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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 11.12.2007
Aktenzeichen: 11 U 44/07 (Kart)
Rechtsgebiete: EGV, Vertikal-GVO


Vorschriften:

EGV Art. 81
Vertikal-GVO Art. 4 b
1. Ist eine Alleinvertriebsklausel dahin auszulegen, dass sie dem Lieferanten auch den passiven Verkauf im Vertriebsgebiet des Händlers verbietet, ist die Klausel nicht durch Art. 2 der Vertikal-GVO freigestellt und damit gem. Art. 81 EGV unwirksam.

2. Eine solche "überschießende Klausel" kann nicht im Wege der geltungserhaltenden Reduktion mit einem zulässigen Inhalt aufrechterhalten werden.


Gründe:

I.

Die Verfügungsklägerin (nachfolgend: Klägerin) verlangt von der Verfügungsbeklagten (nachfolgend: Beklagte), es zu unterlassen, deutschsprachige Spiele-Software-Programme an andere Großhändler als die Klägerin zum Vertrieb an den Einzelhandel in Österreich auszuliefern.

Die Beklagte ist das für den Vertrieb im deutschsprachigen Raum verantwortliche Konzernunternehmen des X-Konzerns. Die Klägerin ist ein österreichisches Unternehmen und vertreibt seit dem Jahre 2003 aktiv für die Beklagte Computerspiele in Österreich.

Die Parteien schlossen im Jahre 2006 eine Vertriebsvereinbarung für das Vertriebsgebiet Österreich unter Vereinbarung deutschen Rechts. In der Vereinbarung ist unter anderem Folgendes bestimmt:

§ 2 ERTEILUNG VON RECHTEN:

2.1 Vorbehaltlich der Bestimmungen der Vereinbarung, insbesondere von § 2 Ziff. 3, erteilt X ... dem VERTRAGSHÄNDLER hiermit das nicht übertragbare und nicht ausschließliche Recht, die Produkte während der Dauer dieser Vereinbarung in Übereinstimmung mit den Bestimmungen dieser Vereinbarung im Vertriebsgebiet zu vermarkten, zu verkaufen und zu vertreiben.

2.2 X ... erteilt dem VERTRAGSHÄNDLER das Recht, die Produkte ausschließlich durch die Einzelhandelskanäle (im folgenden die "Vertriebskanäle" genannt) zu vermarkten, zu verkaufen und zu vertreiben.

Im besonderen behält X ... sich alle Rechte vor, die Produkte durch alle anderen Vertriebswege ... zu vermarkten, zu verkaufen und zu vertreiben

2.3 X ... verpflichtet keine weiteren Vertragshändler im Vertriebsgebiet und beliefert die Einzelhändler nicht direkt mit Produkten. Im Hinblick auf Vertriebshändler und Einzelhändler sind die Rechte des VERTRAGSHÄNDLERS bezüglich Vermarktung, Vertrieb und Verkauf im Vertriebsgebiet während der Dauer der Vereinbarung ausschließlich.

§ 9 LAUFZEIT UND BEENDIGUNG DES VERTRAGSVERHÄLTNISSES

9.1 Laufzeit

Soweit diese Vereinbarung nicht in diesem Absatz entsprechend vorzeitig beendet wird, und nach Maßgabe der in diesem Absatz festgelegten aufschiebenden Bedingung tritt diese Vereinbarung mit ihrer Unterfertigung in Kraft und bleibt, gerechnet ab der Unterfertigung, zwei Jahre lang gültig

...

9.4 Unbeschadet der vorstehenden Regelung und aller seiner anderweitigen vertraglichen Rechte kann X ... diese Vereinbarung durch schriftliche Mitteilung an den Vertragshändler ohne Gewährung einer Behebungsfrist vorzeitig beenden, wenn der Vertragshändler folgenden Pflichten nicht nachgekommen ist:

- innerhalb von 3 Monaten nach dem Tag des Inkrafttretens des Vertrages die Implementierung einer vollständigen sachgerechten Betriebsstruktur (ein Geschäftsführer, ein Großkundenmanager, zwei Vertriebsmitarbeiter und ein Marketingmanager) innerhalb der eigenen Einrichtungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die deutsche Übersetzung des Vertrages (Bl. 39-52 d.A.) verwiesen.

