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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 13.08.2001
Aktenzeichen: 1 U 53/00
Rechtsgebiete: BGB, StVG, StVO, ZPO


Vorschriften:

BGB § 839
StVG § 7
StVG § 17
StVG § 18
StVO § 9 Abs. 5
ZPO § 713
ZPO § 708 Nr. 10
Zur Beweislast und Haftungsverteilung beim Linksabbiegerunfall (50%).
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 53/00

Verkündet am 13.08.2001

In dem Rechtsstreit ...

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Richter am Oberlandesgericht Martenstein als Einzelrichter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2001 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 25.02.2000 verkündete Schlussurteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 6.623,78 nebst 4 % Zinsen seit dem 26.08.1998 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

Von den im ersten Rechtszug entstandenen Gerichtskosten haben der Kläger 75 % und der Beklagte 25 % zu tragen. Der Kläger hat von den im ersten Rechtszug entstandenen außergerichtlichen Kosten des Beklagten 54 % zu tragen. Der Beklagte hat von den im ersten Rechtszug entstandenen außergerichtlichen Kosten des Klägers 46 % zu tragen. Von den Kosten der Berufung haben der Kläger 54 % und der Beklagte 46 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer beträgt für den Beklagten DM 6.623,78 und für den Kläger DM 7.781,78.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg. Der Kläger kann von dem beklagten Land wegen des Unfallschadens vom 09.06.1998 gemäß den §§ 839 BGB, 7, 17, 18 StVG Schadenersatz in Höhe von DM 6.623,78 verlangen.

Das beklagte Land haftet für den Unfallschaden des Klägers dem Grunde nach zu 50 %. Der Unfall beruht auf Verschulden sowohl der Zeugin P. als auch des Zeugen S..

Allerdings ergibt sich die schuldhafte Verursachung des Unfalls durch die Zeugin P., die das Fahrzeug des Klägers führte, nicht bereits aus der Anwendung des Anscheinsbeweises. Zwar steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass die Zeugin P. mit dem Fahrzeug des Klägers auf das vorausfahrende Fahrzeug des beklagten Landes aufgefahren ist. Das ergibt sich aus der Aussage nicht nur der Zeugen K. und S., sondern auch aus der Aussage der Zeugin P. ( ich fuhr dann hinten links auf das andere Fahrzeug auf ). Die Beurteilung des Unfalls als Auffahrunfall ergibt sich ferner aus den Feststellungen, die der Sachverständigen H. aus den Schäden er unfallbeteiligten Fahrzeuge ableitete. Gleichwohl kann nicht bereits im Wege des Anscheinsbeweises als festgestellt angesehen werden, dass der Auffahrunfall darauf beruht, dass die Zeugin P. unaufmerksam war oder zu dicht hinter dem Fahrzeug des beklagten Landes fuhr. Der Anscheinsbeweis greift hier nicht ein, weil das Schadensgeschehen Umstände auf- weist, die es ernsthaft als möglich erscheinen lassen, dass der Unfall anders abgelaufen ist als nach dem Muster , der der Anscheinsregel zugrunde liegenden Erfahrungstypik. Der Anscheinsbeweis ist entkräftet, wenn besondere Umstände nachgewiesen sind, die einen vom typischen Geschehensablauf abweichenden Sachverhalt als ernsthafte, ebenfalls in Betracht kommende Möglichkeit nahe legen (BGH NJW 1991, 230, 231 m. w. N.). So liegt es hier.

