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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 05.11.2003
Aktenzeichen: 16 U 116/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 321 a
ZPO § 522 I 2
ZPO § 533
ZPO § 538
1. Gegenüber einem die Berufung zurückweisenden Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist in analoger Anwendung des § 321 a ZPO die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör statthaft.

2. § 522 ZPO Abs. 2 Satz 1 ZPO ist nicht verfassungswidrig.

3. Hat das Berufungsgericht trotz wesentlicher Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens gemäß § 538 ZPO in der Sache selbst zu entscheiden, kann dies auch durch einen Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO geschehen, wenn die Berufung gleichwohl in der Sache aussichtslos ist.

4. Mit der Zurückweisung einer Berufung des Beklagten nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO wird eine zugleich erhobene (neue) Widerklage wirkungslos.


OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

16 U 116/03

Entscheidung vom 5. November 2003

In dem Rechtsstreit

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter .... auf die Rüge des Beklagten nach § 321 a ZPO hin am 5. November 2003 beschlossen:

Tenor:

Der Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2003 bleibt mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass die mit der Berufungsbegründung erhobene Widerklage des Beklagten wirkungslos geworden ist.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe:

A.

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Rückzahlung eines Effekten-Dispositionskredits.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.

Hiergegen hat der Beklagte beim hiesigen Oberlandesgericht Berufung eingelegt und zusammen mit der Berufungsbegründung Widerklage erhoben.

Der zunächst für die Berufung zuständige - auswärtige - 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts in Darmstadt hat das Verfahren sodann gemäß der Zehnten Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Senate des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main in Darmstadt und Kassel vom 18. Juni 2003 an den hiesigen Senat abgegeben.

Mit Schreiben vom 3. September 2003 hat der Senatsvorsitzende den Beklagten unter näherer Angabe der Gründe darauf hingewiesen, dass der Senat aufgrund Beratung beabsichtige, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO wegen Aussichtslosigkeit durch Beschluss zurückzuweisen und die Widerklage nach § 533 Nr. 2 ZPO nicht zuzulassen, und hat zur Stellungnahme eine Frist bis zum 24. September 2003 gesetzt, die er auf Antrag des Beklagten bis 1. Oktober 2003 verlängert hat.

Am 1. Oktober 2003 ist diese Stellungnahme nebst einer Ergänzung - zunächst als Faxschreiben, dann im Original - beim hiesigen Gericht unter Angabe des Aktenzeichens des früheren 12. Zivilsenates eingegangen. Dementsprechend sind beide Schriftsätze an den auswärtigen Senat in Darmstadt weitergeleitet worden.

Von dort sind beide erst am 21. Oktober 2003 beim hiesigen Senat eingegangen.

Inzwischen hatte der Senat jedoch - mangels einer ihm vorliegenden Stellung nähme des Beklagten - bereits mit Beschluss vom 14. Oktober 2003 die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückgewiesen. Eine Ausfertigung dieses Beschlusses ist am 17. Oktober 2003 an die Prozessbevollmächtigten der Parteien abgesandt worden.

Nach Hinweis auf die Sachlage durch Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 21. Oktober 2003 hat der Beklagte mit einem am 3. November 2003 eingegangenen Schriftsatz eine "Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs gemäß § 321 a ZPO (analog), hilfsweise Gegenvorstellung, äußerst hilfsweise Ausnahmebeschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit" erhoben.

B.

I. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs gemäß § 321 a ZPO analog ist zulässig.

1. Der Senat folgt zur Frage der Statthaftigkeit dieser Rüge gegen Beschlüsse nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO der ihn überzeugenden Auffassung des 2. und des 13. Zivilsenates des OLG Celle (Beschlüsse vom 4.12.2002 [13. ZS] - NJW 2003, 906 = OLGR-Celle 2003, 71 - und vom 8.5.2003 [2. ZS] - OLGR-Celle 2003, 258).

