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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 12.06.2002
Aktenzeichen: 13 U 132/97
Rechtsgebiete: AMG, ZPO, StPO


Vorschriften:

AMG § 21 f
ZPO § 156
ZPO § 711
ZPO § 543 Abs. 2
ZPO § 708 Ziff. 10
StPO § 170 Abs. 2
Zur Haftung des Arztes und Krankenhausträgers, wenn ein Patient kurz nach einer unter Narkose vorgenommenen Darmspiegelung PKW fährt und einen schweren Unfall erleidet.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES SCHLUSSURTEIL

13 U 132/97

Verkündet am 12.06.2002

in dem Rechtsstreit

...

wegen Schadensersatzes Der 13. Zivilsenat in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main hat in der mündlichen Verhandlung am 29. April 2002 durch die Richter am Oberlandesgericht ... für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das am 21. März 1997 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt wird, auch soweit sich die Klage gegen den Beklagten zu 1) richtet, zurückgewiesen.

Die Kläger haben die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) sowie alle Gerichtskosten in der zweiten Instanz zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages zuzüglich 15 % hieraus abwenden, wenn nicht der Beklagte zu 1) vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 15 % hieraus leistet. Die Revision wird zugelassen. Tatbestand Am 7. Dezember 1993 verstarb bei einem Verkehrsunfall der Verkaufsleiter G. S. L., Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der Kläger zu 2) und 3), nachstehend nur noch als Patient bezeichnet. Mit vorliegender Klage machen die Kläger mit der Behauptung, erforderliche Sicherungsmaßnahmen seien im Krankenhaus unterlassen und dem Patienten sei das Medikament Dormicum in Überdosis und das Medikament Anexate fehlerhaft in ambulanter Behandlung verabreicht worden, Unterhaltsansprüche und weiteren Schadensersatz geltend und haben ursprünglich neben dem Beklagten zu 1), zwischenzeitlich in Ruhestand lebender Chefarzt (Innere Medizin) im Kreiskrankenhaus S.-J., auch den Krankenhausträger (Beklagter zu 3) und die für den Beklagten zu 1) tätig werdende Verwaltungsangestellte (Beklagte zu 2) klageweise in Anspruch genommen. Mit am 21. März 1997 verkündetem Urteil, auf dessen Inhalt verwiesen wird, hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Beklagten treffe am Tod des Patienten kein Verschulden; der Beklagte zu 1) habe davon ausgehen dürfen, dass der Patient entsprechend seiner Zusage mit dem Taxi und nicht etwa selbst nach Hause fahren werde. Mit am 30. Juli 1999 verkündetem und in Rechtskraft erwachsenen Teilurteil, auf dessen Inhalt gleichfalls verwiesen wird, hat der erkennende Senat die Berufung der Kläger zurückgewiesen, soweit sich ihre Klage gegen die Beklagten zu 2) und 3) richtet. Die Berufung war nunmehr auch im übrigen zurückzuweisen, denn der Beklagte zu 1) kann entgegen klägerischer Auffassung nicht für den Tod des Patienten verantwortlich gemacht werden. Am 7. Dezember 1993 unterzog sich der am ... 1949 geborene Patient, groß und schwergewichtig, bei dem Beklagten zu 1) einer Magenspieglung, die gegen 8:30 Uhr durchgeführt wurde. Der Patient teilte hierbei dem Beklagten zu 1) mit, er sei mit dem eigenen Wagen ins Krankenhaus gekommen und wolle dann mit dem Taxi wieder nach Hause fahren. Dem Patienten wurde zur Prämedikation 20 mg Buscopan und danach 30 mg Dormicum verabreicht. Nach Durchführung der Untersuchung verblieb der Patient zunächst 1/2 Stunde im Untersuchungszimmer (Röntgenraum, da das Krankenhaus über kein eigenes Endoskopiezimmer verfügte) unter Aufsicht. Nach dieser 1/2 Stunde wurden dem Patienten 0,5 mg Anexate intravenös verabreicht. Danach hielt sich der Patient auf dem Flur vor den Dienstund Behandlungsräumen des Beklagten zu 1) auf. Ohne vorher entlassen worden zu sein, entfernte sich der Patient kurz vor 11:00 Uhr aus dem Krankenhaus und fuhr mit seinem Wagen, einem ..., welcher im Eigentum seines Arbeitgebers stand, weg. In G. geriet er, nicht angeschnallt, aus letztlich ungeklärter Ursache auf der B... Straße auf die Gegenfahrbahn, wo er mit einem Lastzug zusammenstieß. Der Patient verstarb noch an der Unfallstelle. Das gegen den Beklagten zu 1) wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren wurde gem. § 170 Abs. 2 StPO mit Beschluss vom 21. April 1995 eingestellt. Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Klägerin zu 1) wurde durch den Generalstaatsanwalt mit Verfügung vom 4. September 1995 verworfen. Die Kläger haben vorgetragen, der Beklagte zu 1) habe dem Patienten eine zu hohe Dosis Dormicum verabreicht und weder den Patienten über die Gefahren der verabreichten Medikamente aufgeklärt noch geeignete Sicherungsmaßnahmen ergriffen bzw. angeordnet, um zu verhindern, dass der Patient auf keinen Fall unbeaufsichtigt und vor allem nicht unbemerkt von der Beklagten zu 2), Sekretärin des Beklagten zu 1), das Krankenhaus verlassen könne. In den ersten 12 Stunden nach der Gabe von Dormicum dürfe ein Patient weder ein Kraftfahrzeug führen noch Maschinen bedienen. Der Beklagte zu 1) habe sich nicht auf die Erklärung des Patienten verlassen dürfen, dass dieser mit einem Taxi nach Hause fahren werde. Die Kläger haben des weiteren vorgetragen, um einen möglichen Mitverschuldenseinwand der Beklagten zu begegnen und das damit verbundene Kostenrisiko auszuschließen, machten sie betragsmäßig nur 50 % der ihnen zustehenden Ansprüche geltend. Die Kläger haben gemeint, der Patient wäre mindestens 75 Jahre alt geworden und der Klägerin zu 1) sei es wegen des Gesundheitszustandes des Klägers zu 2) (geboren am ... .1983), der einen erhöhten Betreuungsaufwand erfordere, nicht zuzumuten, eine Erwerbstätigkeit nachzugehen. Seit dem Tode des Patienten erhalten die Klägerin zu 1) eine Witwenrente, die Kläger zu 2) und 3) eine Halbweisenrente. Wegen der Berechnung der geltend gemachten Unterhaltsansprüche wird Bezug genommen auf den Inhalt des Klageschriftsatzes sowie auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 6.2.1997. Die Kläger haben letztlich noch behauptet, die Beerdigungskosten, für deren Erstattung die Beklagten gleichfalls einzustehen hätten, müssten mit DM 16.507,35 (entspricht Euro 8.440,07) beziffert werden. Die Beklagten haben um Klageabweisung nachgesucht. Der Beklagte zu 1) hat vorgetragen, er habe den Patienten ausdrücklich erklärt, er dürfe nach dem diagnostischen und ambulant durchgeführten Eingriff auf gar keinen Fall mehr Auto fahren. Der Patient habe ihm gegenüber erklärt, dass er dies auch aufgrund eines Gespräches mit dem überweisenden Hausarzt wisse. Angesicht der Größe und des Körpergewichts des Patienten sei die verabreichte Dosis von Dormicum auch sachgerecht gewesen und keineswegs zu hoch. Er habe sich am Vormittag des 7.12.1993 ständig in dem Bereich aufgehalten, in dem der Patient auf dem Stuhl wartend gesessen habe. Er habe ihn mehrfach angesprochen. Der Patient habe gewusst, dass er bis zu seiner Entlassung zu warten habe. Bei dem Patienten habe keine akute Gefahr einer Eigenschädigung bestanden. Sein Bewusstsein sei keineswegs eingeschränkt gewesen. Er habe die Eigenmächtigkeit seines Handels richtig einschätzen können. Bei dem Patienten sei Eignung zur Selbstgefährdung nicht erkennbar gewesen. Es wäre eine Überspannung der Anforderungen, wenn im vorliegenden Falle er als verpflichtet angesehen werden würde, dass er Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen gehabt hätte. Die Gefahr einer Selbstgefährdung des Patienten habe nicht bestanden und sei auch ex ante nicht erkennbar gewesen. Die Eigenmächtigkeit des Patienten sei nicht vorhersehbar gewesen. Die Richtigkeit der Schadensberechnung der Kläger haben die Beklagten bestritten.

