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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 02.03.2007
Aktenzeichen: 11 Verg 14/06
Rechtsgebiete: GWB, VOB/A


Vorschriften:

GWB § 107 Abs. 2
VOB/A § 26 Nr. 1
1. Ein schwerwiegender Grund im Sinn von § 26 Nr. 1 c) VOB/A, der die Aufhebung der Ausschreibung rechtfertigt, kann vorliegen, wenn die Ausschreibung vergaberechtswidrige Anforderungen an die Bieter enthält, die zu einer Beschränkung des Bieterkreises führen (Eigenleistungsquote von 30 % im eigenen Betrieb).

2. Kann der Mangel des Verfahrens nicht anders und allenfalls im Rahmen einer Neuausschreibung behoben werden, so ist die Aufhebung der Ausschreibung unabhängig davon geboten, ob die Vergabestelle hinsichtlich der rechtswidrigen Vergabebedingungen ein Vorwurf trifft.


Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin schrieb im Mai 2006 europaweit Bauleistungen zur Erweiterung des Streckenbeeinflussungssystems auf der BAB 5 aus.

Die Verdingungsunterlagen enthielten u.a. die "Bewerbungsbedingungen für die Vergabe von Bauleistungen im Straßen- und Brückenbau, Ausgabe 2002", Teil B Nr.6 der Bewerbungsbedingungen lautet:

"Der Bieter hat wertmäßig mindestens 30 v.H. der Teilleistungen (OZ/Positionen) des Leistungsverzeichnisses im eigenen Betrieb zu erbringen".

Gemäß Teil A Nr. 6 dieser Bewerbungsbedingungen sind von Bietern, die beabsichtigen, wesentliche Teile der Leistungen von Nachunternehmern ausführen zu lassen, im Angebot Art und Umfang der durch Nachunternehmer zu erbringenden Leistung anzugeben.

Die Antragstellerin gab unter dem 04.07.2006 ein Angebot ab und fügte eine dem Vordruck "StB-Nachunternehmer" entsprechende Nachunternehmerliste sowie den ausgefüllten Vordruck "HVA B-StB-Baustoffverzeichnis" bei. Die in dieser Tabelle aufgeführten Firmen waren in der Liste der Nachunternehmer nicht enthalten.

Mit Schreiben vom 07.09.2006, bei der Antragstellerin eingegangen am 11.09.2006, teilte die Antragsgegnerin mit, dass das Offene Verfahren nach § 26 Nr. 1 a VOB/A aufgehoben worden sei, weil kein annehmbares Angebot vorliege; nach Ausfertigung der Verdingungsunterlagen erfolge ein Nichtoffenes Verfahren nach § 3 a Nr. 3 VOB/A als öffentlicher Teilnahmewettbewerb diene das vorangegangene Offene Verfahren.

Das Angebot der Antragstellerin sei auszuschließen gewesen, da es nicht alle in den Verdingungsunterlagen geforderten Bedingungen erfülle. Die Nachvollziehbarkeit der Nachunternehmerleistungen nach Art und Umfang sei nicht gegeben.

Das Baustoffverzeichnis enthalte Firmen, die im Nachunternehmerverzeichnis nicht benannt seien.

Mit Schreiben vom 14.09.2006 rügte die Antragstellerin ihren Ausschluss und die auch hierauf gestützte Aufhebung der Ausschreibung. Ihr Nachunternehmerverzeichnis sei weder fehlerhaft noch unvollständig gewesen. Bei den im Baustoffverzeichnis und im Rahmen der Preisaufklärung angegebenen Firmen handele es sich nicht um Nachunternehmer, sondern um Lieferanten. Die Nachunternehmer seien in dem entsprechenden Verzeichnis vollständig und zutreffend benannt worden. Da ihr Angebot zu Unrecht ausgeschlossen worden sei, sei auch die Aufhebung der Ausschreibung nach § 26 Nr. 1 a VOB/A fehlerhaft.

