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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 10.06.2008
Aktenzeichen: 11 Verg 3/08
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB § 107
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin gab am 4.10.2007 die Vergabe von Bauarbeiten für die Straßenbahnanbindung "Frankfurter Bogen" in der Stadt ... europaweit bekannt.

In der Bekanntmachung wurde unter der Überschrift

Abschnitt III: Rechtliche, wirtschaftliche, finanzielle und technische Informationen u.a. ausgeführt:

III 2)

Teilnahmebedingungen

III 2. 1)

Persönliche Lage des Wirtschaftsteilnehmers ...

Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit:

- Mindestkriterien gemäß VOB/A, § 5 SKR; ...

Technische Leistungsfähigkeit:

Angaben und Formalitäten, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Auflagen zu überprüfen: Gemäß der Ausschreibungsunterlagen.

Am 8.11.2007 veröffentlichte die Antragsgegnerin ebenfalls im Supplement zum Amtsblatt der EU "Ergänzende Angaben".

Darin heißt es u.a.:

Anstatt:

III 2.2) Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit:

Mindestkriterien gemäß VOB/A, § 5 SKR

muss es heißen:

III 2.2) Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit:

Mindestkriterien gemäß §§ 8, 8 b VOB/A.

Mit Schreiben vom 16.11.2007 übersandte die Antragsgegnerin allen Bietern eine Auflistung der einzureichenden Unterlagen. Dort wird unter Kabeltiefbauarbeiten aus Los 1, 5 und 6 aufgeführt:

RAL-GZ 962, Gütesicherung.

Mit Telefax vom 11.2.2008 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin, die neben anderen Bietern ein Angebot abgegeben hatte, gemäß § 13 VgV darüber, dass sie beabsichtige, ihr den Zuschlag zu erteilen.

Nachdem eine weitere Bieterin die beabsichtigte Auftragsvergabe mit der Begründung gerügt hatte, das Angebot der Antragstellerin sei unvollständig, weil diese nicht über den geforderten Qualitätsnachweis RAL-GZ 962 verfüge, erkundigte sich ein Vertreter der Antragsgegnerin am 15.2.2008, ob sie über die geforderte Gütesicherung verfüge. Daraufhin übersandte die Antragstellerin das Gütezertifikat der A GmbH, der Tochtergesellschaft eines Mitglieds der Bietergemeinschaft sowie eine Erklärung über die Rückgriffsmöglichkeiten der Antragstellerin auf deren Ressourcen.

Unter dem 19.2.2008 teilte die Antragsgegnerin den Bietern mit, die Ausschreibung werde aufgehoben, weil kein Angebot eingegangen sei, das den Ausschreibungsbedingungen entspreche und ein anderer schwerwiegender Grund in Form der Unwirtschaftlichkeit einer Bezuschlagung bestehe.

Mit Telefax vom selben Tag teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie ihr Angebot von der Wertung habe ausschließen müssen, weil sie nicht über das geforderte Zertifikat RAL-GZ 962 verfüge.

Mit Schreiben vom 21.2.2008 rügte die Antragstellerin die Aufhebung des offenen Verfahrens und machte geltend, ihr Angebot sei annehmbar und bezuschlagbar. Die Forderung eines Gütezeichens verstoße in einem europaweit durchgeführten Wettbewerb gegen das Diskriminierungsverbot, da es sich um eine rein nationale Zertifizierung handele. Der Nachweis habe überdies nicht verlangt werden dürfen, weil er nicht bereits in der Bekanntmachung gefordert worden sei. Der Grund für die Aufhebung des offenen Verfahrens sei in keiner Weise für sie nachvollziehbar. Da die Antragsgegnerin der Rüge nicht abgeholfen hat, leitete die Antragstellerin am 4.3.2008 ein Nachprüfungsverfahren ein.

Die Antragstellerin hat beantragt,

1. die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Aufhebung des Vergabeverfahrens Offenes Verfahren nach VOB, Bau der Verkehrsanlage Straßenbahnanbindung "Frankfurter Bogen" - Amtsblatt der EU 2007/S 191 - 232879; Az. der Antragsgegnerin VGF 17/07 - zurückzunehmen und das ursprüngliche Verfahren mit dem Stand der Bieterinformation an die Antragstellerin vom 11.2.2008 wieder aufzunehmen.

