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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 29.08.2005
Aktenzeichen: 16 U 11/05
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 133
1. Einseitige Zwangsvollstreckungsmaßnahmen des Gläubigers sind keine anfechtbaren Rechtshandlungen des Schuldners nach § 133 InsO.

2. Leistet der Insolvenzschuldner nach begonnener Zwangsvollstreckung an den Gerichtsvollzieher zur Abwendung konkreter Vollstreckungsmaßnahmen, so liegt keine nach § 133 InsO anfechtbare Rechtshandlung des Schuldners vor.


Gründe:

I.

Die Parteien streiten über die Anfechtung von Rechtshandlungen, die zur Minderung des Vermögens der Insolvenzschuldnerin geführt haben.

Insgesamt begehrt der Kläger als Insolvenzverwalter der Firma A GmbH von der Beklagten Rückzahlung von 36.928,17 €.

Es handelt sich dabei um Zahlungen, die von der Insolvenzschuldnerin in der Zeit vom 10. Januar 2001 bis 14. Dezember 2001 im Rahmen der Zwangsvollstreckung beigetrieben wurden.

Die Beklagte hat in Höhe von 2.556,46 € (5.000,00 DM) die Klageforderung anerkannt.

Gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellung im Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 1. Dezember 2004 Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von insgesamt 6.135,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 31. Januar 2004 verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. In Höhe von 2.556,46 € beruht die Verurteilung auf dem Anerkenntnis der Beklagten.

Wegen weiterer 3.579,04 € hat das Landgericht die Insolvenzanfechtung des Klägers nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO als begründet angesehen, da die Schuldnerin zu diesem Zeitpunkt zahlungsunfähig war.

Als nicht gerechtfertigt hat es die Anfechtung nach § 133 InsO bezüglich der übrigen Leistungen der Insolvenzschuldnerin angesehen.

Das Landgericht führt aus, es habe im Zeitraum der Zahlungen (10. Januar bis 12. August 2001) keine inkongruente Deckung vorgelegen.

Es habe auch kein Benachteiligungsvorsatz der Insolvenzschuldnerin bestanden, sondern lediglich eine Zahlungsunwilligkeit.

Die Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin würde im vorliegenden Fall nicht einmal ausreichen. Die Beklagte habe außerdem keine Kenntnis von einem eventuellen Benachteiligungsvorsatz der Gemeinschuldnerin gehabt. Sie habe keine Umstände gekannt, die auf drohende Zahlungsunfähigkeit hinwiesen. Die bloße Kenntnis von Rückständen und das Vorhandensein weiterer Schulden reiche nicht aus, zumal verspätete Zahlungen durchaus üblich seien.

Gegen dieses dem Kläger am 15. Dezember 2004 zugestellte Urteil hat er mit einem am Montag, den 17. Januar 2005 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Mit einem am 15. Februar 2005 eingegangenen Schriftsatz hat er sein Rechtsmittel begründet.

Der Kläger meint, die Ausführungen des Landgerichts würden nicht in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stehen. Nach dieser Rechtsprechung sei auch bei einem Gläubiger zu vermuten, dass er die drohende Zahlungsunfähigkeit kenne, wenn er die Umstände kenne, die den Schluss auf die drohende Zahlungsunfähigkeit zulassen. Diese Kenntnis werde vermutet.

Wer über Monate hinweg nur unvollständige Zahlungen erhalte, kenne die Umstände, die zwingend auf eine Benachteiligung schließen ließen. Dann sei es Sache des Gläubigers vorzutragen, welche Tatsachen die Kenntnis von derartigen Umständen in Frage stellen würden. An einem solchen Tatsachenvortrag der Beklagten würde es aber fehlen.

Der Kläger beantragt,

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Wiesbaden vom 1. Dezember 2004 zu dem Aktenzeichen 10 O 164/04 die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus weitere 30.792,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins nach § 247 BGB seit dem 1. Mai 2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte führt aus, sie habe nicht gewusst, dass die Insolvenzschuldnerin seit 1997 die fälligen Abgaben nicht begleichen konnte. Ihre Titel beruhten auf streitigen Verfahren aus der zweiten Hälfte des Jahres 2000 und aus 2001.

Die Insolvenzschuldnerin habe sich dagegen gewehrt, unter den betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrages zu fallen. Dies lasse eher auf Zahlungsunwilligkeit als auf Zahlungsunfähigkeit schließen. Es hätten kongruente Deckungen vorgelegen. Nur wenn es dem Schuldner auf die Vereitelung der Ansprüche anderer Gläubiger statt auf die Erfüllung eigener Ansprüche ankomme, sei ein Benachteilungsvorsatz zu bejahen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere form- fristgerecht eingelegt und begründet. Das Rechtsmittel des Klägers erweist sich aber in der Sache als erfolglos.

Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht die Insolvenzanfechtung des Klägers für die außerhalb des Zeitraums des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO liegenden Leistungen der Insolvenzschuldnerin als nicht begründet angesehen. Die Rückgewährverpflichtung des Beklagten gemäß § 143 Abs. 1 InsO setzt voraus, dass die Beklagte etwas erlangt hat, was durch anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist, also dem Vermögen des Schuldners durch anfechtbare Rechtshandlung entzogen ist. § 133 InsO bestimmt insoweit ausdrücklich, dass es sich um eine Rechtshandlung des Schuldners handeln muss. Reine Gläubigerhandlungen unterliegen nicht der Anfechtung nach § 133 InsO. Insoweit unterscheidet sich der Wortlaut des § 133 InsO von den Anfechtungstatbeständen der §§ 131, 132 InsO. Im vorliegenden Fall wurde das Vermögen der Insolvenzschuldnerin durch Leistung an den Gerichtsvollzieher vermindert.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 2004, 2900) ist eine einseitige Zwangsvollstreckungsmaßnahme des Gläubigers ohne eine damit im Zusammenhang stehende Rechtshandlung oder eine ihr gleichwertige Unterlassung des Schuldners nicht nach § 133 InsO anfechtbar.

An diese Rechtsprechung, die auch von der herrschenden Meinung in der Literatur geteilt wird, und der sich auch das Gericht anschließt, hält der BGH noch immer fest (BGH ZIP 2005, 494).

Andererseits sind Leistungen des Schuldners, die dieser in Kenntnis der Gläubigerbenachteiligungsabsicht zur Abwendung der angekündigten Zwangsvollstreckung innerhalb oder außerhalb der ihm gesetzten Frist erbringt, nach § 133 InsO anfechtbar (BGHZ 155, 75). In diesem Fall ist der Schuldner noch in der Lage, über den angeforderten Betrag nach eigenem Belieben zu verfügen.

Hat allerdings der Schuldner nur noch die Wahl, die geforderte Zahlung sofort zu leisten oder die Vollstreckung durch die bereits anwesende Vollziehungsperson zu dulden, ist jede Möglichkeit zu einem selbstbestimmten Handeln ausgeschaltet, so dass es an einer willensgeleiteten Rechtshandlung des Schuldners wie sie § 133 InsO voraussetzt, fehlt (BGH ZIP 2005, 494 ff.).

Im vorliegenden Fall hat die Schuldnerin nicht auf die bloße Ankündigung der Zwangsvollstreckung geleistet. Vielmehr war die Zwangsvollstreckung bereits in die Wege geleitet, so dass die Voraussetzungen, die der BGH in BGHZ 155, 75 aufgestellt hat, nicht erfüllt sind.

Andererseits ist allerdings zwischen den Parteien streitig, ob die Insolvenzschuldnerin an den anwesenden Gerichtsvollzieher eine Barzahlung geleistet hat oder ob die Leistung an die jeweiligen Gerichtsvollzieher mittels Überweisung erbracht wurde.

Hierauf kommt es aber im Ergebnis nicht an, denn entscheidend für die Frage, ob eine Gläubigerhandlung vorliegt, an der die Insolvenzschuldnerin mitgewirkt hat, ist nicht die Art und Weise der Leistung an die Vollziehungsperson. Insoweit ist es gleichgültig, ob der Schuldner an den Gerichtsvollzieher eine Barzahlung leistet, einen Scheck übergibt oder eine Überweisung tätigt.

Entscheidend ist, ob der Schuldner noch frei in der Entscheidung ist, ob er die angeforderte Leistung erbringt oder verweigert (BGH ZIP 2005, 494 ff.). Diese freie Entscheidung lag bei der Insolvenzschuldnerin nicht mehr vor, da die Zwangsvollsteckungsaufträge an die Gerichtsvollzieher bereits erteilt und die Gerichtsvollzieher eine zwangsweise Beitreibung angekündigt hatten.

Angesichts einer solchen Drucksituation fehlt es an einer willensgeleiteten Rechtshandlung der Insolvenzschuldnerin, da sie nur unter dem Druck der bereits begonnenen Zwangsvollstreckung leistete und nicht bloß zur Abwendung einer von der Gläubigerin angedrohten Zwangsvollstreckung.

Da das Rechtsmittel des Klägers erfolglos war, hat er gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert. Vielmehr wird die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf den konkreten Streitfall angewendet.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO.

Ende der Entscheidung

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