Gegen das am 21.3.1997 verkündete und ihnen am 12.6.1997 zugestellte Urteil der ersten Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt, mit welchem ihre Klage abgewiesen worden ist, haben die Kläger mit bei Gericht am 14.7.1997 (Montag) eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 14.9.1997 mit bei Gericht am 15.9.1997 (Montag) eingegangenem Schriftsatz begründet. Die Kläger machen sich ein von ihnen in Auftrag gegebenes Gutachten des Prof. Dr. Sch., Facharzt für Pharmakologie und Toxikologie und für klinische Pharmakologie, vom 3. September 1997 und vom 3. März 1998 zu eigen. Nach dem Gutachten hätte dem zwischen 90 und 100 kg schweren Patienten entsprechend den Herstellerempfehlungen nur eine Dosis von 7 mg Dormicum verabreicht werden dürfen. Die mittlere Halbwertzeit von Dormicum betrage ca. 2 Stunden, weshalb sogar noch nach 11:30 Uhr der Patient durch medizinisches Fachpersonal hätte überwacht werden müssen. Als Nebenwirkung des Dormicum sei ein Dämmerzustand oder ein Verwirrtheitszustand des Patienten möglich, der zu potentiell gefährlichen Handlungen des Patienten führen könne. Die zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls festgestellte Konzentration von Midazolam - Wirkstoff in Dormicum - läge in einem Bereich, in der die Fahrtauglichkeit und die Reaktionsfähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit herabgesetzt gewesen sei. Anexate sei gemäß Fachinformation nur für die stationäre Behandlung von Patienten zugelassen. Die Kläger behaupten, wenn sich der Patient gegen 9:00 Uhr gegenüber dem Beklagten zu 1) noch einsichtsfähig und kooperativ gezeigt habe, so sei dies durch die antagonistische Wirkung des Anexate gut erklärbar. Allerdings sei gut möglich, dass kurze Zeit später kein Erinnerungsvermögen mehr für diesen und den vorangegangenen Zeitraum bestanden habe. Wegen der außergewöhnlich hohen Dosis des verabreichten Dormicums sei ein baldiges Wiederauftreten der vollen Wirkung von Dormicum wahrscheinlich, weshalb der Patient, wie der Gutachter auch gemeint habe, über den Zeitpunkt von 11:30 Uhr von medizinischen Fachpersonal hätte überwacht werden müssen. Sie, die Kläger, blieben dabei, dass der Produkthinweis, die Gabe des Wirkstoffes Midazolam könne auch zu einer retrograden Amnesie führen, zutreffend sei. Sie sähen sich hierbei durch die Auskunft der Herstellerfirma bestätigt. Der Patient habe daher überwacht und es hätte sichergestellt werden müssen, dass er nicht entweichen und selbst Auto fahren könne. Der Beklagte zu 1) habe im Besonderen damit rechnen müssen, dass der Patient vergesse, nur nach förmlicher Entlassung das Krankenhaus verlassen zu dürfen und es ihm untersagt sei, selbst Auto zu fahren. Entgegenstehenden gutachterlichen Äußerungen könne klägerseits nicht beigetreten werden. Dies schon deshalb nicht, weil die Ergebnisse der Untersuchungen, die eine retrograde Amnesie nicht belegten, wegen ihrer Probandenauswahl auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden könnten. Die Kläger meinen nunmehr auch, dass der Beklagte zu 1) den Patienten nicht ordnungsgemäß aufgeklärt habe. Im Besonderen hätte der Patient von dem Beklagten zu 1) darüber aufgeklärt werden müssen, dass a) die verabreichte Dosis Dormicum abnorm" hoch sei (die Kläger sprechen in diesem Zusammenhang auch von einer Elefantendosis"); b) Anexate nach der Produktinformation nur für den stationären Bereich zugelassen sei; c) eine Amnesie eintreten könne.

