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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 10.03.2005
Aktenzeichen: 1 U 54/04
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 823 | |
BGB § 906 | |
BGB § 1004 |
Gründe:
I.
Die Kläger nehmen die Beklagten auf Unterlassung des Betriebs einer Mobilfunk-Basisstation auf einem ihnen benachbarten Kirchturm in Anspruch. Sie stützen ihren vermeintlichen Unterlassungsanspruch nicht auf konkret erlittene gesundheitliche Einbußen - solche behaupten sie nicht - oder auf eine besondere Gefährlichkeit gerade der streitgegenständlichen Sendeanlage, die unstreitig die Grenzwerte der 26. BImschV einhält, sondern darauf, dass die gesundheitlichen Auswirkungen des Mobilfunks im Allgemeinen bis heute wissenschaftlich nicht geklärt seien. Angesichts dessen dürfe die Bevölkerung keiner unnötigen Strahlenbelastung ausgesetzt werden; vielmehr seien vorsorglich erheblich niedrigere Grenzwerte festzusetzen und die Sendeanlagen aus Wohngebieten zu verbannen. Eine derartige gesundheitliche Vorsorge sei auch Aufgabe der Gerichte.
Zur Darstellung der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Die Kläger verfolgen mit ihrer Berufung die erstinstanzlichen Anträge weiter. Sie rügen im Wesentlichen Folgendes:
- Die Grenzwerte der 26. BImschV berücksichtigten nur thermische Effekte der Mobilfunkstrahlung; die Strahlenschutzkommission könne die Verordnung nicht authentisch anders interpretieren. Hieraus folge, dass die Verordnung zu nicht thermischen Effekten keine Grenzwerte festlege. Die landgerichtliche Annahme, thermische Effekte träten bei geringeren Feldstärken ein als nachgewiesene athermische Reaktionen, sei falsch, wie die Kläger bereits erstinstanzlich unter Beweisantritt vorgetragen hätten.
- Das Landgericht habe die von den Klägern zitierten Wissenschaftler zu Unrecht insgesamt abqualifiziert. Die im klägerischen Schriftsatz vom 3.11.2003 (Bl. 757 ff. d. A.) angeführten Ergebnisse des "Reflex"-Projektes oder der "TNO-Studie" beruhten sehr wohl auf Forschungen. Die "Reflex"-Studie habe genschädigende Wirkungen elektromagnetischer Felder nachgewiesen. Auf S. 18 des Schriftsatzes vom 3.11.2003 hätten sie auf eine Gesundheitsbefragung nahe Murcia sowie auf die "TNO-Studie" 9/2003 hingewiesen, wonach UMTS-Signale Übelkeit und Kopfschmerzen verursachen könnten. Ein theoretisches Risiko habe auch der schwedische Physiker A in einer neueren Forschungsarbeit angenommen und Störungen der Durchblutung von Kapillargefäßen durch Mobilfunkstrahlen vermutet. Die kürzlich veröffentlichte "Naila-Studie" spreche für eine deutliche Steigerung des Krebsrisikos im Nahbereich um Mobilfunk-Basisstationen.
- Die landgerichtliche Billigung der in der 26. BImschV enthaltenen Grenzwerte vernachlässige den Vorsorgegedanken, der etwa in den (niedrigeren) Empfehlungen des B-Institutes zum Ausdruck komme. Jedenfalls könne das Unaufklärbarkeitsrisiko hinsichtlich Gesundheitsgefährdungen nach §§ 903, 1004, 906 BGB nicht dem Nachbarn aufgebürdet werden, zumal eine weniger belastende Alternative - die Errichtung von Sendeanlagen im Außenbereich - möglich, wenn auch vielleicht teurer sei. In diesem Zusammenhang kritisieren die Kläger harsch diverse "Industrie-Gutachter" und ergänzen ihren Vortrag zu vermeintlich unterdrückten Forschungsergebnissen.
- Das Landgericht habe die Beweislast falsch beurteilt. Nach der Rechtsprechung des BGH hätten die Kläger nicht die volle Beweislast für die Unwesentlichkeit. Der Tatrichter werde durch § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht von seiner eigenen Ermittlungsaufgabe entbunden. Das vorliegende wissenschaftliche Material, mit dem sich das Gericht gemäß § 286 ZPO ausführlich auseinander zu setzen habe, begründe jedenfalls - ausreichende - Zweifel an der Indizwirkung der Grenzwerte der Verordnung, einen - unter Berücksichtigung des Vorsorgegedankens ausreichenden - wissenschaftlichen Verdacht.
- Das Landgericht überspanne die Darlegungsanforderungen. Es gebe viele Erfahrungsberichte zu Krankheiten infolge Inbetriebnahme von Mobilfunkstationen.