Allerdings ist nicht bewiesen, dass das Fahrzeug des beklagten Landes sich nach dem Abbiegen in die Gartenfeldstraße dort erst rechts einordnete und sodann plötzlich und ohne Vorankündigung nach links zog und dabei die Fahrspur der bereits auf der linken Fahrbahnseite fahrenden Zeugin P. kreuzte. Zwar hat die Zeugin P. ausgesagt, dass das Fahrzeug des Landes zunächst auf die rechte Fahrspur und dann plötzlich nach links gefahren sei. An der Richtigkeit dieser Aussage bestehen jedoch Zweifel aufgrund der Angaben des Zeugen S.. Danach ordnete sich der Zeuge mit dem Fahrzeug des beklagten Landes nach dem Abbiegen in die Gartenfeldstraße dort nicht rechts, sondern in der Mitte der Fahrbahn ein. Diese Aussage ist nachvollziehbar und plausibel, weil der Zeuge entsprechend der von ihm täglich zurückgelegten Fahrstrecke nach wenigen Metern im Bereich der Verkehrsinsel wenden wollte. Die Aussage des Zeugen S. wird insofern von der Aussage K. bestätigt, als die Zeugin ausschließen konnte, dass der Zeuge S. zunächst scharf nach rechts und dann scharf nach links abgebogen sei. Danach steht jedoch fest, dass der Zeuge S. das Fahrzeug des Landes von der Mitte der Fahrbahn, die nach Angaben des Sachverständigen H. etwa sieben Meter breit ist, nach links lenkte, um in Höhe der Verkehrsinsel zu wenden. Da die Zeugin P., die unmittelbar hinter dem Zeugen S. nach rechts in die Gartenfeldstraße abgebogen war, sich dort sofort links eingeordnet hatte, muss der Zeuge S. den Teil der Fahrbahn gekreuzt haben, den die Zeugin P. mit dem Fahrzeug des Klägers in Anspruch nahm. Da überdies fest steht, dass der Zeuge S. mit dem Fahrzeug des Beklagten nach einer Fahrtstrecke von nur etwa 30 m in der Gartenfeldstraße wenden wollte, liegen besondere Umstände vor, aus denen sich die ernste Möglichkeit ergibt, dass der Zeuge S. unmittelbar vor dem Auffahrunfall das Fahrzeug des Landes von der Mitte der Fahrbahn nach links unmittelbar vor das dort fahrende Fahrzeug des Klägers lenkte. Danach greift der Anscheinsbeweis nicht ein. Das dem Kläger zuzurechnende Verschulden der Zeugin P. ergibt sich jedoch daraus, dass die Zeugin ­ auch ohne den Beweis des ersten Anscheins ­ entweder unaufmerksam fuhr oder dem Fahrzeug des Landes in zu geringem Abstand folgte. Da sich der Zeuge S. in der Mitte der Fahrbahn eingeordnet hatte, bestand für die Zeugin P. eine unklare Verkehrslage. Denn sie konnte nicht verlässlich beurteilen, was das vorausfahrende Fahrzeug des Landes jetzt sogleich tun werde. Da nach dem Abbiegen nach rechts erst wenige Meter zurückgelegt waren, musste die Zeugin P. damit rechnen, dass das vorausfahrende Fahrzeug nach nur wenigen weiteren Metern die rechte oder die linke Seite der sieben Meter breiten, aber nicht durch Markierungen unterteilten Fahrbahn der Gartenfeldstraße einnehmen werde. Sie musste ferner damit rechnen, dass das vorausfahrende Fahrzeug im Bereich der Verkehrsinsel wenden könnte. Sie hat deshalb die in dieser unklaren Verkehrssituation gebotene erhöhte Sorgfalt nicht beachtet oder ist dem Fahrzeug des Landes in zu geringem Abstand gefolgt, so dass sie das Auffahren nicht mehr verhindern konnte. Allerdings kann der Zeugin P. nicht zur Last gelegt werden, dass sie unbeachtet ließ, dass das Fahrzeug des Landes den Fahrtrichtungsanzeiger links benutzte. Zwar hat die Beweisaufnahme ergeben, dass der Zeuge S. den Fahrtrichtungsanzeiger links in Gang gesetzt hatte. Es kann jedoch nicht festgestellt werden, ob diese Ankündigung, nach links abbiegen zu wollen, rechtzeitig geschah, so dass die Zeugin P. darauf reagieren konnte. Weder die Zeugin K. noch der Zeuge S. haben nachvollziehbare Angaben dazu gemacht, wann der Fahrtrichtungsanzeiger nach links gesetzt wurde und in welchem Abstand danach der Zeuge S. dann das Fahrzeug nach links zog.

Der Auffahrunfall vom 09.06.1998 wurde aber auch durch schuldhaft verkehrswidriges Verhalten des Zeugen S., das dem Beklagten zuzurechnen ist, mit verursacht. Das Verschulden des Zeugen S. besteht darin, dass er entgegen § 9 Abs. 5 StVO sich beim Wenden nicht so verhielt, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Die von ihm beim Wenden verlangte höchstmögliche Sorgfalt hat er deshalb nicht gewahrt, weil er sich nach dem Abbiegen nach rechts in die Gartenfeldstraße nicht möglichst deutlich sogleich nach links einordnete, sondern - jedenfalls zunächst ­ eine unklare Verkehrssituation dadurch schuf, dass er die Mitte der Fahrbahn benutzte (vgl. Jagusch/Hentschel, 35. Aufl., StVO § 9 Rn. 52 m. w. N.). Allerdings kann dem Zeugen S. darüber hinaus nicht auch zur Last gelegt werden, dass er nicht rechtzeitig nach links blinkte oder die Pflicht zur doppelten Umschau verletzte. Derartige Pflichtverletzungen des Zeugen sind nicht nachgewiesen.

Danach beruht der Auffahrunfall auf dem Verschulden sowohl der Zeugin P. als auch des Zeugen S.. Bei Abwägung des jeweiligen Anteils an der schuldhaften Mitverursachung des Unfalls erscheint es gerechtfertigt, dass der Beklagte 50 % des dem Kläger entstandenen Schadens trägt.

Der dem Kläger entstandene Unfallschaden beläuft sich auf insgesamt DM 13.247,56. Er setzt sich zusammen aus dem Fahrzeugschaden von DM 12.000,00, den Kosten für das Sachverständigengutachten von DM 1.207,56 und der Unkostenpauschale von DM 40,00 (§ 297 ZPO). Ohne nähere Darlegung erscheint ein höherer Pauschbetrag mit Rücksicht auf den eher geringen Unfallschaden nicht angemessen.

Unbegründet ist der vom Kläger geltend gemachte Nutzungsausfallschaden von insgesamt DM 1.148,00. Der Kläger macht diesen Schaden aufgrund einer fiktiven Berechnung unter Zugrundelegung der im Sachverständigengutachten angegebenen Dauer für Reparatur- oder Wiederbeschaffung des Fahrzeugs geltend. Ein Nutzungsausfallschaden entsteht jedoch nur dann, wenn der Geschädigte das Unfallfahrzeug repariert oder sich ein Ersatzfahrzeug beschafft. Hierzu trägt der Kläger indes nichts vor. Eine Entschädigung für Nutzungsausfall kann ihm deshalb nicht zuerkannt werden.

Die Zinsforderung ist aus dem Gesichtspunkt des Verzuges seit dem 26.08.1998 begründet, da der Beklagte seit diesem Zeitpunkt die Zahlungsaufforderung des Klägers ausdrücklich zurückwies (§§ 284, 286 BGB).

Die Kostenentscheidung entspricht dem Anteil des Obsiegens und Unterliegens der Parteien in beiden Rechtszügen. Hinsichtlich der im ersten Rechtszug entstandenen Gerichtskosten war zu berücksichtigen, dass die Klage erfolglos war, soweit sie auch gegen den Zeugen S. gerichtet worden war (§§ 92 Abs. 1., 97 Abs. 1 ZPO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.



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