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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 11.05.2005
Aktenzeichen: 1 UF 94/93
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1666
BGB § 1671
BGB § 1696
Bindet ein Elternteil zwölfjährige Kinder derart eng und übermächtig an sich, dass diese im Verhältnis zu ihm kaum die Möglichkeit haben, sich eigenständig zu entwickeln, so ist dies ein das Wohl der Kinder nachhaltig berührender Grund im Sinne des § 1696 Abs.1 BGB. Er gibt Anlass, die Regelung des Sorgerechts zu überprüfen. Bei einem von einem Elternteil induzierten Willen eines Kindes ist zu bedenken, ob das Kind ihn sich selbst zu eigen gemacht hat. In diesem Fall ist zu prüfen, ob es mit dem Kindeswohl vereinbar ist, ihn zu übergehen oder ob dies dann zu einer für das Kind schädlichen Entwicklung führen würde. Ist ein Elternteil ungeeignet, die elterliche Verantwortung wahrzunehmen, so steht einer Übertragung der alleinigen elterliche Sorge auf den anderen erziehungsgeeigneten Elternteil nicht entgegen, dass die Kinder derzeit nicht bei ihm leben können, weil sie dies wegen eines induzierten Willens nachdrücklich ablehnen. In diesem Fall kann das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf einen Ergänzungspfleger übertragen werden. Mit der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Ergänzungspfleger kann die Verpflichtung verbunden sein, mit dem sorgeberechtigten Elternteil Kontakt zu halten und ihn zu informieren, damit er für die Kinder anstehende Entscheidungen treffen kann. Der Ergänzungspfleger ist dann gehalten, das Aufenthaltsbestimmungsrecht so auszuüben, dass die Entscheidungen des sorgeberechtigten Elternteils beachtet werden.
Gründe:

Durch die angefochtene Entscheidung hat das Amtsgericht der Mutter das Personensorgerecht für die Zwillinge A und B, Kinder aus der geschiedenen Ehe des Antragstellers und der Antragsgegnerin, entzogen und auf das Jugendamt als Pfleger übertragen. Wegen des problematische Verhaltens der Mutter, zu dem gehörte, dass sie über Jahre Gerichtsentscheidungen nicht beachtete und dem Vater Kontakte zu seinen Kindern verwehrte, hatte das Jugendamt die Eignung für die elterliche Sorge bei der Mutter in Frage gestellt. Sowohl dem Jugendamt wie auch der Verfahrenpflegerin der Kinder verweigerte die Mutter den Kontakt zu diesen. Ein vom Amtsgericht in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten zur Klärung der Frage, ob das Wohl der Kinder bei einem Verbleib im mütterlichen Haushalt gefährdet wäre, konnte nicht erstattet werden, weil sich die Mutter bei der Sachverständigen auf keine Termine einließ. Auch die Verfahrenpflegerin hatte sich angesichts aller Umstände für einen Entzug der Personensorge ausgesprochen.

Gegen diese Entscheidung haben sowohl die Mutter als auch der Vater befristete Beschwerde eingelegt. Beide erstreben mit ihrem Rechtsmittel die uneingeschränkte Übertragung der elterlichen Sorge auf sich.