Mangels ausreichender Aufklärung habe der Patient in die Untersuchung nicht wirksam eingewilligt, weshalb der Beklagte zu 1) nunmehr für alle Folgen des Eingriffes einzustehen habe. Die Kläger tragen abschließend vor, erst durch das von ihnen in Auftrag gegebene Gutachten hätten sie erfahren, dass dem Patienten eine fünf- bis zehnfache Überdosis Dormicum verabreicht worden sei und eine retrograde Amnesie auftreten könne, weshalb die Beklagten ihnen zu 100 % haften würden; für ein Mitverschulden des Patienten sei unter diesen Umständen kein Raum mehr.

Im Wege der Klageerweiterung beantragen die Kläger nunmehr, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Darmstadt vom 21. März 1997

den Beklagten zu 1) zu verurteilen, 1. an die Klägerin zu 1) Euro 44.095,35 nebst 4 % Zinsen seit 14.11.1996

zu zahlen;

2. an die Klägerin zu 1) für die Zeit ab 1.1.1997 bis 11.5.2024 vierteljährlich im voraus eine monatliche Rente in Höhe von Euro 1.357,80 zu zahlen; 3. an den Kläger zu 2) Euro 32.359,66 nebst 4 % Zinsen seit 14.11.1996

zu zahlen;

4. an den Kläger zu 2) für die Zeit ab 1.1.1997 - 15.11.2001 vierteljährlich

im voraus eine monatliche Rente in Höhe von Euro 980,57 zu zahlen;

5. an die Klägerin zu 3) Euro 32.959,66 nebst 4 % seit 14.11.1996 zu

zahlen;

6. an die Klägerin zu 3) für die Zeit ab 1.1.1997 - 25.1.2003 vierteljährlich

im voraus eine monatliche Rente in Höhe von Euro 980,57 zu zahlen;

festzustellen, dass der Beklagte zu 1) verpflichtet sei,

7. an sie, die Kläger zu 1) - 3), 100 % allen weiteren zukünftigen Unterhaltsschadens zu ersetzen, soweit ein Übergang auf

Sozialleistungsträger nicht stattgefunden habe;

8. ihnen, den Klägern, die auf die Rentenzahlung zu leistende

Einkommenssteuer zu ersetzen;

9. den Beklagten zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) Euro 8.440,08

mit 4 % Zinsen seit 14.11.1996 zu zahlen.

Der Beklagte zu 1) beantragt, die Klageerweiterung abzuweisen und die Berufung der Kläger zurückzuweisen.

Der Beklagte zu 1) trägt im Einzelnen vor, weshalb ihm bei der Behandlung des Patienten kein Fehlverhalten vorzuwerfen sei. Er führt aus, die klägerische Behauptung, er habe eine zu hohe Gabe Dormicum verabreicht, sei falsch. Die Substanz Midazolam führe entgegen klägerischer Auffassung auch zu keiner retrograden Amnesie. Der Wirkstoff Flumazenil (Anexate) werde entgegen der Produktempfehlung weltweit auch im ambulanten Bereich eingesetzt. Soweit gutachterlicherseits ein Überwachungsmangel gerügt werde, weise er, der Beklagte zu 1), darauf hin, dass selbst bis heute es in Deutschland keine allgemein anerkannten Überwachungsstandards gebe. Ihm könne daher in diesem Zusammenhang nicht der Vorwurf einer Pflichtverletzung angelastet werden. Der Beklagte zu 1) trägt weiter vor, er habe davon ausgehen dürfen, dass der Patient sich an seine Zusage, mit dem Taxi nach Hause zu fahren, halten werde. Schon deshalb fehle es an einem rechtlichen Zurechnungszusammenhang zwischen dem Tod des Patienten und seiner Behandlung. Die Kläger hätten auch nicht den Nachweis zu führen vermocht, dass zwischen einer hier nun unterstellten Pflichtverletzung seinerseits und dem Tod des Patienten ein ursächlicher Zusammenhang bestehe, denn es läge sogar nahe, dass zum Unfallzeitpunkt die Wirkung des Ethyl-Loflazepat die des Midazolam überwogen habe. Dass der Patient, ohne es ihm gegenüber offenbart zu haben, einen dem Midazolam verwandten weiteren Wirkstoff, nämlich Ethyl-Loflazepat, zu sich nehme, sei von hoher Bedeutsamkeit und führe auch dazu, dass zumindest den Patienten an seinem Tod ein überwiegendes Mitverschulden treffe. Der Senat hat den Beklagten zu 1) persönlich gehört und Sachverständigenbeweis erhoben. Die Gutachten sind erstellt worden von Prof. Dr. W. E. M., Direktor des Pharmakologischen Instituts für Naturwissenschaft an der Johann Wg. Goethe- Universität Frankfurt, und von Prof. Dr. med. Dr. h. c. Wg. F. D., Direktor der Klinik für Anästhesiologie an der Johann Gutenberg-Universität Mainz. Beide Gutachter haben ihre schriftlich abgefassten Gutachten im Beisein von Prof. Dr. H. Sch., Direktor des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Abt. für Pharmakologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, als Fachberater der Kläger, mündlich erläutert. Des Ergebnisses der Beweisaufnahme wegen wird auf den Inhalt der Gutachten sowie auf den der Sitzungsniederschrift vom 29. April 2002 verwiesen. Des weiteren wird auch ausdrücklich auf den sich daran anschließenden Schriftverkehr zwischen Prof. M. und Prof. Sch. Bezug genommen. Aller Einzelheiten im übrigen wegen wird auf den Inhalt der Prozessakten nebst Beiakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte und sonst zulässige Berufung der Kläger ist letztlich auch insoweit unbegründet, als sich ihre Klage gegen den Beklagten zu 1) richtet. Im Ergebnis ist daher die landgerichtliche Klageabweisung in vollem Umfange zu bestätigen. Den Klägern steht weder unter deliktsrechtlichen noch unter vertragsrechtlichen Gesichtspunkten gegenüber dem Beklagten zu 1) ein Schadensersatzanspruch zu. Der Senat vermag nämlich nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht die Feststellung zu treffen, dass dem Beklagten zu 1) angelastet werden kann, dass er a) den Patienten wider die Regeln der ärztlichen Kunst behandelt hat, b) den Patienten nur unzureichend aufgeklärt hat mit der Folge, dass von keiner wirksamen Einwilligung in den invasiven Eingriff ausgegangen werden kann, c) den Patienten nur unzureichend überwacht hat und dieser Überwachungsmangel kausal für dessen Tod wurde.

