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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 29.01.2002
Aktenzeichen: 1 WF 228/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1610 Abs. 2
Der Unterhaltsverpflichtete muß Verzögerungen der Ausbildungszeit hinnehmen, die auf ein vorübergehendes leichteres Versagen des Kindes zurückzuführen sind. Eine gewisse Orientierungsphase ist einem jungen Menschen zuzugestehen, deren Dauer von Fall zu Fall unterschiedlich ist und sich jeweils nach Alter, Entwicklungsstand und den gesamten Lebensumständen des Auszubildenden richtet. Verletzt das Kind allerdings nachhaltig seine Obliegenheit, die Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen, büßt es seinen Unterhaltsanspruch ein und muß sich darauf verweisen lassen, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen (BGH FamRZ 1998, 671).
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

1 WF 228/01

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der Antragstellerin vom 10.08.2001 gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Frankfurt am Main vom 27.07.2001 in Verbindung mit dem Nichtabhilfebeschluß vom 18.10.2001 am 29. Januar 2002 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluß wird abgeändert.

Der Antragstellerin wird Prozeßkostenhilfe für die mit Schriftsatz vom 28.5.2001 beabsichtigte Unterhaltsklage bewilligt, soweit sie einen Unterhaltsrückstand für die Zeit vom 1.10.1999 bis 31.5.2001 von insgesamt 15.309,00 DM sowie Unterhalt für Juni 2001 von 683,00 DM, ab 1. Juli 2001 einen Unterhalt von monatlich 523,00 DM und ab 1.1.2002 von monatlich 254,00 Euro geltend macht.

Im Rahmen der bewilligten Prozeßkostenhilfe wird der Antragstellerin zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung ihrer Rechte in erster Instanz Rechtsanwalt X. in Frankfurt am Main beigeordnet.

Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Eine Beschwerdegebühr ist nicht zu erheben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO, Nr. 1952 KV).

Gründe:

Die 1979 geborene Antragstellerin begehrt Prozeßkostenhilfe für ihre Klage auf Ausbildungsunterhalt gegen ihre Mutter. Die Antragstellerin hat im Juli die Realschule mit Abschluß verlassen. Danach besuchte sie von August 1997 bis Juli 1998 das Gymnasium, welches sie jedoch auf eigenen Wunsch nach der Jahrgangsstufe 11 verlassen hat. Im Anschluß ist sie für die Dauer von acht Monaten keiner weiteren Ausbildung oder Tätigkeit nachgegangen. Seit August 1999 besucht sie eine private Sprachschule in , wo sie an einer zweijährigen Berufsausbildung zur staatlich geprüften Fremdsprachenkorrespondentin teilnimmt. Ausbildungsende soll voraussichtlich zum 31. Juli 2002 sein, nachdem sie die Unterstufe auf Empfehlung der Schulleitung wiederholt hat.

Berufsziel der Antragstellerin ist eine Tätigkeit als Flugbegleiterin. Voraussetzung für eine Anstellung ist jedoch bei einem Realschulabschluß eine zweijährige Weiterbildung im fremdsprachlichen Bereich.

Die Antragstellerin bezieht seit 23.12.1999 Sozialhilfe sowie seit dem 01.03.2001 Kindergeld in Höhe von DM 270,- monatlich, nachdem dieses zuvor die Antragsgegnerin bezogen hatte. Einer Aushilfstätigkeit, bei der sie monatlich rund 230,00 DM verdient hatte, geht sie seit September 2000 unter Berufung auf die intensive Ausbildungsvorbereitung nicht mehr nach.

Die Antragsgegnerin ist als Verkäuferin in der und hat ein monatliches Nettoeinkommen von DM 2.753,-. Der Vater der Antragstellerin bezieht Sozialhilfe.

