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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 19.07.2007
Aktenzeichen: 1 W 41/07
Rechtsgebiete: BGB, GG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 839
GG Art. 34
ZPO § 32
Für einen Amtshaftungsanspruch (Art. 34 GG / § 839 BGB) ist ein deliktischer Gerichtsstand (§ 32 ZPO) auch dort gegeben, wo es - aufgrund positiven Tuns oder Unterlassens - zu einer Vermögensbeeinträchtigung des Anspruchstellers gekommen ist; das ist regelmäßig dort der Fall, wo der Anspruchsteller seinen (Wohn-) Sitz hat, nicht dort, wo die Teile seines Vermögens zufällig belegen sind.
Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für eine Amtshaftungsklage gegen die für ihn zuständig gewesene Berufsgenossenschaft in Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall am 01.08.1972. Er macht geltend, die Antragsgegnerin habe eine ordnungsgemäße Untersuchung und Behandlung nach dem Arbeitsunfall unterlassen; sie habe - so wörtlich - "bewusst unterlassen, den Unfall aufzuklären". Im März 1973 habe er einen Antrag auf Anerkennung von 20 % MdE/GdB gestellt, was die Beklagte ohne weitere ärztliche Begutachtung und ohne grundlegende Aufklärung des Unfallgeschehens abgelehnt habe; aufgrund der unvollständigen Aufklärung des Unfallgeschehens seien Rehabilitationsmaßnahmen unterlassen worden. Auf seinen wiederholten Antrag von 1994 hat der nunmehr beauftragte Gutachter am 30.03.1995 festgestellt, dass bereits seit 09.10.1972 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % gegeben gewesen sei. Der Antragsteller verlangt Zahlung der Rente für den Zeitraum 09.10.1972 bis 31.12.1989, die nach sozialrechtlichen Vorschriften verjährt sei, Ersatz der Kosten der Rechtsverfolgung, Ersatz von Zinsverlusten sowie Schmerzensgeld wegen der unterlassenen Rehabilitationsmaßnahmen, was zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung geführt habe. Wegen der Einzelheiten seines Vortrags wird auf die Schriftsätze vom 16.02.2007 (in der beigezogenen Parallelakte gleichen Gegenstands 2 O 49/07 LG Wiesbaden = 1 W 40/07 Oberlandesgericht Frankfurt am Main) und vom 16.04.2007 verwiesen.

Das Landgericht hat den Antrag des Antragstellers mit Beschluss vom 07.03.2007 abgelehnt.

Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner am 16.04.2007 eingelegten sofortigen Beschwerde. Auf die Begründung im Beschwerdeschriftsatz und ergänzend im Schriftsatz vom 16.07.2007 wird verwiesen.

Das Landgericht hat der Beschwerde mit ausführlichem Beschluss vom 04.05.2007 nicht abgeholfen.

II.

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, sie ist aber nicht begründet. Das Landgericht hat seinen Prozesskostenhilfeantrag im Ergebnis zu Recht abgelehnt, weil die beabsichtigte Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 ZPO).

1. Allerdings scheitert eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht daran, dass das Landgericht Wiesbaden, zu dessen Bezirk der Wohnort des Antragstellers gehört, örtlich nicht zuständig wäre. Vielmehr ist eine örtliche Zuständigkeit gemäß § 32 ZPO anzunehmen.