1.

Der Beklagte zu 1) hat zunächst bei der Durchführung seiner diagnostischen Maßnahme (Gastroskopie) nicht gegen ärztliche Standards verstoßen. a) Es ist durchgängige Praxis und vorliegend von dem Patient auch offensichtlich gewünscht gewesen - die Kläger haben jedenfalls keinen gegenteiligen Vortrag gehalten -, dass er bei der Endoskopie sediert ist. Wenn der Beklagte zu 1) hierbei sich des Wirkstoffes Midazolam aus der Familie der Benzodiazepine bedient hat, begegnet dies keinem Bedenken. Auch die Kläger sehen dies letztlich nicht anders, denn sie machen dem Beklagten zu 1) nicht die Gabe des Mittels Dormicum, dessen Wirkstoff Mediazolam ist, zum Vorwurf, sondern nur dessen Dosierung von 30 mg, was in etwa 0,3 mg pro Kilogramm Körpergewicht entspricht. In diesem Zusammenhang sprechen die Kläger hier auch von einer Elefantendosis".

Den klägerischen Vorwurf, der Beklagte zu 1) habe hier dem Patienten eine nicht fachgerechte Überdosis gegeben, hält der Senat indessen für eindeutig nicht gerechtfertigt. Richtig ist zwar, dass der Hersteller für die Dosierung von Dormicum zum Zwecke der Narkoseeinleitung nur eine Dosis von maximal 0,2 mg pro Kilogramm Körpergewicht empfiehlt, aber der Senat hat sich aufgrund der überzeugenden Sachverständigenausführungen die Meinung gebildet, dass dies gleichsam keine starre Obergrenze ist, sondern sich die Übung durchgesetzt hat, dass Midazolam wirkungsgeleitet dosiert wird, mit der Folge, dass in der medizinischen Literatur vielfach Dosen beschrieben werden, die über die in der deutschen Fachempfehlung aufgeführten Dosen hinausgehen. Die von dem Beklagten zu 1) dem Patienten verabreichte Dosis von 0,3 mg pro Kilogramm Körpergewicht ist, wie Prof. M. in seinem Gutachten unter Auswertung der Literatur beschrieben hat, daher keinesfalls extrem außerhalb der in der Literatur beschriebenen Werte". Vorliegend hält der Senat, von den Gutachtern beraten, den Vortrag des Beklagten zu 1) für zutreffend, dass diese Dosis erforderlich war, um bei dem Patienten die gewünschte Sedierungswirkungen eintreten zu lassen. In diesem Zusammenhang kommt dem objektiven post-mortalen Befund eine besondere Bedeutung zu, dass der Patient sich auch den Wirkstoff Ethyl-Loflazepat zugeführt hat; mithin ein Wirkstoff, der ebenfalls zur Gruppe der Benzodiazepine gehört. Der Wirkstoff Ethyl- Loflazepat ist in Deutschland als Arzneimittel im Handel nicht erhältlich, wohl aber im europäischen Ausland (siehe hierzu das chemisch-toxikologische Gutachten des Prof. Dr. B. vom Zentrum der Rechtsmedizin an der Johann Wg. Goethe- Universität vom 9.6.1994, Bl. 69 d. BA). Der gerichtlich bestellte Sachverständige Prof. M., dessen Feststellungen insoweit die Kläger, die sehr kompetent pharmakologisch beraten werden, nämlich durch Prof. Sch., nicht angegriffen haben, hat ausgeführt, es sei in der medizinischen Wissenschaft belegt, dass aufgrund einer Toleranzentwicklung Patienten, die Benzodiazepinen einnähmen, deutlich höhere Dosen von intravenös verabreichten Benzodiazepine zur Sedation benötigten als solchen Patienten, die nicht regelmäßig Benzodiazepine einnehmen. Von der Richtigkeit der Bekundung des Beklagten zu 1) ausgehend, die gewählte Dosis - die keinesfalls außerhalb dessen liegt, was in der Literatur beschrieben wird - sei erforderlich gewesen, ist die Annahme gerechtfertigt, dass der Patient an Benzodiazepine gewöhnt war, was er nach Aktenstand gegenüber dem Beklagten zu 1) verschwiegen hat. Der erkennende Senat hält es für ausgeschlossen, dass der Patient sich diesen Wirkstoff nur ausnahmsweise und am Tage bzw. Vortage der hier streitgegenständlichen Untersuchung zugeführt hat. Selbst wenn mithin im allgemeinen die Rechtsauffassung richtig wäre, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Richtigkeit und Angemessenheit der Behandlung bei dem Arzt liegt, wenn dieser bei der Medikamentendosierung von der Herstellerempfehlung abweicht, so würde dies an der getroffenen Feststellung, dass eine Falschbehandlung nicht vorliegt, nichts ändern, denn der Senat ist aufgrund des Inbegriffs der mündlichen Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Beklagte zu 1) im Interesse an einer wirkungsvollen Sedierung hier den Wirkstoff Midazolam in einer Konzentration von 0,3 mg pro Kilogramm Körpergewicht dosieren durfte. Auch die Ausführungen des von der Klägerin beauftragten Privat-Gutachters ändern an diesem Ergebnis nichts. Der Beklagte zu 1) ist mithin fachgerecht vorgegangen. Der Patient hat das ihm verabreichte Arzneimittel auch gut abgebaut. Die post mortal festgestellte Konzentration von Midazolam zum Zeitpunkt seines Todes belegt keinesfalls die Annahme einer signifikanten Sedierung..

