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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 21.05.2002
Aktenzeichen: 13 AR 4/02
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, GVG


Vorschriften:

ZPO § 36
ZPO § 348
ZPO § 36 Nr. 6
ZPO § 281 Abs. 2
BGB §§ 549 f
GVG § 23 Nr. 2 a
Ein Verweisungsbeschuss ist schon dann nicht bindend, wenn ohne substantielle Begründung von einer seit langem herrschenden Rechtsauffassung abgewichen wird.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

13 AR 4/02

Verkündet am 21.05.2002

in dem Prozesskostenhilfeverfahren ...

hier: Gerichtsstandsbestimmung

Der 13. Zivilsenat in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main hat in der Beratung am 21. Mai 2002 durch die Richter am Oberlandesgericht ... beschlossen:

Tenor:

Als das sachlich zuständige Gericht wird das Landgericht Darmstadt bestimmt.

Gründe:

Die Antragstellerin sucht mit beim Landgericht Darmstadt am 04. Februar 2002 eingegangenem Schriftsatz um Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Klageverfahrens nach, in welchem sie den Antragsgegner aus Pachtvertrag betreffend Gaststätte nebst Wohnung, gelegen in B... (Odenwald), auf Zahlung von EUR 43.907,26 nebst Zinsen, nämlich Pachtzins für den Zeitraum August 1999 bis Juli 2001 nebst abgerechneten Nebenkosten für die Kalenderjahre 1999 und 2000 in Anspruch nehmen will.

Der Einzelrichter der 4. Zivilkammer wies die Parteien mit Schreiben vom 07.02.2002, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, auf die seiner Rechtsansicht nach fehlende sachliche Zuständigkeit des Landgerichtes hin und regte Verweisungsantrag an. Die Antragstellerin beantragte hierauf unter Bezugnahme auf das vorbezeichnete Schreiben die Verweisung des Rechtsstreites an das Amtsgericht Michelstadt.

Mit Beschluss vom 04. März 2002 hat sich der Einzelrichter der 4. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Antragstellerin an das Amtsgericht Michelstadt verwiesen.

Mit Beschluss vom 09. April 2002, auf dessen Inhalt gleichfalls verwiesen wird, hat das Amtsgericht Michelstadt die Übernahme des Verfahrens wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit abgelehnt und die Akten dem Oberlandesgericht Frankfurt (bei den Zivilsenaten in Darmstadt am 30. April 2002 eingegangen) zwecks Bestimmung des zuständigen Gerichtes vorgelegt.

Aller Einzelheiten im übrigen wegen wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung bei negativem Kompetenzkonflikt gemäß § 36 Nr. 6 ZPO liegen vor. Der Anwendungsbereich des § 36 ZPO erstreckt sich auf jedes der ZPO unterliegende Verfahren; mithin auch auf das Prozesskostenhilfe-Prüfungsverfahren (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 23. Aufl. 2002, Rn 2 zu 36 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).

Nach richtiger Auffassung (vgl. hierzu u.a. auch Beschluss des 1. Zivilsenats des BGH vom 08.06.1988 in NJW 1988 S. 2739 f. sowie Beschluss des 12. Zivilsenats des BGH vom 05.02.1992 in NJW-RR 1992 S. 579) ist die tatsächliche Kompetenzleugnung der beteiligten Gerichte ausreichend.

Das antragstellerseits zunächst angerufene Landgericht - dort funktionell zuständig der originäre Einzelrichter gem. § 348 ZPO i.d.F. des RG - hat mit richterlichem Schreiben vom 07. Februar 2002 seine sachliche Zuständigkeit verneint und deshalb einen Verweisungsantrag angeregt, den die Antragstellerin unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den gerichtlichen Hinweis später mit Schriftsatz vom 19.02.2002 gestellt hat. Das Amtsgericht Michelstadt hat mit Beschluss vom 09. April 2002 nicht nur die Übernahme des Verfahrens abgelehnt, sondern zugleich auch ausgeführt, es erachte sich für sachlich unzuständig.

Im Rahmen des Bestimmungsverfahrens gem. § 36 ZPO ist das wirklich zuständige Gericht zu bestimmen, welches nach Senatsauffassung das Landgericht Darmstadt ist, weil die Antragstellerin von einem Pachtverhältnis ausgeht, zumindest aber darlegt, dass der Schwerpunkt des Vertragsverhältnisses zwischen den Verfahrensbeteiligten auf der gewerblichen Raumnutzung liegt.

Im Rahmen des Bestimmungsverfahrens sind indessen nicht nur die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften, sondern auch verfahrensrechtliche Bindungsanordnungen und Zuständigkeitsverfestigungen zu beachten. Vorliegend kommt daher der Vorschrift des § 281 Abs. 2 ZPO eine besondere Bedeutung zu, wonach Verweisungsbeschlüsse grundsätzlich bindend sind (vgl. hierzu auch Zöller- Vollkommer a.a.O. Rn 28 zu § 36 mit umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen).

Die grundsätzliche Bindungswirkung - auch fehlerhafter - Verweisungsbeschlüsse könnte daher vorliegend dafür sprechen, dass das Amtsgericht Michelstadt als das sachlich zuständige Gericht zu bestimmen ist, zumal grundsätzlich vor allem auch ein Rechtsirrtum die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses nicht entfallen lässt. Der Senat ist letztlich gleichwohl zu der Auffassung gelangt, dass vorliegend der Verweisungsbeschluss aus rechtsstaatlichen Gründen nicht als verbindlich hingenommen werden kann.

