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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 23.05.2002
Aktenzeichen: 16 U 182/01
Rechtsgebiete: InsO, SGB IV, StGB, BGB, EGBGB, ZPO


Vorschriften:

InsO § 88
InsO § 130
InsO § 131
InsO § 17 Abs. 2
InsO § 139 Abs. 2
InsO § 130 Abs. 1 Nr. 1
InsO § 130 Abs. 1 Nr. 2
InsO § 131 Abs. 1 Nr. 2
InsO § 131 Abs. 1 Nr. 1
InsO § 131 Abs. 1 Nr. 3
InsO § 139 Abs. 2 Satz 1
SGB IV § 26 Abs. 3
SGB IV § 28e Abs. 1
SGB IV § 28e Abs. 1 Satz 1
StGB § 266a Abs. 1
BGB § 389
BGB § 823 Abs. 2
BGB § 284 Abs. 1 Satz 1
BGB § 288 Abs. 1 Satz 1
EGBGB § 1 Abs. 1 Satz 3
ZPO § 256 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711 Satz 1
ZPO § 711 Satz 2
ZPO § 711 Satz 3
ZPO § 709 Satz 2 n.F
ZPO § 543 Abs. 2 Satz 1 n.F.
1. § 88 InsO gilt nur für Sicherungsrechte, nicht für Maßnahmen, die unmittelbar zur Befriedigung des Gläubigers führen.

2. Auch bei Leistungen des Schuldners zur Abwendung der Zwangsvollstreckung handelt es sich um inkongruente Rechtshandlungen im Sinne von § 131 InsO.

3. Ein für erledigt erklärter Insolvenzantrag kann keine Grundlage für eine Anfechtung von Rechtshandlungen des Schuldners innerhalb der kritischen Phase aufgrund des § 139 Abs. 2 InsO sein.

4. Im Rahmen des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO hat der Anfechtungsgegner, der sich auf Wegfall der Zahlungsunfähigkeit beruft, nachzuweisen, dass der Insolvenzschuldner seine Zahlungen im Allgemeinen wieder aufgenommen hat. Allein der Umstand, dass der Schuldner Zahlungen an den Anfechtungsgegner geleistet hat, begründet noch keine Vermutung für den Wegfall der Zahlungsunfähigkeit.

5. Ein Gläubiger, der einen Insolvenzantrag schlüssig auf Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gestützt hat, kann nicht später damit gehört werden, den Insolvenzgrund nur zum Schein behauptet zu haben.

6. Ficht der Insolvenzverwalter eines Arbeitgebers von diesem gezahlte Sozialversicherungsbeiträge an, so kann er grundsätzlich auch die Arbeitnehmeranteile zurückfordern. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Arbeitgeber eine konkrete Lohnabrechnung vorgenommen und in seiner Buchhaltung die Abzüge als Guthaben des Arbeitnehmers ausgewiesen hat und diese Abzüge aus vorhandenen Barmitteln abgeführt hat.


OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

16 U 182/01

Verkündet am 23.05.2002

In dem Rechtsstreit

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter am Oberlandesgericht ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. April 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 20. Juli 2001 ­ 2-04 O 359/00 ­ abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 29.602,56 nebst 4% Zinsen aus EUR 29.533,55 seit dem 1. März 2000 und 5% Zinsen aus EUR 69,01 seit dem 8. Mai 2001 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass eine Beitragsforderung der Beklagten gegenüber dem Kläger für die Zeit von Dezember 1999 bis April 2000 in Höhe von DM 19.865,03 (= EUR 10.156,83) erloschen ist.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 1/4 und die Beklagte 3/4.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von der Beklagten Rückzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, die von der Insolvenzschuldnerin, der Firma Baugeschäft K. Meisterbetrieb GmbH, gezahlt wurden, was allerdings in kritischer Insolvenzphase in unwirksamer oder anfechtbarer Weise geschehen sein soll.

Am 4. Februar 1999 stellte die Beklagte wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von DM 40.107,52 Insolvenzantrag gegen die Insolvenzschuldnerin. Während des Antragsverfahrens erhöhte die Beklagte ihre Ansprüche für die Monate Januar bis Mai 1999.

Zwischen Januar und Juni 1999 erbrachte die Insolvenzschuldnerin sechs Zahlungen per Scheck im Gesamtumfange von DM 46.304,29. Wegen der Einzelaufstellung wird auf das landgerichtliche Urteil (Bl. 211 d.A.) verwiesen.

Mit Schreiben vom 30. Juli 1999 erklärte die Beklagte daraufhin ihren Insolvenzantrag wegen Ausgleichs ihrer Forderungen in der Hauptsache für erledigt.

Am 13. August 1999 überwies die Insolvenzschuldnerin der Beklagten an weiteren Sozialversicherungsbeiträgen erneut einen Betrag von DM 57.772,60 (Bl. 187 d.A.).

Durch Beschluss vom 19. August 1999 stellte das Insolvenzgericht die Erledigung des Antrags der Beklagten fest (Bl. 4-5 d.A.).

Bereits am 2. August 1999 hatte auch das Finanzamt O. einen Insolvenzantrag wegen Steuerrückständen von etwa DM 150.000,­ gestellt. Daraufhin bestellte das Insolvenzgericht den Kläger zum Sachverständigen (Bl. 8-9 d.A.). Anschließend wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.