Am 13.10.2006 erhielt die Antragstellerin die Verdingungsunterlagen der angekündigten Neuausschreibung. Eine erneute Bekanntmachung war nicht erfolgt. Auf den Nachweis eines bestimmten, von den Bietern zu erbringenden Eigenanteils verzichtete die Antragsgegnerin in den neuen Verdingungsunterlagen. Für Nachunternehmer, deren Einsatz ein Bieter beabsichtigte, wurde stattdessen die Vorlage einer Verpflichtungserklärung verlangt.

Mit Schreiben vom 24.10.2006 rügte die Antragstellerin die Neuausschreibung. Aufgrund der Rechtswidrigkeit der Aufhebung der ersten Ausschreibung sei auch die Neuausschreibung vergaberechtswidrig. Nachdem die Antragsgegnerin auch dieser Rüge nicht abgeholfen hat, leitete die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 30.10.2006 ein Nachprüfungsverfahren ein.

Die Vergabekammer hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 04.12.2006 die Antragsgegnerin verpflichtet, die Aufhebung der ersten Ausschreibung im Offenen Verfahren aufzuheben und das Offene Verfahren unter Einbeziehung (ausschließlich) des Angebotes der Antragstellerin fortzuführen.

Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt:

Der Nachprüfungsantrag sei begründet, weil für die Aufhebung der ersten Ausschreibung keine Rechtsgrundlage bestehe.

Die Aufhebung lasse sich weder auf § 26 Nr. 1 a noch auf § 26 Nr. 1 b VOB/A stützen. Die Voraussetzungen des § 26 Nr. 1 a VOB/A lägen nicht vor, weil die Antragstellerin ein wertbares Angebot vorgelegt habe. Bei richtiger Auslegung des Begriffs "Nachunternehmer" habe die Antragstellerin ein vollständiges, zutreffendes und zweifelsfreies Nachunternehmerverzeichnis vorgelegt. Die von der Antragstellerin im Baustoffverzeichnis aufgeführten Unternehmen seien keine Nachunternehmer, sondern Lieferanten. Ihre Leistungen seien auch nicht den Nachunternehmern zuzurechnen.

Auch auf den Aufhebungsgrund des § 26 Nr. 1 b VOB/A könne sich die Antragsgegnerin nicht berufen. Zwar sei eine grundlegende Änderung der Verdingungsunterlagen erforderlich gewesen, weil die erste Ausschreibung nicht den rechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2004/18/EG entsprochen habe, deren Bestimmungen nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 31.01.2006 auch ohne Umsetzung in nationales Recht unmittelbar anwendbar seien. Gemäß Art. 47 Abs. 2 dieser Richtlinie könne sich ein Wirtschaftsteilnehmer für einen bestimmten Auftrag gegebenenfalls auf die Kapazitäten anderer Unternehmer stützen. Die Forderung nach einem bestimmten Anteil von Eigenleistungen im eigenen Betrieb sei damit nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Gleichwohl könne sich die Antragsgegnerin nicht auf § 26 Nr. 1 b VOB/A berufen, weil trotz des Erfordernisses einer grundlegenden Änderung der Verdingungsunterlagen die Vorschrift keine Anwendung finde, wenn die Aufhebung letztlich dazu diene, einen von Anfang an gegebenen Verstoß der Vergabestelle gegen Vergabevorschriften zu beseitigen. Vorliegend hätte die Antragsgegnerin vor Beginn der ersten Ausschreibung bemerken müssen, dass die von ihr verwandten Bewerbungsbedingungen nicht mehr den rechtlichen Vorgaben entsprachen.

Da sich die Aufhebung der ersten Ausschreibung als rechtswidrig erweise, verstoße auch die Neuausschreibung gegen Vergaberecht, so dass die Antragsgegnerin zu verpflichten sei, die Neuausschreibung aufzuheben und das erste Ausschreibungsverfahren - nur mit der Antragstellerin - fortzusetzen.

Gegen den ihr am 05.12.2006 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 18.12.2006 sofortige Beschwerde eingelegt und diese wie folgt begründet:

Da auch die anderen Angebote unklare Angaben zu den Nachunternehmerleistungen enthielten, habe sie, die Antragsgegnerin, sich entschlossen, die Offene Ausschreibung aufzuheben und unter Verzicht auf die Eigenleistungserbringung die Ausschreibung im Nichtoffenen Verfahren neu durchzuführen.