Nach außergerichtlicher Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs im September 1999 sowie im August 2000 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Prozeßkostenhilfe für eine Klage gestellt, mit der sie für die Zeit von Oktober 1999 bis Mai 2001 einen Unterhaltsrückstand von insgesamt 15.930,00 DM sowie ab dem 1.6.2001 einen laufenden Unterhalt von monatlich 850,00 DM verlangt.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag auf Prozeßkostenhilfe und der beabsichtigten Klage entgegengetreten. Die Klage habe keine Aussicht auf Erfolg, ein Unterhaltsanspruch bestünde nicht. Die Antragstellerin betreibe ihre Ausbildung nicht mit der erforderlichen Zielstrebigkeit, zudem sei sie weder fähig noch geeignet, den eigenmächtig gewählten Ausbildungsweg erfolgreich zu absolvieren. Durch Beschluß des Familiengerichts vom 27.07.2001 wurde der Antragstellerin Prozeßkostenhilfe versagt, da die Antragstellerin ihre Eignung sowie die Zügigkeit und Angemessenheit der Ausbildung nicht dargetan habe.

Der hiergegen gerichteten Beschwerde hat das Familiengericht mit Beschluß vom 18.10.2001 nicht abgeholfen. Die Antragstellerin sei nach den nunmehr vorgelegten Zeugnissen und ihren daraus ersichtlichen Leistungen in Sprachen für die gewählte Ausbildung als Fremdsprachensekretärin nicht geeignet; diese Ausbildung entspreche nicht ihren Fähigkeiten.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist auch in dem aus dem Tenor dieses Beschlusses ersichtlichen Umfang begründet, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Erfolgsaussicht bietet (§114 ZPO). Im übrigen ist die Beschwerde zurückzuweisen.

Bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO dürfen die Anforderungen an die Aussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht überspannt werden, weil anderenfalls das sich aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz ergebende Gebot einer weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes verletzt und dadurch der Zweck der Prozeßkostenhilfe deutlich verfehlt würde (vgl. BVerfGE 81, 347<358> = NJW 1991, 413). Die danach im Prozeßkostenhilfeprüfungsverfahren gebotene summarische Prüfung des Vorbringens der Antragstellerin führt unter Berücksichtigung des beiderseitigen Parteivorbringens und der jeder Partei obliegenden Darlegungs- und Beweislast zu dem Ergebnis, daß die Antragstellerin den verlangten Unterhalt überwiegend mit Aussicht auf Erfolg geltend machen kann.

Nach §1610 Abs.2 BGB haben Eltern ihren Kindern eine angemessene Vorbildung zu einem Beruf zu gewähren, das heißt eine Ausbildung, die den Begabungen und Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten, nicht nur vorübergehenden Neigungen des Kindes am besten entspricht und sich in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern hält (vgl. OLG Koblenz FamRZ 2001, 852).

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist der Antragstellerin eine Eignung für eine Ausbildung im Bereich der Fremdsprachen nicht abschließend abzusprechen. Ob eine Berufswahl bzw. die gewählte Ausbildungsrichtung von der Begabung her angemessen ist, beurteilt sich nach den Verhältnissen zur Zeit der Ausbildung (vgl. BGH FamRZ 1980, 1115<1116>). Nach den von ihr vorgelegten Zeugnissen beendete die Antragstellerin die Realschule erfolgreich mit der Note gut in der Fremdsprache Englisch, auf dem Gymnasium erhielt sie im ersten Halbjahr der Jahrgangsstufe 11 die Noten gut in Englisch sowie Italienisch, im zweiten Halbjahr in beiden Fächern die Note befriedigend. Die Antragstellerin mußte sodann in der Sprachschule ein Ausbildungsjahr aufgrund ihrer Leistungsschwächen im fremdsprachlichen Bereich wiederholen. Dies kann zwar einen gewissen Zweifel an der Eignung bzw. Neigung der Antragstellerin rechtfertigen.