Wegen Fortführung des Betriebs der Insolvenzschuldnerin in der Zeit von Dezember 1999 bis April 2000 schuldet der Kläger der Beklagten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von DM 19.865,03. Mit seiner Rückforderungsklage beruft sich der Kläger auf Unwirksamkeit der Zahlungen der Insolvenzschuldnerin bzw. ficht diese Zahlungen an.

Er hat die Auffassung vertreten, die Scheckzahlungen seien zur Abwendung der drohenden Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt. Die Beklagten sei spätestens seit ihrem fruchtlos verlaufenen Pfändungsversuch vom 18. Januar 1999 über die Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin informiert gewesen. Im Übrigen hat er die zurückgeforderten Beträge aus den Scheckzahlungen mit den geschuldeten Beiträgen verrechnet.

Die Beklagte hat behauptet, ihr Insolvenzantrag habe nicht auf Kenntnissen über die Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin beruht, sondern sei nur als Druckmittel gestellt worden. Auch aus der Anhörung des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin bzw. dessen Ehefrau habe sich eine Zahlungsunfähigkeit nicht ergeben. Von dem späteren Insolvenzantrag habe sie nichts gewusst. Im Übrigen könne der Kläger allenfalls die Arbeitgeberanteile der Sozialversicherungsbeiträge zurückfordern; für die Arbeitnehmeranteile sei er nicht aktivlegitimiert.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger zunächst einmal nur zur Hälfte aktivlegitimiert sei; im Übrigen seien die Zahlungen der Insolvenzschuldner weder unwirksam noch anfechtbar. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils verwiesen (Bl. 210-221 d.A.).

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine Ansprüche weiterverfolgt. Er rügt die landgerichtliche Entscheidung als rechtsfehlerhaft, was er im Einzelnen, auch durch Verweis auf neuere Rechtsprechung, ausführt.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils 1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 84.201,86 (= EUR 43.051,73) nebst 5% Zinsen aus DM 37.897,30 (= EUR 19.376,58) seit 1. 3. 2000 und aus DM 46.304,29 (= EUR 23.675,01) seit 8. 5. 2001 zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Forderung der Beklagten in Höhe eines Betrages von DM 19.865,03 (= EUR 10.156,83) durch Aufrechnung erloschen ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil, ebenfalls durch Verweis auf neuere Rechtsprechung.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.

Der Kläger kann von der Beklagten einen erheblichen Teil der verfahrensgegenständlichen Zahlungen der Insolvenzschuldnerin zugunsten der Insolvenzmasse zurückverlangen.

1. Allerdings sind die von der Insolvenzschuldnerin erbrachten Leistungen nicht schon gemäß § 88 InsO unwirksam.

§ 88 InsO gilt nicht nur nach dem eindeutigen Wortlaut, sondern auch nach einhelliger Rechtsmeinung nur für Sicherungsrechte, die gegen den Willen des Schuldners erlangt und im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht abgeschlossen sind, nicht dagegen für Maßnahmen, die zur (unmittelbaren) Befriedigung des Gläubigers führen (FK-InsO/App, § 88 RN 6; Breuer in MünchKomm-InsO, § 88 RN 3; Smid, InsO, § 88 RN 10; Hess/Weis/Wienberg, InsO, § 88 RN 18, 21).

Leistungen, die zur Befriedigung des Gläubigers führen, können deshalb allenfalls nach den Anfechtungsvorschriften angefochten werden (Breuer a.a.O.; Smid a.a.O. RN 10; FK-InsO/App a.a.O.).

Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die ersten Zahlungen der Insolvenzschuldnerin mittels Schecks erfolgten; denn diese wurden noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingelöst.

2. Der Kläger kann jedoch gemäß § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO ­ zunächst dem Grunde nach ­ die von der Insolvenzschuldnerin an die Beklagte im Mai, Juni und August 1999 gezahlten Sozialversicherungsbeiträge zurückfordern; denn diese Zahlungen erfolgten insolvenzrechtlich in anfechtbarer Weise. Dabei handelt es sich um die Scheckzahlungen vom 4. Mai und 1. Juni 1999 über je DM 10.000,­ sowie um die Überweisung vom 13. August 1999 über DM 57.772,60 (die der Kläger jedoch nur in Höhe von DM 57.762,60 angefochten hat und zurückfordert).

2.1. Nach der Vorschrift des § 131 InsO begründet ist die Anfechtung allerdings nur hinsichtlich der beiden genannten Scheckzahlungen.