Es entspricht schon vom Ansatz her einem Gebot des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Plenarbeschluss vom 30.4.2003 - MDR 2003, 886 [887] = NJW 2003, 1924 [1926, 1927]) und einem dringenden Bedürfnis der Rechtspraxis, die Verletzung des verfassungsmäßig garantierten Anspruchs einer Partei auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), zumal wenn sie offensichtlich ist, im Wege der Selbstkontrolle der Fachgerichte zu prüfen und gegebenenfalls zeitnah zu heilen, um dadurch zum einen das Bundesverfassungsgericht von Verfassungsbeschwerden, die darauf gestützt werden, zu entlasten, aber zum anderen auch um die dadurch verletzte Partei vor weiteren Rechtsnachteilen zu schützen.

2. Die ablehnenden Entscheidungen (OLG Oldenburg- 14.10.2002- MDR2003, 229 = OLGR-Oldenburg 2002, 302; OLG Celle [20. Zivilsenat] - 30.5.2003 - OLGR-Celle 2003, 316; OLG Rostock - 9.4.2003 - MDR 2003, 1012 = NJW 2003, 2105) überzeugen den Senat dagegen nicht.

2.1. Der Hinweis auf den entgegenstehenden Wortlaut der Vorschrift des § 321 a ZPO Abs. 1 ZPO kann nicht ausschlaggebend sein; insoweit greift die Gegenmeinung zu kurz. Denn in Betracht kommen kann sowohl eine aufgrund einer Verweisung nur entsprechende als auch eine wegen einer Regelungslücke analoge Anwendung.

a) Eine "entsprechende" Anwendung einer Norm kann sich niemals allein an deren Wortlaut orientieren; denn sonst liefe jede Verweisung in der Regel ins Leere. Es kann und soll sich dabei immer nur um eine entsprechende, sinngemäße, d.h. die Besonderheiten und Bedürfnisse der verweisenden Norm berücksichtigende Anwendung handeln.

Ob § 525 Satz 1 ZPO, der für das Berufungsverfahren die "entsprechende" Anwendung der Vorschriften über das erstinstanzliche Verfahren vor den Landgerichten anordnet, zu denen auch § 321 a ZPO gehört, wie sich aus der Zugehörigkeit dieser Vorschrift zu Buch 2 Abschnitt 1 der ZPO ergibt, auch auf diese Vorschrift verweisen will, erscheint allerdings zweifelhaft; denn diese Verweisung gilt nach ihrem Wortlaut für "das weitere Verfahren". Aus der Stellung des § 525 ZPO dürfte zu folgern sein, dass die Verweisung nur für die Durchführung des Berufungsverfahrens gelten soll. Dazu kommt es jedoch bei einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO gerade nicht.

b) Jedoch gilt auch bei einer "analogen" Anwendung einer Norm in Bezug auf deren Wortlaut nichts anderes. Auch in diesem Falle ist den Besonderheiten und Bedürfnissen des zu regelnden Sachverhalts Rechnung zu tragen.

Eine die analoge Anwendung einer Norm zulassende Regelungslücke besteht hier jedenfalls. Was zu geschehen hat, wenn bei einer- unanfechtbaren (§ 522 Abs. 3 ZPO) - Entscheidung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO der Anspruch einer Partei auf rechtliches Gehör unter Umständen - im nachhinein gesehen sogar offensichtlich - verletzt worden ist, ist nicht geregelt. Geregelt ist nur der Fall bei einem unanfechtbaren erstinstanzlichen Urteil.

Die Parallelität, die eine analoge Anwendung des § 321 a ZPO gerade auch auf Beschlüsse nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO rechtfertigt, ergibt sich aus der Unanfechtbarkeit der jeweiligen Entscheidung: dort das die Instanz beendende unanfechtbare Urteil (§ 321 a Abs. 1 Nr. 1 ZPO), hier der die Instanz beendende unanfechtbare Beschluss (§ 522 Abs. 3 ZPO).