b) Mit dem gerichtlich bestellten Gutachter geht auch der erkennende Senat davon aus, dass die Gabe des Wirkstoffen Flumazenil (Anexate) im ambulanten Bereich trotz entgegenstehender deutscher Produktempfehlung, die indessen die ambulante Gabe auch nicht ausdrücklich ausschließt, keinen ärztlichen Kunstfehler darstellt. Dieser Wirkstoff, der als Benzodiazepin-Rezeptorantagonist die Wirkungen von Midazolam aufhebt, wird nämlich, so das dem Senat durch die Gutachter vermittelte Wissen, weltweit auch im ambulanten Bereich zur Terminierung einer Bezodiazeptinwirkung eingesetzt und dieses Vorgehen wird auch in der wissenschaftlichen Literatur empfohlen. Die Zulassung des Wirkstoffes ist in Deutschland allgemein erfolgt und mithin nicht auf den klinischen Bereich beschränkt. Eines näheren Eingehens hierauf bedarf es aber schon deshalb nicht, weil jedenfalls auch klägerseits keine Kausalität zwischen der Gabe des Wirkstoffes Flumazenil und dem Tod des Patienten behauptet wird. Ganz im Gegenteil, Flumazenil hebt ja gerade den schlafinduzierenden Effekt von Midazolam auf. Schon der klägerseits geschilderte Geschehensablauf schließt es aus, dass der Patient sich vielleicht in einer euphorischen Phase" überschätzt hat, denn er ist während seines Wartens im Flur wieder müde geworden, das heißt, die Wirkung des Medikaments Anexate hörte auf. Pharmakologisch gesehen hat Flumazenil keine pulsierende Wirkung; das heißt, als der Patient letztlich den Entschluss fasste, das Krankenhaus ohne förmliche Entlassung zu verlassen und selbst Auto zu fahren, stand er keinesfalls mehr unter dem Einfluss des Wirkstoffes Flumazenil, weil die Wirkungen dieses Wirkstoffs nicht wieder aufleben. Eine Medikamentenkausalität wird klägerseits allenfalls gesehen zwischen dem Wirkstoff Midazolam, welches in der Tat zur Fahruntüchtigkeit führt, und dem tragischen Verkehrsunfall.

Grundsätzlich ist an dieser Stelle zur Klarstellung nochmals auszuführen, dass der Arzt in Rahmen seiner Therapiefreiheit anerkanntermaßen von den in der Fachinformation mitgeteilten Anwendungsformen abweichen darf.

2.

Entscheidungsrelevante Aufklärungsmängel konnte der Senat nicht feststellen. Mit der hier allein im Vordergrund der Betrachtung stehenden Eingriffsaufklärung, auch als Selbstbestimmungsaufklärung bezeichnet, sollen dem Patienten die Risiken des Eingriffes beschrieben werden, damit er die Bedeutsamkeit seiner Einwilligung erfasst und sein Selbstbestimmungsrecht sachgerecht ausüben kann (vgl. Urteil des 6. ZS des BGH vom 28.2.1984, abgedruckt in NJW 1984 S. 1807 ff, 1808). Vorliegend rügen die Kläger gerade nicht, dass der Beklagte zu 1) den Patienten nicht über die Risiken des invasiven Eingriffs und seiner möglichen Folgen aufgeklärt hat, sondern knüpfen ihren in zweiter Instanz ausdrücklich erhobenen Vorwurf des Aufklärungsverschuldens an die nachstehenden Umständen an: a) der Beklagte habe den Patienten darüber aufzuklären gehabt, dass er ihm eine abnorm hohe Dosis" Dormicum verabreiche, b) der Beklagte zu 1) habe es unterlassen, den Patienten darüber aufzuklären, dass Anexate nur für die Behandlung von stationär aufgenommenen Patienten zugelassen sei, c) der Beklagte zu 1) habe den Patienten nicht über das Auftreten von Amnesie belehrt (vgl. die Ausführungen der Kläger im Schriftsatz vom 23.1.2002, Bl. 271 d.A.).

