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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 24.02.2000
Aktenzeichen: 15 U 268/98
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 304
ZPO § 551 Nr. 7
ZPO § 539
ZPO § 315 Abs. 2
ZPO § 551
ZPO § 516
ZPO § 552
ZPO § 540
ZPO § 301 Abs. 1
ZPO § 318
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 546 Abs. 2 Satz 1
BGB § 635
Wesentlicher Verfahrensmangel bei Abfassung des Urteils erst 14 Monate nach dessen Verkündung.
OBERLANDESGERICHT FRANKURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

15 U 268/98

4 O 881/93 LG Kassel

Verkündet am 24.02.2000

In dem Rechtsstreit ...

hat der 15. Zivilsenat in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Antrecht und die Richter am Oberlandesgericht Knauff und Bloch aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2000

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 29. April 1998 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Kassel zurückverwiesen, das auch über die Kosten dieses Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer beider Parteien wird auf 209.883,50 DM festgesetzt.

Tatbestand:

Der Beklagte ist Landwirt. Er beauftragte die Klägerin am 10. September 1990 auf der Grundlage ihrer Allgemeinen Verkaufs-, Lieferungs- und Zahlungsbedingungen, auf seinem landwirtschaftlichen Anwesen einen Güllebehälter aus Stahlbeton herzustellen. Die Klägerin führte den Auftrag im November 1990 aus. Der Beklagte nahm die Werkleistung mit Bauabnahmeschein vom 23. November 1990 ab. Über die erbrachten Leistungen erstellte die Klägerin ihre Rechnung vom 11. Dezember 1990 über 32.577,78 DM, deren Ausgleich der Beklagte wegen von ihm behaupteter Mängel und u.a. mit der Begründung verweigerte, die Beklagte habe nicht den Nachweis für die Dichtigkeit des Güllebehälters erbracht.

Mit der Behauptung, die ihr übertragenen Werkleistungen mängelfrei erbracht zu haben, hat die Klägerin vom Beklagten mit der vorliegenden Klage Zahlung von 32.577,78 DM nebst Zinsen verlangt.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat gegenüber der Klageforderung die Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen wegen Mängeln der Werkleistung der Klägerin erklärt. Die Klageforderung nach Darstellung des Beklagten übersteigende Schadensersatzansprüche hat er in Höhe von 177.305,72 DM nebst Zinsen widerklagend geltend gemacht.

Der Einzelrichter der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kassel hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung von vier Zeugen, durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens sowie durch Einnahme des Augenscheins. Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29. April 1998 hat der Einzelrichter am Schluß der Sitzung folgendes Urteil verkündet:

Teilurteil

Die Klage wird abgewiesen. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

Da den Parteien ein vollständig abgefaßtes Urteil in der Folgezeit nicht zugestellt wurde, hat die Klägerin am 29. Oktober 1998 Berufung eingelegt und für die Berufungsbegründung Fristverlängerungen bis einschließlich 6. September 1999 erwirkt. Das Urteil wurde der Klägerin schließlich am 23. Juni 1999 zugestellt. Das vollständig abgefaßte Urteil, auf dessen Inhalt ergänzend verwiesen wird, ist mit Grund- und Teilurteil" überschrieben, und in den Entscheidungsgründen hat das Landgericht ausgeführt: Die Klage sei abzuweisen, weil die Klageforderung infolge der vom Beklagten erklärten Aufrechnung mit gegenläufigen Schadensersatzansprüchen erloschen sei; der Widerklage sei hingegen insofern stattzugeben, als gemäß § 304 ZPO ein Grundurteil zu erlassen sei, während die Höhe der Widerklageforderung noch aufgeklärt werden müsse.

Die Klägerin hat die Berufung am 6. September 1999 begründet. Sie trägt vor: Es sei fraglich, ob in Bezug auf die Widerklage überhaupt durch Urteil entschieden worden sei; denn nach dem Tenor der Entscheidung sei lediglich die Klage, nicht aber die Widerklage beschieden worden. Unabhängig davon sei ein Grundurteil auch nicht zulässig gewesen, weil nicht feststehe, daß der Beklagte von ihr Schadensersatz in einer die Aufrechnungsforderung übersteigenden Höhe verlangen könne. Tatsächlich stehe dem Beklagten keinerlei aufrechenbare Gegenforderung zu, weil sie, die Klägerin, die ihr obliegenden Werkleistungen ordnungsgemäß erbracht habe. Jedenfalls seien die Voraussetzungen für einen Gewährleistungsanspruch des Beklagten gemäß § 635 BGB nicht gegeben.