Der Zweck dieser Vorschrift liegt darin, dem Geschädigten die Geltendmachung seiner Ansprüche zu erleichtern (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 32 Rn. 1). "Begehungsort" im Sinne der genannten Vorschrift ist jeder Ort, an dem ein (wesentliches) Tatbestandsmerkmal verwirklicht wird. Begehungsort ist damit zum einen der Handlungsort und zum anderen der Erfolgsort, nämlich der Ort der ersten Rechtsgutverletzung (Zöller-Vollkommer, a.a.O., Rn. 16; Stein/Jonas-Roth, ZPO, 22. Aufl. 2003, § 32 Rn. 26). Bei Unterlassungen ist die Tat dort begangen, wo hätte gehandelt werden müssen; dort ist der "Handlungsort" (Stein/Jonas-Roth, a.a.O., Rn. 27). Bei Delikten, bei denen ein Vermögensschaden ersetzt wird, ist ausnahmsweise auch der Schadensort als "Begehungsort" zu berücksichtigen Stein/Jonas-Roth, a.a.O. Rn. 30); besser wird man allerdings auch hier darauf abzustellen haben, dass es darauf ankommt, wo ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht wird. So ist anerkannt, dass bei einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m § 263 StGB dort, wo die Täuschungshandlung einen Irrtum erregt und/oder die - schädigende - Vermögensverfügung getroffen wird, ein deliktischer Gerichtsstand gemäß § 32 ZPO zu bejahen ist (BGH, Urt. v. 25.11.1993, BGHZ 124, 237, 245 [juris Rn. 32]; Urt. v. 28.02.1996, BGHZ 132, 105 [juris Rn. 15]; BayObLG, Beschl. v. 22.01.2004, Rpfl. 2004, 365, 366). Bei § 826 BGB soll es darauf ankommen, wo der Schaden eingetreten ist, da dieser zum (haftungsbegründenden) Tatbestand gehöre. (OLG Koblenz, Beschl. v. 14.07.1988, WM 1989, 622 [juris Rn. 5, 9]; Kiethe, NJW 1994, 222, 225; Musielak-Heinrich, ZPO, 5. Aufl. 2007, § 32 Rn. 15)). Vor diesem rechtlichen Hintergrund stellt sich die Frage, wo der Verletzungserfolg bei einer Amtspflichtverletzung im Sinne des § 839 BGB liegt. Allein aus der Amtspflichtverletzung als solcher folgt noch kein Verletzungserfolg; dieser kann fehlen, wenn die Amtspflichtverletzung nicht zu einem Schaden geführt hat. Daraus folgt, dass - ungeachtet gewisser Unterschiede in der Fassung des Tatbestands des § 826 BGB und des § 839 BGB - für den "Verletzungserfolg" beim Amtshaftungsanspruch auf das Vorhandensein eines Schadens abzustellen ist. Auch bei einer Amtspflichtverletzung in Form eines Unterlassens ist ein Erfolgsort denkbar, etwa bei Fällen einer unterlassenen Warnung vor bestimmten Gefahren. Übertragen auf § 839 BGB heißt das bei einem reinen Vermögensschaden, dass der Erfolg der Unterlassung dort eintritt, wo das Vermögen beeinträchtigt wird. Diese Vermögensbeeinträchtigung hat man am Sitz des Gläubigers zu sehen, nicht dort, wo das Vermögen als solches zufällig belegen ist, etwa wo der Gläubiger ein Bankkonto unterhält. Unter Berücksichtigung des oben erwähnten Zwecks des § 32 ZPO ist daher bei Eingriffen einschließlich solchen durch Unterlassen in das Vermögen ein deliktischer Gerichtsstand am "Ort des Vermögens" und damit am Sitz des Gläubigers zu bejahen.

Eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Wiesbaden ergibt sich demnach hier entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht daraus, dass die der Antragsgegnerin vorgeworfenen unterlassene Sachaufklärung am Wohnort des Antragstellers hätte erfolgen müssen; vielmehr hätten die entsprechenden Maßnahmen am Sitz der damals für den Antragsteller zuständigen Stelle der Antragsgegnerin, möglicherweise deren Bezirksverwaltung in ... (vgl. den Briefkopf der Beauftragung des Sachverständigen vom 08.02.1995 für das erste Rentengutachten) ergriffen werden müssen. Allerdings sind sowohl die vom Antragsteller geltendgemachte Gesundheitsbeeinträchtigung als auch - entsprechend den obigen Ausführungen - die von ihm angeführten Vermögensbeeinträchtigungen an seinem Wohnort als Erfolgsort eingetreten.

