anspruch dem Grunde nach für gegeben. Vor diesem Hintergrund hält der Senat im Interesse beider Prozessparteien eine vergleichsweise Regelung für angezeigt.

4. Zu den im Einzelnen geltend gemachten Schadenspositionen sieht der Senat die Vorstellung des Klägers von einem Schmerzensgeld in der Größenordnung von 4.500 € als deutlich übersetzt an unter Berücksichtigung der Art der Verletzungen des im Unfallzeitpunkt 8 Jahre alten Klägers, der geltend gemachten Folgen des Unfalls und insbesondere auch der Tatsache, dass die Beklagte kein Verschulden trifft, sondern sie nur aus Gefährdungshaftung in Anspruch zu nehmen ist; in Betracht kommt ein Schmerzensgeld in der Größenordnung allenfalls von um 2.000 €. Für eine vergleichsweise Regelung ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger für die geltend gemachten und teilweise bestrittenen gesundheitlichen Folgen beweispflichtig ist; insbesondere ist bezüglich des Feststellungsantrags offen, ob es hinreichend konkrete Anhaltspunkte für die von der Beklagten bestrittene Annahme gibt, dass sich auch beim Kläger aufgrund des Kieferbruchs Spätfolgen einstellen könnten. An Fahrtkosten sieht der Senat allenfalls 0,30 €/km als angemessen an, ebenso ist der Helm nicht zum Neuwert, sondern zum zu schätzenden Zeitwert (§ 287 ZPO) anzusetzen. Hinsichtlich der geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten - seitens eines anderen Anwalts als des jetzigen Prozessbevollmächtigten - ist zum einen zu berücksichtigen, dass der vorprozessual geforderte Betrag nach den vorangehenden Ausführungen nur zum Teil zuzusprechen wäre, also auch nur insoweit eine Erstattungspflicht in Betracht kommt. Zum Beleg, dass die geltend gemachten Kosten tatsächlich angefallen sind, hat der Kläger lediglich das Anwaltsschreiben selbst vorgelegt. Auf das Bestreiten der Beklagten, dass die Kosten für den Kläger tatsächlich angefallen sind, insbesondere insoweit Gebühren in Rechnung gestellt wurden, hat der Kläger nicht reagiert.

5. Aufgrund dieser Erwägungen schlägt der Senat daher gemäß § 278 Abs. 6 ZPO zur Erledigung des Rechtsstreits folgenden Vergleich vor:

a) Die Beklagte verpflichtet sich, an den Kläger 2.700 € nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 28.09.2006 zu zahlen.

b) Damit sind alle Ansprüche des Klägers aus dem Unfall vom 31.07.2006 abgegolten.

c) Von den Kosten des Rechtsstreits einschließlich dieses Vergleichs tragen die Beklagte 43 % und der Kläger 57 %.

Der Senat weist darauf hin, dass die geltend gemachten außergerichtlichen Kosten für die Streitwertbemessung und damit für die Bestimmung der Kostenquote außer Betracht zu bleiben haben.

Die Parteien erhalten Gelegenheit, diesen Vergleichsvorschlag gem. § 278 Abs. 6 ZPO durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Gericht bis Dienstag, 15.07.2008 anzunehmen. Für diesen Fall kann die mündliche Verhandlung entfallen, so dass insoweit keine zusätzlichen Kosten entstehen.

Ende der Entscheidung

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