2.1.1. In Bezug auf diese Vorschrift ist dem Kläger beizupflichten, dass auch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen inkongruente" Rechtshandlungen im Sinne von § 131 InsO darstellen, weil ein Gläubiger keinen Anspruch darauf hat, im Wege der Zwangsvollstreckung eine Sicherung oder Befriedigung zu erlangen. Dies gilt auch, wenn der Schuldner freiwillig", aber letztlich zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleistet hat (BGH ­ 9.9.1997 ­ MDR 1997, 1140 [1141]).

a) Eine solche Leistung im Wege der Zwangsvollstreckung liegt allerdings hinsichtlich der nachweislich am 13. August 1999 vorgenommenen Überweisung von DM 57.772,60 (Bl. 41 = 187 d.A.) schon deshalb nicht (mehr) vor, weil die Beklagte bereits mit Schreiben vom 30. Juli 1999 aufgrund der vorausgegangenen Zahlungen der Insolvenzschuldnerin in dem von ihr selber eingeleiteten Insolvenzantragsverfahren die Hauptsache für erledigt erklärt hat. Auf den Beschluss des Insolvenzgerichts, mit dem es die Erledigung (lediglich) festgestellt und über die Kosten entschieden hat, kommt es nicht an; maßgebend ist allein, ob die Zahlung (noch) im Wege der Zwangsvollstreckung" erfolgte oder nicht. Wenn die Beklagte aber keine Zwangsvollstreckung mehr betreibt, kann eine Zahlung auch nicht mehr im Wege einer Zwangsvollstreckung" oder zu deren Abwehr erfolgen.

Dass die Beklagte auf die Zahlung des vorgenannten Geldbetrages auch sonst keinen Anspruch gehabt habe, behauptet aber der Kläger nicht, macht er doch gerade deutlich, dass es neue Forderungen der Beklagten gegeben habe. Ungeachtet dessen, was die Beklagte zuvor für Erklärungen abgegeben hat, hat sie jedenfalls mit ihrer Erledigungserklärung eindeutig bekundet, ­ mindestens im Augenblick ­ keine Vollstreckungsmaßnahmen gegen die Insolvenzschuldnerin betreiben zu wollen, die etwa durch eine weitere Zahlung abgewendet werden müssten.

b) Demgegenüber ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die früheren Scheckzahlungen im Rahmen des Insolvenzantragsverfahrens zur Abwendung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgten.

Soweit die Beklagte weiterhin auf die Freiwilligkeit" dieser Zahlungen abstellt, ist ihr nicht zu folgen. Zum einen liegt der Zusammenhang mit der drohenden Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu nahe, um eine ernsthafte Freiwilligkeit" annehmen zu können. Zum anderen kann auch der Verstoß gegen den insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz in dieser kritischen Phase nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. BGH ­ 9.9.1997 ­ MDR 1997, 1140 [1141]).

2.1.2. Für diese Zahlungen gilt deshalb grundsätzlich § 131 InsO. Insoweit kommt es auf den Zeitpunkt der Zahlung bezogen auf den Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens an.

a) Mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist zunächst derjenige gemeint, aufgrund dessen das Insolvenzverfahren tatsächlich eröffnet wird. Eröffnet wurde das Insolvenzverfahren bezüglich der Insolvenzschuldnerin auf den Antrag des Finanzamtes vom 27. Juli 1999 hin, beim (unzuständigen) Amtsgericht Gelnhausen am 28. Juli 1999, beim Insolvenzgericht am 2. August 1999 eingegangen (Bl. 44 d.A.). Innerhalb der Monatsfrist des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor Antragstellung liegt keine der Scheckzahlungen; dagegen liegen innerhalb der 3-Monatsfrist des § 131 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO die Zahlungen vom 4. Mai und 1. Juni 1999.

b) Nach § 139 Abs. 2 Satz 1 InsO ist aber auch ein früherer Antrag maßgeblich, wenn er zulässig und begründet war, das Insolvenzverfahren aber gleichwohl aufgrund eines später gestellten Antrags eröffnet wird.

Im Zeitpunkt der Stellung des (zweiten) Insolvenzantrags des Finanzamtes vom 27. Juli 1999 (Bl. 44 d.A.) war das von der Beklagten eingeleitete Insolvenzantragsverfahren noch nicht abgeschlossen; denn die Erledigungserklärung erfolgte erst mit Schreiben vom 30. Juli 1999.

Nun war zwar nach dem Inhalt des Beschlusses des Insolvenzgerichts vom 19. August 1999 (Bl. 4-5 d.A.) der Insolvenzantrag der Beklagten bis zur Erfüllung ihrer Forderungen zulässig und begründet". Gleichwohl führt dies nicht zu einer Vorverlagerung des maßgebenden Antragszeitpunktes auf denjenigen des Antrags der Beklagten vom 4. Februar 1999.

So hat bereits das Oberlandesgericht Hamm in seinem Urteil vom 7. September 2000 ­ ZIP 2000, 2214 [2215] ­ ausgeführt, dass ein für erledigt erklärter Antrag auf Konkurseröffnung einem zurückgenommenen oder zurückgewiesenen Antrag gleich stehe; denn auch damit komme zum Ausdruck, dass der Antrag nicht weiterverfolgt werde, für ein Tätigwerden des Konkursgerichts mithin kein Anlass mehr bestehe.

Dies hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 20. November 2001 ­ NJW 2002, 515 [516] = MDR 2002, 416 ­ bekräftigt. Da ein wirksam für erledigt erklärter Insolvenzantrag von sich aus nicht mehr zu einer Verfahrenseröffnung führen könnte, könne er auch nach § 139 Abs. 2 InsO keine Grundlage einer Anfechtung sein.