Die Verfügungsklägerin errichtete ein Vertriebsteam, wobei der Großkundenmanager, Herr A, sowie drei Vertriebsmitarbeiter Angestellte der Firma B GmbH sind.

Am 18.01.2007 sowie im April 2007 fanden Treffen der Parteien statt, deren Verlauf zwischen ihnen streitig ist.

Mit Schreiben vom 15.05.2007 erklärte die Beklagte die außerordentliche Kündigung der Vertriebsvereinbarung und begründete dies im Wesentlichen mit einer Verletzung der vertraglich übernommenen Verpflichtung zur Errichtung eines Vertriebsteams. Ferner führte die Beklagte eine Verletzung der Abverkaufsverpflichtung an. Die weiteren Einzelheiten ergeben sich aus Bl. 81-83 d.A.

Die Klägerin hat behauptet, das von ihr eingerichtete Vertriebsteam, bestehend aus dem Geschäftsführer, Herrn C, dem Großkundenmanager, Herrn A, den Vertriebsmitarbeitern D, E und F sowie einem Marketingmanager, sei von der Beklagten anlässlich des Treffens am 18.01.2007 nicht beanstandet und auch nach diesem Treffen nicht mehr moniert worden. Der Beklagten sei auch bekannt, dass der Geschäftsführer der Klägerin europaweit für verschiedene Firmen tätig sei, sich aber jedenfalls ausreichend in Österreich vor Ort aufhalte. Die Klägerin hat gemeint, die Kündigung sei daher unberechtigt, zumal auch ein Verstoß gegen die Abverkaufsverpflichtung nicht vorliege. Vielmehr versuche die Beklagte, sich aus anderen Gründen von dem Vertriebsvertrag zu lösen.

Die Beklagte verhalte sich ihrerseits vertragswidrig, da sie andere Großhändler zum Vertrieb ihrer Produkte in Österreich beliefere. Dies habe ihr (der Klägerin) Geschäftsführer Anfang Mai 2007 erfahren.

Auf am 29.05.2007 eingegangenen Antrag der Klägerin hat das Landgericht durch Beschluss vom selben Tag der Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel bis zur rechtskräftigen Feststellung der Wirksamkeit der Kündigungserklärung vom 15.05.2007 zu unterlassen, ihre deutschsprachige Spiele-Software-Programme an andere Großhändler als die Klägerin zum Vertrieb an den Einzelhandel in Österreich auszuliefern. Dagegen hat die Beklagte Widerspruch eingelegt.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass der Unterlassungsanspruch nicht bestehe. Sie hat behauptet, seit Inkrafttreten des Vertriebsvertrages beliefere sie nur die Klägerin für den Vertrieb in Österreich. Ferner hat sie die Ansicht vertreten, der Klägerin stehe kein exklusives Vertriebsrecht für Österreich zu, wie sich aus § 2.1 der Vereinbarung ergebe. Zudem verstoße der von der Klägerin erhobene Unterlassungsanspruch gegen europäisches Wettbewerbsrecht. Sie (Beklagte) könne aus Gründen des europäischen Wettbewerbsrechts nicht andere Vertragshändler hindern, Bestellungen aus Österreich zu bedienen.

Die Kündigung vom 15.05.2007 sei wirksam. Die Klägerin sei ihrer Verpflichtung aus dem Vertrag zur Errichtung einer Vertriebsorganisation in den eigenen Einrichtungen nicht nachgekommen. Sie (Beklagte) habe die von der Klägerin als Vertriebsorganisation bezeichnete Struktur auch nicht hingenommen, sondern diese bei dem Treffen am 18.01.2007 gerügt. Auch bei dem weiteren Treffen Anfang April 2007 sei diese Struktur nochmals von ihr beanstandet worden.

Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht die einstweilige Verfügung vom 29.05.2007 aufgehoben und den Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen. Zur Begründung hat es aufgeführt, dass der Antrag jedenfalls unbegründet sei. Die Klägerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass die Beklagte einen weiteren Vertragshändler zur Lieferung an Einzelhändler in Österreich verpflichtet habe. Allein dass in Regalen österreichischer Einzelhändler Produkte der Beklagten zu finden seien, die von anderen Vertragshändlern geliefert wurden, erbringe diesen Nachweis nicht. Der Beklagten sei es auch aus Rechtsgründen untersagt, vertraglich auf andere Vertragshändler einzuwirken, die Belieferung von Einzelhändlern in Österreich zu unterlassen. Eine solche Vereinbarung würde eine tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkung im Kernbereich im Sinne des Artikel 81 Abs. 1 EGV darstellen. Unabhängig davon sei die Kündigung vom 15.05.2007 wirksam. Nachdem der Geschäftsführer der Klägerin in der mündlichen Verhandlung erklärt habe, es sei von vornherein klar gewesen, dass die Klägerin beim Vertrieb mit der Firma B weiterarbeiten würde, könne es sich angesichts des eindeutigen vertraglichen Wortlauts nur um einen geheimen Vorbehalt der Klägerin handeln, ihre vertragliche Zusage in Wirklichkeit nicht einhalten zu wollen, was ohnehin unbeachtlich (§ 116 BGB) wäre. Die Geltendmachung des Kündigungsrechts ohne vorherige Abmahnung verstoße nicht gegen Treu und Glauben, zumal die Klägerin angesichts widersprüchlicher eidesstattlicher Versicherungen zu der Frage, ob am 18.01.2007 eine entsprechende Rüge erfolgt sei, nicht habe glaubhaft machen können, dass die Beklagte eine vertragswidrige Vertriebsstruktur gebilligt habe. Wegen der tatsächlichen Feststellungen und der Begründung im Einzelnen wird auf das angefochtene Urteil verwiesen (Bl. 312-322 d.A.). Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Vortrag weiter und führt insbesondere aus, dass die Beklagte, wenn sie ihren Großhändlern die aktive Belieferung nach Österreich untersage, nicht gegen europäisches Wettbewerbsrecht verstoße. Artikel 81 Abs. 1 EG-Vertrag sei nicht anwendbar, da in einer Verkaufsbeschränkung im Rahmen der streitgegenständlichen Vertragsbeziehung keine spürbare Beeinträchtigung des gemeinsamen Marktes liegen könne. Dies ergebe sich aus der Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung vom 22.12.2001 (de minimis-Bekanntmachung), da die Beklagte auf dem Markt für Konsolen- und PC-Computerspielen in ... über einen Marktanteil von nur 2,7 % verfüge. Jedenfalls seien aktive Verkaufsbeschränkungen zulässig.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des am 14.08.2007 verkündeten Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main, Az.: 3/5 O 136/07, der Antragsgegnerin bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel bis zur rechtskräftigen Feststellung der Wirksamkeit der Kündigungserklärung der Beklagten vom 15.05.2007 hinsichtlich des Vertragshändlervertrags zwischen den Parteien vom 21.09.2006 zu untersagen, ihre deutschsprachigen Spiele-Software-Programme an andere Großhändler als die Klägerin zum Vertrieb an den Einzelhandel in Österreich auszuliefern, es sei denn, die Lieferung erfüllt Bestellungen von österreichischen Einzelhändlern, die von sich aus ohne aktive Kontaktaufnahme durch die Beklagte oder deutsche Großhändler auf die Beklagte oder deutsche Großhändler zugegangen sind.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, der Vertriebsvertrag verletze Artikel 81 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 b der Verordnung (EG) Nr. 2790/1999 vom 22.12.1999 (Vertikal-GVO). Die Klausel § 2.3 verbiete auch den passiven Verkauf durch andere Vertriebshändler und könne angesichts des eindeutigen Wortlauts nicht gesetzeskonform ausgelegt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

A) Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht die einstweilige Verfügung aufgehoben und den Verfügungsantrag zurückgewiesen.