Im Beschwerdeverfahren hat sich die Mutter damit einverstanden erklärt, nunmehr an einer Begutachtung mitzuwirken, sofern der Sachverständige ein Psychiater sei. Der Senat beauftragte daraufhin einen Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie mit der Begutachtung. Der Sachverständige Dr. C führte außer Telefongesprächen mit der Mutter zwei Explorationstermine durch. Beide Termine fanden in der Wohnung der Mutter statt, weil diese sich weigerte, die Praxis des Sachverständigen aufzusuchen. Nach dem zweiten Zusammentreffen sagten die Kinder, sie wollten keine weiteren Termine mehr, und die Mutter veranlasste sie auch nicht, an der Begutachtung mitzuwirken. Auf Grund der bis dahin getroffenen Feststellungen erstattete der Sachverständige ein Gutachten vom 25.1.2004, in dem er im Hinblick auf die Mutter zu dem Ergebnis kam, diese wolle alle Dinge kontrollieren, habe ein Omnipotenzgefühl und glaube allein zu wissen, was gut für ihre Kinder sei. Sie lasse ihre Kinder nicht aus den Augen, und das nicht nur im Rahmen des Verfahrens. Sie habe Angst vor Kontrollverlust, verhalte sich impulsiv, ihre Stimmung wechsele plötzlich, ihre Reaktionen seien manchmal nicht nachvollziehbar, und es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sie sich auch in Alltagsangelegenheiten so verhalte. Er zitierte aus einem Vorgutachten, dass die Gefahr nicht voraussagbarer Handlungen der Mutter bestehe. Für die Kinder machte er am Beispiel der Beziehung zum Vater deutlich, dass diese gegenüber der Mutter keine Gelegenheit zu eigener Meinungs- und Willensbildung hätten. Es sei wichtig, für die Kinder eine Situation zu schaffen, in der dies möglich wäre. Hierzu hielt es der Sachverständige für erforderlich, die Kinder aus der mütterlichen Wohnung herauszunehmen. Erst dann könne auch abgeklärt werden, welche weiteren psychischen Folgen eingetreten seien.

Der Amtsvormund des Jugendamtes der Stadt Frankfurt am Main hat in einem Bericht vom 15.3.2004 unter anderem darauf hingewiesen, die Mutter fahre ihre Kinder täglich zur Schule und hole sie wieder ab. Bei allen Außenkontakten sei sie anwesend. Dieses Verhalten sei weder altersangemessen noch in irgendeiner Weise sinnvoll. Die Mutter sei nach dortigen Beobachtungen nicht in der Lage, eine altersangemessene Individuation ihrer Kinder zuzulassen. Das von ihr vermittelte Weltbild sei grundsätzlich polarisiert in gut oder böse, nützlich oder schädlich, Freund oder Feind. Sie binde ihre Kinder in einer symbiotischen Beziehung, welche diese in ihrer Entwicklung bremse und behindere und langfristig psychische Schäden durch Dämonisierung der " feindlichen Außenwelt, respektive des Vaters ", verursache. Bei Interaktionspartnern, mit denen sie nicht im Konflikt sei (die ihr nicht widersprechen, ihre Aktivitäten loben), erscheine sie als fürsorgliche und behütende Mutter, weil sie den Eindruck vermittele, dass ihr keine Mühe zu viel sei, ihre Kinder zu fördern. Würden allerdings ihre Aktivitäten in Frage gestellt, würden altersentsprechende Freiräume für ihre Kinder thematisiert oder gar ein Umgang mit dem Vater auch nur andeutungsweise angesprochen, reagiere die Mutter mit Verlassenheits-, Vernichtungs- und Trennungsängsten und hoch aggressiv. Alle Möglichkeiten, sie zu einer Zusammenarbeit zu bewegen, seien gescheitert. Sämtliche Kompromiss- und Schlichtungsversuche sowie erteilte Auflagen seien unterlaufen worden. Man gehe von einer Kindeswohlgefährdung im höchsten Maße aus.

Auf Antrag des Amtsvormundes erging deshalb am 19.3.2004 ein Senatsbeschluss, dass die Kindern an diesen herauszugeben seien, und der Amtsvormund verbrachte die Kinder daraufhin in eine therapeutische Einrichtung. Durch Beschluss vom 8.4.2004 ordnete der Senat ihre stationäre Begutachtung an. Angesichts der Bedenken gegen die Erziehungsgeeignetheit der Mutter sollte der Aufenthalt auch dazu dienen, zu klären, ob sich losgelöst von der Mutter in Kontakten zwischen den Kindern und ihrem Vater - auch im Hinblick auf eine Änderung des Sorgerechts - eine Beziehung zu diesem anbahnen lässt.