Die Antragstellerin habe kein vollständiges Nachunternehmerverzeichnis vorgelegt.

Aufgrund der Angaben der Antragstellerin sei eine klare Abgrenzung zwischen der zu erbringenden eigenen Leistung und der durch Nachunternehmen zu erbringenden Leistungen nicht klar möglich gewesen. Die Antragstellerin habe Subunternehmerleistungen den Lieferanten zugeordnet.

Eine weitergehende Aufklärung des Inhalts des Angebotes sei nicht zulässig gewesen. Die von der Antragstellerin benannten Lieferanten seien nicht nur Lieferanten, sondern Nachunternehmer, da sie Leistungen für die Antragstellerin werkvertraglich erbringen sollten, die genau in dieser Form als Leistung ausgeschrieben gewesen seien. Aufgrund der intransparenten Angaben sei sie deshalb von dem weiteren Verfahren ausgeschlossen worden.

§ 8 a Nr. 10 VOB/A sei im Zeitpunkt der Ausschreibung noch nicht in nationales Gesetz umgesetzt und daher von ihr, der Antragsgegnerin, nicht anzuwenden gewesen. Die (Neu)Regelung schließe die Erbringung von Eigenanteilen als Bedingung aber auch nicht aus.

Wenn die Vergabekammer die Auffassung vertrete, dass die erste Ausschreibung rechtswidrig gewesen sei, widerspreche dies ihrer eigenen Begründung, wonach die Ausschreibung nicht habe aufgehoben werden dürfen. Eine Korrektur habe nur unter Beachtung des Wettbewerbsgrundsatzes und des Grundsatzes der Chancengleichheit erfolgen können, so dass die Aufhebung des Offenen Verfahrens nicht rechtswidrig gewesen sei.

Sofern sie, die Antragsgegnerin, verpflichtet werde, ihre Beurteilung hinsichtlich der Nachunternehmerleistungen zu überdenken, müsse dies für die anderen Angebote ebenfalls gelten, da eine abschließende Wertung der Angebote noch nicht erfolgt sei.

Letztendlich sei der Nachprüfungsantrag unzulässig. Obwohl die Antragstellerin bereits am 13.10.2006 von der neuen Ausschreibung gewusst habe, habe sie diese erst nach Ablauf von zwei Wochen gerügt und sei deshalb mit ihrer Rüge präkludiert.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt den Beschluss der Vergabekammer unter intensiver Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Sachvortrags.

Ergänzend wird auf die in der Beschwerdeinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin hat Erfolg. Sie führt zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung und zur Zurückweisung des Nachprüfungsantrags.

1.) Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet, soweit er sich gegen die Aufhebung der ersten Ausschreibung richtet.

a) Die Vergabekammer ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die der ersten Ausschreibung zugrundeliegenden Bewerbungsbedingungen nicht mehr dem im Zeitpunkt der Ausschreibung geltenden Vergaberecht entsprachen. Gemäß Art. 47 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18/EG kann sich ein Wirtschaftsteilnehmer für einen bestimmten Auftrag auf die Kapazitäten anderer Unternehmen berufen, wenn er nachweist, dass ihm die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, indem er beispielsweise die diesbezüglichen Zusagen dieser Unternehmen vorlegt.

Mit dieser Bestimmung ist die Voraussetzung eines bestimmten Eigenleistungsanteils im eigenen Betrieb, wie sie die Antragsgegnerin im Rahmen der ersten Ausschreibung gefordert hatte, unvereinbar (Kapellmann/Messerschmidt/Glahs, VOB Teil A und B, 2. Aufl. VOB/A, § 8 Rn. 24 m.w.N.). Die gegenteilige, von der Antragsgegnerin im Rahmen der Beschwerdebegründung vertretene Auffassung, entbehrt jeder Grundlage. Artikel 47 dient der Umsetzung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, nach der das Erfordernis von Eigenleistungsanteilen nicht zulässig ist, soweit sich der Bieter bei der Erfüllung des Auftrages der Fähigkeiten anderer Unternehmen bedienen kann (Kapellmann/Messerschmidt/Glahs, VOB/A, § 8 Rn. 24 m.w.N.).

