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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 10.12.2004
Aktenzeichen: 1 W 69/04
Rechtsgebiete: BGB, GG, ZVG


Vorschriften:

BGB § 839
BGB § 839 a
GG Art. 34
ZVG § 74 a
1. Die Aufhebung von Zwangsversteigerungsmaßnahmen bei Grundstücken kann nicht im Wege des Sekundärrechtsschutzes gemäß Art. 34 GG / § 839 BGB verlangt werden.

2. Es besteht keine Amtshaftung gemäß Art. 34 GG / § 839 BGB für Fehler eines gerichtlich bestellten Gutachters.

3. Eine Haftung für die Tätgkeit eines Rechtspflegers im Zwangsversteigerungsverfahren, der hierbei richterliche Aufgaben wahrnimmt und dabei sachlich unabhängig (§ 9 RpflG) ist, besteht nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit.

4. Eine Haftung für eine unrichtige Wertfestsetzung gemäß § 74 a ZVG durch den Rechtspfleger aufgrund eines fehlerhaften Gutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen setzt voraus, dass die Fehlerhaftigkeit für den Rechtspfleger nur aufgrund Vorsatzes oder grober Fahrlässigkeit nicht erkennbar war.


OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

1 W 69/04

Entscheidung vom 10.12.2004

In der Prozesskostenhilfesache

...

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch ... am 10.12.2004 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 30.07.2004 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage im Zusammenhang mit der Zwangsversteigerung eines bestimmten Miteigentumsanteils an einem Grundstück, der ursprünglich seinem Bruder gehört hatte. Im Versteigerungsverfahren 84 K 164/00 setzte der Rechtspfleger auf der Grundlage eines Gutachtens des Sachverständigen A den Wert auf 420.000 DM fest, nachdem der Bruder zuvor geltend gemacht hatte, der Wert sei zu niedrig; der Rechtspfleger erachtete diese Eingabe als unsubstantiiert, der gegen die Wertfestsetzung gerichtete Rechtsbehelf war verfristet. Der Antragsteller erhielt als Meistbietender mit Beschluss vom 19.04.2002 den Zuschlag. Da er das Meistbargebot nicht zahlte, betrieb die Gläubigerin die Wiederversteigerung unter dem Aktenzeichen 84 K 397/02. In dem neuen Verfahren holte der Rechtspfleger erneut ein Wertgutachten ein. Der Sachverständige B kam zu dem Ergebnis, dass der Verkehrswert lediglich 120.000 € betrage und erläuterte in einem Begleitschreiben, welche Fehler nach seiner Auffassung das Gutachten A aufweise. Dem entsprechend setzte der Rechtspfleger nunmehr den Verkehrswert fest. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des jetzigen Antragstellers wies das Landgericht Frankfurt am Main durch Beschluss vom 09.09.2003 - 2-09 T 229/03 - nach ergänzender Stellungnahme des Sachverständigen B als unbegründet zurück. Inzwischen ist in dem zweiten Versteigerungsverfahren der Zuschlag erfolgt, die Zuschlagsbeschwerde des Antragstellers blieb ohne Erfolg.

Der Antragsteller macht geltend, der Rechtspfleger hätte aufgrund seiner Sachkunde erkennen müssen, dass das Gutachten des Sachverständigen A an zahlreichen Unrichtigkeiten leide und sieht eine grob fahrlässige Amtspflichtverletzung des Rechtspflegers. Er ist der Auffassung, der Antragsgegner habe auch für den gerichtlich bestellten Sachverständigen A einzustehen. Er will mit der beabsichtigten Klage zum einen erreichen, dass die zweite "Zwangsversteigerungssache für unwirksam erklärt" wird, der Zuschlagsbeschluss in der ersten Zwangsversteigerungssache als nichtig aufgehoben und die von ihm geleistete Sicherheit erstattet wird, der Fortgang des weiteren Zwangsversteigerungsverfahrens bis zur Entscheidung in diesem Verfahren ausgesetzt wird (Anträge 1 - 3), zum anderen sollen zwei Rechnungen der Gerichtskasse Frankfurt am Main um Zusammenhang mit den genannten Zwangsversteigerungsverfahren aufgehoben werden (Antrag 4), ferner beabsichtigt er, Schadensersatz in Höhe von 329,30 € zu verlangen. Wegen der Einzelheiten seines Sachvortrags wird auf seine Schriftsätze 1. Instanz vom 19.02.2004 (Bl. 1 ff d.A.) und 07.06.2004 (Bl. 21 ff d.A.) sowie auf die Beschwerdebegründung vom 01.09.2004 (Bl. 48 ff d.A.) und den Schriftsatz vom 17.11.2004 (Bl. 83 ff d.A.) verwiesen. Der Antragsgegner ist dem Antrag mit Schriftsatz vom 22.07.2004 (Bl. 40 ff d.A.) entgegengetreten.