Nach den Berichten aus der therapeutischen Einrichtung lebten sich beide Kinder dort überraschend gut ein. Dies galt sowohl für die Wohngruppe des Heimes als auch die neue schulische Umgebung. Sie gingen davon aus, der Aufenthalt dauere nicht allzu lange und erlebten ihn miteinander als Geschwister offenbar trotz der Schwierigkeiten der Situation zunächst auch wie ein Stück Abenteuer. Allerdings ist es auch der Einrichtung nicht gelungen, die Mutter wie eigentlich vorgesehenen auf Distanz zu den Kindern zu halten. Die Mutter nahm sich nach kurzer Zeit im selben Ort ein Zimmer, traf sich mit den Kindern unabhängig von den vorgesehenen Umgangszeiten heimlich außerhalb der Einrichtung, versuchte immer wieder, in Telefonaten mit Mitarbeitern der Einrichtung Einfluss auf die dortige Arbeit zu nehmen und gab den Kindern Verhaltensanweisungen. Die Kontakte zum Vater, die nach anfänglich großer Ablehnung sehr viel lockerer geworden waren, wurden unter dem erkennbaren Einfluss der Mutter erneut schwieriger, und die Kinder verweigerten sich dann wieder weitgehend. Das Verhalten der Mutter führte auch hier dazu, dass der Gutachtensauftrag erschwert wurde. Die Dauer des Aufenthaltes der Kinder in der therapeutischen Einrichtung verlängerte sich dadurch.

Die Besuchskontakte mit dem Vater fanden zweimal auch in Anwesenheit der Berichterstatterin des Senats statt. Obwohl die Situationen für ihn sehr schwierig war, zeigte sich der Vater in seinem Verhalten einfühlsam auf die Kinder bezogen. In den vorausgegangenen Verhandlungsterminen, auch in dem vorausgegangenen Beschwerdeverfahren zum Umgangsrecht, war der Vater jeweils um eine gütliche Regelung und eine Verständigung mit der Mutter bemüht. Es war deutlich, dass es ihm nicht um eine streitige Auseinandersetzung mit der Mutter geht, sondern dass er aus Sorge um seine Kinder handelt. Sie liegen ihm offenbar am Herzen, und er ist überzeugt davon, dass eine Verbindung zu ihm als Vater für seine Kinder wichtig wäre.

Auf Drängen zweier Frankfurter Familienrechtslehrer beabsichtigte das Jugendamt Anfang Dezember 2004, die Kinder zur Mutter zurückzuführen. Es teilte dies der Heimleitung mit und forderte diese auf, den Senat hierüber nicht zu informieren. Der Senat, dem dies zur Kenntnis gebracht wurde, verfügte daraufhin durch einstweilige Anordnung vom 8.12.2004, dass der Aufenthalt der Kinder bis zur Vorlage des gerichtlich angeordneten Sachverständigengutachtens nicht verändert werden darf. Am 19.12. brachte die Mutter die Kinder nach einem vereinbarten Umgangskontakt nicht in das Heim zurück und tauchte mit Ihnen unter. Um der Mutter einer Brücke zu bauen setzte der Senat durch Beschluss vom 22.12.2004 die Vollziehung seines Beschlusses vom 8.12.2004 bis zum 27.12.2004 aus, nachdem die Mutter über ihre Anwältin zugesichert hatte, sie werde die Kinder am 27.12. freiwillig wieder in das Heim zurück bringen, wenn sie zuvor mit ihnen die Weihnachtsfeiertage verbringen dürfe. Diese Zusage hielt die Mutter nicht ein und blieb mit den Kindern untergetaucht. Durch Beschluss vom 28.12.2004 bestimmte der Senat an Stelle des Jugendamtes der Stadt Frankfurt am Main einen anderen Pfleger für die Kinder mit dem Aufgabenkreis der Personensorge. Zusammen mit den Kindern ließ sich die Mutter in der Folgezeit von Fernsehsendern interviewen. Die Schule besuchten die Kinder erst wieder nach Vorlage des Gutachtens ab Februar 2005. Die Staatsanwaltschaft leitete gegen die Mutter unter Bejahung des öffentlichen Interesses ein Strafverfahren wegen Kindesentführung ein.

Die Sachverständige Dipl.-Psych. D legte ein schriftliches Gutachten vom 28.1.2005 vor, auf dessen Inhalt im Einzelnen verwiesen wird, ebenso wie auf die mündlichen Erläuterungen hierzu im Termin vom 24.2.2005.