B) Der Verfügungsanspruch ergibt sich nicht aus § 2.3 der Vertriebsvereinbarung.

1. Aus der Bestimmung folgt zwar, dass das Recht zur Vermarktung, zum Vertrieb und zum Verkauf im Vertragsgebiet (Österreich) insoweit ausschließlich ist, als der Vertrieb an Vertriebshändler und Einzelhändler exklusiv der Klägerin vorbehalten bleiben soll. Soweit in § 2.1 von einem nicht ausschließlichen Recht der Klägerin die Rede ist, hatte diese generell auf den Vertrieb der Vertragsprodukte bezogene Formulierung ersichtlich nur die Funktion, der Beklagten den Vertrieb gemäß § 2.2 über andere Vertriebskanäle als demjenigen, der der Klägerin zugewiesen wurde, vorzubehalten.

2. § 2.3 des Vertriebsvertrages ist jedoch gemäß Art. 81 Abs.1 und Abs. 2 EGV nichtig. Die Vertragsbestimmung legt fest, dass die Beklagte keine weiteren Vertragshändler im Vertriebsgebiet verpflichten und Einzelhändler nicht direkt mit den Produkten beliefern darf. Zudem ergibt sich aus dem folgenden Satz, wonach im Hinblick auf Vertriebshändler und Einzelhändler die Rechte der Klägerin bezüglich Vermarktung, Vertrieb und Verkauf im Vertriebsgebiet ausschließlich sind, dass die Beklagte anderen Vertriebshändlern als der Klägerin keine Produkte liefern darf, die im Vertriebsgebiet verkauft werden. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, stellt das Verbot solcher Belieferung anderer Vertragshändler und die Vereinbarung von Verkaufsverboten hinsichtlich des Einzelhandels in Österreich eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EGV dar. Dies ist zwischen den Parteien auch nicht streitig.

Zu Unrecht meint die Klägerin, ein Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EGV liege nicht vor, da die Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten nicht spürbar seien, was sich aus der Anwendbarkeit der sogenannten de minimis-Regeln ergebe. Diese sind auf sogenannte Kernbeschränkungen nicht anwendbar (siehe Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., § 10 Rdn. 90). Ziffer 11.2. b 1. Spiegelstrich regelt als Ausnahme von den de minimis-Regeln gerade den Fall, der in der hier - gemäß ihrem Art. 2 (4) Buchst. b - einschlägigen Vertikal-GVO in Art. 4 b 1. Spiegelstrich erfasst ist (siehe sogleich), wie sich aus der wörtlichen Übereinstimmung beider Tatbestände ergibt.

Die Exklusivitätsvereinbarung zwischen den Parteien ist auch nicht gemäß Art. 2 der Vertikal-GVO freigestellt. Nach Art. 4 b 1. Spiegelstrich gilt die Freistellung nicht für vertikale Vereinbarungen, die unmittelbar oder mittelbar, für sich allein oder in Verbindung mit anderen Umständen unter der Kontrolle der Vertragsparteien folgendes bezwecken:

b) Beschränkungen des Gebiets oder des Kundenkreises, in das oder an den der Käufer Vertragswaren oder- Dienstleistungen verkaufen darf, mit Ausnahme von - Beschränkungen des aktiven Verkaufs in Gebiete oder an Gruppen von Kunden, die der Lieferant sich selbst vorbehalten oder ausschließlich einem anderen Käufer zugewiesen hat, sofern dadurch Verkäufe seitens der Kunden des Käufers nicht begrenzt werden.

Dadurch ist zwar die Zuweisung eines Verkaufsgebiets durch den Hersteller oder Lieferanten an einen Vertriebspartner in ausschließlicher Form zulässig. Der Hersteller oder Lieferant kann sich selbst oder andere Vertriebspartner vom aktiven Verkauf in das Gebiet mit Rücksicht auf das Alleinvertriebsrecht des erstgenannten Vertriebspartners ausschließen. Der Lieferant und seine übrigen Vertriebshändler können verpflichtet werden, Wettbewerber des Alleinvertriebshändlers in dessen Vertragsgebiet nicht mit Vertragsware zu beliefern. Passivverkäufe dritter Vertriebshändler dürfen durch die Exklusivitätsvereinbarung dagegen nicht ausgeschlossen werden (Langen/Bunte/Nolte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Bd. 2, Kartellrecht, 10. Aufl., Art. 81 EGV Fallgruppen Rn. 578).