2. die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Ausschlussentscheidung gegenüber der Antragstellerin zurückzunehmen und die Antragstellerin wieder zum Verfahren zuzulassen,

3. hilfsweise, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die von der Vergabekammer festgestellten Rechtsverletzungen zu beseitigen,

4. festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt ist.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

die Anträge abzuweisen.

Die Vergabekammer hat die Nachprüfungsanträge mit Beschluss vom 22.4.2008 zurückgewiesen.

Wegen der Begründung der Entscheidung wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, die meint, die Vergabekammer sei zu Unrecht der Auffassung, sie, die Antragstellerin, habe ihre Rügeobliegenheit verletzt. Die Vergabekammer habe ihr allein auf Grund der Beschäftigung eigener Justitiare eine gesteigerte Rechtskenntnis unterstellt und sei davon ausgegangen, dass sie, die Beschwerdeführerin, Kenntnis bezüglich sämtlicher Vergaberechtsverstöße zum frühest möglichen Zeitpunkt hatte. Alleine aus der Tatsache, dass es sich bei den Mitgliedern der Antragstellerin um große Unternehmen mit eigenen Rechtsabteilungen handele, könne jedoch nicht geschlussfolgert werden, dass damit auch automatisch Vergaberechtsverstöße zum frühest möglichen Zeitpunkt erkannt werden.

Nachdem sie, die Beschwerdeführerin, am 19.2.2008 über die Aufhebung des offenen Verfahrens und den Ausschluss ihres Angebotes informiert worden war, habe sie dies nach rechtlicher Beratung unverzüglich am 21.2.2008 gerügt. Der Umstand, dass die Forderung eines nationalen RAL-Gütezeichens gegen das vergaberechtliche Diskriminierungsverbot verstoße, sei für sie trotz der Erkenntnis über den Sachverhalt ohne anwaltlichen Rat nicht erkennbar gewesen. Ebenso wenig habe sie erkennen können, dass die konkrete Anforderung des Gütezeichens bereits in der Bekanntmachung hätte erfolgen müssen. Die pauschale Unterstellung der Vergabekammer berücksichtige weder die tatsächlichen Gegebenheiten, noch stelle sie auf die individuellen Verhältnisse der Beschwerdeführerin zur Erkennung der Vergaberechtsverstöße ab. So bleibe unberücksichtigt, ob und wenn ja, ab wann Justitiare der Beschwerdeführerin in das Vergabeverfahren eingebunden gewesen seien, sowie ob es sich hierbei um Juristen mit einer vergaberechtlichen Spezialisierung handele. Den Maßstab für die Erkennbarkeit eines Vergaberechtsverstoßes bildeten jedoch die individuellen Verhältnisse. Für sie, die Beschwerdeführerin, seien die Vergaberechtsverstöße erst nach Einholung von anwaltlichem Vergaberechtsrat individuell erkennbar gewesen.

Die Vergabekammer habe auch nicht berücksichtigt, dass die Antragsgegnerin durch ihr Verhalten während der Ausschreibung bei der Beschwerdeführerin einen Vertrauenstatbestand geschaffen habe, an den sie anschließend auch gebunden sei. Begründet worden sei das Vertrauen durch die Entgegennahme des nachgereichten RAL-Zertifikates. Vor dem Hintergrund, dass ihr, der Antragstellerin, bereits 3 Tage vor dem Telefonat mitgeteilt wurde, dass die Zuschlagserteilung auf ihr Angebot beabsichtigt sei, habe sie die Aufforderung zur Nachreichung des Gütezertifikats gar nicht anders verstehen können. Der anschließende Ausschluss vom Vergabeverfahren sei vor diesem Hintergrund völlig überraschend erfolgt.

Schließlich bemängelt die Antragstellerin die Dokumentation des Vergabeverfahrens, weil aus den Unterlagen nicht zu erkennen sei, welche Begründungen den Entscheidungen der Antragsgegnerin bei der Angebotwertung zugrunde lägen.