- Das Landgericht habe zu Unrecht kein Sachverständigengutachten eingeholt. Das Beweisangebot sei nicht völlig ungeeignet. Das Landgericht statuiere ein neues Beweisverbot und verletze den Justizgewährungsanspruch, begründe seine eigene Sachkunde zur Bewertung des vorgelegten wissenschaftlichen Materials nicht. Mit der Bezugnahme auf die Entscheidung des 8. Zivilsenats des erkennenden Gerichts vom 28.11.2000 (8 U 190/00, CR 2001, 835 ff.) blieben alle wissenschaftlichen Erkenntnisse aus den letzten 3 Jahren unberücksichtigt; der 3. Zivilsenat habe in der Sache 3 U 171/02 völlig zu Recht eine Beweisaufnahme angeordnet.
Die Kläger beantragen,
unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils
1. die Beklagte zu 1. zu verurteilen, den Betrieb der von ihr im Turm der ... ...kirche in O1 installierten Mobilfunksendeanlage zu unterlassen,
2. die Beklagte zu 2. zu verurteilen, es zu unterlassen, der Beklagten zu 1. den Betrieb der von ihr im Turm der ... ...kirche in O1 installierten Mobilfunksendeanlage zu ermöglichen,
3. den Beklagten anzudrohen, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis 500.000 DM oder eine Ordnungshaft bis zu 6 Monaten gegen sie festgesetzt wird.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das landgerichtliche Urteil und legen u. A. dar, es sei weiter mitnichten wissenschaftlich geklärt, ob Mobilfunkstrahlung unterhalb der Grenzwerte der 26. BImschV zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen könne.
II.
Die Berufung ist unbegründet. Die Kläger haben keinen Unterlassungsanspruch gegen die Beklagten (§ 823 Abs. 1 BGB i. V. m. § 1004 Abs. 1 BGB analog); sie müssen den Betrieb der Mobilfunk-Basisstation auf dem ihnen benachbarten Kirchturm dulden, weil sie durch die von jener ausgehende Strahlung nur unwesentlich beeinträchtigt werden (§ 1004 Abs. 2, 906 Abs. 1 Satz 1 BGB).
1. Immissionen elektromagnetischer Felder werden als "ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen" von § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB erfasst (BGH NJW 2004, 1317-1319 [juris-Rn. 9]). Der rechtliche Konflikt konzentriert sich von daher in derartigen Fällen auf die Frage, ob die Nachbarn der Mobilfunk-Basisstation durch diese Immissionen wesentlich oder nur unwesentlich beeinträchtigt werden. Für die Beurteilung der Wesentlichkeit ist auf das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen abzustellen und zu prüfen, ob diesem die Beeinträchtigung auch unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange billigerweise zuzumuten ist (vgl. BGH a. a. O.). Im Rahmen dieser Abwägung ist § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB zu beachten. Die Grenzwerte, auf die diese durch das Sachenrechtsänderungsgesetz 1994 eingefügte Vorschrift Bezug nimmt, haben indizielle Bedeutung in dem Sinne, dass ihre Einhaltung oder Unterschreitung die Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung indiziert (vgl. BGH a. a. O. [juris-Rn. 13]; BGHZ 148, 261, 264 f.). Dem beeinträchtigten Nachbarn ist dadurch nicht die Beweislast für die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung auferlegt worden; es ist vielmehr bei der Beweislast des Störers für die Unwesentlichkeit geblieben (vgl. BGH NJW 2004, 1317-1319 [juris-Rn. 13]). Der beeinträchtigte Nachbar hat allerdings besondere Umstände des Einzelfalles darzulegen und im Bestreitensfalle zu beweisen, die diese Indizwirkung erschüttern (vgl. BGH a. a. O.), z. B. die besondere Lästigkeit von Geräuschen, die sich in Messergebnissen nur unzureichend erfassen lässt (vgl. BGHZ 148, 261, 265, und die Gesetzesbegründung [BT-Drs. 12/7425, S. 88]); gelingt ihm dies nicht, ist der Beweis der Unwesentlichkeit als geführt anzusehen. Hierin kommt eine Risikoverschiebung durch den Gesetzgeber gerade für Fälle zum Ausdruck, in denen eine wesentliche Beeinträchtigung nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BGH a. a. O. [juris-Rn.14]).
2. Hieraus ergibt sich Folgendes für den Streitfall:
a) Die Kläger berufen sich nicht auf besondere Umstände des Einzelfalles, aus denen sich ausnahmsweise trotz der unstreitigen Einhaltung der in der 26. BImSchV enthaltenen Grenzwerte die Wesentlichkeit ihrer Beeinträchtigung ergebe.
b) Sie wenden sich vielmehr gegen die Indizwirkung der Einhaltung dieser Grenzwerte, im Kern mit der Behauptung, jene seien wissenschaftlich zweifelhaft. Damit können sie nicht durchdringen.
(1) Der auch von anderen Mobilfunkgegnern vertretenen Rechtsansicht, die Verordnung habe athermische Effekte elektromagnetischer Felder nicht berücksichtigt und könne deshalb für solche Effekte keine Grenzwerte vorgeben, hat der BGH eine klare Absage erteilt (NJW 2004, 1317 ff. [juris-Rn. 10]). Dem folgt der Senat. Die Verordnung erhebt ausweislich § 1 Abs. 1 Satz 2 einen beide Effektarten umfassenden Schutzanspruch. Der Verordnungsgeber ging davon aus, dass thermisch bedingte Reaktionen bei geringeren Feldstärken eintreten als nachgewiesene athermische Reaktionen (vgl. BGH a. a. O.).