Es kann dahinstehen, inwieweit die Richtlinie seit dem Ablauf der Umsetzungsfrist auch ohne Umsetzung in nationales Recht unmittelbare Wirkung entfaltet. Denn Art. 47 ist bereits mit dem ÖPP-Beschleunigungsgesetz durch entsprechende Änderungen in §§ 4 und 6 der Vergabeverordnung (VgV) mit Wirkung zum 01.09.2005 umgesetzt worden (vgl. auch Müller-Wrede, VergabeR 05, 693, 704; Kapellmann/Messerschmidt/Maimann a.a.O. § 6 VgV, Rn. 5). Der Gesetzgeber hat zur Umsetzung der europäischen Vorgaben § 6 Abs. 2 Nr. 2 in die VgV eingefügt. § 6 Abs. 2 Nr. 2 VgV in der seit 01.09.2005 geltenden Fassung bestimmt, dass § 8 Nr. 2 Abs. 1 und § 25 Nr. 6 VOB/A mit der Maßgabe Anwendung finden, dass der Auftragnehmer sich bei der Erfüllung der Leistung der Fähigkeiten anderer Unternehmen bedienen kann. Hierdurch ist das generelle Verbot der Generalübernehmervergabe oberhalb der Schwellenwerte obsolet geworden.

Der in den Verdingungsunterlagen der ersten Ausschreibung vorgesehene Eigenleistungsanteil von 30 % war damit bei Einleitung des Vergabeverfahrens vergaberechtswidrig.

Durfte die Antragsgegnerin aber einen bestimmten Eigenleistungsanteil von den Bietern nicht mehr fordern, so kommt es nicht darauf an, ob die Antragstellerin die vorgesehene Quote von 30 % erreicht und insbesondere, ob es sich bei denjenigen Firmen, die von ihr im Baustoffverzeichnis aufgeführt worden sind, um Subunternehmer oder Lieferanten handelt. Ein Ausschluss der Antragstellerin gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 b VOB/A war - ebenso wie der Ausschluss anderer Angebote - unzulässig, weil die Vergabestelle nicht die Einhaltung vergaberechtswidriger Vergabebedingungen fordern darf.

b) Gleichwohl hat die Rüge der Antragstellerin keinen Erfolg, weil die Aufhebung der ersten Ausschreibung unter den gegebenen Umständen zwingend erforderlich war.

aa) Zu Recht ist die Vergabekammer allerdings davon ausgegangen, dass die Aufhebung der Ausschreibung vorliegend nicht auf § 26 Abs. 1 a VOB/A gestützt werden konnte. Selbst wenn keiner der Bieter über einen Eigenleistungsanteil von 30 % verfügte und damit kein Angebot den Ausschreibungsbedingungen entsprochen hätte, kann sich die Vergabestelle darauf nicht berufen, weil die entsprechende Anforderung in den Vergabeunterlagen im maßgeblichen Zeitpunkt vergaberechtswidrig war.

bb) Zutreffend hat die Vergabekammer auch gesehen, dass § 26 Abs. 1 b VOB/A grundsätzlich nur eingreift, wenn die Aufhebung der gesamten Ausschreibung auf Tatsachen gestützt wird, die erst nach Versendung der Verdingungsunterlagen eingetreten oder dem Auftraggeber bekannt geworden sind, ohne dass seine vorherige Unkenntnis auf mangelhafter Vorbereitung (Fahrlässigkeit) beruhte.

cc) Eine Aufhebung kann jedoch gemäß § 26 Abs. 1 c VOB/A ausnahmsweise gerechtfertigt sein, wenn der rechtliche Fehler eines Vergabeverfahrens von so großem Gewicht ist, dass die Fortsetzung des Verfahrens mit den Bindungen des öffentlichen Auftraggebers an Gesetz und Recht nicht zu vereinbaren wäre und andererseits von den Bietern, insbesondere auch mit Blick auf die Schwere des Fehlers, erwartet werden kann, dass sie auf die rechtlichen und tatsächlichen Bindungen des Ausschreibenden Rücksicht nehmen (BGH VergabeR 01, 293; OLG München, Beschluss vom 27.01.2006 - Verg 1/06; OLG Dresden, VergabeR 06, 793).