Der Senat sieht keinen rechtfertigenden Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Es kommt auch nicht auf die Motive des Antragstellers an, die seiner Erledigungserklärung zugrunde liegen. Seinem Einwand, die Erledigungserklärung der Beklagten vom 30. Juli 1999 sei unzulässig gewesen, muss sich der Kläger den Beschluss des Insolvenzgerichts vom 19. August 1999 entgegenhalten lassen, mit dem die Erledigung rechtsverbindlich im Verhältnis der Beklagten zur Insolvenzschuldnerin festgestellt worden ist.

2.1.3. Wie oben festgestellt, lagen innerhalb des zweiten und dritten Monats vor dem hier allein maßgebenden Eröffnungsantrag des Finanzamtes vom 27. Juli 1999 nur die Scheckzahlungen vom 4. Mai und 1. Juni 1999 über jeweils DM 10.000,­.

a) Nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist einzige Voraussetzung, dass der Schuldner zur Zeit der Zahlung (eigentlich) zahlungsunfähig war.

aa) Nach § 17 Abs. 2 InsO ist Zahlungsunfähigkeit in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen, indem er seine (freiwilligen) Zahlungen einstellt.

Gegen eine ­ objektive ­ Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin könnte zwar die Tatsache sprechen, dass sie einige Zahlungen an die Beklagte geleistet hat. Das ist aber nicht entscheidend; denn sonst könnten die Anfechtungsvoraussetzungen bei Zahlungen des Insolvenzschuldners niemals vorliegen. Von der Anfechtbarkeit von Zahlungen des Insolvenzschuldners geht das Gesetz jedoch gerade aus.

Unstreitig bestanden aber gegenüber dem Finanzamt erhebliche Zahlungsverpflichtungen in einer Größenordnung (hier: von über DM 150.000,­), die nicht erst kurz vor dessen Eröffnungsantrag am 27. Juli 1999 aufgelaufen sein können, sondern bereits seit geraumer Zeit ohne Tilgung bestanden haben müssen. Zudem erfolgten ­ wie oben ausgeführt ­ die Zahlungen an die Beklagte erkennbar nur zur Abwendung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund deren bereits anhängigen Antrags.

Auch hat der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin bei seiner Anhörung durch das Insolvenzgericht am 16. Juni 1999 (Bl. 52-53 d.A.) keinerlei liquide Mittel anführen können. Das Vermögen der Insolvenzschuldnerin bestand danach aus älteren Gerätschaften und Material sowie aus Außenständen, deren Realisierbarkeit zweifelhaft war.

Dementsprechend erfolgten diese Scheckzahlungen der Insolvenzschuldnerin zulasten eines ohnehin erheblich im Soll geführten Bankkontos.

bb) Darüber hinaus wirkt eine einmal eingetretene Zahlungsunfähigkeit grundsätzlich fort. Sie kann nur dadurch wieder beseitigt werden, dass die Zahlungen im Allgemeinen wieder aufgenommen werden. Dies hat derjenige darzulegen und zu beweisen, der sich auf den Wegfall einer zuvor eingetretenen Zahlungseinstellung beruft (BGH ­ 20.11.2001 ­ NJW 2002, 515 [517]; ders. ­ 25.10.2001 ­ BB 2002, 590 [591/92] = MDR 2002, 419).

Dazu hat die insoweit darlegungspflichtige Beklagte jedoch nichts vorgetragen. Insoweit muss sie sich zudem ihren eigenen Insolvenzantrag entgegenhalten lassen, den sie auf den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit gestützt hat. Darauf, dass sie diesen Insolvenzgrund nur zum Schein behauptet habe, um die Insolvenzschuldnerin zu freiwilligen" Zahlungen zu bewegen, kann sich die Beklagte schon deshalb nicht berufen, weil in dem für ihre Beziehungen zu der Insolvenzschuldnerin rechtsverbindlich gewordenen Beschluss des Insolvenzgerichts vom 19. August 1999 (Bl. 4-5 d.A.) ausdrücklich festgestellt worden ist, dass ihr Antrag von Anfang an zulässig und begründet gewesen sei.

Somit ist von einer im Zeitpunkt der Zahlungen (fort-)bestehenden objektiven Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin auszugehen, sodass die Beklagte jedenfalls die beiden letzten Scheckzahlungen vom 4. Mai und vom 1. Juni 1999 in Höhe von zusammen DM 20.000,­ in anfechtbarer Weise erhalten hat.

b) Ob der Beklagten darüber hinaus nach Maßgabe des § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO bekannt war, dass die an sie erfolgten Zahlungen die (übrigen) Insolvenzgläubiger benachteiligten, kann unter diesen Umständen dahingestellt bleiben.

2.2. Die Anfechtung der Überweisung der Insolvenzschuldnerin vom 13. August 1999 über DM 57.762,60 ist demgegenüber nach § 130 InsO begründet.

a) Vom zeitlichen Rahmen her wird diese Zahlung sowohl von § 130 Abs. 1 Nr. 1 als auch von Nr. 2 InsO erfasst; denn sie erfolgte sogar nach Stellung desjenigen Insolvenzantrages, der zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens geführt hat.

b) In Bezug auf diese Zahlung ist die Anfechtungsvoraussetzung des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO gegeben.