Das Landgericht hat den Antrag des Antragstellers mit Beschluss vom 30.07.2004, dem Antragsteller zugestellt am 06.08.2004 abgelehnt. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner am 03.09.2004 eingelegten sofortigen Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat. Der Senat hat den Antragsteller mit Verfügung vom 24.09.2004 (Bl. 72 ff d.A.) ausführlich auf Bedenken gegen die Schlüssigkeit der beabsichtigten Klage hingewiesen.

II.

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, sie ist aber nicht begründet. Das Landgericht hat seinen Prozesskostenhilfeantrag zu Recht abgelehnt, weil die beabsichtigte Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 ZPO).

1. Das in den Anträgen 1 - 3 der Beschwerdeschrift formulierte Rechtsschutzziel kann der Antragsteller - auch wenn Antrag 1 nicht in der erneut angekündigten ursprünglichen Fassung, sondern in der Fassung des Schriftsatzes vom 07.06.2004 gestellt werden soll - nicht im Wege des offenbar hier geltend gemachten Sekundärrechtsschutzes erreichen, sondern allenfalls im Rahmen des Zwangsversteigerungsverfahrens, soweit dort Rechtsbehelfe noch oder außerordentlicherweise eröffnet sind; hierauf ist der Antragsteller mit der Verfügung des Senats vom 24.09.2004 ausdrücklich hingewiesen worden. Die Ausführungen auf S. 3 ff der Beschwerdebegründung sind weder im Hinblick auf eine Anspruchsgrundlage noch im Hinblick auf eine erstinstanzliche Zuständigkeit des Landgerichts schlüssig. Denn im Rahmen des Sekundärrechtsschutzes gemäß Art. 34 GG/§ 839 BGB kann gerade keine Naturalrestitution verlangt werden. Abgesehen davon gilt das HVwVfG, insbesondere dessen Vorschriften über die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts, für das Zwangsversteigerungsverfahren nicht, und es ist auch nicht entsprechend anwendbar, da das Amtsgericht als Zwangsversteigerungsgericht nicht als Behörde i.S.d. § 1 Abs. 2 HVwVfG (entspricht § 1 Abs. 4 BVwVfG) anzusehen ist; denn es nimmt insoweit keine Verwaltungstätigkeit wahr (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 1 Rn. 181 und 182, letztere speziell zum Rechtspfleger). Im Übrigen lässt sich entgegen der Meinung des Antragstellers ein Anspruch auf Aufhebung von Maßnahmen der Zwangsversteigerung im Wege des Sekundärrechtsschutzes aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 06.02.2003 - III ZR 44/02 -, NVwZ-RR 2003, 401 gerade nicht herleiten. Angesichts dessen kann die Frage dahinstehen, ob sich - wie der Antragsteller offenbar meint - aus einer Übertragung der Wucher-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf das Zwangsversteigerungsverfahren eine Nichtigkeit des Wertfestsetzungs- oder des Zuschlagsbeschlusses herleiten lässt.

2. Auch für den Antrag 4 auf Aufhebung der Rechnungen der Gerichtskasse ist eine Zuständigkeit des Landgerichts für eine klageweise Geltendmachung nicht ersichtlich; auch ein solches Begehren kann allenfalls im Rahmen des dafür statthaften Verfahrens verfolgt werden; auch insoweit erfolgte ein Hinweis des Senats.

