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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 30.10.2006
Aktenzeichen: 1 W 51/06
Rechtsgebiete: GG, ZPO


Vorschriften:

GG Art. 103
ZPO § 320
ZPO § 567
1. Wird vom erstinstanzlichen Gericht über einen Tatbestandsberichtigungsantrag ohne mündliche Verhandlung entschieden, obwohl ein entsprechender Antrag gem. § 320 Abs. 3 ZPO ausdrücklich gestellt war, begründet dies einen erheblichen Verfahrensmangel, welcher ausnahmsweise entgegen § 320 Abs. 4 Satz 4 ZPO die sofortige Beschwerde statthaft macht.

2. Ein richterliches Mitglied des Spruchkörpers, welcher das im Tatbestand zu berichtigende Urteil erlassen hat, ist nicht deshalb an der Mitwirkung bei der Entscheidung über den Tatbestandsberichtigungsantrag verhindert, weil es inzwischen nur noch in einem anderem Spruchkörper desselben Gerichts tätig ist.


Gründe:

I. Der Kläger macht mit dem vorliegenden Rechtsstreit Honoraransprüche als Steuerberater geltend. Die 11. Zivilkammer des Landgerichts verkündete am 31.03.2006 ein Endurteil, mit dem die Klage abgewiesen wurde. Dieses ist dem Kläger am 08.05.2006 zugestellt worden. Inzwischen legte der Kläger Berufung ein. Mit am 22.05.2006 eingegangenem Schriftsatz (Bl. 219/228 d.A.) hat er beim Landgericht einen Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt und beantragt, über den Antrag mündlich zu verhandeln. Durch Beschluss vom 09.10.2006, dem Kläger zugestellt am 11.10.2006, hat die Einzelrichterin, welche das Urteil vom 31.03.2006 erlassen hat, den Antrag ohne vorherige mündliche Verhandlung als in der Sache unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 11.10.2006 eingegangen sofortigen Beschwerde, welche er auf eine Nichtbeachtung des § 320 Abs. 3 ZPO stützt. Das Landgericht hat durch den Nachfolger im Dezernat der ursprüglich tätigen Richterin mit Beschluss vom 23.10.2006 der Beschwerde, da unstatthaft, nicht abgeholfen und eine etwa in der Beschwerde zu sehende Gehörsrüge für nicht erfolgversprechend erachtet.

II. Die sofortige Beschwerde ist ausnahmsweise entgegen der allgemeinen Regelung in § 320 Abs. 4 Satz 4 ZPO statthaft; sie ist auch begründet.

1. Die Rechtsmittelbeschränkung in § 320 Abs. 4 Satz 4 ZPO beruht darauf, dass nur das erkennende (erstinstanzliche) Gericht in der Besetzung, in der es mündlich verhandelt hat, sachlich in der Lage ist, zu beurteilen, was in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden ist, und deshalb auch nur in der ursprünglichen Besetzung beurteilen kann, ob der angegriffene Tatbestand unrichtig ist; dieser Normzweck findet darin seinen Ausdruck, dass gemäß § 320 Abs. 4 Satz 2 ZPO nur diejenigen Richter an der Entscheidung über einen Tatbestandsberichtigungsantrag mitwirken, welche bei dem Urteil mitgewirkt haben (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.03.2004 - 24 W 8/04 - NJW-RR 2004, 1723 unter II.2. der Gründe [JURIS Rn. 4]). Mit dem Ausschluss der Anfechtbarkeit wird also der Tatsache Rechnung getragen, dass das Beschwerdegericht mangels Beteiligung an dem erstinstanzlichen Urteil nicht in der Sache über einen Tatbestandsberichtigungsantrag entscheiden kann. Dem entsprechend ist es andererseits in Literatur und Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass eine sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung eines Tatbestandsberichtigungsantrags jedenfalls dann statthaft ist, wenn über den Antrag nicht in der Sache entschieden, sondern der Antrag ohne Sachprüfung als unzulässig verworfen worden ist (Zöller-Vollkommer, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 320 Rn. 14; B/L/A/H-Hartmann, 64. Aufl. 2006, § 320 Rn. 14; BVerfG, Beschl. v. 01.10.2004 - 1 BvR 786/04 - NJW 2005, 657 unter II.1.b. der Gründe [JURIS Rn. 20]). Verallgemeinernd wird vertreten, dass eine Anfechtung mittels sofortiger Beschwerde auch dann statthaft sei, wenn der Beschluss unter Verletzung wichtiger Vorschriften über das Berichtigungsverfahren zustande gekommen ist; denn auch in diesen Fällen griffen die Erwägungen, welche einem Ausschluss der Anfechtung zugrunde liegen, nicht durch (OLG Hamm, Beschl. v. 03.02.1967 - 15 W 56/67 -, NJW 1967, 1619; auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 01.03.1963 - 3 W 14/63 -, NJW 1963, 2032; Musielak-Musielak, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 320 Rn. 10; offengelassen von BGH, Urt. v. 09.12.1987 - IVa ZR 155/86 -, NJW-RR 1988, 407, 408). Dem schließt sich der Senat an für den hier gegebenen Fall eines Verstoßes gegen § 320 Abs. 3 ZPO. Auch nach der teilweisen Neufassung des § 320 ZPO durch das 1. JuModG steht dem jeweils Betroffenen das Recht zu, auf Antrag über seinen Tatbestandsberichtigungsantrag mündlich zu verhandeln. Dies ist spezifischer Ausdruck seines Anspruchs auf rechtliches Gehör in einem Zivilprozess; die Verletzung der genannten Vorschrift stellt zugleich eine Verletzung seines Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) dar und ist damit als wesentlicher Verstoß anzusehen.

