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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 27.03.2008
Aktenzeichen: 15 U 217/07
Rechtsgebiete: AUB 61


Vorschriften:

AUB 61 § 2
Orientierungssatz: 1. Ein Unfall im Sinne von § 2 I AUB 61 liegt vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Dabei können auch eigene Bewegungen des Verletzten Unfälle bewirken, wenn sie in ihrem Verlauf nicht willensgesteuert sind und die Gesundheitsbeschädigung zusammen mit einer äußeren Einwirkung ausgelöst haben. 2. Zur Einordnung einer Beinamputation als Folge eines Unfalls oder einer eigenständigen Erkrankung und zur Frage der Beweislast hierfür.
Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen eines Unfalls, der sich am 12.05.2004 ereignet haben soll, auf Zahlung von Versicherungsleistungen aus einem Unfallversicherungsvertrag in Anspruch.

Der Kläger war von Beruf Starkstromelektriker. Er schloss mit der Beklagten am 11.07.1979 einen "Unfall-Kompakt-Versicherungsvertrag" ab, in dem sich die Beklagte verpflichtete, ihm im Versicherungsfall Invaliditätsschutz, Krankenhaustagegeld, Genesungsgeld und eine Übergangsentschädigung zu zahlen. Der Versicherungsfall tritt gemäß §§ 1, 2 der vereinbarten AUB 61 ein, wenn dem Versicherten während der Vertragsdauer ein Unfall zustößt. Wegen der Einzelheiten des Versicherungsvertrages wird auf den zu den Akten gereichten Versicherungsschein (Bl. 15 d. A.), die AUB 61 sowie die weiteren besondere Bedingungen (Bl. 18-24 d. A.) verwiesen.

Bereits vor dem 12.05.2004 litt der Kläger an Adipositas, Bluthochdruck und an einer arteriellen Verschlusskrankheit in beiden Beinen. Ihm waren im ... 2003 ein Bypass in der Arterie des linken Oberschenkels und am ...2004 ein Bypass in der Arterie des rechten Oberschenkels implantiert worden. Der Kläger war bis Anfang ... 2004 krankgeschrieben und nahm seine Arbeit sodann wieder auf.

Am 13.05.2004 begab sich der Kläger in stationäre ärztliche Behandlung in das "Klinikum A" in O1, wo er über Schmerzen und Gefühllosigkeit im rechten Fuß und über Schmerzen im rechten Unterschenkel klagte. Ausweislich des ärztlichen Berichts des Chefarztes Dr. B vom 26.05.2004 (Bl. 152-154 d. A.) wurde zunächst ein Embolus im rechten Bypass entfernt. Da das Bein danach immer noch kühl war, erfolgte eine Angiographie, die einen weiteren, ca. 2 cm langen Verschluss der arteria femoralis profunda (Beinschlagader) zeigte. Trotz erneuter Embolektomie und Bypassverlängerung blieb es bei dem inzwischen eingetretenen Kompartmentsyndrom und den Sensibilitätsstörungen im Unterschenkel. Der Kläger wurde am 21.05.2004 in das Kreiskrankenhaus C verlegt, wo ihm am darauffolgenden Tag das rechte Bein im Bereich des Oberschenkels amputiert werden musste.

Weder gegenüber den behandelnden Ärzten des Klinikums am A noch gegenüber den Ärzten des Krankenhauses C hat der Kläger von einem Unfallgeschehen berichtet. In dem Bericht des Chefarztes Dr. B vom 26.05.2004 heißt es vielmehr u. a.:

"Anamnese: Nach einer lange knienden Tätigkeit am 12.05.2004 klagt der Patient wieder über zunehmende Schmerzen im rechten Fuß und rechten Unterschenkel."

Der Chefarzt Dr. B führt in dem für die Berufsgenossenschaft erstellten Zusammenhangsgutachten vom 30.03.2005 (Bl. 155-157 d. A.) u. a. aus:

"Der Versicherte kam am 13.05.2004 über die Notfallaufnahme zur stationären Aufnahme. Zum Unfallhergang berichtete er bei der Aufnahme folgendes: Gestern hatte ich längere Zeit eine kniende Tätigkeit ausgeführt, danach hatte ich zunehmende Schmerzen im rechten Fuß und Unterschenkel.