Der Senat ist nicht der Auffassung, dass ein behandelnder Arzt den Patienten darüber aufzuklären hat, dass eine bestimmte Medikamentenanwendung bei ihnen nicht in Übereinstimmung mit der sich ausschließlich an den Arzt richtenden Produktempfehlung steht, wenn und soweit sich in der Praxis eine bestimmte Übung herausgebildet hat, von der der Arzt in concreto nicht abweicht. So verhält es sich hier. Das Medikament Anexate ist, was die Kläger auch in der Berufungsinstanz an anderer Stelle früher eingeräumt haben (vgl. Vorlage der Stellungnahme von Prof. Sch. vom 3.3.1998, zu den Akten überreicht mit Schriftsatz vom 13.3.1998, Bl. 229 f d.A.), entgegen ihrem jetzigen Vorbringen nach § 21 f AMG formell nicht auf die stationäre Anwendung beschränkt, weshalb ihre jetzige Behauptung, Anexate sei nur für die Behandlung stationär aufgenommenen Patienten zugelassen, einerseits nicht nachvollziehbar und zum anderen ersichtlich unzutreffend ist. Richtig ist allein, dass die Herstellerfachinformation als Gegenanzeige" für die Medikamentierung aufführt: Patienten, die nicht in einem Krankenhaus behandelt werden, bis Sicherheitsaspekte ausreichend geklärt sind". Zum Kernbereich der Eingriffsaufklärung gehört nach Senatsauffassung des weiteren nicht die Dosierungsmenge des Sedativums. Der Patient wusste (und wollte), dass er für den Eingriff sediert wird und war darüber aufgeklärt worden, dass er danach 12 Stunden nicht ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr lenken dürfe. Bei Einleitung der sedierenden Maßnahme weiß der Arzt nicht, welche Menge der Substanz er dem Patienten injizieren muss, bis sich bei diesem die gewollte Wirkung zeigt. Es ist Übung, dass der Wirkstoff sukzessiv in kurzen zeitlichen Abständen appliziert wird. Der Senat sieht sich in einer Rechtsauffassung durch die Stellungnahme des gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. D., dessen hohe Kompetenz auch durch dessen berufliche Stellung belegt ist, bestätigt, der gleichfalls eine Aufklärungspflicht verneint und ausgeführt hat, seines Wissens bestehe auch keine dahingehende Übung, den Patienten aufzuklären. Problematischer ist die Fragestellung, welche Amnesie im Zusammenhang mit der Wirkung von Midazolam auftreten kann - hier liegt auch das Schwergewicht der Parteiargumentation - und welcher Aufklärungsbedarf daher besteht. Damit hängt auch eng die Frage zusammen, welche Überwachung des Patienten geboten war. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme geht der Senat nicht davon aus, dass der Beklagte zu 1) mit der Möglichkeit einer retrograden Amnesie zu rechnen hatte und sieht deshalb den entgegenstehenden klägerischen Vortrag als widerlegt an. Zutreffend ist der klägerische Ausgangpunkt ihrer Argumentation, wonach in der Produktinformation als Nebenwirkung auch die retrograde Amnesie beschrieben ist (vgl. Bl. 264 d.A.). Nach dem Schreiben der Herstellerfirma vom 13. Mai 2002 an den Verfahrensbevollmächtigten der Kläger verhält es sich so, dass zwar eine retrograde Amnesie - das heißt eine Gedächtnisstörung für Ereignisse, die sich vor der Medikamenteneinnahme ereigneten - nicht zu den häufigen Nebenwirkungen zählt, aber diese in Einzelfällen berichtet worden ist. Die Herstellerfirma weist indessen in dem in Bezug genommenen Schreiben auch darauf hin, dass aufgrund der geringen Datenlage und überwiegender Einzelfallbeobachtungen im Gegensatz zu einer Vielzahl klinischer Studien bezüglich anterograde Amnesie" - das heißt eine Gedächtnisstörung für Ereignisse, die sich nach der Medikamenteneinnahme zutrugen - ein kausaler Zusammenhang bisher nicht sicher nachgewiesen und etabliert" ist. Wie wenig die Einzelfallbeobachtungen aussagekräftig sein können, belegt der 1997 (!) erschienen Bericht von Antohn Koht und Janet I. Moss vom Christ Hospital and Medical Center in Oak Lawn, Illinois (USA), den die Kläger in das Verfahren eingeführt haben. Dem dortigen Patienten waren verschiedene pharmakologische Wirkstoffe verabreicht worden; auch wies er eine Symptomatik auf, die für den Durchschnittspatienten nicht repräsentativ sein dürfte und den Verdacht begründet, dass er möglicherweise sich schon vorher in leicht deliranten Zustand befunden haben könnte. Die beiden vorgenannten Autoren beginnen ihren Fallbericht unter Verwertung von Fachliteratur mit der Feststellung, eine retrograde Amnesie als Folge der Gabe des Wirkstoffes Midazolam sei bislang nicht berichtet worden; verneinen mithin gerade die Klägerbehauptung, dass Midazolam zu einer retrograden Amnesie bekannterweise führen könne bzw. wird. Beide gerichtlich bestellten Gutachter, denen eine hohe Fachkompetenz zugeschrieben werden muss, haben für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass nach bisherigen Kenntnisstand Midazolam zu keiner retrograden Amnesie führt. Auch der wissenschaftliche Berater der Kläger, Prof. H. Sch., musste im Senatstermin einräumen, dass ihm weder persönlich noch aus der Fachliteratur ein wissenschaftlich belegter Fall einer retrograden Amnesie als Folgewirkung der Verabreichung von Midazolam bekannt sei. Vor dem Hintergrund, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige Prof. M. plausibel und für das Gericht nachvollziehbar ausgeführt hat, dass es keinen wissenschaftlich belegten Zusammenhang zwischen Wirkstoffdosierung und retrograder Amnesie gibt, ist der Senat zu der Auffassung gelangt, dass nach allgemeinem ärztlichen Wissensstand, wobei derjenige des Behandlungsjahres 1993 maßgebend ist, der Beklagte zu 1) bei Beobachtung der in Verkehr erforderlichen Sorgfalt trotz des Hinweises in der Produktinformation nicht in seine Überlegungen die Möglichkeit einer retrograden Amnesie einzubeziehen hatte. Im Ergebnis folgt der Senat damit letztlich der wissenschaftlichen Bewertung des gerichtlich bestellten Gutachters Prof. M., der gerade auf dem Gebiet der Bezodoazepine wissenschaftlich gearbeitet hat. Dem Ersuchen der Kläger auf Einholung eines Obergutachtens" war - unabhängig davon, dass dieses erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt worden ist, die Ansichten der beiden gerichtlich bestellten Gutachter durch ihre schriftlichen Ausführungen bekannt waren und auch die Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung, fachkundig beraten, der Meinung waren, dass die Tatsachenfeststellung als abgeschlossen angesehen werden muss - nicht zu entsprechen. Die erstatteten Gutachten sind weder unvollständig oder mangelhaft noch gehen sie von falschen Anknüpfungstatsachen aus. Die gerichtlich bestellten Gutachter sind kompetent und es ist noch nicht einmal ansatzweise dargelegt worden, dass ein anderer Wissenschaftler über überlegene Forschungsmittel oder Erfahrung verfügt. Im Kern geht es darum, dass der wissenschaftliche Berater der Kläger zu der Frage der unerwünschten Nebenwirkung retrograde Amnesie" eine andere Auffassung hat als die beiden gerichtlich bestellten Gutachter. Dies aber rechtfertigt nicht die Einholung eines weiteren Gutachtens oder die eines Obergutachtens. Der Senat unterstellt zugunsten der Kläger, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Wirkstoff Midazolam möglicherweise auch zu einer retrograden Amnesie führen kann; dies indessen nur in seltenen Ausnahmefällen. Wäre nämlich die Fallhäufigkeit eine andere, nämlich größer, dann wäre hierüber mehr berichtet worden. Selbst die Herstellerfirma spricht nur von einer sehr geringen Datenmenge und verneint einen diesbezüglichen wissenschaftlichen Nachweis. Auch die klägerseits selbst zitierten Autoren Koht und Moss haben noch nach 1993 unter Verwertung der wissenschaftlichen Literatur ausgeführt, bislang sei noch kein Fall der retrograden Amnesie berichtet worden. Dies rechtfertigt die gerichtliche Bewertung, dass der Beklagte zu 1) wie bereits oben gesagt, bei seinen Überlegungen gerade nicht die Möglichkeit einer retrograden Amnesie einzubeziehen hatte. Der klägerischen Schlussfolgerung, der Beklagte zu 1) habe mit dem Auftreten einer retrograden Amnesie deshalb rechnen müssen, weil diese als unerwünschte Nebenwirkung in der Fachinformation genannt ist, vermag der Senat, wie mehrfach betont, nicht beizutreten. In den Produktinformationen werden neben den erwiesenen unerwünschten Wirkungen auch solche aufgenommen, bei denen nur der Verdacht besteht, diese seien durch den Wirkstoff bedingt (so auch Schreiben des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 31. Mai 2002). Wenn der Fachliteratur über Jahre hinweg kein wissenschaftlich belegter Fall berichtet wird und auch alle drei Gutachter, die auf ihren wissenschaftlichen Gebieten anerkanntermaßen überaus kompetent sind, einen solchen Fall nicht kennen, dann durfte der Beklagte zu 1), ohne damit die verkehrsüblichen Sorgfaltspflichten zu verletzen, die allenfalls entfernte Möglichkeit einer retrograden Amnesie ausschließen. Vor diesem Hintergrund bleibt es ohne Entscheidungsrelevanz, wer den Inhalt der Fachinformation zu verantworten hat (Hersteller oder Behörde), weshalb hierüber kein Beweis zu erheben ist. Der Senat hat sich unter Hintanstellung von Bedenken als berechtigt angesehen, auch das gesamte klägerische Vorbringen nach Schluss der mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen, denn hierdurch wird das Entscheidungsergebnis nicht zu Gunsten der Kläger beeinflusst. Der Beklagte zu 1) erleidet keinen verfahrensrechtlichen Nachteil. Die mündliche Verhandlung war ordnungsgemäß und keinesfalls verfrüht geschlossen worden, weshalb keine Veranlassung besteht, in die mündliche Verhandlung erneut einzutreten (§ 156 ZPO). Folge obiger Feststellung ist, dass der Beklagte zu 1) den Patienten nicht über die Möglichkeit einer retrograden Amnesie aufklären musste und er auch davon ausgehen durfte, dass dem Patienten die Kenntnis erhalten blieb, nicht Auto fahren zu dürfen, was auch für die nachfolgende Fragestellung der Patientenüberwachung von Bedeutsamkeit ist.