Die befristeten Beschwerden der Eltern sind gemäß §§ 621e, 517,520 ZPO zulässig, insbesondere jeweils form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel der Mutter ist unbegründet, das des Vaters ist teilweise begründet. Gemäß § 1696 BGB i. V. m. den Grundsätzen der §§ 1671,1666 BGB ist die elterliche Sorge mit der aus dem Tenor ersichtlichen Einschränkung dem Vater zu übertragen.

Unter Berücksichtigung der Abänderungsvoraussetzungen des § 1696 BGB kann die alleinige Sorgerechtsübertragung auf die Mutter nicht mehr aufrechterhalten bleiben. Hierfür liegen triftige, das Wohl der Kinder nachhaltig berührende Gründe vor.

Diese Gründe ergeben sich einmal aus dem geschilderten grenzenlosen Omnipotenzverhalten, durch das die Kinder im Verhältnis zur Mutter keine ausreichenden Chancen zu einer eigenständigen Entwicklung haben, und das sie den Kindern auch als Verhaltensmuster nach außen anbietet, was für die Kinder ebenfalls als sehr schädlich anzusehen ist. Wie sehr die Kinder dieses Verhaltensmuster bereits übernehmen, konnte der Senat im Termin am 24.2.2005 erleben. Nach der Eröffnung der Sitzung erläuterte der Vorsitzende den Ablauf und erklärte den Kindern, er werde zunächst ihre beiden Eltern bitten, nacheinander etwas dazu zu sagen, wie sie sich den Fortgang des Verfahrens vorstellen würden. Dabei könnten auch sie zuhören. Die folgende Verhandlung sei dann nicht mehr für sie bestimmt, und sie sollten sich anschließend in das Kinderzimmer begeben, wo sie später auch angehört würden. Als der Vorsitzende die Kinder nach den Erklärungen der Eltern aufforderte, nun in das Kinderzimmer zu gehen, weigerten sich beide nachhaltig. Auch wiederholte sehr entschiedene Aufforderungen änderten daran nichts. Die Mutter saß daneben und sah keinerlei Anlass, auf ihre Kinder einzuwirken. Die Situation veränderte sich erst, als der Ergänzungspfleger einschritt. Bei der späteren Anhörung im Kinderzimmer war es für den Senat bedrückend, zu erleben, wie sehr die Kinder bereits die Spaltung der Mutter in Schwarz und Weiss übernommen haben und immer nur die eigene Wahrheit gelten lassen können. Nur der Vater allein sei schuld an diesem Verfahren, sie wollten ihn nicht sehen. Er solle wegbleiben, denn er sei böse. Gründe aus eigener Erinnerung können sie hierfür nicht nennen, sie konnten dies im Gespräch aber auch nicht ansatzweise in Frage stellen. Die genannten Äußerungen sind in besonderer Weise dafür typisch, dass den Kindern die zugrunde liegende Einstellung von einer dritten Person - hier der Mutter - vermittelt und von ihr übernommen wurde (vgl. Harry Dettenborn und Eginhard Walter, Familienrechtspsychologie, München 2002, S. 83 ff., 91). Im übrigen erklärten sie ganz entschieden, dass sie bei ihrer Mutter bleiben wollten, denn die habe sie lieb, bei ihr gehe es ihnen gut, und den Vater wollten sie nicht sehen.

Bedenkt man, dass für die beiden jetzt zwölfjährigen Kinder als Reifungsschritt die Entwicklung zu selbstständigen Persönlichkeiten ansteht, so hält der Senat die Mutter insgesamt gesehen nicht für erziehungsgeeignet. Insoweit werden die von dem Sachverständigen Dr. C festgestellten Defizite der Mutter von der Sachverständigen D bestätigt. Daran ändert es nichts, dass die Mutter die Kinder in anderen wichtigen Bereichen in der Vergangenheit gut gefördert hat. Durch ihren ausgeprägten Zwang, alles kontrollieren zu müssen und die für sie außer Frage stehende Überzeugung, allein zu wissen, was für die Kinder richtig ist, verhinderte es Mutter, dass sich die Kinder im Verhältnis zu ihr als Hauptbezugsperson selbstständig entwickeln können.