2. Die Klage bietet jedoch in der Sache keine hinreichende Erfolgsaussicht, da die Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs (Art. 34 GG/§ 839 BGB) nicht ausreichend dargelegt sind.

a) Der Antragsteller hat nicht hinreichend dargelegt, worin die schuldhafte Amtspflichtverletzung von Bediensteten der Antragsgegnerin bestanden haben soll. Sein Sachvortrag, die Antragsgegnerin habe eine ordnungsgemäße Untersuchung und Behandlung nach seinem Arbeitsunfall unterlassen, ist viel zu vage, als dass hiermit verdeutlicht würde, inwieweit die Antragsgegnerin ihren Amtspflichten nicht genügt hat. Auch aus seiner Angabe, die Antragsgegnerin habe "ohne weitere ärztliche Begutachtung und ohne grundlegende Aufklärung des Unfallgeschehens" seinen Antrag vom März 1973 auf Zuerkennung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit abgelehnt, lässt das Geschehen, aufgrund dessen der Antragsteller eine Amtspflichtverletzung annimmt, nicht nachvollziehbar erkennen. Anknüpfungstatsachen, aus denen sich die Wertung des Antragstellers schlüssig herleiten ließe, die Antragsgegnerin habe eine gesundheitliche wie auch finanzielle Schädigung des Antragstellers "bewusst herbeigeführt", sind ebenfalls nicht hinreichend dargetan. Selbst wenn - wie der Antragsteller meint - zwischen den Prozessparteien nunmehr unstreitig sein sollte, dass seit dem Unfallzeitpunkt (01.08.1972) eine Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. ein Grad der Behinderung von 20 % anzunehmen sei, reicht dies angesichts des Fehlens jeglicher Angaben zu den näheren Umständen der damaligen Ablehnung des Antrags vom März 1973 nicht, um hieraus ein der Antragsgegnerin vorwerfbares, schuldhaftes Fehlverhalten im Jahre 1972 oder später herzuleiten. Auf diese Bedenken gegen die Substantiierung des der Antragsgegnerin vorgeworfenen Fehlverhaltens hat bereits das Landgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 04.05.2007 hingewiesen, ohne dass der Antragsteller Gelegenheit genommen hätte, im weiteren Beschwerdeverfahren seinen Sachvortrag insoweit zu ergänzen.

b) Bei dieser Sachlage braucht nicht abschließend entschieden zu werden, ob der Antragsteller nicht gehalten gewesen wäre, bereits gegen den ablehnenden Bescheid von 1973 Rechtsmittel zu ergreifen. Hierzu verpflichtete ihn § 839 Abs. 3 BGB. Denn ein Anspruchsteller hat nicht die Wahl, ob er Rechtsmittel gegen eine ihn belastende Maßnahme der öffentlichen Hand ergreift oder aber diese belastende Maßnahme hinnimmt und später Schadensersatz fordert; vielmehr ist er zu Ersterem verpflichtet (Vorrang des Primärrechtsschutzes). Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller sich mit den hierzu eröffneten Rechtsbehelfen gegen den ablehnenden Bescheid von 1973 gewandt hätte. Damit ist er aber mit entsprechenden Schadensersatzansprüchen, welche auf die Rechtswidrigkeit der nicht angegriffenen Maßnahme - den Erlass des ablehnenden Bescheids - gestützt werden, ausgeschlossen.

c) Es braucht auch nicht abschließend entschieden zu werden, ob ein etwaiger Anspruch des Antragstellers verjährt ist. Wie das Landgericht zu Recht angenommen hat, beträgt die Verjährungsfrist für Amtshaftungsansprüche nach § 839 BGB nach dem hier anzuwendenden, bis 31.12.2001 geltenden Verjährungsrecht (vgl. Art. 229 § 6 EGBGB) nicht 30 Jahre, sondern gemäß § 852 a.F. BGB drei Jahre ab Kenntnis des Verletzten vom Schaden. Jedenfalls soweit etwaige Amtshaftungsansprüche bereits verjährt waren, konnte die Erhebung sozialgerichtlicher Rechtsbehelfe die Verjährung nicht mehr unterbrechen. Der Antragsteller erwähnt einen ablehnenden Bescheid, dessen sozialgerichtliche Anfechtung mit Widerspruch und Klage die Verjährung hätte in analoger Anwendung der §§ 209 a.F. BGB, Art. 229 § 6 Abs. 2 EGBGB die Verjährung hätte unterbrechen sollen, erst für den 06.11.1995. Zu diesem Zeitpunkt wären aber Ansprüche, die aus einem Unterlassen im Jahre 1973 hergeleitet werden sollen, bereits verjährt gewesen.

3. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde war nicht veranlasst, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 ZPO für eine Zulassung nicht erfüllt sind.

Ende der Entscheidung

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