In diesem Falle auf die "vor dem ZPO-RG entwickelten außergerichtl(ichen) [?] Rechtsbehelfe" zurückzugreifen, wie Zöller/Vollkommer (ZPO, § 321 a RN 4) meint, erscheint zwar möglich. Die Frage ist nur, warum auf ungeschriebene, lediglich von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsbehelfe zurückgegriffen werden soll, wenn es einen gesetzlichen Rechtsbehelf gibt, dessen analoge Anwendung möglich ist.

2.2. Der in den eine analoge Anwendung des § 321 a ZPO auf Beschlüsse nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO ablehnenden Entscheidungen vorgenommene Rückgriff auf die Entstehungsgeschichte der Norm des § 321 a ZPO mag zwar Aufschluss geben über die Motive und Absichten der Textverfasser und derjenigen, die sich dazu im Rahmen des Gesetzgebungsverfahren geäußert haben. Darauf kommt es jedoch bei der Auslegung eines Gesetzes nicht entscheidend an. Maßgebend ist vielmehr vorrangig der im Gesetzeswortlaut objektivierte Wille des Gesetzgebers (BVerfG - 16.2.1983 E 62, [45]; BGH - 30.6.1966 - Z 46, 74 [76]; Palandt/Heinrichs, BGB, Einleitung RN 34).

Die Gesetzesmaterialien dürfen nicht dazu verleiten, die subjektiven Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen dem objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen.

Nur insoweit, als sie auf den "objektiven Gesetzesinhalt schließen lassen", können diese "mit Vorsicht" und "nur unterstützend" als "wertvolle Hilfe" über den Zweck und die Rechtfertigung einer Norm herangezogen werden (BVerfG a.a.O.; BGH-17.3.1954 - Z 13, 28 [30]; ders. - 30.6.1966 - a.a.O. [80]).

Wenn es in der Gegenäußerung der Bundesregierung (BT-DS 14/4722 S. 156) zur ablehnenden Stellung nähme des Bundesrates (BT-DS 14/4722 S. 148), der meinte, konsequenterweise müsste eine solche gesetzliche Regelung dann auch für alle Verfahrensentscheidungen ausgedehnt werden, heißt:

"Der Hinweis des Bundesrates, ..., verkennt die Notwendigkeit eines jeden Rechtsmittelsystems, im Interesse der Rechtssicherheit - aber auch des effektiven Ressourceneinsatzes - die Überprüfungsmöglichkeiten nicht gleichsam ins Unendliche auszudehnen. Einer Überprüfung der Überprüfungsentscheidung, etwa des ... Zurückweisungsbeschlusses nach § 522 Abs. 2 ZPO-E, in dessen Rahmen eine geltend gemachte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bereits zu prüfen ist, bedarf es deshalb nicht",

wird darin schon vom Ansatz her verkannt, dass es hier nicht um die Überprüfung einer Überprüfungsentscheidung geht, sondern um die Heilung eines Verstoßes gegen einen verfassungsmäßigen Rechtsanspruch. Gerade auch der Hinweis auf den effektiven Ressourceneinsatz gebietet es geradezu, die betroffene Partei nicht auf den - mühseligen - Weg einer Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht zu verweisen, sondern den Verstoß auf kurzem Wege selbst zu beheben.

Der Umstand, dass der Gesetzgeber sich aufgrund dieser verfehlten Anmerkung dazu veranlasst sah, eine Anwendbarkeit des § 321 a ZPO auf andere Entscheidungen im Allgemeinen und auf Beschlüsse nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO im Besonderen nicht (ausdrücklich) anzuordnen, ändert nichts an der Tatsache, dass der Fall einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Rahmen einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO gesetzlich nicht geregelt ist. Dann aber obliegt es der Rechtspraxis, diese Gesetzeslücke zu schließen: nämlich auch durch eine - näher liegende - analoge Anwendung des § 321 a ZPO und nicht durch Rückgriff auf außergesetzliche Maßnahmen, die dem Rechtssystem fremd sind und den Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit nicht genügen (so: BVerfG - 30.4.2003 - a.a.O.).