Die Klausel in § 2.3 des Vertriebsvertrages, die der Klägerin das ausschließliche Recht zur Vermarktung, zum Vertrieb und zum Verkauf in Österreich zuweist, beschränkt sich nach ihrem Wortlaut nicht auf den aktiven Verkauf. Während man von aktivem Verkauf spricht, wenn der Wiederverkäufer sich selbst durch gezielte Werbemaßnahmen um den Kunden bemüht hat (insbesondere durch verkaufsfördernde Maßnahmen, die sich speziell an Kunden außerhalb des Vertragsgebiets richten, wie beispielsweise die Errichtung von Niederlassungen oder Auslieferungslagern), tritt beim passiven Verkauf der Kunde unaufgefordert und aus eigenem Antrieb mit einer Bestellung an den Wiederverkäufer heran. Der Wiederverkäufer muss also die Freiheit haben, an Kunden, die aus eigener Initiative zu ihm kommen, verkaufen zu können. Dazu zählt auch der Verkauf über das Internet (Langen/Bunte/Nolte, Art. 81 Fallgruppen Vertikal-GVO Rdn. 577 f.; Simon in: Lange (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 2. Aufl., § 3 Rdn. 413). Nach der Vertragsklausel darf aber die Beklagte sonstigen Vertriebshändlern auch den passiven Verkauf in Österreich nicht gestatten bzw. ihnen keine Waren zum passiven Vertrieb in Österreich liefern.

Entgegen der Ansicht der Klägerin gibt die Vertragsklausel keinen Anlass, sie dahin auszulegen, dass sie allein den aktiven Verkauf betrifft. Weder deutet ihr Wortlaut darauf hin, noch sind aus der Entstehungsgeschichte der Klausel Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass andere Vertriebshändler der Beklagten neben der Klägerin berechtigt sein sollten, Kunden in Österreich auf von diesen ausgehende Bestellungen hin zu beliefern. Dafür spricht auch die eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwalts RA1, wonach durch die Exklusivitätsklausel sichergestellt werden sollte, dass auf "jeden Fall hinsichtlich des Einzelhandels Exklusivität bestehen müsse" (Bl. 265 d. A.). Ein solcher Wille der Parteien bezog sich ersichtlich darauf, dass der Klägerin der gesamte Vertrieb in dem ihr zugeteilten Vertriebsweg zugewiesen sein sollte. Zwar ist der Beklagten in § 2.2 der Vertriebsvereinbarung u. a. der online-Vertrieb vorbehalten, was eine typische Form des passiven Verkaufs darstellt. Das bedeutet jedoch nicht, dass in den der Klägerin zugewiesenen Vertriebskanälen kein passiver Verkauf möglich wäre. So würde jede unaufgeforderte Bestellung von Vertragswaren bei einem Vertriebshändler der Beklagten einen passiven Verkauf darstellen.