Beurteilung des Krankheitsverlaufes:

Laut Schreiben der Berufsgenossenschaft ... gibt Herr X als Unfallhergang folgendes an: "Ich hatte die Aufgabe, in einem Kabelkeller am Bahnhof O1 Kabel für eine Weichenheizungsanlage zu verlegen. Bei diesen Arbeiten rutschte ich aus und knickte mit dem rechten Bein um." Diese Unfallschilderung entspricht nicht der Schilderung des Versicherten am Aufnahmetag. Bei der Aufnahme wurde von einem Umknicken nicht berichtet, vielmehr führte der Patient die Symptome auf längere kniende Tätigkeit zurück. Bei dem Versicherten liegt eine arterielle Verschlusskrankheit vor, die durch einen Kunststoff-Bypass beider Oberschenkel in einem auswärtigen Haus erfolgreich versorgt wurde. Im Zusammenhang mit einer längeren knienden Tätigkeit kann es durchaus zu einem Abknicken des Kunststoff-Bypasses und einer Thrombosierung, d. h. Verstopfung, der künstlichen Arterie kommen. Der Versicherte hat bei der stationären Aufnahme hier von einem Umknicken des rechten Beines nicht berichtet."

Erstmals mit Schadensanzeige vom 10.11.2004 (Bl. 16 f. d. A.) hat der Kläger den Vorfall vom 12.05.2004 wie folgt geschildert:

"Beim Kabel verlegen im Kabelkeller der Weichenheizungsanlage rutschte ich plötzlich mit dem Knieschoner seitlich weg mit dem linken Bein und bin mit dem rechten Bein voll abgeknickt. Später stellte ich fest das ich schlecht laufen konnte. In den Morgenstunden des 13.05.2004 konnte ich kaum noch mit dem rechten Bein laufen. Daraufhin bin ich in die Klinik A."

Die Beklagte hat mit der Begründung, es liege kein Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen vor, sondern die Amputation sei Folge einer eigenständigen Erkrankung, jegliche Leistungen abgelehnt.

Der Kläger hat behauptet, er sei am 12.05.2004 mit dem Verlegen von Kabeln im Kabelkeller der Weichenheizungsanlage auf dem Bahnhof O1 beschäftigt gewesen. Er habe sich im Kabelkeller mit zwei Knieschonern hingekniet und sei dann bei dem Versuch, ein verdrehtes Kabel mit der rechten Hand herauszuziehen, mit dem linken Knieschoner ausgerutscht, weil das Kabel zunächst einen Widerstand geleistet, dann aber plötzlich nachgegeben habe. Dabei sei er mit dem rechten Bein voll abgeknickt, nach vorne seitlich links umgefallen und zwischen zwei Stangen liegengeblieben, das linke Bein untenliegend und das rechte Bein daraufliegend. Zu dem arteriellen Verschluss sei es entweder durch das Abknicken des rechten Beines im Moment des Sturzes oder aber durch das minutenlange Liegenbleiben in misslicher Lage gekommen. Gegenüber den behandelnden Ärzten des Klinikums A und des Kreiskrankenhauses C habe er den Unfall nicht erwähnt, weil diese ihn nicht nach den Ursachen seiner Beschwerden gefragt hätten. Der Befund eines Gefäßverschlusses sei nämlich eindeutig gewesen und es habe die Ärzte nicht interessiert, bei welcher Gelegenheit es zu dem Verschluss gekommen sei.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

1) an ihn 66.892,37 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.01.2005 zu zahlen,

2) an ihn 1.044,00 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen,

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat bestritten, dass der Kläger am 12.05.2004 im Kabelkeller der Weichenheizungsanlage gearbeitet habe und ferner, dass es dabei zu dem von dem Kläger geschilderten Unfallgeschehen gekommen sei. Die Beklagte hat darüber hinaus die Ansicht vertreten, dass selbst unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers kein Unfall im Sinne des § 2 AUB 61 vorliege, sondern nur eine ungeschickte Eigenbewegung, weil es an einer Einwirkung von außen fehle.