2.3. Einen Hinderungsgrund, § 321 a ZPO analog auch auf Beschlüsse nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO anzuwenden, ergibt sich auch nicht "aus der Natur der Sache". Wie oben ausgeführt, stellt sich das Problem einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und, wie die Gerichte damit umgehen, in beiden Fällen. Einen zwingenden Grund zu einer Ungleichbehandlung vermag der Senat nicht zu erkennen.

2.4. Eine Nicht-Anwendbarkeit des § 321 a ZPO folgt auch nicht daraus, dass Beschlüsse nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO gemäß dessen Abs. 3 unanfechtbar sind. Unanfechtbarkeit - mit ordentlichen Rechtsmitteln - setzt § 321 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ja gerade voraus (siehe auch die Hervorhebung bei Zöller/Vollkommer a.a.O. RN 2). Auch dadurch wird deutlich, dass es sich bei der Rüge nach § 321 a ZPO nicht um eine Anfechtung handelt.

2.5. Der Umstand, dass gemäß § 705 ZPO die Möglichkeit einer Rüge nach § 321 a ZPO den Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung hinauszögert (Argument des OLG Oldenburg a.a.O.), steht einer Anwendung des § 321 a ZPO auf Beschlüsse nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO ebenfalls nicht zwingend entgegen. Zum einen ist § 705 ZPO nur im Zusammenhang mit § 704 Abs. 1 ZPO zu sehen, der die Vollstreckbarkeit einer Entscheidung entweder an den Eintritt der formellen Rechtskraft oder an eine besondere Erklärung über eine vorläufige Vollstreckbarkeit bindet. Zum anderen ist kein zwingender und überzeugender Grund ersichtlich, warum nicht auch bei Beschlüssen nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO die Möglichkeit der unbedingten und endgültigen Vollstreckbarkeit der - hier ebenfalls erstinstanzlichen - Entscheidung bis zur formellen Rechtskraft hinausgezögert werden dürfte.

2.6. Das Argument des OLG Celle [20. ZS] (a.a.O.), beide Verfahren seien schon deshalb nicht vergleichbar, weil das Berufungsverfahren keine zweite Tatsacheninstanz mehr sei, sondern nur noch der Kontrolle der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils diene, kann der Senat nicht nachvollziehen; er vermag nicht zu erkennen, was das eine mit dem anderen zu tun haben soll. Die Frage, wie das Gericht auf einen Verstoß gegen das Verfassungsgebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) reagiert, ist unabhängig vom Inhalt seiner Sachentscheidung.

Einem Zirkelschluss unterliegt das OLG Celle [20. ZS] (a.a.O.) auch, wenn es einerseits ausführt, einer Überraschungsentscheidung werde dadurch vorgebeugt, dass dem Berufungsführer vor der Zurückweisung seiner Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO rechtliches Gehör zu gewähren sei, und andererseits, der Gesetzgeber habe damit gerade dem Grundsatz rechtlichen Gehörs Rechnung getragen. Bei dem hier zu entscheidenden Problem geht es doch gerade um Verletzung dieses Gebotes, nicht um die Gewährung an sich.

3. Die formellen Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Rüge (§ 321 a Abs. 2 ZPO analog) sind gegeben. Der Beklagte hat die Rüge form- und fristgerecht erhoben.

II. Die Rüge des Beklagten, sein Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sei dadurch verletzt worden, dass bei der Entscheidung vom 14. Oktober 2003 über die Zurückweisung seiner Berufung seine bereits am 1. Oktober 2003 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsätze mit seiner Stellungnahme zu dem Hinweisschreibens des Senatsvorsitzenden vom 3. September 2003 nicht berücksichtigt worden seien, ist gerechtfertigt.