2. Aus dem genannten Verfahrensverstoß folgt zugleich die Begründetheit der sofortigen Beschwerde. Das Landgericht hat daher über den Berichtigungsantrag in verfahrensrechtlich einwandfreier Weise neu zu befinden. Mit der Aufhebung und Zurückverweisung ist allerdings keine Aussage zur Frage einer Erfolgsaussicht des Tatbestandsberichtigungsantrags des Klägers nach erfolgter mündlicher Verhandlung verbunden, da hierüber - wie ausgeführt - allein das Gericht, welches das Urteil gefällt hat, zu befinden hat. Dem Senat ist es daher auch versagt, im strengen Sinne die Ursächlichkeit des Verfahrensverstoßes für den ohne mündliche Verhandlung getroffenen Beschluss zu prüfen; es reicht, dass - wie hier - auch nur die Möglichkeit einer Tatbestandsberichtigung in dem einen oder anderen Punkt besteht. Der Senat hat daher auch nicht darüber zu befinden, ob der Inhalt des Tatbestandsberichtigungsantrags mit seinen langen Zitaten aus Schriftsätzen des Klägers überhaupt in jeder Hinsicht formell geeignet ist, dem Landgericht die Hinweise zu vermitteln, in welcher Weise der Tatbestand berichtigt werden soll.

3. Berufen zu der erneuten Entscheidung über den Tatbestandsberichtigungsantrag ist die erkennende Richterin, welche das Urteil vom 31.03.2006 erlassen hat, auch wenn sie zwischenzeitlich in einen anderen Spruchkörper des Landgerichts gewechselt sein sollte; denn dies ist jedenfalls für § 320 ZPO nicht als Verhinderungsgrund anzusehen (Musielak-Musielak, a.a.O., § 320 Rn. 7 mit § 315 Rn. 6; Crückeberg, MDR 2003, 199, 200).

4. Die Entscheidung des Landgerichts über eine etwa in der sofortigen Beschwerde enthaltene Gehörsrüge (§ 321a ZPO) ist gegenstandslos, da die Beschwerde - wie ausgeführt - statthaft ist und daher für eine Umdeutung des Rechtsmittels in einen als statthaft anzusehenden Rechtsbehelf rechtlich kein Raum ist; dabei kann dahinstehen, ob nicht jedenfalls bei einer Gehörsrüge wegen eines Tatbestandsberichtigungsantrags - anders als sonst, s. BGH, Beschl. v. 28.07.2005 - III ZR 443/04 -, NJW-RR 2006, 168 unter II.1. der Gründe (JURIS Rn. 3) - der Spruchkörper in analoger Anwendung des § 320 Abs. 4 Satz 2 ZPO zwingend in der Besetzung zur Entscheidung berufen ist, in welcher das Urteil, dessen Tatbestand berichtigt werden soll, gefällt wurde.

5. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden niedergeschlagen (§ 21 Abs. 1 und 2 GKG 2004), da die aufgehobene Entscheidung auf einer offensichtlichen, gegen § 320 Abs. 3 ZPO verstoßenden Unrichtigkeit beruht.

6. Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, weil die Sache - entgegen § 320 Abs. 4 Satz 4 ZPO ausnahmsweise Statthaftigkeit einer sofortigen Beschwerde bei Verletzung des Rechts auf mündliche Verhandlung über den Tatbestandsberichtigungsantrag - grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 Abs. 3 mit Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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