Die Antragstellerin beantragt,

1. die Entscheidung der 1. Vergabekammer des Landes Hessen beim Regierungspräsidium Darmstadt vom 24. April 2007 - Az.: 69 d - VK - 12/2008 aufzuheben,

2. die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, die Aufhebung des Vergabeverfahrens Offenes Verfahren nach VOB, Bau der Vekehrsanlage Straßenbahnanbindung "Frankfurter Bogen" - Amtsblatt der EU 2007/S 191- 232879; Az. der Antragsgegnerin VGF 17/07 - zurückzunehmen und das ursprüngliche Verfahren mit dem Stand der Bieterinformation an die Antragstellerin vom 11.02.2008 wiederaufzunehmen,

3. die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, die Ausschlussentscheidung gegenüber der Antragstellerin zurückzunehmen und die Antragstellerin wieder zum Verfahren zuzulassen,

4. hilfsweise, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die von dem angerufenen Gericht festgestellten Rechtsverletzungen zu beseitigen,

5. festzustellen, dass die Beschwerdeführerin in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt ist,

sowie

gemäß § 118 Abs. 1 S. 3 GWB die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über die Beschwerde zu verlängern.

Die Antragsgegnerin beantragt im Eilverfahren,

den Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung zurückzuweisen.

Sie tritt der sofortigen Beschwerde entgegen, verteidigt den angefochtenen Beschluss und beruft sich auf ein besonderes Eilbedürfnis bei der Auftragserteilung.

II.

Der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung, über den allein im Eilverfahren zu entscheiden war, hat Erfolg. Beim derzeitigen Sach- und Streitstand kann nicht festgestellt werden, dass die sofortige Beschwerde aller Wahrscheinlichkeit nach unzulässig oder unbegründet ist oder die nachteiligen Folgen einer Zuschlagsverzögerung eindeutig überwiegen (§ 118 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 GWB).

1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere in gesetzlicher Frist und Form eingelegt und begründet worden ( §§ 116, 117 GWB).

2. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

a) Die Antragstellerin ist antragsbefugt, weil sie ein Interesse am Auftrag hat und ihr durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht (§ 107 Abs. 2 GWB).

Ihr Interesse am Auftrag hat die Antragstellerin durch Abgabe eines Angebots gezeigt. Der Antragstellerin droht durch die behauptete Rechtsverletzung auch ein Schaden, weil sie ohne den - nach ihrer Ansicht vergaberechtswidrigen - Ausschluss vom Vergabeverfahren Aussichten auf Erteilung des Zuschlags hätte.

b) Die Antragstellerin hat zumindest einen Vergabeverstoß unverzüglich gerügt (§ 107 Abs. 3 S. 1 GWB). Mit Schreiben vom 21.02.2008 rügte der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin u.a., der Nachweis des Gütezeichens RAL -GZ 962 habe nicht verlangt werden dürfen, weil er nicht bereits in der Bekanntmachung verlangt worden sei. Diese Rüge ist nicht präkludiert.

Auf Grund der Bekanntmachung vom 04.10. oder der ergänzenden Angaben vom 08.11.2007 war der gerügte Verstoß - wie die Vergabekammer zutreffend ausgeführt hat - nicht erkennbar. Die Antragsgegnerin hat erst in den Verdingungsunterlagen und in ihrem Bieteranschreiben vom 16.11.2007 für Kabeltiefbauarbeiten aus Los 1, 5 und 6 konkret den Gütesicherungsnachweis RAL GZ 962 verlangt. Die Rüge vom 21.02.2008 wäre deshalb nur dann nicht mehr unverzüglich im Sinne von § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB, wenn die Antragstellerin den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften bereits aufgrund des Schreibens der Antragsgegnerin vom 16.11.2007 oder den Anforderungen in den Verdingungsunterlagen erkannt hätte.

Davon kann - entgegen der Auffassung der Vergabekammer - nicht ausgegangen werden.

Die Rügeverpflichtung erfordert nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB die positive Kenntnis eines Rechtsverstoßes. Hierzu gehört zum einen das Wissen von denjenigen Tatsachen, aus denen sich der Rechtsverstoß ableitet, und zum anderen, dass diese jedenfalls nach der gängigen praktischen Handhabung oder einer Parallelwertung in der Laiensphäre zu einem Verstoß gegen Vergabevorschriften führen. Vermutungen, Zweifel und grob fahrlässige Unkenntnis reichen nicht aus (BayObLG, OLGR München 2004, 256; VK Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 21.08.2007, Az.: VK 31/07 zit. nach juris). Da die Forderung nach dem konkreten RAL -Gütezeichen nicht in der Bekanntmachung, sondern erst in den Verdingungsunterlagen bzw. dem Schreiben vom 16.11.2007 enthalten war, muss der Antragstellerin die positive Kenntnis der tatsächlichen Umstände und der sich daraus ableitenden rechtlichen Schlüsse nachgewiesen werden (OLG München, VergabeR 2007, 546).

