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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 14.05.2002
Aktenzeichen: 13 U 15/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 26 Ziff. 5 EG
ZPO § 233
Keine Wiedereinsetzung, wenn ein Rechtsanwalt die Berechnungsfrist nach § 26 Ziff. 5 EG ZPO in der Übergangszeit ohne Kontrolle in jedem Einzelfall seinem Personal überlässt (§ 233 ZPO).
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

13 U 15/02

Verkündet am 14.05.2002

in dem Rechtsstreit ...

Der 13. Zivilsenat in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main hat durch die Richter am Oberlandesgericht ... aufgrund der Beratung vom 14.05.2002 beschlossen:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 20.11.2001 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des zweiten Rechtszuges zu tragen.

Der Gegenstandswert des zweiten Rechtszuges wird auf 7.222,59 * (vormals 14.126,15 DM) festgesetzt.

Gründe:

I. Mit Urteil vom 20.11.2001 ­ dem Beklagten am 10.01.2002 zugestellt ­ wurde der Beklagte verurteilt, an die Klägerin 19.397,42 DM nebst Zinsen zu zahlen. Auf die Widerklage wurde die Klägerin verurteilt, an den Beklagten 3.559,12 DM nebst Zinsen zu zahlen. Die weitergehende Klage und die weitergehende Widerklage wurden abgewiesen. Durch Berichtigungsbeschluss vom 22.01.2002 ­ dem Beklagten am 04.02.2002 zugestellt ­ wurde der Tenor des genannten Urteils gemäß § 319 ZPO dahin berichtigt, dass der Beklagte an die Klägerin nur 19.197,42 DM zu zahlen hat. Mit am 07.02.2002 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage legte der Beklagte Berufung gegen das vorbezeichnete Urteil ein. Am 11.03.2002 beantragte der Beklagte, "die Berufungsbegründungsfrist um 3 Wochen bis 02. April 2002 zu verlängern". Wegen der Begründung des Verlängerungsantrages wird auf Bl. 164 d. A. verwiesen. Am 13.03.2002 verfasste der stellvertretende Vorsitzende des mit der Sache befassten Senates ein Schreiben an den Prozessbevollmächtigten des Beklagten mit dem Inhalt, dem Verlängerungsantrag könne nicht entsprochen werden, da die Berufungsbegründungsfrist bereits am 07.02.2002 abgelaufen sei. Ausweislich eines Aktenvermerks wurde dieses Schreiben am 18.03.2002 zur Post gegeben (vgl. Bl. 164 R, 190 d. A.). Mit Schriftsatz vom 02.04.2002 ­ bei Gericht am 02.04.2002 eingegangen ­ begründete der Beklagte die Berufung und führte aus, der Widerklage sei zu Unrecht nur in Höhe von 3.559,12 DM stattgegeben worden; ihm stehe ein darüber hinausgehender Betrag von 7.222,59 * (vormals 14.126,15 DM) zu. Mit richterlichem Hinweisschreiben vom 03.04.2002 ­ dem Beklagten am 07.04.2002 zugestellt ­ wurde der Beklagte unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 13.03.2002 darauf aufmerksam gemacht, dass beabsichtigt sei, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der gesetzlichen Frist begründet worden sei.

Mit Schriftsatz vom 11.04.2002 bat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten um Übersendung des Schreibens vom 13.03.2002, welches ihm "mit Sicherheit nicht" vorliege. Am 19.04.2002 beantragte der Beklagte hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und führte aus, das Schreiben vom 13.03.2002 sei seinem Prozessbevollmächtigten bis zum 11.04.2002 nicht bekannt gewesen. Sein Prozessbevollmächtigter beschäftige in seiner Kanzlei unter anderem die Rechtsanwaltsgehilfin H. P., und zwar seit 1993. Frau P. habe bisher mit uneingeschränkter Zuverlässigkeit gearbeitet. Man könne sich auf sie ohne Einschränkung verlassen. Nach Eingang des Urteils habe Frau P. im Fristenkalender die Berufungsfrist auf den 11. Februar 2002 notiert und gleichzeitig als Ablauf der Berufungsbegründungsfrist den 11.03.2002 vermerkt. Dabei sei sie "nach dem Text der neuen ZPO" vorgegangen. Die "Notiz" des Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 16.01.2002, die mit Rücksicht auf die ZPO-Novelle Hinweise zur Fristenkontrolle enthält (vgl. wegen des Wortlauts Bl. 197 d. A.), habe Frau P. nicht zum Anlass genommen, bereits eingetragene Fristen nochmals zu überprüfen. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe im vorliegenden Fall keine Möglichkeit mehr gehabt, selbst zu kontrollieren. Es handele sich um einen auf die Umstellung der ZPO zurückzuführenden Ausnahmefall.

Die Klägerin ist dem Antrag auf Wiedereinsetzung entgegengetreten und erstrebt die Verwerfung der Berufung als unzulässig. Sie macht geltend, der Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe sein Personal bereits vor dem 01.01.2002 auf die gesetzlichen Neuerungen aufmerksam machen müssen, nicht erst am 16.01.2002. Im übrigen sei es verwunderlich, dass dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten das Hinweisschreiben vom 13.03.2002 am 11.04.2002 nicht bekannt gewesen sei.