1. Die Stellungnahmen des Beklagten auf die ihm angekündigte Zurückweisung seiner Berufung wegen Aussichtslosigkeit sind am 1. Oktober 2003 noch innerhalb der bis dahin verlängerten Stellungnahmefrist beim Berufungsgericht eingegangen. Dennoch hat der Senat sie bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, vielmehr seine Entscheidung gerade darauf abgestellt, dass der Beklagte nicht Stellung genommen habe. Damit hat der Senat objektiv den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt.

2. Dass der Senat die Stellungnahmen des Beklagten gar nicht berücksichtigen konnte, weil sie ihm sogar bis zur Herausgabe seiner Entscheidung am 17. Oktober 2003 überhaupt noch nicht vorgelegen haben, ist unerheblich; denn auf ein Verschulden des Gerichts kommt es nicht an.

3. Der Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu der verspäteten Vorlage zumindest mit beigetragen hat, indem er auf seinen Schriftsätzen mit der Stellungnahme ein überholtes Aktenzeichen angegeben hat, kann dem Beklagten - obwohl er grundsätzlich für Fehler seines Prozessbevollmächtigten einstehen muss (§ 85 Abs. 2 ZPO) - hier nicht angelastet werden. Denn der Beklagte durfte erwarten, dass auch bei Angabe eines unrichtigen oder - wie hier - überholten Aktenzeichens auf seinen Eingaben eine alsbaldige Zuordnung seiner Schriftsätze zu der richtigen Akte erfolgen werde. Er brauchte nicht damit zu rechnen, dass seine Schriftsätze nahezu drei Wochen bei einem nicht mehr zuständigen, hier auch noch auswärtigen Senat herumirren würden, bis sie ihr Ziel erreichen.

Immerhin hat der Senat erst am 14. Oktober 2003, also fast zwei Wochen nach Fristablauf, über die Berufung entschieden; zudem ist der Senatsbeschluss erst am 17. Oktober 2003, also nochmals drei Tage später, ausgefertigt und versandt worden. Hätte spätestens zu diesem Zeitpunkt die Stellungnahme des Beklagten vorgelegen, so hätte sie noch beachtet werden können und hätte dann mindestens zu einer weiteren Begründung des Zurückweisungsbeschlusses geführt.

III. In der Sache gibt allerdings auch das Vorbringen des Beklagten in seiner nunmehr zu beachtenden Stellungnahme vom 1. Oktober 2003 sowie in seinem weiteren Schriftsatz vom 3. November 2003 dem Senat keinen Anlass, die - zuvor verneinte - Erfolgsaussicht der Berufung anders zu beurteilen.

1. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Beklagten gegen die in § 522 Abs. 2 ZPO geregelte Möglichkeit, eine Berufung wegen offenkundiger Aussichtslosigkeit ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen, teilt der Senat nicht.

Es gibt keinen verfassungsmäßig abgesicherten und garantierten Rechtsanspruch auf Rechtsschutz über mehrere Instanzen hinweg noch dazu mit jeweils einer erneuten mündlichen Verhandlung (zuletzt wieder: BVerfG - 30.4.2003- NJW 2003, 1924 [1924, 1926]). Soweit es um eine notwendige Kontrolle der Einhaltung eines rechtsstaatlichen Mindeststandards in einem gerichtlichen Verfahren geht, genügt auch eine Entscheidung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO, wenn sich ein Verstoß in der Sache nicht auswirkt.

2. Dementsprechend ist bei der Prüfung der Erfolgsaussicht einer Berufung entscheidend auf den voraussichtlichen Erfolg in der Sache selbst und nicht auf einen davon losgelösten Erfolg des Rechtsmittels wegen eines Verfahrensfehlers abzustellen (BGH - 27.6.2003 - MDR 2003, 1245 [1245-46]). Der Beklagte irrt deshalb, wenn er offensichtlich meint, der - von ihm behauptete - Verfahrensfehler des Landgerichts führe, weil das Berufungsgericht nach § 538 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 ZPO (n.F.) in der Regel in der Sache selbst zu entscheiden ("durchzuentscheiden") habe, automatisch zu einem Erfolg seiner Berufung. Vielmehr hat das Berufungsgericht - worauf der Beklagte bereits in dem Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 3. September 2003 hingewiesen wurde - (nur) zu prüfen, ob das angefochtene Urteil im Ergebnis zutreffend ist oder nicht; in diesem Sinne wirken sich die vorgetragenen Verfahrensmängel in der Tat letztlich nicht aus.