Zwar ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin Kenntnis der tatsächlichen Umstände, aus denen sich der behauptete Vergabeverstoß ergibt, bereits aufgrund der Verdingungsunterlagen und des Schreibens vom 16.11.2007 hatte, weil bei einem Vergleich mit den Angaben und ergänzenden Angaben der Bekanntmachung unschwer zu erkennen war, dass die Antragsgegnerin einen bestimmten Eignungsnachweis forderte, der in der Bekanntmachung nicht genannt wurde.

Damit ist indes nicht schon die positive Kenntnis der Antragstellerin von einer Rechtsverletzung erwiesen. Ein Verstoß lässt sich weder im Rahmen einer Parallelwertung in der Laiensphäre noch durch bloßes Lesen des einschlägigen Normtextes und einen Vergleich mit den Verdingungsunterlagen erkennen. Wie die Vergabekammer zutreffend ausführt, ist für die Beanstandung vielmehr die Kenntnis der vergaberechtlichen Rechtsprechung erforderlich, die herausgearbeitet hat, dass der Auftraggeber Eignungsanforderungen grundsätzlich in der Bekanntmachung festlegen muss und diese in den Verdingungsunterlagen grundsätzlich nur noch konkretisieren darf. Ein derartiges Wissen kann bei der Antragstellerin aber nicht ohne weiteres deshalb unterstellt werden, weil ihre Mitglieder große Bauunternehmen mit eigener Rechtsabteilung sind, die ständig an Ausschreibungen für Bauleistungen teilnehmen. Für die Annahme, die Antragstellerin habe den von ihrem Verfahrensbevollmächtigten mit Schreiben vom 21.02.2008 gerügten Verstoß bereits im Vergabeverfahren erkannt und nicht unverzüglich gerügt, reicht die Feststellung allein, dass es sich um eine Bietergemeinschaft bestehend aus zwei großen Bauunternehmungen mit eigenen Rechtsabteilungen und Erfahrung in Vergabeverfahren handelt, nicht aus. Insbesondere trägt dieser Gesichtspunkt nicht die Schlussfolgerung, dass etwaige Verstöße gegen Vergabevorschriften zwangsläufig sofort von den Rechtsabteilungen erkannt worden sind und gerügt werden müssen (VK Bund, Beschluss v. 19.07.1999, Az.: VK 2 - 14/99). Das gilt insbesondere vom Vergaberecht, das nicht nur ständigen Veränderungen unterliegt, sondern maßgeblich durch eine selbst für Fachleute nur schwer überschaubare Vielzahl von Entscheidungen der Vergabekammern und Gerichte geprägt wird.

Zwar mag einiges dafür sprechen, dass fachkundige Mitarbeiter von Unternehmen, die sich regelmäßig an Ausschreibungen beteiligen, anwaltliche Hilfe vor allem beim Erkennen außergewöhnlicher Verstöße benötigen werden und bei Großunternehmen mit eigener Rechtsabteilung in der Regel "der hausinterne Sachverstand" zum Erkennen von Vergabeverstößen genügen wird ( so jurisPK -VergR/Summa, § 107 GWB, Rn. 133 ). Entscheidend bleiben jedoch stets die Umstände des Einzelfalles und die individuellen Erkenntnismöglichkeiten

Dem Erfordernis, dass der Antragstellerin positive Kenntnis nachgewiesen werden muss, wird die Vergabekammer jedoch schon deshalb nicht gerecht, weil sie deren Kenntnis aufgrund der Unternehmensgröße - so wörtlich - unterstellt hat.