Nach dieser Bestimmung ist für eine Anfechtung Voraussetzung, dass der Insolvenzschuldner zur Zeit der Befriedigung des Gläubigers zahlungsunfähig war und der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte. Der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit steht die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen (§ 130 Abs. 2 InsO).

aa) Dass die Insolvenzschuldnerin im Zeitpunkt der Zahlung vom 13. August 1999 (noch immer) objektiv zahlungsunfähig war, ergibt sich aus den obigen Ausführungen bei 2.1. zu a). Auch für diese weitere Zeit hat die Beklagte nichts vorgetragen, was auf eine wieder eingetretene Zahlungsfähigkeit der Insolvenzschuldnerin schließen lassen könnte, ist doch gerade um diese Zeit das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Immerhin hat die Insolvenzschuldnerin gegenüber dem später antragstellenden Finanzamt Abgabenverbindlichkeiten in Höhe von mehr als DM 150.000,­ auflaufen lassen, also weit mehr, als sie der Beklagten schuldete.

bb) In Bezug auf ihre (subjektive) Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin muss sich die Beklagte ­ wie schon oben ausgeführt ­ ihren eigenen auf Zahlungsunfähigkeit gestützten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens entgegenhalten lassen. Zudem wird ­ wie ebenfalls schon ausgeführt ­ eine einmal eingetretene Zahlungsunfähigkeit erst dann wieder beseitigt, wenn die Zahlungen im Allgemeinen wieder aufgenommen werden. Stand aber die Zahlungsunfähigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt einmal fest, dann ist es Sache des Anfechtungsgegners, den Wegfall dieser Voraussetzung darzulegen und zu beweisen (BGH ­ 20.11.2001 ­ NJW 2002, 515 [517]; ders. ­ 25.10.2001 ­ BB 2002, 590 [591/92] = MDR 2002, 419). Das hat die Beklagte nicht getan.

Eine etwaige, von der Beklagten noch nicht einmal behauptete, irrtümliche Annahme des Wegfalls der Zahlungsunfähigkeit aufgrund der Zahlungen der Insolvenzschuldnerin, die letztlich zur Erledigung des von der Beklagten eingeleiteten Antragsverfahrens geführt haben, ändert daran nichts; denn allein die Tilgung der eigenen Forderungen genügt regelmäßig auch dann nicht, wenn die Gläubigerin nur diese Forderungen positiv kennt. Ein Gläubiger, der sich nach einem Insolvenzantrag mit seinem Schuldner einigt, darf grundsätzlich nicht davon ausgehen, dass der Schuldner auch andere Gläubiger in gleicher Weise bedienen werde. Vielmehr entspricht es allgemeiner Lebenserfahrung, dass der Schuldner ­ um sein wirtschaftliches Überleben zu sichern ­ unter dem Druck eines Insolvenzantrags bevorzugt an den antragstellenden Gläubiger leisten werde, um diesem zum Stillhalten zu bewegen, worauf sich die Beklagte ja sogar ausdrücklich beruft. Solche an den am meisten drängenden Gläubiger erbrachte Leistungen gehen typischerweise zulasten der abwartenden. Dies führt dazu, dass oft mit mehr oder minder großer Verzögerung letztere erneut einen Insolvenzantrag stellen werden, der dann zur Verfahrenseröffnung oder zur Abweisung mangels Masse führt. Dieser Erfahrungssatz verbietet einen Schluss des antragstellenden Gläubigers, dass der Schuldner auch anderen Gläubigern gegenüber seine Zahlungen wieder aufgenommen habe. Dies gilt erst recht für einen Sozialversicherungsträger, weil sich angesichts der partiellen Strafbewehrtheit seiner Forderungen (§ 266a StGB) die allgemeine Erfahrung aufdrängt, dass solche Ansprüche vorrangig vor anderen befriedigt werden (BGH ­ 20.11.2001 ­ a.a.O. [518]; ders. ­ 25.10.2001 ­ a.a.O. [592]).

Diese Grundsätze gelten auch hier. Damit greift dieser Anfechtungstatbestand.

c) Auf den weiteren Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO kommt es unter diesen Umständen nicht mehr an. Dies gilt umso mehr, als es mangels einer Vorverlagerung des maßgebenden Zeitpunktes (siehe oben bei 2.1.2. zu b) nicht auf die Kenntnis der Beklagten von ihrem eigenen Insolvenzantrag abgestellt werden kann, sondern sie im Zeitpunkt der Zahlung am 13. August 1999 Kenntnis von dem Insolvenzantrag des Finanzamtes vom 27. Juli 1999 gehabt haben müsste. Das aber ist nicht ersichtlich.

3. Sind somit die Scheckzahlungen der Insolvenzschuldnerin vom 4. Mai und 1. Juni 1999 über je DM 10.000,­ sowie ihre Überweisung vom 13. August 1999 über DM 57.772,60 in anfechtbarer Weise erfolgt, so kann der Kläger die vollen Beträge von der Beklagten zurückverlangen ­ wobei er allerdings von dem letztgenannten Betrag nur DM 57.762,60 geltend macht ­, also nicht nur in Höhe der (hälftigen) Arbeitgeber-Anteile, sondern auch in Höhe der Arbeitnehmer- Anteile (= insgesamt DM 77.762,60).

3.1. Bekanntlich setzen sich die Sozialversicherungsbeiträge aus den vom Einkommen der Arbeitnehmer berechneten Anteilen und gleich hohen Anteilen der Arbeitgeber zusammen.

Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass der Kläger für eine Rückforderung des jeweiligen Arbeitnehmer-Anteils an den Sozialversicherungsbeiträgen aufgrund Anfechtung nicht aktivlegitimiert sei, im vorliegenden Falle nicht, weil hier die besonderen Voraussetzungen dafür nicht vorliegen.

a) Es ist zwar im Grundsatz durchaus zutreffend, dass mit der Auszahlung der Bruttogehälter an die Arbeitnehmer auch deren im Einzelnen berechnete und einbehaltene Anteile an den Sozialversicherungsbeiträgen aus dem Vermögen des Arbeitgebers ausgesondert werden. Die Auszahlung erfolgt insoweit durch individualisierbare Zuführung auf ein buchhalterisches Treuhandkonto, das an dem Charakter dieser Kontobestände als Gelder der Arbeitnehmer nichts ändert. Da der Kläger als Insolvenzverwalter nur Ansprüche zur Insolvenzmasse geltend machen kann, kann er mithin etwaige Rückzahlungsansprüche der Arbeitnehmer nicht einklagen (BGH [9. Zivilsenat] ­ 15.2.1990 ­ MDR 1990, 915 = NJW 1990, 2687).

Diese Auffassung scheint auch das Bundesarbeitsgericht zu stützen. Es hat dem Arbeitgeber einen eigenen Rückforderungsanspruch gegenüber dem Sozialversicherungsträger auf Arbeitnehmeranteile an den Sozialversicherungsbeiträgen versagt. § 28e Abs. 1 SGB IV regele nur die aus technischen Gründen gewählte direkte Zahlungspflicht des Arbeitgebers gegenüber der Einzugsstelle, nicht dagegen, wer diesen Betrag letztlich zu tragen" habe. Das sei der Arbeitnehmer, der wirtschaftlich seine Beitragsanteile aus dem ihm zustehenden Bruttoentgelt trage. Dementsprechend gehöre der Arbeitnehmeranteil zum Bruttoentgelt des Arbeitnehmers, stamme also aus dessen Einkommen (BAG ­ 29.3.2001 ­ Betr. 2001, 2659).

Für diese Ansicht lässt sich auch § 26 Abs. 3 SGB IV heranziehen. Nach dessen Satz 1 steht ein Erstattungsanspruch demjenigen zu, der die Beiträge getragen" hat. Wirtschaftlich getragen werden die Arbeitnehmeranteile an der Sozialversicherung aber eben von den Arbeitnehmern; denn sie werden von ihrem Bruttolohn einbehalten. Wollte man diese Bestimmung dennoch nicht in dem vorstehenden Sinne verstehen, sondern auch die Arbeitnehmeranteile als vom Arbeitgeber getragen" ansehen, weil er unmittelbar die Zahlungen an die Sozialversicherungsträger leistet", so wäre deren Satz 2 zu beachten. Danach entfällt ein Erstattungsanspruch (des Arbeitgebers), wenn ihm Beiträge von einem Dritten ersetzt worden sind. Die Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherungsbeiträge sind dem Arbeitgeber aber regelmäßig durch Abzug vom Bruttolohn der Arbeitnehmer in diesem Sinne ersetzt" worden (§ 28g Satz 1 und 2 SGB IV).

b) Dem Kläger ist jedoch einzuräumen, dass der 9. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs seine Rechtsprechung, wie sie in dem vorgenannten Urteil vom 15. Februar 1990 niedergelegt ist, nunmehr präzisiert hat. Der 9. Zivilsenat ist dabei zunächst von dem Grundsatz ausgegangen, dass Zahlungen des Arbeitgebers auf Sozialversicherungsbeiträge (effektiv) in vollem Umfange aus seinem eigenen Vermögen erfolgen, an dem keine treuhänderische Mitberechtigung der einzelnen Arbeitnehmer bestehe (BGH ­ 25.10.2001 ­ BB 2002, 590 [590, 591]).

Eine solche treuhänderische Bindung könne aber ­ wobei der 9. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs gerade auch auf seine frühere Entscheidung hinweist ­ dann begründet worden sein, wenn ­ 1. der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer eine Lohnabrechnung vorgenommen hat, in der bestimmte Beträge als Abzüge aufgeführt sind, ­ 2. diese Abzüge in den Buchhaltungsunterlagen des Arbeitgebers als Guthaben des einzelnen Arbeitnehmers ausgewiesen wurden, ­ 3. diese bestimmten Abzüge an den Sozialversicherungsträger abgeführt wurden und ­ 4. diese Abführungen aus tatsächlich vorhandenen Barmitteln des Arbeitgebers erfolgten. Insbesondere an dieser letzten Voraussetzung fehle es jedoch, wenn dafür keine eigenen Barmittel mehr vorhanden seien, weil es an einem allgemeinen Betriebskredit keine treuhänderische Berechtigung eines Arbeitnehmers geben könne (a.a.O. [591]).

c) Die weiteren Entscheidungen, auf die sich die Parteien berufen haben, sind demgegenüber nicht geeignet, zu einer Lösung dieser Rechtsfrage beizutragen.

aa) So hat sich der 6. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 16. Mai 2000 ­ NJW 2000, 2993 [2995] ­ nicht mit der Rückzahlungsforderung eines Arbeitgebers bzw. dessen Insolvenzverwalters von zu Unrecht gezahlten Sozialversicherungsbeiträgen befasst, sondern im Rahmen eines deliktischen Anspruchs des Sozialversicherungsträgers nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 266a Abs. 1 StGB mit der Zahlungspflicht des Arbeitgebers. Dass dieser gegenüber den Sozialversicherungsträgern für die gesamten Sozialversicherungsbeiträge ­ Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile ­ zahlungspflichtig ist (§ 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV), ist unbestritten. Das besagt aber nichts darüber, ob gezahlte Arbeitnehmeranteile an den Sozialversicherungsbeiträgen wirtschaftlich dem Vermögen des Arbeitgebers bzw. dessen Insolvenzmasse zuzurechnen sind oder denjenigen der Arbeitnehmer.

