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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 19.02.2008
Aktenzeichen: 11 U 13/07 (Kart)
Rechtsgebiete: GWB
Vorschriften:
GWB § 19 |
Gründe:
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen einer vermeintlich missbräuchlichen Preisspaltung für Erdgaslieferung auf Unterlassung in Anspruch.
Die Beklagte ist eine Vertriebsgesellschaft für Erdgas im Netzgebiet der A (ABC AG) und der B O1 AG. Die A ist an der Beklagten zu 78 %, die B O1 AG zu 22 % beteiligt. Zur A gehört als hundertprozentige Tochter die C GmbH & Co. KG (im folgenden C KG), die ebenfalls Erdgas vertreibt. Ihr Betriebsgebiet deckt sich mit dem der Beklagten teilweise (Region um O2). Die C KG vertreibt Gas auch über die Netze der D und der F KG. Bei einer Jahresabnahme von 22.000 kWh beträgt der Nettoabgabepreis 4,54 Cent/kWh.
Der Kläger bezieht mit einer Jahresabnahme von ca. 22.000 kWh Erdgas von der Beklagten. Er hat behauptet, die Beklagte verlange für das von ihr gelieferte Erdgas 5,21 Cent/kWh und liege damit um 12,6 % über den Preisen der C KG. Bei einem durchschnittlichen Gasverbrauch von 22.000 kWh im Jahr ergebe sich ein Preisunterschied von 150 Euro.
Er meint, das Verhalten der Beklagten erfülle die Voraussetzungen einer missbräuchlichen Preisspaltung nach § 19 Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 Nr. 3 GWB.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, von dem Kläger ungünstigere Entgelte für Erdgaslieferungen zu fordern, als sie die C GmbH & Co. KG von gleichartigen Abnehmern fordert, die an das Erdgasverteilnetz der F GmbH & Co. KG, das Erdgasverteilnetz der D ... O3 AG oder das Erdgasverteilnetz der ABC AG in O2 angeschlossen sind.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil der Klage stattgegeben.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Die Klage sei zulässig, da der Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis habe und nicht auf die Möglichkeit eines anderweitigen Energiebezugs verwiesen werden könne.
Der Beklagten sei die Preispolitik der C KG zuzurechnen, da beide Unternehmen wie ein Unternehmen zu behandeln seien (§ 36 Abs. 2 GWB).
Räumlich relevanter Markt im Sinne von §§ 19 GWB sei der Markt der Gasversorger im Netzgebiet der A, da es an Austauschmöglichkeiten mit anderen Energieversorgern fehle und der noch fehlende Durchleitungswettbewerb zur Begrenzung des relevanten Marktes zwinge. Die Beklagte sei marktbeherrschend, da sie mehr als 1/3 des relevanten Marktes versorge. Die Höhe des tatsächlichen Preisunterschieds hat das Landgericht offen gelassen, weil die Beklagte unstreitig höhere Preise fordere und ihrer Darlegungs- und Beweislast zur Rechtfertigung dieser Preisunterschiede nicht nachgekommen sei.
Da somit keine Gründe für eine unterschiedliche Preisgestaltung vorlägen, seien keine weiteren Zuschläge bei der Gegenüberstellung der Preise anzusetzen. Auch ein Erheblichkeitszuschlag sei nicht vorzusehen, weil die Preise eines in Monopolstellung anbietenden Versorgungsunternehmens zu beurteilen seien. Danach genüge für die Annahme einer missbräuchlichen Preisbildung jede Preisdifferenz (BGH KVR 4/94 - Weiterverteiler).
Wegen der weiteren Feststellungen zum Sach- und Streitstand erster Instanz sowie der Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf das Urteil vom 07.03.2007 Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die zulässige Berufung der Beklagten. Sie rügt:
Das Landgericht habe rechtsirrig ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers angenommen. In der Sache habe es die Beklagte zu Unrecht für marktbeherrschend gehalten und die tatsächliche Höhe der Preisdifferenz nicht festgestellt. Sie, die Beklagte, fordere in ihrem Versorgungsgebiet keine ungünstigeren Entgelte als sie selbst bei vergleichbaren Märkten von gleichartigen Abnehmern fordere. Das Versorgungsgebiet der C KG sei mit dem der Beklagten nicht vergleichbar. Auch handele es sich bei den Kunden beider Unternehmen nicht um "gleichartige Abnehmer". Schließlich habe das Landgericht die Beweislast für die Darlegung von Rechtfertigungsgründen verkannt und es in rechtsfehlerhaften Weise unterlassen, den vom BGH in ständiger Rechtsprechung geforderten Erheblichkeitszuschlag anzusetzen. Darüber hinaus habe es seine Hinweispflicht nach § 139 ZPO verletzt, die mündliche Verhandlung unter Verletzung des § 256 ZPO nicht wieder eröffnet und ihren Vortrag zur sachlichen Rechtfertigung gemäß § 296 a ZPO zu Unrecht ausgeschlossen.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des am 07.03.2007 verkündeten Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er tritt der Berufung entgegen und verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vortrags.