Die 6. Zivilkammer des Landgerichts Kassel hat die Klage ohne Anhörung des Klägers und ohne Beweisaufnahme mit am 16.08.2007 verkündetem Urteil (Bl. 106-115 d. A.), auf das gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, abgewiesen. Zur Begründung hat die Vorinstanz ausgeführt, es könne dahinstehen, ob die Behauptungen des Klägers zu den Ereignissen am 12.05.2004 wahr seien, denn selbst in diesem Fall liege kein Unfall im Sinne des § 2 AUB 61 vor. Das Wegfallen des Widerstandes in dem Moment, in dem sich das Kabel gelöst habe, sei kein von außen wirkendes Ereignis und das behauptete Abknicken mit dem rechten Bein daher keine Unfallfolge; das Liegenbleiben in ungünstiger Position sei kein plötzliches Ereignis, sondern ein Dauerzustand und deshalb kein Unfall.

Gegen das ihm am 29.08.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24.09.2007 Berufung eingelegt und diese am 12.10.2007 begründet.

Der Kläger ist der Meinung, das angefochtene Urteil beruhe auf einer Rechtsverletzung, weil die 6. Zivilkammer den Begriff des Unfalls verkannt habe.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des am 16.08.2007 verkündeten Urteils der 6. Zivilkammer des Landgerichts Kassel (6 O 367/07) zu verurteilen, an ihn 66.892,37 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2005 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.044,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung (17.03.2007) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung der bereits erstinstanzlich vorgetragenen Argumente.

Der Senat hat den Kläger gemäß § 141 Abs. 1 S. 1 ZPO persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 21.02.2008 (Bl. 189-194 d. A.) verwiesen. Wegen des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die Berufungsbegründung vom 11.10.2007 (Bl. 134-140 d. A.) und auf die Berufungserwiderung vom 31.01.2008 (Bl. 165-168 d. A.) sowie auf die Schriftsätze vom 10.01.2008 (Bl. 151 d. A.), 14.02.2008 (Bl. 176 d. A.) und 15.02.2008 (Bl. 183 d. A.) Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der Begründungsfrist begründet worden und auch im übrigen zulässig.

In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

Allerdings trägt die Begründung in dem angefochtenen Urteil, das von dem Kläger behauptete Geschehen im Kabelschacht sei schon vom Grundsatz her kein Unfall im Sinne des § 2 Abs.1 AUB 61, nicht. Ein Unfall im vorgenannten Sinne liegt vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Dabei können auch eigene Bewegungen des Verletzten Unfälle bewirken, wenn sie in ihrem Verlauf nicht willensgesteuert sind und die Gesundheitsbeschädigung zusammen mit einer äußeren Einwirkung ausgelöst haben (Prölss/Martin-Knappmann, VVG, 27. Aufl. München 2004, § 1 AUB 94 Rdnr. 7). Die Arbeit an einem Gegenstand ist nur dann keine Einwirkung in diesem Sinne, solange dieser ausschließlich Objekt von Bemühungen bleibt, also keine Eigendynamik entwickelt, und der Geschädigte auch nicht stürzt, umknickt oder abgleitet (OLG Koblenz, VersR 2005, 1425 [1425]; OLG Frankfurt, VersR 1996, 1355 [1355]; OLG Hamm, VersR 1976, 336 [336]; OLG Schleswig, VersR 1970, 1048 [1048]). Der Kläger behauptet, dass das Kabel, an dem er gezogen habe, zunächst einen Widerstand entgegengesetzt, dann aber plötzlich nachgegeben habe, wodurch er gestürzt sei. Dies wäre ein nahezu klassischer Unfall. Entgegen den Ausführungen der 6. Zivilkammer wäre das behauptete Unfallgeschehen auch "plötzlich" im Sinne des § 2 Abs. 1 AUB 61 eingetreten. Das Erfordernis der Plötzlichkeit dient der Abgrenzung der versicherten Risiken gegenüber solchen Ereignissen, die durch einen allmählichen, sich auf einen längeren Zeitraum erstreckenden Eintritt des schädigenden Ereignisses (nicht: des darauf beruhenden Gesundheitsschadens) gekennzeichnet sind (BGH, VersR 1985, 177 [177]). Der Begriff der Plötzlichkeit setzt voraus, dass sich das Ereignis innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums abgespielt hat. Er erschöpft sich nicht in dem objektiven Merkmal der kurzen Dauer, sondern schließt als subjektives Merkmal das Moment des Unerwarteten, Unvorhergesehenen ein (OLG Nürnberg, VersR 1962, 773 [774]). Das Nachlassen des Widerstandes des Kabels soll "von einer Sekunde auf die andere" und für den Kläger unerwartet erfolgt sein. Auch das anschließende Liegenbleiben wäre Folge eines Unfalls (nicht: der Unfall selbst) und käme daher, wenn die spätere Amputation allein hierauf zurückzuführen sein sollte, prinzipiell ebenfalls als den Versicherungsanspruch auslösendes Ereignis in Betracht.