3. Für den mit dem Antrag 5 geltend gemachten Schadensersatzanspruch ist zunächst festzuhalten, dass eine Amtshaftung des Antragsgegners für einen gerichtlich bestellten Gutachter - hier den Gutachter A - nicht besteht. Dies hat der Bundesgerichtshof im Urteil vom 06.02.2003 gerade in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung bestätigt (a.a.O. unter 2. und 3. der Gründe; ebenso Staudinger/Wurm, BGB, 2002, § 839 a Rn. 1 m.w.N. aus der bisherigen Rechtsprechung). Eine Gleichstellung mit einem Gutachterausschuss für Bodenbewertung ist gerade nicht angezeigt, wie der genannten Entscheidung des BGH zu entnehmen ist; es kommt daher entgegen den in der Beschwerdebegründung angestellten Erwägungen gerade nicht eine Gleichstellung des Gutachterausschusses mit einem öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen in Betracht.

4. Auch eine zum Schadensersatz verpflichtende Amtspflichtverletzung des Rechtspflegers ist nicht hinreichend dargetan. Da der Rechtspfleger, der im Rahmen des Zwangsversteigerungsverfahrens richterliche Aufgaben wahrnimmt und dabei gemäß § 9 RpflG sachlich unabhängig ist, besteht eine Haftung ebenso wie bei richterlicher Tätigkeit außerhalb des "Spruchrichterprivilegs" nur für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz (Palandt-Sprau, BGB, 64. Aufl. 2005, § 839 Rn. 53; BGH, Urt. v. 03.07.2003 - III ZR 326/02, BGHZ 155, 306 unter 2.a. der Gründe; Senat, NJW 2001, 3270). Weder ist eine derartige Amtspflichtverletzung noch ein zumindest grob fahrlässiges Verhalten des Rechtspflegers bei der Prüfung des ersten Gutachtens hinreichend dargetan. Abzustellen ist dabei darauf, inwiefern dem Rechtspfleger etwaige Fehler des ersten Gutachtens, die offenbar der zweite Gutachter moniert, erkennbar waren.

Es kann dahinstehen, ob das erste Gutachten - wie der Antragsteller geltend macht - erheblich fehlerhaft war. Jedenfalls ist weiterhin nicht hinreichend dargetan, inwiefern für den Rechtspfleger bei der von ihm vorzunehmenden Prüfung des ersten Wertgutachtens auf seine Schlüssigkeit nur aufgrund von mindestens grober Fahrlässigkeit nicht erkennbar war, dass das erste Gutachten fehlerhaft war. Eine solche Erkennbarkeit folgt zum einen nicht bereits daraus, dass der zweite Gutachter meinte, das erste Gutachten sei grob fehlerhaft; denn es geht um die Frage der Erkennbarkeit für den Rechtspfleger; auf die Frage, ob die Fehlerhaftigkeit für den zweiten Gutachter erkennbar war, kommt es nicht an. Zum anderen folgt dies nicht aus der pauschalen Behauptung des Antragstellers, die Fehlerhaftigkeit des ersten Gutachtens sei aufgrund der Berufserfahrung des Rechtspflegers erkennbar gewesen. Entgegen der Annahme des Antragstellers auf S. 19 der Beschwerdebegründung erfolgt die Einschaltung eines Sachverständigen zur Wertbestimmung gemäß § 74 Abs. 5 Satz 1 ZVG nicht "im Notfall", sondern "nötigenfalls"; es ist daher - zumal bei wertvolleren Objekten - die Regel, einen Sachverständigen zu beauftragen (Stöber, ZVG, 17. Aufl. 2002, § 74 a Rn. 10.1); über das Maß der Erkennbarkeit von Fehlern in einem Gutachten lässt sich demnach aus der genannten Vorschrift nichts herleiten. Es wäre stattdessen, worauf der Antragsteller mit der Verfügung des Senats vom 24.09.2004 hingewiesen worden ist, nach den Grundsätzen des Zivilprozesses Aufgabe des Antragstellers gewesen, diejenigen Tatsachen darzulegen, aus denen sich eine solche Erkennbarkeit ergeben soll. Der pauschale Verweis auf die beiden Gutachten A und B genügt hierzu nicht, denn diesen ist entsprechend ihrer Funktion zur Frage der Erkennbarkeit gerade nichts unmittelbar zu entnehmen. Auch aus der Aufzählung angeblicher Fehler des Gutachtens A auf Seite 5 der Antragsschrift ergibt sich gerade nicht, inwiefern derartige Fehler dem Rechtspfleger nur infolge grober Fahrlässigkeit hätten verborgen bleiben können.