So liegt der Fall auch hier. Infolge der unzulässigen Bedingung des Ausschreibungsverfahrens kommt eine Vergabe auf der Grundlage der ursprünglichen Verdingungsunterlagen nicht in Betracht. Der Mangel konnte nicht etwa dadurch beseitigt werden, dass die Vergabestelle im Rahmen der laufenden Ausschreibung auf das (ursprüngliche) Erfordernis eines Eigenleistungsanteils von 30 % verzichtet. Zwar wäre ein solcher Verzicht möglicherweise gegenüber den Teilnehmern der Ausschreibung denkbar. Entscheidend ist aber, dass durch das Erfordernis eines bestimmten Eigenleistungsanteils diejenigen Wettbewerber, die sich von vornherein nur der Leistungsfähigkeit Dritter bedient hätten, durch die rechtswidrige Bedingung an einer Bewerbung gehindert wurden.

Dies hat auch die Vergabekammer zutreffend gesehen und - in anderem Zusammenhang - die Notwendigkeit einer Neuausschreibung bejaht, weil sich aufgrund der vorzunehmenden Änderung - Wegfall des Eigenleistungsanteils - der Bieter - bzw. Bewerberkreis ändern könne. Durch den Verzicht werde der Bewerberkreis auf diejenigen Unternehmer erweitert, die mehr als 70 % der zu erbringenden Leistung an Nachunternehmer vergeben wollten. Eine Korrektur des Fehlers des ursprünglichen Ausschreibungsverfahrens durch einen Verzicht ausschließlich gegenüber den Bietern, die Angebote bereits abgegeben hatten, wäre danach nicht ohne Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz des § 97 Abs. 1 GWB möglich gewesen, weil das Ausschreibungsverfahren auf Dauer unter einer unzulässigen Beschränkung des Bewerberkreises auf solche Unternehmer gelitten hätte, die mindestens 30 % der zu erbringenden Leistung im eigenen Betrieb erbringen können.

Scheidet aber bei der Frage, welche Maßnahmen zur Korrektur des der Ausschreibung von Anfang an anhaftenden Fehlers in Betracht kommen, jeglicher Ermessensspielraum des Auftraggebers und jegliche andere Alternative als eine Aufhebung der Ausschreibung aus, so erweist sich die von der Antragsgegnerin vorgenommene Aufhebung im Ergebnis ungeachtet dessen als gerechtfertigt, dass sie - zunächst - mit einer nicht tragfähigen Begründung vorgenommen worden ist.

Die abweichende Auffassung der Vergabekammer und des Vertreters der Antragstellerin würde darauf hinauslaufen, dass die Vergabestelle "sehenden Auges" ein als rechtswidrig erkanntes - nicht aber absichtlich so durchgeführtes - Vergabeverfahren zu Ende führen müsste.

Ein solches Ergebnis, das mit Recht und Gesetz schlechterdings unvereinbar wäre, folgt auch nicht aus der von dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin angeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Die Frage, ob die Vergabestelle einen der in § 26 Nr. 1 a -c) VOB/A genannten Gründe für ihre Aufhebung heranziehen kann, hat ersichtlich nichts mit der Frage zu tun, ob sie durch eigenes, nicht sorgfältiges Handeln den Aufhebungsgrund selbst schuldhaft gesetzt hat (Kapellmann/Messerschmidt/Dähne, a.a.O. §26Rn. 26; OLG Nürnberg NJW 86, 437).