Der Umstand, dass § 266a Abs. 1 StGB differenziert und nur die Nichtzahlung der Arbeitnehmeranteile, nicht dagegen die Nichtzahlung der Arbeitgeberanteile, strafbar sein lässt, reicht allein nicht aus, um eine treuhänderische Zuordnung der gezahlten Sozialversicherungsbeiträge zum Vermögen der Arbeitnehmer zu begründen. Diese Strafvorschrift will zwar verhindern, dass Arbeitnehmer den (ausreichenden) Schutz der Sozialversicherung durch Nichtzahlung (wenigstens) ihrer Beiträge verlieren, die die Arbeitgeber zuvor bereits von dem Bruttolohn der Arbeitnehmer einbehalten haben. Der Gesetzgeber hat jedoch davon abgesehen, den Arbeitnehmern einen eigenen im Insolvenzverfahren privilegierten Anspruch auf Abführung der Arbeitnehmeranteile an den Sozialversicherungsbeiträgen einzuräumen. So, wie die Arbeitnehmer mit ihren fälligen Lohnansprüchen nur (gewöhnliche) Insolvenzgläubiger sind (vgl. § 38 InsO) und damit auf eine etwaige Insolvenzquote verwiesen werden, handelt es sich auch bei den Ansprüchen auf Auszahlung bzw. Abführung der in den Bruttolöhnen enthaltenen Arbeitnehmeranteilen an den Sozialversicherungsbeiträgen nur um gewöhnliche Insolvenzforderungen. Es ist daher nur konsequent, wenn die zurückgewährten Sozialversicherungsbeiträge insgesamt, also einschließlich der Arbeitnehmeranteile, der Gesamtheit der Gläubiger des Arbeitgebers, zu denen auch die Arbeitnehmer gehören, zur Befriedigung zur Verfügung gestellt werden, also an die Insolvenzmasse fließen.

Dies mag dazu führen, dass Arbeitnehmer durch eine Insolvenz ihres Arbeitgebers doppelt benachteiligt werden, weil nicht nur ihr sozialversicherungsrechtlicher Schutz durch die zurückgewährten Beitragsanteile gemindert wird, sondern sie in der Regel auch noch ihren Arbeitsplatz verlieren. Dies zu ändern ist jedoch allein Sache des Gesetzgebers.

bb) Allerdings hat derselbe 6. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in einer Entscheidung vom 14. November 2000 ­ ZIP 2001, 80 [82] ­, in der es um einen gleichen Schadensersatzanspruch ging, einen solchen verneint, weil eine Zahlung dieser ... Arbeitnehmerbeiträge von dem Gesamtvollstreckungsverwalter mit der Folge der Verpflichtung zur Rückgewähr der Leistung angefochten worden wäre". Eine nähere Begründung hat der 6. Zivilsenat dazu nicht gegeben. Er hat sich weder überhaupt mit der Problematik noch mit der (früheren) Entscheidung des 9. Zivilsenates dazu befasst; ob er das Problem, ob der Insolvenzverwalter eines Arbeitgebers Arbeitnehmeranteile an Sozialversicherungsbeiträgen im Wege der Anfechtung zurückfordern kann oder nicht, nicht gesehen oder nicht für entscheidungserheblich angesehen hat, lässt sich mangels näher ersichtlicher Gründe nicht feststellen.

cc) Gleichwohl hat das Oberlandesgericht Hamburg in seinem Urteil vom 15. Dezember 2000 ­ ZIP 2001, 708 [710] ­ allein aufgrund diesen eher beiläufigen Ausführungen des 6. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs aus der alleinigen Zahlungspflicht des Arbeitgebers auch für die Arbeitnehmeranteile an den Sozialversicherungsbeiträgen den Schluss gezogen, dass dies auch für die Anfechtung von Zahlungen und somit für die Rückforderung von Arbeitnehmeranteilen gelten müsse. Dieser Schluss ist aus den genannten Gründen keineswegs zwingend und deshalb wenig überzeugend. Dies gilt umso mehr, als sich auch das Oberlandesgericht Hamburg nicht mit den Erwägungen des 9. Zivilsenates des Bundesgerichtshofs befasst hat.