Für den Senat hat im Übrigen großes Gewicht, dass es der Mutter in ihrem Konfliktverhalten in erheblichem Maß an Verantwortungsgefühl gegenüber ihren Kindern fehlt. In besonderer Weise anschaulich wird das an ihrer Aktion, die Kinder vor Weihnachten aus dem Heim zu entführen und ihnen zuzumuten, mehrere Wochen mit ihr unter Furcht vor Entdeckung unterzutauchen und nach Ferienende der Schule fernzubleiben. Nach einem Bericht des Heimes vom 15.12.2004 zeigten sich die Kinder am dortigen Ablauf der Weihnachtsfeiertage sehr interessiert und hatten es von sich aus übernommen, sich am Heiligen Abend in der Kapelle des Hauses an einem Krippenspiel zu beteiligen. Sie hatten nicht den Wunsch geäußert, über Weihnachten beurlaubt zu werden. Es ist daher auch nicht anzunehmen, dass die Idee zu der Entführung von den Kindern ausgegangen ist.

Die positive Seite der Förderung der Kinder durch die Mutter wiegt all dies nicht auf. Diese positive Seite besteht im übrigen bei B sehr viel ausgeprägter als bei A. Wie die Sachverständige D aufzeigt, erfüllt die Schwester einen Auftrag ihrer Mutter, indem sie sich sich in allen Angelegenheiten um ihren Bruder kümmert und ihn kontrolliert. Dem entspreche, dass A erwarte, dass Mutter und Schwester alles für ihn regeln, und er oft kleinkindhaft und unbeholfen wirke. Dies sei auf seine Rolle als verwöhnter Junge in der Herkunftsfamilie zurückzuführen. A ist mit seiner Mutter, seiner Schwester und zwei weiteren inzwischen erwachsenen Stiefschwestern, die jetzt nicht mehr im Haushalt der Mutter leben, aufgewachsen. Für die Entwicklung seiner männlichen Identität und seines Selbstbewusstseins werde diese Rolle hinderlich sein. Um sich zu einer eigenständigen Persönlichkeit entwickeln zu können, benötige er eine stabile erwachsene, möglichst männliche Bezugsperson. Der Senat teilt diese Einschätzung. Als männliche Bezugsperson für A, aber auch für B, bietet sich der Vater an. Dem steht derzeit im Wege, dass die Mutter, wie die Sachverständige D detailliert aufzeigt, aus nicht nachvollziehbaren Gründen zu immer massiveren Mitteln greift, um eine Beziehung zwischen den Zwillingen und ihrem Vater zu verhindern. Offen oder subtil vermittle sie den Kindern immer wieder, ihr Vater sei kein " guter Mensch " und mache " nur böse Sachen mit Kindern ". Mit einer solchen Verteufelung seines Vaters, von dem er ja abstammt, macht es die Mutter ihrem Sohn nach der Überzeugung des Senats schwer, eine männliche Identität zu entwickeln.