Der Senat setzt sich entgegen der Auffassung des Antragstellervertreters mit der Entscheidung auch nicht an die Stelle des Auftraggebers. Zum einen hat sich der Auftraggeber selbst für die Neudurchführung des Vergabeverfahrens und die Aufhebung des alten Verfahrens entschieden, zum anderen kommt vorliegend ersichtlich keine andere (rechtmäßige) Entscheidung in Betracht, so dass der Antragsgegnerin auch im Fall einer bloßen Zurückverweisung der Sache nur der Weg der Aufhebung der Ausschreibung geblieben wäre. Schließlich hat sich die Vergabestelle aber zumindest hilfsweise auf einen Aufhebungsgrund nach § 26 Nr. 1 c) VOB/A gestützt, indem sie geltend gemacht hat, die Aufhebung der Ausschreibung müsse - entgegen der Auffassung der Vergabekammer - erst recht gerechtfertigt sein, wenn die Verdingungsunterlagen vergaberechtswidrige Anforderungen enthielten. Diese Gesichtspunkte sind im Vorbringen der Antragstellerin unberücksichtigt geblieben.

Nach allem erweist sich der gegen die Aufhebung der ersten Ausschreibung gerichtete Nachprüfungsantrag deshalb als unbegründet.

2.) Auch die gegen die Neuausschreibung gerichtete Rüge hat keinen Erfolg.

Zutreffend ist die Vergabekammer davon ausgegangen, dass die Neuausschreibung nicht ohne nochmalige vorherige Bekanntmachung durchgeführt werden durfte. Gemäß § 3 a Nr. 6 a VOB/A ist ein Verhandlungsverfahren ohne Öffentliche Vergabebekanntmachung zulässig, wenn bei einem Offenen Verfahren keine annehmbaren Angebote abgegeben worden sind, sofern die ursprünglichen Verdingungsunterlagen nicht grundlegend geändert werden und in das Verhandlungsverfahren alle Bieter aus dem vorausgegangenen Verfahren einbezogen werden, die fachkundig, zuverlässig und leistungsfähig sind.

Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Weder sind "keine annehmbaren Angebote abgegeben worden" noch sind "die ursprünglichen Verdingungsunterlagen nicht grundlegend geändert" worden. Auf die fehlende Annehmbarkeit der abgegebenen Angebote kann sich die Antragsgegnerin nicht berufen, weil das Erfordernis eines Eigenleistungsanteils von 30 % vergaberechtswidrig ist. Gerade der Wegfall dieses Erfordernisses im Rahmen der zweiten Ausschreibung stellt eine grundlegende Änderung der Verdingungsunterlagen dar, weshalb eine Ausschreibung im Verhandlungsverfahren ohne öffentliche Vergabebekanntmachung hier auch aus diesem Grund ausscheidet. Die Vergabekammer ist deshalb zu Recht davon ausgegangen, dass die Neuausschreibung vergaberechtswidrig ist.

b) Der Nachprüfungsantrag bleibt gleichwohl ohne Erfolg, weil die Antragstellerin nicht darlegen kann, dass ihr durch die vergaberechtswidrige Neuausschreibung ein Schaden droht oder entstanden ist (§ 107 Abs. 2 GWB). Die Antragstellerin wird durch den Vergabeverstoß in keiner Weise beeinträchtigt, weil sie zum Kreis der teilnahmeberechtigten Bieter zählt und sich im Rahmen der Neuausschreibung erneut um den Auftrag bewerben kann.

Ein Nachteil der Antragstellerin wäre nur denkbar, wenn sie im Rahmen der ersten Ausschreibung mit einem wertungsfähigen Angebot - vergaberechtswidrig - ausgeschlossen worden wäre und sich ihre Chancen auf Erteilung des Zuschlags im Rahmen der 2. Ausschreibung verschlechtern könnten. Ein dadurch bedingter Nachteil der Antragstellerin scheidet aber aus, weil die Aufhebung der ersten Ausschreibung infolge der Vergaberechtswidrigkeit der Verdingungsunterlagen zwingend geboten war. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch darauf, dass das erste, unter vergaberechtswidrigen Bedingungen durchgeführte Vergabeverfahren mit ihr als einzig verbliebener Bieterin zu Ende geführt wird. Ihr fehlt damit die Antragsbefugnis.

3.) Da der Nachprüfungsantrag damit erfolglos bleibt, waren der Antragstellerin die Kosten beider Instanzen gemäß § 91 Abs. 1 ZPO entsprechend aufzuerlegen.

Der Streitwert war gem. § 50 Abs. 2 GKG auf 5% der Bruttoauftragssumme festzusetzen.

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