Sollte der Beklagte demgegenüber meinen, dass Verfahrensfehler der hier von ihm behaupteten Art immer zu einer Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz zu führen hätten - woraus sich ein wenn auch nur formeller Teilerfolg der Berufung ergebe -, dann entspricht das ebenfalls nicht der Neufassung des § 538 ZPO. Auch bei erheblichen Verfahrensfehlern der ersten Instanz und trotz eines ausdrücklichen Antrags des Berufungsführers muss das Berufungsgericht keineswegs das angefochtene Urteil aufheben und die Sache an die Vorinstanz zurückverweisen.

3. Die Auffassung des Beklagten, es fehle bereits im erstinstanzlichen Verfahren an einer mündlichen Verhandlung, deshalb sei diese im Berufungsverfahren nachzuholen, teilt der Senat ebenfalls nicht.

Bereits der Senatsvorsitzende hat in seinem Schreiben vom 3. September 2003 darauf hingewiesen, das der Umfang des landgerichtlichen Protokolls (vom 13. November 2002) eine ausführliche mündliche Verhandlung belege. Daraus ergibt sich, dass auch der Beklagte durch seinen Prozessbevollmächtigten ausreichend zu Wort gekommen ist.

Dafür, dass § 538 ZPO eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung vorschreibe, gibt es keine Rechtsgrundlage. Soweit diese Vorschrift gerade "Durchentscheidung" zur Sache verlangt, kann das auch durch eine Entscheidung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO geschehen, wenn sich ein Verfahrensfehler letztlich nicht auf die Entscheidung zur Sache auswirkt.

4. Damit kommt es für die Beurteilung der Sache nicht mehr entscheidend darauf an, ob in der landgerichtlichen "mündlichen Verhandlung" die Sachanträge ordnungsgemäß gestellt worden sind oder nicht.

Im Übrigen sind formell im Tatbestand des angefochtenen Urteils die Anträge als gestellt wiedergegeben. Ihm kommt zunächst nach § 314 Satz 1 ZPO Beweiskraft zu. Der Beweis kann zwar durch das Protokoll entkräftet werden (§ 314 Satz 2 ZPO), aber nur durch das Protokoll als ganzes. Dazu gehört aber auch der Schlusssatz im Protokoll vom 13. November 2002: "Parteien stellen sodann die Anträge wie eingangs der Sitzung". Damit ist der Beweis des Tatbestandes (formell) nicht widerlegt.

5. Im Übrigen bleibt es bei den Hinweisen in dem Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 3. September 2003. Soweit diese sich zur Sache selbst äußern, hat der Beklagte nicht mehr Stellung genommen.

6. Einer vorherigen Anhörung der Klägerin bedurfte es nicht, weil diese auch sonst am Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO nicht unmittelbar beteiligt werden muss.

IV. Was die zusammen mit der Berufungsbegründung erhobene Widerklage des Beklagten anbelangt, so war der Senat bei seiner Beschlussfassung vom 14. Oktober 2003 noch davon ausgegangen, dass nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur die Berufung zurückgewiesen werden könne, nicht aber die daneben neu erhobene Widerklage, deren Zulassung lediglich an § 533 ZPO zu messen sei.

1. Inzwischen ist dem Senat aber die Entscheidung des OLG Rostock vom 12. Juni 2003 - MDR 2003, 1195 - bekannt geworden. Danach werde mit der Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO auch eine Klageerweiterung wirkungslos.