II. 1.

Die Berufung des Beklagten ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen. Das angefochtene Urteil vom 20.11.2001 beruht auf der mündlichen Verhandlung vom 04.09.2001. Nach § 26 Ziff. 5 EG ZPO ist die vorliegende Berufung somit an den am 31.12.2001 geltenden zivilprozessualen Vorschriften zu messen. Die am 07.02.2002 und damit gemäß § 516 ZPO a. F. fristgerecht eingelegte Berufung hätte folglich gemäß § 519 II 2 ZPO a. F. am 07.03.2002 begründet werden müssen. Die Zustellung des gemäß § 319 ZPO ergangenen Berichtigungsbeschlusses vom 22.01.2002 am 04.02.2002 setzte keine neue Frist in Gang. Der Berichtigungsbeschluss bedingte für den Beklagten keine "Berichtigungsbeschwer" (vgl. statt vieler: Zöller/Gummer, 20. Aufl., § 517 ZPO a. F., Rdz. 3). Der Berufungsbegründungschriftsatz ging erst am 02.04.2002, also verspätet bei Gericht ein.

2. Die beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist war nicht zu gewähren. Dabei mag dahingestellt bleiben, wann dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten das richterliche Hinweisschreiben vom 13.03.2002 zur Kenntnis gelangte, ob also die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist gemäß § 234 I, II ZPO eingehalten ist. Nach § 233 ZPO kommt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann in Betracht, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten. Dabei steht ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich (§ 85 II ZPO). Diese Voraussetzung der Wiedereinsetzung ist vorliegend nicht erfüllt, wobei offen bleiben kann, ob die zum Antrag auf Wiedereinsetzung gemachten Angaben im Sinne des § 236 II ZPO ausreichend glaubhaft gemacht worden sind. Der Beklagte hat zwar geltend gemacht, die ansonsten zuverlässige Rechtsanwaltsgehilfin P. habe die Berufungsbegründungsfrist irrtümlich nach neuem Recht berechnet und eingetragen, und die Frist nach Erhalt der Informations-"Notiz" vom 16.01.2002 nicht nochmals überprüft. Diese Darlegungen rechtfertigen eine Wiedereinsetzung jedoch nicht, weil die Fristversäumung jedenfalls auch auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten beruht (zur Mitursächlichkeit von Anwaltsverschulden BGH VersR 1998, 1046 f.). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat sich anschließt, "darf ein Rechtsanwalt im Interesse seiner eigentlichen Aufgaben die im Zusammenhang mit der Erledigung seiner Mandatsgeschäfte anfallenden einfachen Verrichtungen, die keine besondere Geistesarbeit oder juristische Schulung erfordern, vielmehr wie das Führen eines Fristenkalenders routinemäßig bearbeitet werden, im Rahmen einer von ihm zu verantwortenden Büroorganisation zur selbständigen Erledigung auf geschultes, als zuverlässig erprobtes und sorgfältig überwachtes Personal übertragen" (BGH NJW 1991, 2082). Im Umfang dieser Delegation vorkommendendes Personalverschulden, das nicht auf Verschulden des Rechtsanwalts zurückgeht, hat die Partei nicht zu vertreten. Ein Rechtsanwalt kann daher zwar die Berechnung üblicher und in seiner Praxis häufig vorkommender Fristen seinem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Personal überlassen (BGH in st. Rspr., vgl. z. B. NJW 1996, 1349, 1350). Wirft die Berechnung von Fristen allerdings rechtliche Schwierigkeiten auf ­ wie es z. B. für die Berechnung von Fristen galt, die durch den Lauf von Gerichtsferien beeinflusst wurden ­ kommt eine solche Delegation nicht in Betracht (BGH NJW 1996, 1349, 1350 sowie VersR 1998, 1046 f.). Vor diesem Hintergrund durfte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten seinem Personal ­ zumindest in der hier relevanten Übergangszeit (die Fehlberechnung erfolgte vor dem 16.01.2002) - die Fristberechnung und die entsprechenden Eintragungen in den Fristenkalender nicht eigenverantwortlich überlassen. Er musste, weil es bei der Fristenberechnung nach § 26 Ziff. 5 EG ZPO in der Übergangszeit auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ankommt, auf die das anzufechtende Urteil ergeht, die Fristen selbst berechnen oder sein Personal im Sinne einer gleitenden Überleitung in die zukünftig zu erstrebende Selbständigkeit in jedem Einzelfall durch Anweisungen führen und kontrollieren.

Unabhängig von der Frage, inwieweit die "Notiz" des Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 16.01.2002 als geeignete Information bzw. Anweisung zu den durch die ZPO-Novelle bedingten Probleme bei der Fristberechnung zu behandeln ist, erfolgte die Information zudem zu spät. Wenn überhaupt eine Delegation zulässig gewesen sein könnte, dann hätten die geeigneten Weisungen bereits so rechtzeitig erteilt werden müssen, dass sie schon am ersten Arbeitstag des neuen Jahres hätten beachtet werden können.

Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hätte im vorliegenden Fall die Fristversäumung auch dann vermeiden können, wenn er entweder alle bereits eingetragenen Fristen am 16. Januar 2002 nachträglich überprüft hätte, oder im vorliegenden Fall spätestens bei Wiedervorlage der Akten zum Zwecke der Einlegung der Berufung die eingetragene Berufungsbegründungsfrist kontrolliert hätte.

Der Beklagte hat gemäß § 97 I ZPO die Kosten des zweiten Rechtszuges zu tragen. Der Gegenstandswert des zweiten Rechtszuges beträgt 7.222,59 * (vormals 14.126,15 DM).

Ende der Entscheidung

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