Die Klägerin beantragt in erster Linie, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

Hilfsweise begehrt sie, das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an sie 32.577,78 DM nebst 14,75 % Zinsen seit 20. Januar 1991 zu zahlen sowie die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie führt indes aus, es sei wohl geboten, die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Landgericht zurückzuverweisen, weil das am 29. April 1998 verkündete, mit schriftlichen Gründen jedoch erst im Juni 1999 zugestellte Urteil als nicht mit Gründen versehen" im Sinne des § 551 Nr. 7 ZPO anzusehen sei.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie führt zu einer Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils sowie zu einer Zurückverweisung der Sache an das Landgericht; denn das Verfahren des ersten Rechtszuges leidet an einem wesentlichen Mangel im Sinne des § 539 ZPO. Dieser Verfahrensmangel folgt daraus, daß zwischen dem Zeitpunkt der Verkündung des noch nicht vollständig abgefaßten Urteils und der endgültigen Abfassung des vollständigen Urteils nahezu 14 Monate vergangen sind. Diese Zeitspanne ergibt sich mangels des sonst üblichen Vermerks des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle darüber, wann das Urteil zur Geschäftsstelle gelangt ist, aus der Verfügung des Urteilsverfassers vom 15. Juni 1999, mit der die Zustellung des Urteils veranlaßt worden ist. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, daß das Urteil bereits zu einem früheren Zeitpunkt in vollständig abgefaßter Form vorlag und lediglich die Zustellung versehentlich nicht bewirkt wurde. Dies gilt um so mehr, als die schriftliche Erinnerung des Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 23. März 1999 ebenso wie die Aktenanforderung des Oberlandesgerichts vom 1. Juni 1999 in den Akten vor dem vollständig abgefaßten Urteil abgeheftet sind.

Gemäß § 315 Abs. 2 ZPO hätte das im Verhandlungstermin des Landgerichts vom 29. April 1998 verkündete Urteil aber vor Ablauf von drei Wochen vollständig abgefaßt der Geschäftsstelle übergeben werden müssen. Konnte dies ausnahmsweise nicht geschehen, wofür vorliegend nichts ersichtlich ist, ist innerhalb dieser Frist das von dem/den Richter(n) unterschriebene Urteil ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe der Geschäftsstelle zu übergeben, und Tatbestand und Entscheidungsgründe sind alsbald nachträglich anzufertigen, von dem/den Richter(n) besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übergeben. Diese Anforderungen sind hier nicht beachtet worden. Denn ein Urteil wird jedenfalls dann nicht mehr alsbald" vollständig angefertigt und der Geschäftsstelle übergeben, wenn zwischen der Verkündung des Stuhlurteils" und der Abfassung des vollständigen Urteils mehr als fünf Monate vergangen sind. Das Urteil ist in diesem Falle als nicht mit Gründen versehen" im Sinne des § 551 Nr. 7 ZPO anzusehen (vgl. GmS-OGB, NJW 1993, 2603, 2604). Damit liegt auch ein wesentlicher Mangel im Sinne des § 539 ZPO vor; denn es ist anerkannt, daß jeder absolute Revisionsgrund im Sinne von § 551 ZPO grundsätzlich auch einen schwerwiegenden Verfahrensmangel im Sinne von § 539 ZPO darstellt (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 21. Auflage, § 539 Rdnr. 3; Zöller/Vollkommer, a.a.O., 315 Rdnr. 6 m.w.N.). Es ist auch davon auszugehen, daß das angefochtene Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruht; denn gemäß § 551 Nr. 7 ZPO ist eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Dem ist der Fall gleichzustellen, daß ein Urteil nicht spätestens innerhalb von fünf Monaten mit Gründen versehen wurde (vgl. GmS-OGB a.a.O.; BGH NJW 1985, 2958; OLG Frankfurt, MDR 1995, 311, 312; OLG Stuttgart, VersR 1989, 863). Vorliegend kann auch keinesfalls ausgeschlossen werden, daß die Nichteinhaltung der 5-Monats-Frist der §§ 516, 552 ZPO dazu geführt hat, daß das in vollständiger Form abgefaßte Urteil nicht mehr dem Ergebnis der zugrundeliegenden letzten mündlichen Verhandlung vom 29. April 1998 entspricht. Im Gegenteil legen die Umstände des Falles es nahe, daß das Urteil in seiner endgültigen Form auf einer Fehlerinnerung des Richters beruht. Denn die Klägerin weist zu Recht darauf hin, daß die Überschrift und der Tenor des dem Protokoll vom 29. April 1998 ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe beigefügten Urteils mit der Überschrift und dem Inhalt der Entscheidungsgründe des Urteils in seiner endgültigen Form nicht zu vereinbaren sind, weil mit dem im Termin vom 29. April 1998 verkündeten Urteil ersichtlich lediglich über die Klage, nicht aber über die Widerklage entschieden werden sollte.