Gleichwohl kann dem Kläger kein Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 66.892,37 € aus dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Versicherungsvertrag gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 VVG in Verbindung mit § 8 Abs. 2 AUB 61 (Invaliditätsentschädigung), § 8 Abs. 4 AUB 61 (Krankenhaustagegeld), § 8 Abs. 5 AUB 61 (Genesungsgeld) und § 8 Abs. 7 AUB 61 (Übergangsentschädigung) zuerkannt werden. Er hat nämlich seine Behauptung, am 12.05.2004 einen Unfall erlitten zu haben, nicht plausibel darlegen können.

Die Beweislast für den behaupteten Unfall, aus dem der Kläger die vertraglich vereinbarten Rechte für sich herleitet, liegt bei dem Kläger. Der Senat hat gemäß § 286 ZPO unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob die Behauptung des Klägers für wahr zu erachten ist. Insoweit wäre die Herbeiführung der vollen richterlichen Überzeugung erforderlich gewesen. Hierunter versteht man mehr als eine überwiegende Wahrscheinlichkeit; es bedarf vielmehr der persönlichen Gewissheit, das heißt eines so hohen Grades an Wahrscheinlichkeit, dass vernünftige Zweifel nicht mehr bestehen bleiben. Diese Gewissheit herbeizuführen, ist dem Kläger nicht gelungen. Der vorliegende Fall wird vielmehr von mehreren Umständen geprägt, die die von der Beklagten geäußerten Bedenken an der Richtigkeit der Sachdarstellung des Klägers nachvollziehbar erscheinen lassen.

Insoweit fällt zunächst auf, dass der Kläger den fraglichen Unfall weder gegenüber den erstbehandelnden Ärzten im Klinikum A noch gegenüber den Ärzten des Kreiskrankenhauses C erwähnt hat, obwohl dies, wenn sich der Unfall am Vortag ereignet haben und die Beschwerden, wie der Kläger berichtet hat, zeitnah hierzu aufgetreten sein sollten, naheliegend gewesen wäre. Dabei hat sich im Verlaufe des Rechtsstreits herausgestellt, dass die von dem Kläger im ersten Rechtszug aufgestellte Behauptung nicht korrekt gewesen ist, die Ärzte hätten nach den Ursachen für seine Beschwerden nicht gefragt, da der Befund eines Gefäßverschlusses eindeutig gewesen und es völlig uninteressant gewesen sei, bei welcher Gelegenheit es zu dem Verschluss gekommen sei. Anlässlich seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat hat der Kläger eingeräumt, dass die Ärzte ihn gefragt haben, wie sich die Symptomatik entwickelt und was er zuvor gemacht habe. Dies erscheint lebensnah, weil sich ein Arzt bei akuten Beschwerden eines Patienten erfahrungsgemäß routinemäßig darüber informiert, wie es zu der aktuellen Situation gekommen ist, um hieraus erste Rückschlüsse auf die Ursachen des Leidens zu ziehen.