Das erscheint vorliegend umso weniger tragfähig, als nicht von einer gängigen praktischen Handhabung und einer verbreiteten Kenntnis der Rechtslage ausgegangen werden kann. Die in Rede stehenden Rechtsfragen waren bislang - soweit ersichtlich - nur Gegenstand vereinzelter Entscheidungen und sind durchaus unterschiedlicher Bewertung zugänglich. Erscheint vor diesem Hintergrund die positive Kenntnis der Rechtslage zumindest zweifelhaft, so kann positive Kenntnis bei der Antragstellerin aufgrund der Verdingungsunterlagen nicht als bewiesen angesehen werden.

Es ist deshalb nicht zu beanstanden, dass die Antragstellerin den Verstoß erst mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 21.02.2008 gerügt hat, nachdem sie von ihrem Ausschluss und der Aufhebung des Vergabeverfahrens erfahren hat, weil sie vor Erhalt dieser Information keinen Anlass zur Einholung fachanwaltlichen Rechtsrats hatte.

3. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.

Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin zu Unrecht vom Vergabeverfahren ausgeschlossen, weil sie mit ihrem Angebot nicht auch den geforderten Gütesicherungsnachweis RAL-GZ 962 vorgelegt hat. Die Anforderung des Gütenachweises war vergaberechtswidrig, der Ausschluss der Antragstellerin durfte deshalb nicht auf den fehlenden Nachweis gestützt werden.

Der Senat vermag die Auffassung der Vergabekammer, wonach die Antragsgegnerin die hinsichtlich der geforderten Qualitätssicherungsnachweise unvollständige Bekanntmachung vom 4.10.2008 durch die späteren "ergänzenden Angaben" in dem hier entscheidenden Punkt berichtigt hat, nicht zu teilen.

Zwar geht die Vergabekammer zutreffend davon aus, dass der Auftraggeber in der Vergabebekanntmachung anzugeben hat, welche Nachweise zur Darlegung der Eignung von den Bewerbern vorzulegen sind. Danach hat er nur noch die Wahl festzulegen, ob die Nachweise mit dem Angebot oder (erst) auf Anforderung einzureichen sind (§§ 17 Nr. 1 Abs. 1 lit.s, 8 Nr. 3 Abs. 3 VOB/A). Er ist an seine Festlegungen gebunden und darf bei den Eignungsanforderungen in den Verdingungsunterlagen keine Nachforderungen stellen, sondern die auf Grund der Vergabebekanntmachung verlangten Eignungsnachweise nur konkretisieren (OLG Düsseldorf IBR 2007, 44, VergabeR 07, 200). Zweifellos war in der ersten Bekanntmachung vom 4.10.2007 kein Hinweis auf erforderliche Nachweise zur Darlegung der Eignung der Bewerber enthalten. Aber auch die "ergänzenden Angaben" vom 8.11.2007 waren bei weitem nicht konkret genug, um von einer "Berichtigung" der ursprünglichen Bekanntmachung auszugehen.

Das folgt zum einen daraus, dass die ergänzenden Angaben zu der Gliederung Position III. 2.) "Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit" erfolgten, während der geforderte Qualitätsnachweis RAL -GZ 962 die fachliche Eignung betrifft, die in den ergänzenden Angaben überhaupt nicht angesprochen war. Darüber hinaus ist der Hinweis auf die Mindestkriterien gemäß §§ 8, 8b VOB/A so pauschal und unbestimmt, dass er gar nicht konkretisierungsfähig ist (OLG Düsseldorf a.a.O.). § 8 Nr. 3 VOB zählt eine Vielzahl von Kriterien und möglicher zu fordernder Nachweise auf, dass die bloße Zitierung der Vorschrift in der Bekanntmachung dem Erfordernis, die geforderten Nachweise in der Bekanntmachung anzugeben, nicht gerecht wird. Mithin verletzt der Umstand, dass die Antragsgegnerin erstmals in den Verdingungsunterlagen bzw. ihrem Schreiben vom 16.11.2007 einen Gütesicherungsnachweis gefordert hat, vergaberechtliche Bestimmungen (§§ 8 b, 17 VOB/A).

War die Antragsstellerin nicht gehalten, den geforderten Nachweis vorzulegen, so schadet es ihr auch nicht, wenn sie - auf Verlangen der Antragsgegnerin - einen anderen, nicht genügenden Nachweis vorgelegt hat. Insbesondere kann in dem Verhalten der Antragstellerin aber auch keine Billigung des von der Antragsgegnerin gewählten Verfahrens gesehen werden.