A und B haben Mutter und Vater. Der Senat hält den Vater für uneingeschränkt erziehungsgeeignet. Er hat eine differenzierte Sicht von der Problematik der Kinder. Er wäre gewiss auch in der Lage, sie in seinem Haushalt gut zu betreuen. Trotz jahrelanger Weigerung der Mutter, ihm Kontakte zu ermöglichen, hat er das Interesse an seinen Kindern nicht verloren. Wie bereits ausgeführt hat er sich in den früheren Verfahren gegenüber der Mutter kompromissbereit und um Einigung bemüht gezeigt. Es ging ihm erkennbar nicht darum, einen Konflikt mit der Mutter auszutragen, sondern nur darum, eine Verbindung zu seinen Kindern herzustellen. Unter den gegebenen Umständen liegen die gesetzlichen Voraussetzungen vor, ihm nunmehr die elterliche Sorge für die beiden Kinder zu übertragen. Allerdings ist dies nicht uneingeschränkt möglich. Einem Wechsel der Kinder in den Haushalt des Vaters in Kalifornien steht entgegen, dass die Kinder dies derzeit nachdrücklichst ablehnen. Zwar hat der Senat keinen Zweifel, dass dieser Wille der Kinder - insbesondere was die Person des Vaters geht auf der Beeinflussung durch die Mutter beruht, dennoch wird er von den Kindern als ihr bestehender eigener Wille erlebt. Der Senat hat diesen Willen bei A und B als gegenwärtig äußerst entschieden wahrgenommen. Es wäre nach seiner Überzeugung mit dem Kindeswohl nicht vereinbar, diesen Willen bei zwei zwölfjährigen Kindern " zu brechen ", indem man trotzdem eine solche äußere Veränderung herbeigeführt (vgl. zu dieser Problematik Harry Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, München und Basel 2001, Seite 114 ff.; Dettenborn/Walter, a.a.O., S. 83 f.). Wie Dettenborn/Walter deutlich machen, bedeutet die hier feststellbare Verinnerlichung der von der Mutter induzierten Inhalte, "dass Bewertungen, also auch Abwertungen, Ängste und Zielintentionen der beeinflussenden Person in die eigenen Einstellungen, Gefühle und Willensbestandteile des Kindes integriert worden sind. Sie sind in das individuelle Selbstkonzept übernommen worden. Ablehnungen und Ängste werden gefühlt, Ziele werden vertreten und angestrebt im Sinne eigener Intentionen." Sie gehören jedenfalls derzeit zur eigenen Identität der beiden Kinder. Bedenkt man, dass es seitens der Kinder bisher keine emotionale Beziehung zum Vater gibt, auf die sie aufbauen könnten, so würde ein unter diesen Umständen gegen ihren Widerstand herbeigeführter - voraussichtlich nur gewaltsam möglicher - Wechsel aus einer vertrauten Umgebung zum Vater in die USA nach der Überzeugung des Senats schwerlich dazu führen, dass sie ihn dort als Vater akzeptieren könnten. Viel eher zu erwarten wäre, dass sich beide Geschwister miteinander im Widerstand gegen den Vater verbünden würden, dass sie die Mutter idealisierten und in dem Geschehen nur eine Bestätigung des von der Mutter gezeichneten Bildes vom bösen Vater sehen würden. Eine solche Entwicklung einzuleiten entspräche weder dem Wohl der Kinder noch den Interessen des Vaters.

Der Senat hält es deshalb für angezeigt, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf einen Ergänzungspfleger zu übertragen.

Auch wenn es wegen der Haltung der Kinder nicht realisierbar ist, dass sie beim Vater leben, ist es für deren Wohl wichtig, dass ihm künftig Elternverantwortung eingeräumt wird. Der insoweit entgegenstehende Wille der Kinder ist rechtlich unbeachtlich (vgl. BGH NJW 1985, 1702). Der Senat hält es für geboten, die Übermacht der Mutter im Verhältnis zu den Kindern zu vermindern, indem dafür gesorgt wird, dass der Vater - für die Kinder sichtbar - Gewicht erhält und für sie spürbar Verantwortung übernehmen kann. Dabei ist er auf Kontakte zu dem vom Senat ausgewählten Ergänzungspfleger angewiesen. Der Senat hat zunächst gezögert, den bisherigen Ergänzungspfleger weiterhin mit diesem Amt zu betrauen. Dies hat seinen Grund darin, dass er sich nach seiner Berufung im vergangenen Dezember trotz deren rechtswidrigen Verhaltens auf die Seite der Mutter gestellt hatte. Im Gespräch mit ihm hat sich der Senat jedoch davon überzeugt, dass auch er es für wichtig hält, Kontakte zwischen den Kindern und ihrem Vater anzubahnen, und dass er selbst zu regelmäßigen Gesprächen mit dem Vater bereit ist. Hinzu kommt, dass sich zwischen Herrn E und den Kindern eine gute Beziehung aufgebaut hat. Es liegt im Interesse der Kinder, ihnen diese Beziehung zu erhalten und sie nicht mit immer neuen Ergänzungspflegern zu konfrontieren. Im übrigen vermag offenbar auch die Mutter Herrn E in seiner Funktion zu akzeptieren, und es wäre zu hoffen, dass sich dies erhält, auch wenn es in Einzelfragen zu Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden kommt.