Das Landgericht Kiel letztendlich hat sich in seinem Urteil vom 18. Juli 2001 ­ ZIP 2001, 1726 ­ lediglich auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg gestützt, ohne eigene Erwägungen anzustellen.

dd) Die Entscheidung des Großen Senates des Bundesarbeitsgerichts vom 7. März 2001 ­ MDR 2001, 1360 ­, auf die die Beklagte verwiesen hat, ist schon deshalb nicht einschlägig, weil sie sich lediglich mit der Frage befasst, ob der Arbeitgeber Verzugszinsen aus dem Bruttolohn einschließlich des Arbeitgeberanteils an den Sozialversicherungsbeiträgen oder ausschließlich dieses Anteils oder gar nur aus dem Nettolohn schuldet.

d) Im vorliegenden Fall fehlt es, um nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine treuhänderische Bindung der gezahlten Sozialversicherungsbeiträge annehmen zu können, in jedem Falle bereits an der letzten der vier oben genannten Voraussetzungen. Die beiden hier betroffenen Scheckzahlungen erfolgten nachweislich aus einem erheblich im Soll geführten Bankkonto der Insolvenzschuldnerin (Bl. 147, 148 d.A.).

Aber auch die Überweisung vom August 1999 erfolgte von ebendiesem Konto. Es kann unter den gegebenen Verhältnissen ausgeschlossen werden, dass dieses Konto der Insolvenzschuldnerin im Zeitpunkt der Vornahme der Überweisung ein Guthaben aufwies. Dafür bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Auch die Beklagte behauptet dies nicht.

Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob in Bezug auf die Arbeitnehmeranteile an den gezahlten Sozialversicherungsbeiträgen eine förmliche Abrechnung gegenüber den Arbeitnehmern der Insolvenzschuldnerin erfolgt ist. Auf den fehlenden Vortrag hierzu kommt es deshalb nicht an.

3.2. Damit kann der Kläger von den anfechtbaren Zahlungen der Insolvenzschuldnerin in Höhe von (geltend gemacht) insgesamt DM 77.762,60 den vollen Betrag zur Insolvenzmasse ziehen.

Hiervon abzuziehen ist allerdings der Betrag, den der Kläger der Beklagten unstreitig an Sozialversicherungsbeiträgen geschuldet und selber in Anrechnung gebracht hat, nämlich DM 19.865,03. Somit verbleibt ein Betrag von DM 57.897,57 = EUR 29.602,56 zugunsten des Klägers.

4. Zinsen auf diese Forderung stehen dem Kläger nicht in der vollen geltend gemachten Höhe zu.

a) Die Zahlung vom 13. August 1999 hat der Kläger bereits mit Schreiben vom 17. Februar 2000 zurückgefordert und dafür eine Zahlungsfrist bis 29. Februar 2000 gesetzt (Bl. 42-43 d.A.). Dementsprechend fordert der Kläger gemäß § 284 Abs. 1 Satz 1 BGB zu Recht Verzugszinsen ab 1. März 2000. Dies gilt für einen Betrag von DM 57.762,60 = EUR 29.533,55.

Die Rückforderung der per Scheck erfolgten Zahlungen im Wege der Anfechtung hat der Kläger erst mit der Klageerweiterung vom 27. April 2001 geltend gemacht. Insoweit verlangt er (Prozess-)Zinsen erst ab Rechtshängigkeit (§ 291 BGB). Diese trat am 8. Mai 2001 durch Zustellung ein (Bl. 149 d.A.). Abzüglich der verrechneten Gegenforderung gilt dies für einen Betrag von (DM 20.000,­ ÷ DM 19.865,03 = DM 134,97 =) EUR 69,01.

b) Allerdings kann der Kläger Zinsen nur zu einem geringen Teil in der begehrten Höhe von 5%, im Übrigen jedoch nur in Höhe von 4% verlangen.

Wegen Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 EGBGB in Verbindung mit den §§ 291, 288 Abs. 1 BGB n.F. hält sich ein Zinssatz von 5% für den vorgenannten Betrag von EUR 69,01 im gesetzlichen Rahmen. Wegen derselben Überleitungsvorschrift in Verbindung mit § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB gilt dies jedoch nicht für den weiteren Betrag von EUR 29.533,55; denn dieser Betrag ist vor Inkrafttreten der Neuregelung am 1. Mai 2000 durch die aufgrund Anfechtung geltend gemachte Rückforderung fällig geworden. Für diesen Teil verbleibt es deshalb bei der früheren gesetzlichen Regelung von 4%. Einen höheren Zinssatz hat der Kläger nicht begründet.

5. Soweit der Kläger Feststellung begehrt, dass eine Beitragsforderung der Beklagten in Höhe der von ihm vorgenommenen Verrechnung (Aufrechnung) gemäß § 389 BGB erloschen sei, ist die Klage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig; denn die Beklagte berühmt sich mangels Anerkennung der Klageforderung weiterhin ihrer fortbestehenden Beitragsforderung.

Die begehrte Feststellung ist aber auch begründet; denn der Kläger hat mit einer berechtigten Rückforderung die Beitragsforderung der Beklagten zum Erlöschen gebracht.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Sie berücksichtigt das beiderseitige Obsiegen und Unterliegen der Parteien in den beiden Rechtszügen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit mit Vollstreckungsschutz ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 bis 3, 709 Satz 2 ZPO n.F..

Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO n.F. zuzulassen. Die Rechtssache hat durchaus grundsätzliche Bedeutung, die über den Einzelfall hinaus geht. Auch erscheint eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs in dieser Sache zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung angebracht.

Ende der Entscheidung

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