3. Letztlich ist eine Haftung des Beklagten zu 1) auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Überwachungsdefizits begründet. Eine Pflicht zur Patientensicherung besteht nur in den Grenzen des Erforderlichen und des für das Personal und den Patienten selbst Zumutbaren (vgl. Urteil des 3. ZS des BGH vom 23.9.1993, abgedruckt in VersR 1994 S. 50, 51). Soweit sich die Rechtsprechung mit Sicherungsmaßnahmen von Patienten zu befassen hatte, standen diese meist aufgrund einer psychischen Erkrankung in der Gefahr, sich selbst zu schädigen. Als von der Rechtssprechung herausgearbeitete Grundsätze, denen auch der Senat folgt, lassen sich beschreiben, dass das Krankheitsbild selbstschädigende Handlung des Patienten befürchten lässt, denen wirksam begegnet werden muss, und sich der Sorgfaltsmaßstab weitgehend nach dem medizinischen Standard des jeweiligen Fachgebietes bestimmt. Ein Patient, bei dem Bewusstseinstörungen auftreten, muss in besonderem Maße geschützt werden. Dem Beklagten zu 1), in dessen Obhut sich der Patient begeben hatte, oblag es, für eine Organisationsstruktur Sorge zu tragen, die einen präventiven Schutz des Patienten gewährleistet. Für die durch den Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung, ob ein Überwachungsverschulden vorlag, von welchem die Kläger mit sehr beachtlichen Argumenten ausgehen, stand zunächst im Vordergrund, dass 1993 - und auch heute noch nicht! - es keine verbindliche Empfehlungen im deutschen Bereich gibt, wie sedierte Patienten zu behandeln sind. In den USA sind Empfehlungen für schwer sedierte (heavy sedation) Patienten erst 1994 und 1996 herausgegeben worden. Dass sich heute bestimmte Standards herausgebildet haben, von denen vorliegend möglicherweise abgewichen wurde, darf nicht von Entscheidungsrelevanz sein. Vielmehr ist darauf abzustellen, welche Gefahren nach dem medizinischen Kenntnisstand von 1993 erkennbar waren und wie ihnen im Bereich der Inneren Medizin üblicherweise begegnet wurde. Im Vordergrund der zu beherrschenden Gefahren stand eine mögliche Störung von Vitalfunktionen (vor allem das Auftreten einer Atemdepression). Während dieser akuten Gefährdungszeit stand der Patient unter ständiger Bewachung, weshalb insoweit in Überwachungsverschulden ausgeschlossen werden kann. Der Beklagte zu 1) musste aber in seiner Überlegung mit einbeziehen, dass der Patient sediert war und nach Abklingen der Wirkung des Flumazenils sich wieder signifikante Sedierungswirkungen einstellen. Im besonderen hatte hier der Beklagte zu 1) zu berücksichtigen gehabt, dass aufgrund der hohen von ihm applizierten Dosis von Dormicum es bei dem Patienten zu einer Wirkungsverlängerung im Sinne eines längeren Nachschlafes kommen könnte, weshalb auch 1993 bereits eine post interventionelle Überwachung geboten war. In Deutschland kann (leider) auch heute noch nicht erwartet werden, dass nach US Vorbild eine post anesthesia care unit (Phase 2 PACU) vorgehalten wird. Ob der von dem Beklagten zu 1) zur Verfügung gestellte Überwachungsbereich Defizite aufwies, und ob diese Abweichungen schon den Vorwurf begründen können, es läge ein haftungsbegründendes Organisationsverschulden vor, kann nach Senatsansicht dahingestellt bleiben, weil mögliche haftungsbegründende Organisationsdefizite nicht im Rechtssinne für den Tod des Patienten kausal wurden. Diese Wertung des Senats basiert auf den nachstehenden Überlegungen: a) Als der Patient aus der intensiven Überwachung im Untersuchungsraum entlassen wurde, war dies nach Aktenstand zeitgerecht. b) Da der Patient trotz der hohen Dosis Midazolam zu keinem Zeitpunkt kardiopulmonale Nebenwirkungen aufwies, musste der Beklagte zu 1) auch nach dem Abklingen des Antagonisten Flumazenil nicht mehr mit solchen rechnen. c) In der Folgezeit war stets eine fachärztliche Betreuung gewährleistet. d) Der Patient war zum Zeitpunkt seines Weggehens, was durch die nachfolgenden Ereignisse belegt wird, raum- und zeitorientiert und konnte sich gezielt bewegen. e) Die zum Zeitpunkt des Todes gerichtsmedizinisch nachgewiesene Konzentration von Midazolam lässt die Schlussfolgerung zu, dass der Patient nicht mehr schwer sediert war.