Der Unterhaltsverpflichtete muß jedoch Verzögerungen der Ausbildungszeit hinnehmen, die auf ein vorübergehendes leichteres Versagen des Kindes zurückzuführen sind. Eine gewisse Orientierungsphase ist einem jungen Menschen zuzugestehen, deren Dauer von Fall zu Fall unterschiedlich ist und sich jeweils nach Alter, Entwicklungsstand und den gesamten Lebensumständen des Auszubildenden richtet. Verletzt das Kind allerdings nachhaltig seine Obliegenheit, die Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen, büßt es seinen Unterhaltsanspruch ein und muß sich darauf verweisen lassen, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen (BGH FamRZ 1998, 671).

Die Antragstellerin ist nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Antragsgegnerin nach dem Abgang vom Gymnasium über einen Zeitraum von mindestens acht Monaten keiner Tätigkeit, auch keiner Aushilfstätigkeit nachgegangen. Hierin vermag der Senat jedoch noch keine nachhaltigeund damit nicht mehr hinzunehmende Überschreitung der der Antragstellerin zuzubilligenden Orientierungsphase und eine damit verbundene Verletzung ihrer Ausbildungsobliegenheit zu erkennen. Dies gilt auch noch für die bei dem Besuch der Sprachschule nunmehr aufgetretene Notwendigkeit, das Unterstufenjahr zu wiederholen. Insoweit bestehen nach der Bescheinigung der Schule vom 3.7.2001 berechtigte Chancen, für die Antragstellerin, die Abschlußprüfung im Sommer 2002 erfolgreich zu bestehen. Es kommt hinzu, daß nach den vorgelegten Bescheinigungen des behandelnden Psychotherapeuten die Antragstellerin an tiefgreifenden Befindlichkeitsstörungen leidet, die mit Antriebsverlust und depressiver Verstimmung einhergehen, und ein kausaler Zusammenhang mit den aufgetretenen Verzögerungen in der Ausbildung nicht mit der für das Prozeßkostenhilfeprüfungsverfahren erforderlichen Gewißheit ausgeschlossen werden kann.

Soweit die Antragstellerin für die Monate Oktober 1999 bis Februar 2001 einen monatlichen Unterhalt von 720,00 DM (bis 31.8.2000) bzw. von 890,00 DM verlangt (ab 1.9.2000), ist dem Anspruch auch der Höhe nach eine Erfolgsaussicht nicht zu versagen ; der angemessene Selbstbehalt der Antragsgegnerin von monatlich 1.800,00 DM ist auch bei einem Anspruch von 890,00 DM gewahrt (2.753 minus 890 = 1.863). Da die Antragstellerin ab dem 1.3.2001 das Kindergeld von monatlich 270,00 DM erhält, ist nunmehr wie folgt zu rechnen: Einkommen der Antragsgegnerin = 2.753,00 DM minus angemessener Selbstbehalt = 1.800,00 DM = 953,00 DM minus 270,00 DM Kindergeld in voller Höhe, da der an sich mitberechtigte Vater zum Unterhalt nichts beiträgt. Dies führt zu einem Unterhaltsanspruch ab 1.3.2001 von 683,00 DM. Für die Zeit vom 1.10.1999 bis 31.5.2001 ergibt sich danach ein rückständiger Unterhaltsanspruch von insgesamt 15.309,00 DM (11 x 720 plus 6 x 890 plus 3 x 683). Mit Rücksicht auf die zum 1.7.2001 in Kraft getretene Erhöhung des angemessenen Selbstbehalts auf 1.960,00 DM ist der Anspruch der Antragstellerin ab diesem Zeitpunkt nur noch in Höhe von monatlich 523,00 DM (2.753 DM minus 1.960 DM = 793,00 minus 270,00 DM = 523,00 DM) bzw. ab 1.1.2002 von 254,00 Euro (1.408 minus 1.000 minus 154) erfolgversprechend. Hinsichtlich des darüber hinausgehenden Anspruchs ist der Prozeßkostenhilfeantrag zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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