Eine eigene Entscheidung des Senats, die gemäß § 540 ZPO möglich wäre, ist nicht sachdienlich; denn der Rechtsstreit ist nicht zur Entscheidung reif. Vielmehr erscheint aufgrund der substantiierten Einwendungen der Klägerin gegen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen eine umfangreiche weitere Sachaufklärung erforderlich. Hinzu kommt, daß das angefochtene Urteil als Teilurteil verfahrensrechtlich unzulässig ist; denn das Landgericht durfte nicht durch Teilurteil über die Klage entscheiden, die Entscheidung über die Widerklage dagegen dem Schlußurteil vorbehalten. Entscheidungsreife im Sinne des § 301 Abs. 1 ZPO liegt nämlich nur vor, wenn der weitere Verlauf des Rechtsstreits die durch Teilurteil getroffene Entscheidung unter keinen Umständen mehr berühren kann. Es muß ausgeschlossen sein, daß die Entscheidung im Schlußurteil - gleichgültig wie sie ausfällt - in Widerspruch zu der Entscheidung durch das Teilurteil geraten kann (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 58. Aufl., § 301 Rdnr. 5 m.w.N.). Hier liegt aber auf der Hand, daß ein Widerspruch zwischen Teilurteil und Schlußurteil nicht auszuschließen ist. Denn die Entscheidung über die Klage hängt ebenso wie die Entscheidung über die Widerklage davon ab, ob die teils zur Aufrechnung gestellte Widerklageforderung dem Grunde - und ggf. der Höhe - nach gerechtfertigt ist. Die im Urteil des Landgerichts enthaltene Beurteilung, die Widerklageforderung sei in einer die Klageforderung übersteigenden Höhe begründet, erwächst als bloßes Urteilselement nicht in Rechtskraft und entfaltet keine Bindungswirkung nach § 318 ZPO; denn es kann nicht davon ausgegangen, daß das Landgericht mit dem angefochtenen Teilurteil zugleich ein Grundurteil über die Widerklage erlassen hat. Dies steht zwar in den Gründen des vollständig abgefaßten Urteils, wie bereits ausgeführt, gilt das Urteil jedoch als nicht mit Gründen versehen, weshalb zur Auslegung des Tenors auf die tatsächlich vorhandenen Entscheidungsgründe nicht abgestellt werden kann. Im übrigen ergibt sich aus dem Tenor des Urteils, daß über die Widerklageforderung auch dem Grunde nach nicht entschieden worden ist, und bei einem - wie hier - unauflösbaren Widerspruch zwischen Tenor und Entscheidungsgründen ist der Inhalt des Tenors maßgeblich.

Da somit über Klage und Widerklage nur einheitlich hätte verhandelt und entschieden werden dürfen, wäre eine eigene Entscheidung des Senats gemäß § 540 ZPO nur möglich, wenn der Senat zugleich auch über die Widerklage mitentscheiden würde. Das ist wiederum nicht sachdienlich, weil bezüglich der Widerklageforderung der Rechtsstreit bei weitem noch nicht entscheidungsreif ist, was bei der gegebenen Sachlage nicht näher begründet werden muß.

Nach allem ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Der Rechtsstreit ist an das Landgericht zurückzuverweisen, das bei seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu befinden haben wird, die von der letztlich unterliegenden Partei zu tragen sind. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO; durch die Zurückverweisung der Sache sind beide Parteien gleichermaßen beschwert (Zöller/Gummer, a.a.O., Anm. 12 b zu § 546).



Ende der Entscheidung

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