Das OLG Rostock hat dabei Folgendes erwogen (a.a.O. [1196]):

a) Müsste das Berufungsgericht wegen der Klageerweiterung auf eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss verzichten, um insgesamt durch mündliche Verhandlung zu entscheiden, dann hätte es der Berufungskläger in der Hand, durch eine - bloß formell erhobene, geringfügige - Klageerweiterung eine mündliche Verhandlung über seine Berufung zu erzwingen, obwohl diese selbst keine Aussicht auf Erfolg habe. Das könne nicht sein.

b) Eine isolierte Weiterverhandlung allein über die Klageerweiterung nach abschließender Erledigung des erstinstanzlichen Streitstoffes durch Beschluss - wie vom Senat bisher erwogen - könne nicht Zweck der Berufungsverhandlung sein, weil sie eine fortgesetzte Beschwer des Berufungsklägers voraussetze (vgl. BGH - 15.3.2002 - MDR 2002, 1085 = NJW-RR 2002, 1435 [1436]). Diese Beschwer entfalle jedoch gerade durch den die Berufung zurückweisenden Beschluss.

c) Allein sachgerecht sei deshalb, dass mit der Zurückweisung der Berufung als unbegründet auch die Klageerweiterung unwirksam werde; denn nur das entspreche dem Anliegen der ZPO-Reform, die Berufung im Wesentlichen als Instrument der Fehlerkontrolle auszugestalten (vgl. BGH - 12.3.2003 - MDR 2003, 952). § 522 Abs. 2 ZPO wolle verhindern, dass richterliche Arbeitskraft durch intensive Befassung mit substanzlosen Berufungen gebunden werde; deshalb sei auch - bei Vorliegen der Voraussetzungen - die Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zwingend. Eine Ausnahme für den Fall einer zulässigen Klageerweiterung sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Insbesondere sehe § 524 Abs. 4 ZPO für den vergleichbaren Fall der Anschlussberufung ausdrücklich vor, dass das Berufungsgericht durch sie an einer Zurückweisung der Berufung nicht gehindert werde, dann aber die Anschlussberufung, auch wenn sie Erfolgsaussicht habe, ihre Wirkung verliere. Sinn dieser Regelung sei es, zu vermeiden, dass das Berufungsgericht trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO mündlich verhandeln müsse.

2. Gerade diese letzteren Erwägungen sprechen dafür, diesen Grundsatz auch auf eine (erst) mit der Berufung eingereichte Widerklage entsprechend anzuwenden.

Insoweit bestehen zwischen dem Verteidigungsmittel des Berufungsbeklagten einerseits und dem "erweiterten" Angriffsmittel des Berufungsklägers andererseits kein prinzipieller Unterschied.

Für diese Auffassung, dass sowohl eine Klageerweiterung als auch eine Widerklage des Berufungsklägers mit der Zurückweisung seiner Berufung wirkungslos werden, lässt sich noch ein weiteres Argument anführen: Gemäß § 533 Nr. 2 ZPO sind eine Klageänderung oder eine (neue) Widerklage im Berufungsverfahren nur zulässig, wenn diese auf Tatsachen gestützt werden können, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung zugrunde zu legen hat. Da es aber bei einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gerade nicht mehr zu einer Verhandlung "über die Berufung" kommt, entfällt der Tatsachenstoff, auf den die Klageänderung oder die Widerklage gestützt werden können.

3. Um eine unzulässige Verschlechterung (reformatio in peius) handelt es sich hierbei nicht. Die Rüge nach § 321 a ZPO ist kein Rechtsmittel; das Verfahren wird lediglich in den Zustand vor der Ausgangsentscheidung zurückversetzt. Alsdann ist das Gericht in seiner Entscheidung völlig frei (Zöller/Vollkommer, ZPO, § 321 a RN 18).

V. Da der vorliegende Beschluss nunmehr abschließend über das gesamte Berufungsverfahren entscheidet, war auch eine Entscheidung über die Kosten zu treffen.

VI. Diese Entscheidung ist gemäß § 522 Abs. 3 ZPO unanfechtbar; denn bei ihr handelt es sich lediglich um einen erneuten Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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