Ein weiterer Umstand, der Anlass für Zweifel gibt, ist darin zu sehen, dass die ärztlichen Berichte nicht etwa gar keine Angaben zu den möglichen Ursachen für das Beschwerdebild enthalten, sondern vielmehr eine "längere kniende Tätigkeit" als auslösenden Faktor beschreiben. Dass der Kläger eine solche längere kniende Tätigkeit, - die keinen Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen darstellt -, ausgeübt hat, werden sich die Ärzte kaum selbst ausgedacht haben, sondern wird von dem Kläger ins Gespräch gebracht worden sein.

Der Kläger hat auf die Frage, wie er sich erkläre, dass das von ihm nunmehr geschilderte Unfallgeschehen keinen Eingang in die ärztlichen Unterlagen gefunden hat, ausgeführt, die Situation sei für ihn anfangs sehr schwierig gewesen sei, weil er starke Schmerzen verspürt habe und man ihm schon sehr frühzeitig bedeutet habe, sein Bein müsse amputiert werden, so dass er andere Gedanken im Kopf gehabt habe, als den Unfallhergang im Einzelnen darzustellen. Insoweit ist zum einen zu bemerken, dass selbst heftige Schmerzen einen Patienten in der Regel nicht daran hindern, die Fragen der behandelnden Ärzte richtig zu beantworten. In einer solchen Situation führt der Leidensdruck des Patienten im Gegenteil eher dazu, dass dieser, ggf. ohne große Umschweife, richtige Angaben macht, in der Hoffnung, die Ärzte mögen rasch die Ursache für seine Schmerzen herausfinden und damit in die Lage versetzt werden, Linderung zu schaffen. Fernliegend ist es demgegenüber, dass ein Patient in dieser Lage sogar falsche Angaben macht - der Kläger hat anlässlich seiner Anhörung vor dem Senat ausgesagt, dass er am 12.05.2004 weder vor dem fraglichen Ereignis noch danach gekniet habe - und sich der Gefahr aussetzt, zunächst unzweckmäßig behandelt zu werden. Zum anderen überzeugt der Erklärungsversuch des Klägers, er sei zu diesem Zeitpunkt bereits mit der Thematik der Amputation beschäftigt gewesen, nicht. Die Information, dass eine Amputation im Raume stehe, werden die Ärzte im Klinikum A nicht in den ersten Stunden des stationären Aufenthalts, der, wie üblich, der Anamneseerhebung und Diagnostik gewidmet gewesen sein dürfte, erteilt haben.

Vom zeitlichen Ablauf her erfolgt die Erstbefragung des nicht bewusstlosen Patienten durch den Arzt regelmäßig ganz am Anfang der Behandlung und vor der Durchführung diagnostischer Maßnahmen, denn sie dient ja gerade dazu herauszufinden, welche Untersuchungen überhaupt sinnvoll erscheinen. Auf die Frage, wie die "längere kniende Tätigkeit", die er an diesem Tag gar nicht ausgeübt haben will, Eingang in die ärztlichen Unterlagen gefunden hat, hat der Kläger die Vermutung geäußert, er sei vielleicht falsch verstanden worden, und zwar möglicherweise auf Grund von Schwierigkeiten der Ärzte mit der nordhessischen Sprache. Dies erscheint indes eher unwahrscheinlich, weil sich der Kläger klar und deutlich ausdrückt, wie der Senat hat feststellen können. Es kommt hinzu, dass nicht nachvollziehbar ist, welche Worte der Kläger gebraucht haben könnte, die sich wie "kniende Tätigkeit" anhören, aber einen anderen Sinn haben. Letztendlich hat der Kläger sodann auch eingeräumt, er könne nicht näher erklären, warum in dem Arztbericht die Rede von einer längeren knienden Tätigkeit sei und wieso er nicht bereits damals den nunmehr geschilderten Unfall erwähnt habe.

Die ergänzende Anhörung des Klägers durch den Senat hat darüber hinaus ergeben, dass dieser nicht einmal seinem Arbeitskollegen, dem Zeugen Z1, der ihn am 13.05.2004 in die Klinik gefahren hat, von dem Unfall berichtet hat. Eine plausible Erklärung hierfür gibt es ebenfalls nicht.