§ 23 Nr. 2 a GVG begründet nur für Wohnraum-Mietverhältnisse i.S.d. §§ 549 f BGB eine streitwertunabhängige Zuständigkeit des Amtsgerichtes, denn nur dieser Normenkomplex wird heute als ein eigenständiges Rechtsgebiet begriffen (vgl. Zöller-Gummer a.a.O. Rn 8 zu § 23 GVG), weshalb Pachtverhältnisse von dieser Zuständigkeitsvorschrift nicht erfasst sind (vgl. Zöller-Gummer a.a.O. Rn 9 und Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 60. Aufl. 2002, Rn 8, jeweils zu § 23 GVG).

Die Antragstellerin will eigenem Vorbringen zufolge eine Forderung aus Pachtvertrag" geltend machen und spricht davon, dass sie das vom Antragsgegner bewirtschaftete Objekt diesem verpachtet habe. Zu dem verpachteten Objekt", so hat die Antragstellerin wörtlich in der Klageschrift ausführen lassen, gehört ... noch eine ... Wohnung".

Bei sogenannten Misch-Mietverhältnissen", d.h. bei einheitlicher Vermietung von Wohn- und Gewerberaum, ist nach ganz herrschender Meinung, der sich der Einzelrichter der 4. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt aus mitgeteilten sachlichen Erwägungen heraus ausdrücklich verschließt, die überwiegende Nutzungsart maßgeblich.

Zwar hat das Landgericht den Parteien rechtliches Gehör gewährt und ist es jedem Richter unbenommen, das Gesetz ­ nach seinem besten Wissen und Gewissen ­ auszulegen. In dem berechtigten rechtspolitischen Bestreben indessen, einer missbräuchlichen Anwendung der Verweisungsmöglichkeiten" durch das Gericht Einhalt zu gebieten (vgl. Zöller-Greger a. a. O. Rn. 17 zu § 281 ZPO), darf der Wegfall der Bindungswirkung nicht auf Fälle einer krassen und offenkundigen Rechtsfremdheit" oder einer vorsätzlichen Missachtung des Rechtes" (so Zöller-Greger a. a. O.) beschränkt bleiben. Mit dem Oberlandesgericht Schleswig (vgl. dessen Beschluss vom 24.05.2000, abgedruckt in MDR 2000 S. 453; ähnlich auch das Kammergericht im Beschluss vom 16.07.1999, abgedruckt in NJW-RR 2000, S. 801 f., 802 oben) geht der beschließende Senat davon aus, dass einem Verweisungsbeschluss die Bindungswirkung auch dann zu versagen ist, wenn das verweisende Gericht bezüglich der Auslegung einer Zuständigkeitsregel von einer seit langem in Rechtsprechung und Schrifttum ganz überwiegenden und somit herrschenden Rechtsauffassung ohne eine substantielle und in der Sache tragende Begründung abweicht. Für diese Auffassung des Senats ist ausschlaggebend, dass sich aus der gesetzlichen Zuständigkeitszuweisung der gesetzliche Richter ergibt, und dass es dem Gericht aus für den Rechtsstaat fundamentalen Gründen versagt ist, auf dessen Auswahl selbst Einfluss zu nehmen.

Die Gesetzesinterpretation im angefochtenen Verweisungsbeschluss setzt sich zu der ganz herrschenden Meinung zur Problematik sogenannter Mischmietverhältnisse", die sich im übrigen auch im Rahmen der Anwendbarkeit des früheren Gesetzes zur Regelung der Miethöhe (vgl. hierzu auch Urteil des 8. ZS des BGH vom 30.03.1977, abgedruckt in NJW 1977, S. 1394 zu § 10 MiethöheRegG sowie Urteil des OLG Hamburg vom 02.11.1994, abgedruckt in NJW-RR 1997 S. 458), zu der auch bereits Rechtsentscheide ergangen sind, in Gegensatz, wonach es auf den Schwerpunkt des Vertrages ankommt. Der gesetzliche Richter muss sich nach einer allgemein anerkannten Auslegung der Zuständigkeitsnorm ergeben, welche zu § 23 Nr. 2 a GVG im Sinne der Schwerpunkttheorie gegeben ist. Der Gesetzesinterpretation des Einzelrichters der 4. Zivilkammer bzw. die der 4. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt, dass bei jeglichem Anteil von Wohnraum" das Amtsgericht als das ortsnähere" und speziell sachkundigere Mietgericht" zuständig sei, lässt wegen seiner formelhaften Begründung keine eingehende Auseinandersetzung mit der herrschenden und entgegengesetzten Meinung erkennen. Die landgerichtliche Auffassung ist daher geeignet, den gesetzlichen Richter den Parteien zu versagen. Hinzu kommt vorliegend noch, dass zwischen denselben Verfahrensbeteiligten wegen desselben Vertragsverhältnisses bereits ein Prozess vor dem Landgericht Darmstadt - damals Pachtzins für den Zeitraum Januar 1998 - Juli 1999 und abgerechnete Nebenkosten 1998 betreffend - geführt worden ist.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

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