Die Forderung ist vergaberechtlich zu beanstanden und infolgedessen nicht wirksam, denn sie stellt keine bloße Konkretisierung dar. Mithin durfte die Antragsgegnerin die Antragstellerin nicht wegen fehlender geforderter Unterlagen vom Vergabeverfahren ausschließen ( § 25 Abs. 1 Nr. 1 b) VOB/A).

4. Da die Antragstellerin weiter am Vergabeverfahren zu beteiligen ist, kann sie sich auch gegen die Aufhebung des Verfahrens insgesamt wenden.

Auch insoweit verspricht der Nachprüfungsantrag Erfolg.

a) Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Die Aufhebung der Ausschreibung kann Gegenstand eines Nachprüfungsverfahren sein. Die Antragstellerin beanstandet, dass Aufhebungsgründe im Sinne von § 26 VOB/A nicht bestehen. Die Antragstellerin hat die Aufhebung der Ausschreibung mit anwaltlichem Schreiben vom 21.02.2008 unverzüglich gerügt, nachdem die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 19.02.2008 den Bietern mitgeteilt hatte, dass die Ausschreibung aufgehoben wird. Dass der Antragstellerin durch die Aufhebung der Ausschreibung ein Schaden entstehen kann, hat sie ausreichend dargelegt. Denn bei Fortsetzung des Vergabeverfahrens hat sie Aussicht auf Erteilung des Zuschlags, während nicht auszuschließen ist, dass sich diese Aussicht im Rahmen eines neuen Vergabeverfahrens verschlechtern könnte.

b) Der Nachprüfungsantrag erscheint nach derzeitiger Erkenntnismöglichkeit auch begründet. Soweit die Antragsgegnerin die Aufhebung der Ausschreibung damit begründet hat, es sei kein Angebot eingegangen, das den Ausschreibungsunterlagen entspricht, trifft diese Bewertung jedenfalls bei Einbeziehung des Angebots der Antragstellerin nicht zu , auf das die Antragsgegnerin den Zuschlag ursprünglich auch erteilen wollte.

Zur Frage der Unwirtschaftlichkeit einer Bezuschlagung fehlt bislang eine nachvollziehbare Begründung der Antragsgegnerin. Gründe sind, insbesondere bei Einbeziehung des Angebots der Antragstellerin, auch nicht ohne weiteres ersichtlich, so dass nicht auszuschließen ist, dass die Aufhebung der Ausschreibung Rechte der Antragstellerin verletzt und deshalb aufzuheben sein wird.

5.

a) Da der Nachprüfungsantrag aus den dargelegten Gründen jedenfalls nicht von vornherein erfolglos erscheint, braucht der Senat derzeit nicht auf die weiteren Rügen der Antragstellerin einzugehen. Allerdings spricht viel dafür, dass sie aus den von der Vergabekammer angeführten Gründen erfolglos bleiben dürften.

b) Soweit die Antragsgegnerin meint, selbst bei Berücksichtigung des Angebots der Antragstellerin könne dieser nicht der Zuschlag erteilt werden, weil dann das Angebot der Bietergemeinschaft B zum Zuge kommen würde, steht dieser Einwand einem Erfolg des Nachprüfungsverfahrens nicht entgegen. Diese Bietergemeinschaft ist weder am vorliegenden Nachprüfungsverfahren beteiligt, noch hat sie sich - soweit ersichtlich - gegen ihren Ausschluss im Rahmen eines eigenen Nachprüfungsverfahrens gewandt. Selbst wenn sie am weiteren Vergabeverfahren noch beteiligt sein sollte, bietet das vorliegende Vergabeverfahren weder Anlass noch Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses dieser Bietergemeinschaft zu prüfen.

6. Die Abwägung der Erfolgsaussichten des Nachprüfungsverfahrens und des Interesses der Antragsgegnerin an einer zügigen Auftragserteilung rechtfertigt es im Hinblick auf die verhältnismäßig geringe, noch hinnehmbare Verzögerung nicht, den Interessen der Antragsgegnerin und der Allgemeinheit vor denjenigen der Antragstellerin den Vorzug zu geben.

Ende der Entscheidung

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