Ein weiterer Aspekt, der bedenklich stimmt, liegt darin, dass der Kläger sich erst sechs Monate nach dem angeblichen Unfall bei der Beklagten gemeldet hat, um Ansprüche aus dem Unfallversicherungsvertrag geltend zu machen. Es wäre zwar nachvollziehbar, wenn ein Versicherter nach einem so gravierenden Einschnitt wie der Amputation eines Oberschenkels nicht gleich in der ersten oder zweiten Woche nach dem Eingriff eine Unfallanzeige macht. Mit einem solchen Schritt ist aber insbesondere angesichts der auch wirtschaftlichen Folgen, die eine Amputation nach sich zieht und über die sich der Betroffene Gedanken machen wird, nach einem oder zwei Monaten zu rechnen; ein Zeitraum von einem halben Jahr erscheint demgegenüber ungewöhnlich lang. Die von dem Kläger hierzu abgegebene Erklärung, er sei erst anlässlich eines Gesprächs im November 2004 von einem Kollegen, der Betriebsrat sei, auf die Idee aufmerksam gemacht worden, dass er einen Unfall erlitten habe, eröffnet Raum für Spekulationen und lässt die Vermutung der Beklagten, der Unfall habe gar nicht stattgefunden, nicht als völlig abwegig erscheinen.

Es kommt hinzu, dass der Kläger das Unfallereignis im Verlauf des Rechtsstreits unterschiedlich geschildert hat. Erstinstanzlich hat der Kläger vorgetragen, er sei seinerzeit nach vorne seitlich links umgefallen und zwischen zwei Stangen liegengeblieben, das linke Bein untenliegend und das rechte Bein daraufliegend. Anlässlich seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat hat der Kläger angegeben, er sei damals mit dem Oberkörper nach rechts vorne gefallen, wobei sein linkes Bein seitlich nach links ausgespreizt und sein rechtes Bein maximal angewinkelt gewesen seien, so dass sein rechtes Knie auf der Brust gewesen sei und sein ganzer Oberkörper auf seinem angewinkelten rechten Bein gelegen habe. Diese Ausführungen lassen sich mit der schriftsätzlich vorgebrachten Unfallversion nicht in Einklang bringen; sie stehen hierzu vielmehr in Widerspruch. Dabei hält es der Senat für unwahrscheinlich, dass die schriftsätzliche Schilderung auf einem Missverständnis bei der Kommunikation zwischen Mandant und Anwalt oder auf einem Übertragungsfehler beruht. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist dem Senat als gewissenhafter und seriöser Rechtsanwalt bekannt. Er hat glaubhaft berichtet, den auf seinen Rollstuhl angewiesenen Kläger zu Hause aufgesucht und sich viel Zeit genommen zu haben, um sich den Unfall genau schildern zu lassen. Dabei habe er dem Kläger verdeutlicht, dass es auf die genauen Einzelheiten ankomme, weil die Gegenseite das Unfallgeschehen in Abrede gestellt habe und Zeugen nicht vorhanden seien, und den Schriftsatz sodann in Anwesenheit des Klägers diktiert.

Schließlich ist nicht zu verkennen, dass vorliegend auch eine andere Ursache für die eingetretene Invalidität ernsthaft in Betracht kommt, nämlich die Vorerkrankung des Klägers, der schon seit Jahren an einer arteriellen Verschlusskrankheit in beiden Beinen litt.

Nach alldem erscheint dem Senat das von dem Kläger behauptete und von der Beklagten zulässigerweise bestrittene Unfallgeschehen nicht als so hochgradig wahrscheinlich, dass vernünftige Zweifel nicht mehr bestehen blieben. Die von der Beklagten aufgezeigten Zweifel sind vielmehr nachvollziehbar und nicht von der Hand zu weisen; sie gehen zu Lasten des beweisbelasteten Klägers. Mangels Verzugs stehen dem Kläger weder Verzugszinsen (§§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB) noch ein Anspruch auf Erstattung der ihm entstandenen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten (§§ 280 Abs. 2, 286 BGB) zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, 2; 709 S. 2 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben, weil die Berufungsentscheidung eine Einzelfallentscheidung ist, die weder grundsätzliche Bedeutung hat noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert.

Ende der Entscheidung

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