Herr E wird, wie er deutlich gemacht hat, die Kinder derzeit bei der Mutter belassen. Sollte sich herausstellen, dass sich bei einem Verbleib bei der Mutter nichts an deren erdrückender Dominanz in der Beziehung zu ihren Kindern ändert, mit der sie in erster Linie eigene Kontrollbedürfnisse durchsetzt - bei aller Förderung, die sie Ihnen sonst zukommen lässt -, insbesondere, wenn sie ihnen weiterhin ihren Vater verteufelt, ohne sehen zu können, was für die Kinder gut ist, so wird er prüfen müssen, ob es bei einem weiteren Aufenthalt der Kinder bei der Mutter bleiben kann, oder ob beispielsweise einer Internatslösung der Vorzug zu geben ist. Die Befugnisse des Ergänzungspflegers sind insoweit eingeschränkt, als es um die Veränderung des gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder in ein Land außerhalb der Bundesrepublik Deutschland geht. Diese kann nur mit Zustimmung des Vaters erfolgen. Für Ferienaufenthalte im Bereich des Schengener Abkommens gilt dies nicht.

Über seine Kontakte zum Vater wird Herr E den Kindern ein Bild von ihrem Vater vermitteln, und er macht es dadurch dem Vater auch möglich, verantwortliche Entscheidungen für die Kinder zu treffen, auch wenn er nicht mit ihnen zusammenlebt. Als Inhaber der elterlichen Sorge entscheidet der Vater künftig über die Kinder betreffende Angelegenheiten " von erheblicher Bedeutung " allein und ist grundsätzlich für ihre rechtliche Vertretung zuständig. In der Entscheidungsbefugnis des Vaters liegen danach beispielsweise die Schulwahl für die Kinder sowie gewichtige ärztliche Behandlungen und eine Psychotherapie. Der Vater kann von sich aus Kontakte zur Schule aufnehmen und sich dort informieren. Dies gilt auch für Kontakte zu behandelnden Ärzten der Kinder. Um seine Verantwortung wahrnehmen zu können, wird der Vater auf den Kontakt zu Herrn E angewiesen sein. Von diesem wird erwartet, dass er dem Vater beratend zur Verfügung steht und den Kindern die Ergebnisse der Entscheidungen vermittelt. Welche Umgangskontakte des Vaters zu den Kindern aktuell möglich sind, muss der Vater jeweils mit Herrn E klären. Hier gilt sicher, dass schnelle große Schritte nicht realistisch sind. Soweit sie sich auf Kontakte verständigen, muss Herr E dafür sorgen, dass sie auch ermöglicht werden.

Solange der Ergänzungspfleger damit einverstanden ist, dass die Kinder bei der Mutter leben, ergeben sich deren Befugnisse aus § 1687a BGB. Danach entscheidet die Mutter in Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung der Kinder (§ 1687 Abs. 2 Satz 4 BGB). Sie ist dann jedoch gesetzlich verpflichtet, alles zu unterlassen, was das Verhältnis der Kinder zum Vater beeinträchtigt (§ 1684 Abs. 2 BGB). Bei Gefahr im Verzug ist sie berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl der Kinder notwendig sind. Sie muss dann aber dafür sorgen, dass der Vater unverzüglich unterrichtet wird (§ 1629 Abs. 1 Satz 4 BGB).

Die Sorge für die Kinder erfordert es, dass der Vater und der Ergänzungspfleger regelmäßigen Kontakt halten. Bei diesen Kontakten werden gelegentliche Meinungsverschiedenheiten unausweichlich sein. Sie müssen ausgetragen werden. Der Ergänzungspfleger übernimmt insoweit ein schwieriges Amt, und seine Tätigkeit wird ihm nicht ohne Supervision möglich sein. Anlass, die Person des Pflegers in Frage zu stellen, können nicht sich im Alltag erfahrungsgemäß immer einmal ergebende Meinungsverschiedenheiten sein. Sollte Herr E den mit dieser Entscheidung in ihn gesetzten Erwartungen allerdings in grundsätzlicher Weise nicht gerecht werden, müsste die Auswahl des Ergänzungspflegers überprüft werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 131 Abs.3 KostO, 13a FGG. Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BGH (§ 574 ZPO).

Ende der Entscheidung

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