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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 06.02.2003
Aktenzeichen: 1 WF 3/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 621 f
ZPO § 620 a
ZPO § 620 g
Rechtsgrundlage für einstweilige Anordnungen in Familiensachen nach § 621 Nr. 1-3, 7 ZPO ist § 621g ZPO auch dann, wenn diese Anordnungen von Amts wegen erlassen werden. §§ 620a bis 620g ZPO sind auch in diesen Fällen anzuwenden.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

1 WF 3/03

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die sofortige Beschwerde des Vaters gegen den Beschluss des Amtsgerichts -Familiengericht - S. vom 9.12.2002 am 6.2.2003 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluß wird abgeändert. Die Personensorge für das Kind XYZ. , geb. am 14.1.1991 bleibt den Eltern vorläufig entzogen. Sie wird dem Jugendamt der Landeshauptstadt F. als Pfleger übertragen. Die weiteren Anordnungen in dem angefochtenen Beschluss werden aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Beschwerdewert: 1.000,00 EUR.

Gründe:

Das Amtsgericht hat, nachdem beide Eltern wechselseitig gestellte Sorgerechtsanträge gem. § 1671 BGB zurückgenommen hatten, von Amts wegen ein Verfahren nach § 1666 BGB eingeleitet. Im Rahmen dieses Verfahrens hat es den Eltern die Personensorge für das Kind vorläufig entzogen und dem Jugendamt der Landeshauptstadt S. als Pfleger übertragen. Zugleich hat es den Eltern aufgegeben auf Verlangen des Jugendamts das Kind an dieses herauszugeben und dabei das Jugendamt ermächtigt, bei der Herausnahme des Kindes Gewalt anzuwenden und die Unterstützung von Vollstreckungsbeamten in Anspruch zu nehmen.

Der Einzelrichter des Senats hat die Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 568 ZPO dem Kollegium übertragen.

Die Beschwerde ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

Rechtsgrundlage für die einstweilige Anordnung ist § 621 g ZPO. Nach dieser Bestimmung kann in einem die elterliche Sorge betreffenden Verfahren das Gericht auf Antrag Regelungen im Wege der einstweiligen Anordnung treffen. Allerdings fallen unter den Wortlaut dieser Bestimmung nur einstweilige Anordnungen die auf Antrag ergangen sind. Hier hat das Amtsgericht von Amts wegen entschieden. Hieraus kann indessen nicht der Schluss gezogen werden, dass in Verfahren zur Regelung der elterlichen Sorge einstweilige Anordnungen nicht von Amts wegen erlassen werden könnten. Vor Inkrafttreten des § 621 g ZPO war gewohnheitsrechtlich anerkannt, dass in isolierten Sorgerechtsverfahren wie in anderen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit das Gericht von Amts wegen einstweilige Anordnungen erlassen kann wenn ein entsprechendes Regelungsbedürfnis besteht. Diese einstweiligen Anordnungen waren nach § 19 FGG mit unbefristeter Beschwerde anfechtbar. Es ist auszuschließen, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 621 g ZPO diesen Rechtszustand dahin ändern wollte, dass er derartige einstweilige Anordnungen, die von Amts wegen ergehen, nicht mehr zulassen wollte, da ersichtlich nach wie vor für die Möglichkeit solcher einstweiligen Anordnungen von Amts wegen ein unabweisbares Bedürfnis, besteht wenn das Wohl von Kindern gefährdet ist.

Mit der Bejahung der Frage der Zulässigkeit einstweiliger Anordnungen von Amts wegen ist indessen die Frage noch nicht beantwortet, ob solche Anordnungen entsprechend § 621 g ZPO zu behandeln sind mit der Folge, dass die §§ 620 a bis 620 g ZPO entsprechend gelten (sofortige Beschwerde nach § 620 c ZPO, Einzelrichterprinzip) oder ob insoweit weiterhin sich das Beschwerdeverfahren nach 19 FGG richtet (unbefristete Beschwerde, Kollegialprinzip). Nach Überzeugung des Senats ist von der entsprechenden Anwendung des § 621 g ZPO auszugehen. Der Gesetzgeber wollte Verfahren hinsichtlich der einstweiligen Anordnungen in isolierten Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit den zivilprozessualen Vorschriften anpassen und damit einen Gleichlauf erreichen mit einstweiligen Anordnungen über diese Gegenstände bei Anhängigkeit eines Ehescheidungsverfahrens. Es macht keinen Sinn, einstweilige Anordnungen, die in solchen Verfahren von Amts wegen ergehen, hiervon auszunehmen. Dies gilt umso mehr, als in Verfahren in denen einstweilige Anordnungen von Amts wegen ergehen können, solche Anordnungen auch auf Antrag möglich sind. So kann im Verfahren nach § 1666 BGB auch das Jugendamt entsprechende Anträge stellen. Für das weitere Verfahren kann es keinen Unterschied machen, ob eine einstweilige Anordnung in einem Hauptsacheverfahren mit gleichem Verfahrensgegenstand auf Antrag oder von Amts wegen ergangen ist. Daher folgt die Zulässigkeit der hier angefochtenen einstweiligen Anordnung aus § 621 g ZPO mit der Folge, dass die §§ 620 a bis 620 g entsprechend gelten (Zöller-Philippi ZPO, 23. Aufl. § 621 g Rdnr. 3). Die demnach einzuhaltende Beschwerdefrist von 2 Wochen (§ 620 c ZPO) ist hier gewahrt.

Das weitere Zulässigkeitserfordernis für die Beschwerde, dass zuvor mündlich verhandelt worden ist, ist ebenfalls erfüllt (§ 620 c ZPO).