(2) Dem Senat obliegt es ebenso wenig wie dem Landgericht, die Richtigkeit dieser und weiterer Annahmen des Verordnungsgebers, die den Grenzwerten der Verordnung zugrunde liegen, zu prüfen. Die in den Grenzwerten zum Ausdruck gekommene Wertung bindet die Zivilgerichte (vgl. BVerfG NJW 1997, 2509 f. [juris-Rn. 5, 10]; BauR 2002, 1222 ff.), die sie nicht auf dem Umweg des privaten Immissionsschutzes in Frage stellen dürfen; eine eigene generelle Risikobewertung steht ihnen nicht zu (vgl. BGH a. a. O. [juris-Rn. 14]). Die Grenzwerte der Verordnung könnten allenfalls dann wegen eines Verstoßes gegen die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht unbeachtlich sein und als Anknüpfungspunkt für die Unwesentlichkeitsvermutung des § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB entfallen, wenn ihre Untragbarkeit evident wäre (vgl. BVerfG BauR 2002, 1222 ff. [juris-Rn. 14]). Dabei ist zu beachten, dass der Verordnungsgeber bei der Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG einen weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich hat; die Schutzpflicht ist erst dann verletzt, wenn entweder überhaupt keine Schutzvorkehrungen getroffen oder die getroffenen Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind (vgl. BVerfG a. a. O. [juris-Rn. 11]). Die geltenden Grenzwerte könnten also nur dann verfassungsrechtlich beanstandet werden, wenn erkennbar wäre, dass sie die menschliche Gesundheit völlig unzureichend schützen. Davon kann so lange keine Rede sein, als sich die Eignung und Erforderlichkeit geringerer Grenzwerte mangels verlässlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse noch gar nicht abschätzen lässt (vgl. BVerfG a. a. O. [juris-Rn. 12]).
So liegt der Fall. Der umfangreiche Klagevortrag zu neuen Forschungsergebnissen erlaubt ersichtlich keinen Schluss auf die "evidente Untragbarkeit", "gänzliche Ungeeignetheit" oder "völlige Unzulänglichkeit" der in der Verordnung festgelegten Grenzwerte, sondern belegt allenfalls nicht völlig von der Hand zu weisende Zweifel und die Notwendigkeit weiterer, umfangreicher Forschung:
- Das klägerische Referat der bisher vorliegenden Ergebnisse der "Reflex"-Studie (Bl. 911-913 d. A.) legt offen, dass die beteiligten Wissenschaftler noch lange keine klaren Aussagen zu medizinischen Konsequenzen treffen können. Dort ist bislang Grundlagenforschung auf Zellebene in vitro betrieben worden.
- Die "TNO-Studie" bezieht sich auf - nicht streitgegenständliche - UMTS-Signale.
- Der schwedische Physiker A soll nach dem Klagevortrag ein theoretisches Risiko vermutet haben.
- Die "Naila-Studie" versteht sich selbst als Pilotstudie, deren Ergebnisse in deutlich aufwändigeren Forschungsarbeiten noch zu überprüfen wären.
Die Entscheidung, welche Vorsorgemaßnahmen angeordnet, insbesondere, wie hoch die Grenzwerte angesetzt werden sollen, ist angesichts dessen eine politische, vom Gesetz- und vom Verordnungsgeber zu treffende.
(3) Der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurfte und bedarf es danach nicht. Abgesehen davon, dass die Kläger ein solches nicht beantragt, sondern stets die Vernehmung ihnen genehmer Wissenschaftler als sachverständige Zeugen beantragt haben, wäre ein solches Beweismittel beim derzeitigen Forschungsstand auch ungeeignet, weil es nur den bestehenden Zustand der Ungewissheit spiegeln könnte (vgl. BGH NJW 2004, 1317 ff. [juris-Rn. 16 ff.]). Hieran hat sich auch ausweislich des Klagevortrages seit dem BGH-Urteil vom 13.2.2004 nichts geändert.
c) Die klägerische Argumentation zu überhöhten Grenzwerten und zur Notwendigkeit, Sendeanlagen nur außerhalb von Wohngebieten zu betreiben, ist letztlich schon aus sich heraus schwer nachzuvollziehen. Die Beklagte zu 1. hat einleuchtend darauf hingewiesen, die Sendeanlagen könnten nur dann mit einer relativ niedrigen Leistung betrieben werden, wenn sie in der Nähe der Nutzer lägen. Hierauf haben die Kläger nicht substantiiert erwidert.
3. Ein Grund dafür, die Revision zuzulassen, ist nicht ersichtlich (§ 543 Abs. 2 ZPO). Was allgemein klärungsbedürftig und -fähig war, ist im oben heran gezogenen Urteil des BGH vom 13.2.2004 abgehandelt. Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Ende der Entscheidung
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