Wegen der weitergehenden Feststellungen im ersten Rechtszug sowie der Einzelheiten des Sach- und Streitstands und der Begründung des Urteils wird auf die angefochtene Entscheidung vom 07.03.2007 in Verbindung mit dem Tatbestandsberichtigungsbeschluss vom 05.04.2007 Bezug genommen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht begründete Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
Die Klage ist zulässig ( dazu unter 1.), aber unbegründet (dazu unter 2.).
1.) Die Unterlassungsklage ist zulässig, insbesondere fehlt dem Kläger nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Gemäß § 33 Abs. 1 GWB hat jeder Betroffene einen Unterlassungsanspruch gegen denjenigen, der gegen eine Vorschrift des GWB verstößt. Der Kläger kann deshalb im Rahmen der Zulässigkeit der erhobenen Unterlassungsklage nicht auf die Möglichkeit verwiesen werden, künftig Wärmeenergie von einem anderen Versorger zu beziehen.
Anhaltspunkte für eine rechtsmißbräuchliche Geltendmachung des Klageanspruchs liegen auch unter dem von der Beklagten angesprochenen Aspekt, der Kläger sei nur von einem Wettbewerber vorgeschoben, nicht vor. Selbst wenn der Kläger die Klage nicht nur im eigenen Interesse erhoben hätte, macht er doch zugleich ein eigenes Recht geltend. Dass er selbst keinerlei eigenes Interesse an der begehrten Entscheidung hat, lässt sich nicht feststellen. Grundsätzlich hat aber jeder Rechtssuchende einen Anspruch darauf, dass ein Gericht sein Anliegen sachlich prüft und bescheidet ( Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. vor § 253 Rn. 18).
2.) Die Klage ist aber unbegründet. Gemäß § 19 Abs. 1 GWB ist die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen verboten. Ein Missbrauch liegt gemäß § 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter einer bestimmten Art von Waren ungünstigere Entgelte fordert, als sie das marktbeherrschende Unternehmen selbst auf vergleichbaren Märkten von gleichartigen Abnehmern fordert, es sei denn dass der Unterschied sachlich gerechtfertigt ist.
Die Beklagte ist schon nicht Normadressatin des § 19 GWB. Das Landgericht hat den räumlich relevanten Markt auf den Markt der Gasversorger begrenzt.
Dabei ist es zutreffend davon ausgegangen, dass sich der sachlich relevante Markt nach den Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite richtet, und hat gemeint, verschiedene Energieträger, die den gleichen Bedarf nach Raumwärme decken, seien aus der Sicht eines Gaskunden nicht unproblematisch austauschbar, da die Umstellung von einem Heizsystem auf ein anderes mit erheblichen Kosten verbunden sei. Auch der Senat ist bislang nicht von einem einheitlichen Markt für Wärmeenergie ausgegangen, sondern hat den sachlich relevanten Markt allein auf die Anbieter der spezifischen Energiesysteme begrenzt. Er sieht sich im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs indes gehindert, an dieser Rechtsprechung festzuhalten.
In der Instanzrechtsprechung sowie der Literatur ist umstritten, ob im Anwendungsbereich des § 19 GWB von einem allgemeinen Angebotsmarkt der Wärmeversorgung auszugehen ist ( so OLG München, RdE 2007, 133; OLG Düsseldorf RdE 2005, 169; OLG Celle, Beschluss v. 10.01.2008 13 VA 1/07 (Kart) oder ob der sachlich relevante Markt allein auf die Anbieter von Erdgas auf Endkunden zu beschränken ist ( so OLG Dresden, RdE 2007, 58; Langen/Bunte/Ruppelt, Kartellrecht, 10. Aufl. § 19 Rn. 11; Immmenga/Mestmäcker/Möschel, GWB, 4. Aufl. § 19 Rn. 34; Loewnheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht Bd. II § 19 Rn. 14 ).
