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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 30.06.2003
Aktenzeichen: 16 U 2/03
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 3 | |
ZPO § 28 | |
ZPO § 313a Abs. 1 Satz 1 | |
ZPO § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 | |
ZPO § 540 Abs. 2 | |
ZPO § 542 Abs. 2 |
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am 30. Juni 2003
In dem Rechtsstreit
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Richter am Oberlandesgericht Siegel als Einzelrichter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26. Mai 2003
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Verfügungsbeklagten wird das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 5. Dezember 2002 -2-05 O 281702 - abgeändert.
Die einstweilige Verfügung des Landgerichts vom 12. August 2002 wird aufgehoben.
Der Antrag des Verfügungsklägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
Der Verfügungskläger trägt die Kosten des Rechtsstreites.
Entscheidungsgründe:
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß den §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 542 Abs. 2 ZPO abgesehen.
I. Die zulässige Berufung ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der erlassenen einstweiligen Verfügung und zur Zurückweisung des entsprechenden Antrags des Verfügungsklägers (kurz: Kläger).
1. Das Landgericht hat aufgrund der Vorlage der zahlreichen sich widersprechenden eidesstattlichen Versicherungen durch die Parteien die Richtigkeit der Behauptungen des Verfügungsbeklagten (kurz: Beklagter) über den Kläger als nicht glaubhaft gemacht angesehen. Dies mag dem damaligen Sachstand entsprochen haben.
Die Annahme eines "non liquet", das hier zulasten des Beklagten geht, ist allerdings erst dann erlaubt, wenn alle Erkenntnisquellen der Beweiswürdigung ausgeschöpft worden sind, ohne dass eine Feststellung in der einen oder anderen Hinsicht getroffen werden kann. Insoweit liegen dem Berufungsgericht jedoch weitere, nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zuzulassende Erkenntnisquellen vor, die eine andere Beurteilung erlauben.
2. So hat der Beklagte unbestritten am 4. Oktober 2000 eine "Meldung compliance-relevanter Informationen" hinsichtlich des US-amerikanischen Unternehmens N. abgegeben, die die Übernahme dieses Unternehmens durch die Deutsche Bank betraf.
Daraus geht zugleich hervor, dass am 5. Oktober 2000 die Veröffentlichung (der Übernahme) erfolgen sollte.
Des Weiteren hat der Kläger ebenfalls unwidersprochen unter dem 6. Oktober 2000 dem damaligen Vorstandssprecher der X Bank den Rücklauf des entsprechenden Vorstandsbeschlusses im Umlaufverfahren mitgeteilt.
Unstreitig war darüber hinaus auch bereits im landgerichtlichen Verfahren, dass noch am 4. Oktober 2000 eine Überweisung von DM 120.000- von einem Konto der Ehefrau des Klägers an die Ehefrau des Beklagten erfolgte und dass am nächsten Tag, dem 5. Oktober 2000, Aktien des oben genannten Unternehmens N. zulasten des Kontos der Ehefrau des Beklagten erworben wurden, die nach wenigen Tagen, nämlich bereits am 11. Oktober 2000, mit Gewinn veräußert wurden.
3. Auf der Grundlage dieser unstreitigen Tatsachen war die ebenfalls nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zuzulassende Aussage des präsenten Zeugen T. zu würdigen.
3.1. Dieser hat von einem Telefongespräch während einer gemeinsamen Autofahrt mit dem Beklagten am 4. Oktober 2000, seinem ersten freien Tag, berichtet, das der dem Zeugen namentlich benannte Kläger mit dem Beklagten - auf Türkisch - geführt habe. Danach habe der Beklagte die Eingangsfrage des Klägers, ob er offen rede könne, bejaht, weil er ihn - den Zeugen - als Freund bezeichnet habe und der außerdem im Fahrzeug befindliche weitere Mitfahrer kein Türkisch verstehe. Daraufhin habe der Kläger dem Beklagten den Auftrag erteilt, so schnell wie möglich für DM 200.000- über die New Yorker Börse Aktien der N. zu kaufen, weil die Deutsche Bank dieses Unternehmen übernehmen wolle. Zu diesem Zwecke habe er - der Kläger - inzwischen für DM 50- Kosten eine Eilüberweisung über DM 120.000- auf das Konto der Ehefrau des Beklagten veranlasst. Der Beklagte habe ihm- dem Zeugen - anschließend erklärt, was die "N." sei.