Die Beschwerde ist unbegründet, soweit der Beschwerdeführer den Wegfall des Entzugs der Personensorge angreift.

Da das Beschwerdegericht im Sorgerechtsverfahren die Entscheidung vorrangig am Kindeswohl auszurichten hat, ist es an Anträge nicht gebunden. Dies hat zur Folge, dass der angefochtene Beschluss auch insoweit zu überprüfen war, als es um die Entziehung der Personensorge der Kindesmutter ging, obwohl diese den Beschluss nicht angefochten hat.

Unter Anlegung des am Kindeswohl ausgerichteten umfassenden Prüfungsmaßstabs musste die Entziehung der Personensorge hinsichtlich beider Eltern aufrechterhalten werden, da einstweilen davon auszugehen ist, dass andernfalls das Kindeswohl infolge missbräuchlicher Ausübung der elterlichen Sorge durch die Eltern gefährdet wäre (§ 1666 BGB). Das Kind war in der Vergangenheit mehrfach vom Vater weggelaufen, nachdem es Auseinandersetzungen mit diesem gegeben hatte und er gegen das Kind tätlich geworden war. Der Vater räumt dies mit Schriftsatz vom 23.10.2002 ein. Nachdem das Kind dann in den Haushalt der Mutter übergewechselt war, hat diese es zugelassen, dass das Kind sodann nach kurzer Zeit mit dem Vater nach X. übersiedelte. Aus dem Bericht des Jugendamts der Stadt S. vom 1. Juli 2002 ergeben sich dringende Anhaltspunkte dafür, dass der Vater dort das Kind erneut massiv geschlagen hat und das Kind Zuflucht bei einer Frau R. gefunden hat. Die in diesem Zusammenhang erhobene Anschuldigung des Vaters, die amtierende Amtsrichterin sei von dieser Frau R. bestochen, entbehrt ersichtlich jeder Grundlage und lässt Zweifel am Realitätssinn des Vaters aufkommen.

Nun ergibt sich allerdings aus dem Bericht des Jugendamts der Stadt F. vom 19.12.2002, dass derzeit keine akute Gefahr für das Kind besteht, nachdem dieses sich im Haushalt der Mutter befindet, die ebenfalls nach F. gezogen ist, allerdings nicht in die Wohnung des Vaters. Das Jugendamt konnte mit dem Kind Kontakt aufnehmen und hat die Überzeugung gewonnen, dass sich das Kind derzeit bei der Mutter wohlfühlt. Allerdings ist diese positive Entwicklung der Situation deren Dauerhaftigkeit sich noch nicht sicher absehen lässt, vor dem Hintergrund zu sehen, dass inzwischen beiden Eltern die Personensorge entzogen war. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob es zu der konstruktiven Zusammenarbeit zwischen dem Jugendamt der Stadt F. und den Eltern, wie sie vom Vater nunmehr ausdrücklich bestätigt wird, auch gekommen wäre, wenn die Personensorge den Eltern nicht vorläufig entzogen worden wäre.

Hinzu kommt folgendes: Den Eltern ist es, solange sie Inhaber der Personensorge waren, gelungen, die zwingend vorgesehene persönliche Anhörung des Kindes im Sorgerechtsverfahren zu verhindern. Das Gericht ist verpflichtet, in einem derartigen Verfahren das Kind anzuhören (§ 50 b FGG) und wird dies auch im Rahmen der Fortsetzung des Hauptsacheverfahrens noch tun müssen. Der Vater hat mit Schriftsatz vom 15.8.2002, wenige Tage vor dem anberaumten Anhörungstermin, ausdrücklich erklärt, dass er eine "Vernehmung" seiner Tochter verbiete. Die Mutter hat diese Einstellung des Vaters in der Weise umgesetzt, dass sie zu mehreren Terminen mit der Tochter trotz entsprechender Ladung nicht erschienen ist. Unter diesen Voraussetzungen bedarf es einer vorläufigen Entziehung der Personensorge beider Eltern schon deshalb, um dem insoweit sorgeberechtigten Jugendamt zu ermöglichen, das Kind zu einer Anhörung mitzubringen.

Der angefochtene Beschluss war insoweit abzuändern, dass als Pfleger anstatt des Jugendamts S. nunmehr das Jugendamt der Stadt F. zu bestellen war, nachdem sich alle Beteiligten in dessen Zuständigkeitsbereich aufhalten und das Jugendamt der Stadt F. zuletzt ohnehin im Wege der Amtshilfe für das Jugendamt S. tätig war.

Der Aufrechterhaltung der Herausgabeanordnung mit der zugehörigen Ermächtigung notfalls Gewalt anzuwenden, bedurfte es derzeit nicht, da vorläufig kein Anlass besteht, das Kind aus dem Haushalt der Mutter herauszunehmen. Der Senat geht davon aus, daß es dem Jugendamt auch ohne eine solche Anordnung möglich sein wird, die gerichtliche Anhörung des Kindes sicherzustellen.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass eine Abgabe des Hauptsacheverfahrens nach § 46 FGG in Verbindung mit § 621 a Abs. 1 S. 1 ZPO an das Amtsgericht F. zweckmäßig sein dürfte, nachdem die Eltern und das Kind jetzt in F. leben und das Kind durch das Amtsgericht S. bisher noch nicht persönlich gehört worden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 13 a Abs. 1 S. 1 FGG, 131 Abs. 3 KostO, die Wertfestsetzung aus § 30 KostO.

Ende der Entscheidung

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