Schließlich lässt sich ein Verschulden des Rechtspflegers auch nicht aus den Erwägungen auf S. 7 ff der Beschwerdebegründung zu seiner Vorgehensweise, für das zweite Zwangsversteigerungsverfahren ein neues Wertgutachten in Auftrag zu geben, herleiten. Denn der Rechtspfleger hat in dem Auftrag für das zweite Gutachten vom 25.09.2002 formuliert, dass das erste Gutachten, das er - offenbar als Hilfestellung für den zweiten Gutachter - beigefügt hatte, - so wörtlich - "ungenau sein soll" ("soll" von ihm unterstrichen). Daraus folgt entgegen den Erwägungen der Beschwerdebegründung nicht mit hinreichender Sicherheit, dass er Zweifel gehabt habe oder mindestens mit dem Maßstab grober Fahrlässigkeit geahnt habe, dass das erste Gutachten insbesondere in der Weise unrichtig war, dass der Verkehrswert zu hoch angesetzt war; dass der Rechtspfleger, wie er in einer Dienstlichen Erklärung angegeben hat, das zweite Gutachten in Auftrag gegeben hat, weil der Bruder des Antragstellers im ersten Verfahren geltend gemacht hatte, der Wert sei zu niedrig angesetzt, bewegt sich im Rahmen seines Ermessens bezüglich der gebotenen verfahrensleitenden Maßnahmen zur Vorbereitung der Wertfestsetzung in dem zweiten Verfahren (vgl. Stöber, a.a.O., § 74 a Rn. 10.9).

Der vom Antragsteller aufgeworfenen Frage, ob der Rechtspfleger den Einwand des Bruders des Antragstellers in seiner Eingabe vom 07.01.2002, der Verkehrswert sei im ersten Versteigerungsverfahren zu niedrig angesetzt worden, zu Recht als unsubstantiiert angesehen hat oder nicht, brauchte für das vorliegende Verfahren nicht nachgegangen zu werden. Es ist nämlich nicht ersichtlich, inwiefern sich hieraus ein Schaden des Antragstellers ergeben könnte; denn wenn der Verkehrswert danach höher angesetzt worden wäre, hätte dies ein höheres Bargebot des Antragstellers nach sich ziehen müssen.

5. Ist danach bereits eine schuldhafte Amtspflichtverletzung des Rechtspflegers nicht hinreichend dargetan, fehlt es auch an einer schlüssigen Darlegung der drei geltend gemachten Schadenspositionen, worauf der Senat ebenfalls mit seiner Verfügung vom 24.09.2004 hingewiesen hat: Für die Grundsteuer zum 15.08.2002 ist nicht hinreichend dargetan, dass keine anderweitige Ersatzmöglichkeit (§ 839 Abs. 1 Satz 2 BGB) besteht. Dass der Zwangsverwalter eine Zahlung nicht geleistet habe, ist für die entsprechende Darlegung zu dieser negativen Anspruchsvoraussetzung unzureichend. Auch die Forderung von 100 € Telefonkosten, die dem Antragsteller, wie er vortragen lässt, "aufgrund der Zwangsversteigerungsverfahren entstanden sind", ist in dieser Weise nicht schlüssig dargetan; die haftungsausfüllende Kausalität ist nicht hinreichend dargelegt, eine Schätzung durch das Gericht kommt angesichts der zu pauschalen Behauptung nicht in Betracht. Schließlich ist bezüglich der Kosten von 92,25 € aus der Rechnung der Gerichtskasse Frankfurt am Main wegen der Zurückweisung der Beschwerde durch den Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 09.09.2003 nicht hinreichend dargetan, inwiefern ein derartiger Schaden adäquat kausal auf der Verletzung einer Amtspflicht beruhen soll.

6. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde war nicht veranlasst, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 ZPO für eine Zulassung nicht erfüllt sind.

Ende der Entscheidung

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