In einer wertenden Betrachtung aller dieser Faktoren besteht kein Grund für die Annahme, dass der Beklagte zu 1) letztlich den Patienten hätte hindern können und rechtlich letztlich auch dürfen, das Krankenhaus zu verlassen. Der Patient war zum Zeitpunkt seines Weggehens aus dem Krankenhaus nach übereinstimmender Auffassung der Gutachter nicht mehr vital gefährdet. Im Sinne der Fachterminologie war der Patient home ready" (wenn auch nicht street ready"). Die Gefährdung die sich letztlich auch realisiert hat, trat erst mit dem Entschluss ein, unter Medikamenteneinfluss selbst Auto zu fahren. Dem Patienten war bekannt, dass er nicht im Anschluss an die Untersuchung Auto fahren dürfe. Dieses Wissen war nicht durch die Midazolamgabe verloren gegangen, weil der Senat davon ausgeht, dass grundsätzlich nicht mit einer retrograden Amnesie als Folge einer Midazoamapplikation zu rechnen ist. Zumindest der Beklagte zu 1) durfte auch unter Beachtung aller in Verkehr erforderlichen Sorgfaltspflichten davon ausgehen, dass der Patient das Wissen um das Fahrverbot behält. Im übrigen verhält es sich nach Aktenstand auch so, dass der Patient auch deutlich früher, nämlich durch seinen Hausarzt, der die Patientenvorstellung bei dem Beklagten zu 1) veranlasst hat, auf das Fahrverbot hin belehrt worden war. Wäre also die Auffassung der Kläger zutreffend, der Beklagte habe sich bei seinem Entschluss selbst Auto zu fahren, an das Fahrverbot nicht mehr erinnert, so müsste von einer retrograden Amnesie ausgegangen werden, die einen langen Zeitraum umfasst. Der Senat vermag nicht die Auffassung des Gutachters D. zu teilen, dass ein schriftlicher Hinweis hier mehr bewirkt hätte. Dass der Beklagte den Patienten nicht auch noch schriftlich vor den Gefahren des Autofahrens belehrt hat, erachtet der Senat für entscheidungsunerheblich. Die Schriftform der Belehrung dient im Regelfall nur Dokumentationszwecken. Dass der Beklagte zu 1) den Patienten belehrt hat, sieht der Senat als gesichert an. Auch wenn der Patient ordnungsgemäß durch den Beklagten zu 1) entlassen worden wäre, hätte für ihn die Möglichkeit bestanden, selbst Auto zu fahren. Zu der Aktion selbst Auto zu fahren, wäre es auch nach Senatsüberzeugung sicherlich dann nicht gekommen, wenn der Patient in die Obhut einer dritten Person übergeben worden wäre. Zwar war dies zunächst so geplant, weil die Ehefrau des Patienten diesen abholen sollte, aber durch eine Verkettung unglücklicher Umstände ist es hierzu nicht gekommen. Dies kann nach Senatsauffassung dem Beklagten zu 1) nicht angelastet werden, denn es gibt keine Rechtsgrundlage dafür, dass der Arzt einen nicht mehr schwer sedierten und im übrigen vital nicht gefährdeten Patienten nur in die Obhut eines Dritten entlassen darf. Dass eine solche Vorgehensweise wünschenswert ist und auch im Regelfall beachtet wird, bedeutet nicht, dass es sich um eine rechtlich zwingende Voraussetzung handelt. Im übrigen: Selbst wenn ein Arzt einen von ihm Behandelten in die Obhut eines verantwortlichen Erwachsenen zur Begleitung nach Hause entlässt, ist die Beobachtung nicht sichergestellt, denn die beiden Personen können sich wieder trennen. Der höchste Sicherheitsstandard wäre allein dann gegeben, wenn ein zu Untersuchender nur im stationären Bereich sediert werden dürfte und der Arzt auch noch das Recht hätte, ihn am Weggehen hindern zu dürfen. Eine solche Forderung zu erheben, entspricht indessen nicht der Wirklichkeit. Die Kausalität eines möglicherweise gegebenen Überwachungsdefizits für den Tod des Patienten war letztlich deshalb zu verneinen, weil auch bei ordnungsgemäßer Entlassung der Patient nicht gehindert gewesen wäre, seinen Entschluss, selbst Auto zu fahren, durchzusetzen.

4.

Die Kläger haben die Kosten der Berufung zu tragen, weil ihr Rechtsmittel letztlich in vollem Umfange erfolglos bleibt (§ 97 Abs. 1 ZPO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Ziff. 10 i.V.m. § 711 ZPO. Gemäß § 543 Abs. 2 ZPO i.d.F. des RG war die Revision zuzulassen, weil die Rechtssache im Hinblick auf die hier behandelten Rechtsfragen, im besonderen in Bezug auf post interventionelle Patientenüberwachung und die Bedeutsamkeit der Fachinformationen, durchaus grundsätzliche Bedeutung hat, wobei der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung nicht eng auszulegen ist (vgl. Zöller-Gummer, ZPO, 23. Aufl. 2002 Rn 8 ff zu § 543).

Ende der Entscheidung

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