Damit ist die Exklusivitätsklausel "überschießend". Da die in Art. 4 b der Vertikal-GVO zu den Spiegelstrichen ausgeführten Ausnahmen von der Kernbeschränkung (sog. weiße Klauseln) Ausnahmeregeln sind, hat die überschießende Wirkung einer Kernbeschränkung (hier: Verbot auch des passiven Verkaufs) zur Folge, dass die Freistellung der gesamten Vereinbarung wegfällt (Langen/Bunte/Nolte, a.a.O. Rn. 556; Kling/Thomas, Kartellrecht, § 4 Rn. 230). Um dieses strenge Alles- oder Nichtsprinzip abzumildern, wird vertreten, dass zunächst eine geltungserhaltende Reduktion eintrete (z.B. OLG Stuttgart RdE 2002, 182, 186 f.; Canaris, Der Betrieb 2002, 930, 935; Immenga/Mestmäcker/K. Schmidt, Wettbewerbsrecht EG, Bd. 1 Teil1, 4. Aufl. Art. 81 Abs. 2 Rn. 29; Hirsch/Montag/Säcker/Jaecks, Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), Bd. 1, Art. 81 EG Rdn. 792 ff., insbes. 798). Dieser Ansicht ist jedoch nicht zu folgen. Der Bundesgerichtshof hat es grundsätzlich abgelehnt, eine nicht allein hinsichtlich der Laufzeit gegen § 138 Abs. 1 BGB verstoßende wettbewerbsbeschränkende Klausel mit einem noch zulässigen Inhalt aufrechtzuerhalten. In Bezug auf wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen finde die geltungserhaltende Reduktion dort ihre Grenze, wo es nicht nur um die Herabsetzung einer unzulässig langen Laufzeit der wettbewerbsrechtlichen Bindung gehe. Überschreite die wettbewerbsrechtlich relevante Klausel das zulässige Maß in räumlicher oder - wie im Streitfall - in gegenständlicher Hinsicht, scheide eine geltungserhaltende Reduktion aus. Es gehe in diesen Fällen nicht mehr nur darum, eine bloß quantitativ zu weitgehende, im Übrigen aber von dem anzuerkennenden Willen der Parteien getragene Regelung auf das zulässige Maß zurückzuführen. Vielmehr müsste bei einer nicht bloß aus der quantitativen Überschreitung der zulässigen Grenzen hergeleiteten Kartellwidrigkeit das Gericht auf den übrigen Inhalt des Geschäfts einwirken, um den Einklang mit der Rechtsordnung herzustellen. Das überschreite den den Gerichten eingeräumten Gestaltungsspielraum (BGH NJW 1997, 3089, 3090). Diese zutreffenden Ausführungen gelten ebenso, wenn die fragliche Vereinbarung nicht an § 138 Abs. 1 BGB, sondern an dem Verbot des Art. 81 Abs. 1 EGV zu messen ist. Daneben ist die zu § 138 Abs. 1 BGB angeführte Begründung des Bundesgerichtshofes auch insoweit sinngemäß anzuwenden, als es um generalpräventive Gründe des kartellrechtlichen Verbots geht. Durch die Drohung mit der Nichtigkeit der Klausel soll der Geschäftsverkehr davon abgeschreckt werden, überschießende Klauseln zu verwenden (OLG Düsseldorf RdE 2002, 44, 49; Immenga/Mestmäcker/Veelken, a. a. O., Vertikal-VO Rn. 318; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Baron, Kartellrecht Bd. 1 Europäisches Recht, GVO-Vertikal Rdnr. 299; Langen/Bunte/Nolte, a.a.O. ,Art. 81 Fallgruppen Vertikal-GVO Nr. 2790/1999 Rn. 525 und 666; Bechtold/Bosch/Brinker/Hirschbrunner, EG-Kartellrecht, VO 2790/1999 Art. 5 Rdn. 6; Kling/Thomas, a.a.O. § 4 Rn. 230).

Damit ist die Vertragsklausel, auf die der Verfügungsanspruch gestützt wird, unwirksam.

3. Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof ist im Eilverfahren nicht geboten.

4. Der Beklagten ist es auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf die Nichtigkeit der Exklusivvertriebsklausel zu berufen, da die kartellrechtlichen Verbotsnormen durchwegs nicht nur im Interesse einer der Vertragsparteien bestehen, sondern im öffentlichen Interesse liegen (BGH NJW-RR 1989, 998 - Schaumstoffplatten).

C) Es kann somit dahinstehen, ob der Verfügungsanspruch auch aufgrund der Kündigung vom 15.05.2007 entfallen ist, obwohl es möglicherweise vor der Kündigung noch einer Abmahnung bedurft hätte und eine solche für das Treffen der Parteien im April 2007 nicht glaubhaft gemacht erscheint.

D) Da das Rechtsmittel keinen Erfolg hat, hat die Klägerin die Kosten der Berufung zu tragen (§ 97 ZPO).

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