Der Bundesgerichtshof hat - nach Verkündung des angefochtenen Urteils - mit Urteil vom 13.6.2007 ( NJW 2007, 2540) die erstgenannte Auffassung bestätigt. Er hat dort u.a. ausgeführt:
"Es fehlt auch an einer Monopolstellung der Beklagten als Grundlage einer entsprechenden Anwendung des § 315 BGB. Zwar ist die Beklagte im Bereich der Stadt X der einzige Anbieter von leitungsgebundener Versorgung mit Gas und daher auf dem Gasversorgungsmarkt keinem unmittelbaren Wettbewerb ausgesetzt. Sie steht aber - wie alle Gasversorgungsunternehmen - auf dem Wärmemarkt in einem (Substitutions-) Wettbewerb mit Anbietern konkurrierender Heizenergieträger wie Heizöl, Strom, Kohle und Fernwärme. Für die Gasversorgung hielt der Gesetzgeber das Erfordernis einer Tarifgenehmigung für verzichtbar, weil Neukunden zur Deckung ihres Wärmebedarfs unmittelbar zwischen verschiedenen Energieträgern wählen können und durch eine solche Konkurrenzsituation ein Wettbewerbsdruck entsteht, der allen Kunden zugute kommt, auch wenn für den einzelnen Kunden unter Umständen der Wechsel (berichtigt - die Red.) zu einer anderen Energieart wegen der hiermit verbundenen Kosten keine echte Alternative darstellt."
Der Senat verkennt nicht, dass die vorstehenden Ausführungen im Rahmen der Prüfung ergangen sind, inwieweit einseitige Tariferhöhungen eines Gasversorgers einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB unterliegen. Aber auch wenn das Kartellgesetz und § 315 BGB unterschiedliche Zielrichtungen haben, ist nicht zu erkennen, dass die Frage, ob von einem einheitlichen Markt der Energieanbieter auszugehen ist, weil Gasversorgungsunternehmen auf dem Wärmemarkt einem (Substitutions-)Wettbewerb mit Anbietern konkurrierender Heizenergieträger stehen, unterschiedlich in dem Sinn beantwortet werden kann, dass sie in dem einen Fall ( § 315 BGB) zu bejahen und in dem anderen Fall ( § 19 GWB) zu verneinen ist ( ebenso OLG Celle a.a.O.).
Im Hinblick auf die vorgenannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die sich dem anschließende Entscheidung des OLG Celle und die vorstehend erwähnte, in die gleiche Richtung zielende Rechtsprechung der Oberlandesgerichte München und Düsseldorf hält der Senat im Interesse der Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung an der gegenteiligen Auffassung nicht mehr fest.
Dass die Beklagte auf dem so abgegrenzten Markt als Anbieterin von Energie keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist, ist weder vorgetragen, noch ersichtlich.
3.) Fehlt es für die Anwendbarkeit des § 19 GWB mithin schon an einer marktbeherrschenden Stellung der Beklagten, so kommt es auf die zwischen den Parteien ebenfalls streitige Frage, inwieweit § 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB auf ( verschiedene) konzernangehörige Unternehmen anwendbar ist, nicht an. Eine Anwendung der Bestimmung würde nach Auffassung des Senats zumindest voraussetzen, dass alle drei beteiligten Konzernunternehmen unter einer einheitlichen Leitung stehen und die Tochterunternehmen zu keinen eigenständigen unternehmerischen Entscheidungen mehr in der Lage sind, da eine wechselseitige (berichtigt - die Red.) Zurechnung des Verhaltens der Konzernunternehmen allenfalls unter dieser Voraussetzung gerechtfertigt erschiene.
Das Landgericht hat sich indessen nur mit der Frage der Abhängigkeit der Beklagten von der A befasst. Zwar ist ohne weiteres davon auszugehen, dass auch die C KG von der A abhängig ist, so dass die Konzernvermutung des § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG greifen dürfte. Der näheren Prüfung bedürfte indes noch die Frage, ob und inwieweit diese Vermutung durch die tatsächlichen Verhältnisse widerlegt wird.
Offen bleiben kann schließlich die Frage, ob im Falle der Haftung des Konzerns als wirtschaftliche Einheit die Beklagte als Tochter oder nicht vielmehr die die Leitung innehabende Konzernmutter auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen wäre, zumal nur sie ohne weiteres der prozessualen Darlegungslast nachkommen könnte, wenn es auf eine sachliche Rechtfertigung der Preisunterschiede zwischen den verschiedenen Tochterunternehmen ankäme.
4.) Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war zur Vermeidung divergierender Entscheidungen wegen der Frage der sachlichen Marktabgrenzung zuzulassen, nachdem das OLG Celle in der erwähnten Entscheidung die Rechtsbeschwerde wegen derselben Frage ebenfalls zugelassen hat ( § 543 Abs. 2 ZPO Nr. 2 ZPO).
Ende der Entscheidung
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