Diese Aussage erscheint glaubhaft; denn sie passt auch vom zeitlichen Zusammenhang her widerspruchsfrei zu den unstreitig feststehenden Tatsachen. Danach hatte der Kläger spätestens am 4. Oktober 2000 Kenntnis von der beabsichtigten Übernahme der N. durch die X Bank und veranlasste noch am selben Tage unter Ausnutzung dieser Kenntnis den Beklagten zum Erwerb von Aktien dieses Unternehmens, was dieser auch prompt am nächsten Tag ausführte.
Das legt den Verdacht eines Insidergeschäfts nahe. Selbst wenn der Kläger mit der von ihm veranlassten Aktion die strafrechtliche Grenze zu einem Insidergeschäft noch nicht überschritten haben sollte, liegt es doch auf der Hand, dass er unter Ausnutzung eines wie auch immer gearteten Wissensvorsprunges über eine "möglicherweise" bevorstehende Unternehmensübernahme in einer darauf "spekulierenden" Weise den Auftrag zum Erwerb der Aktien erteilt hat.
3.2. Der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen T. steht nicht entgegen, dass er unter dem 15. Januar 2003 eine - auf Deutsch abgefasste - eidesstattliche Versicherung unterschrieben hat, die einen wesentlich detailreicheren Inhalt hat, als sich der Zeuge bei seiner Vernehmung nur wenige Monate später hat erinnern können. Hierzu hat der Beklagte eingeräumt, dass er diese eidesstattliche Versicherung in deutscher Sprache niedergeschrieben habe; das hat auch der Zeuge bestätigt.
Aufgrund der persönlichen Vernehmung des Zeugen kommt es jedoch auf diese letztlich von dem Beklagten selber abgefasste eidesstattliche Versicherung nicht entscheidend an. Die Aussage des Zeugen ist ausreichend, um die Richtigkeit der Behauptung des Beklagten glaubhaft machen zu können; denn sie bezieht sich auf den entscheidungserheblichen Kern des Sachverhalts.
Soweit der Kläger das geschilderte Telefongespräch und den damit zusammenhängenden Vorgang bestreitet und dies durch Vorlage von - eigenen und seiner Ehefrau - eidesstattlichen Versicherungen glaubhaft zu machen versucht, überzeugt das nicht und ist damit auch nicht geeignet, das Ergebnis der Glaubhaftmachung durch die Beklagtenseite zu erschüttern. Das Vorbringen des Klägers vermag gerade den zeitlichen Zusammenhang nicht zu erklären, der zwischen seiner - unstreitigen - Tätigkeit bei der X Bank am 4. Oktober 2000 mit seinem damit verbundenen Wissen sowie der Geldüberweisung an die Ehefrau des Beklagten einerseits und dem am nächsten Tag erfolgten größeren Erwerb von US-amerikanischen Aktien, von denen nur eingeweihte Kreise Kenntnis haben können, anderseits besteht. Es liegt außerhalb einer nachvollziehbaren Wahrscheinlichkeit, dass der Beklagte bzw. seine Ehefrau, von denen - bisher - nicht ersichtlich ist, dass sie bereits zuvor in großem Maße spekulative Wertpapiergeschäfte betrieben haben, "rein zufällig" exakt zum selben Zeitpunkt, zu dem sich die X Bank anschickt, ein US-amerikanisches Unternehmen, an dem sie bereits beteiligt ist, vollständig aufzukaufen, auf die Idee verfallen, Aktien gerade dieses hier weitgehend unbekannten Unternehmens zu kaufen und noch dazu ausgerechnet über die New Yorker Börse.
Der Vortrag des Klägers in seinem Schriftsatz vom 10. Juni 2003 über die (angeblichen) Börsenerfahrungen des Beklagten und seiner Ehefrau ist unbeachtlich; denn der Schriftsatznachlass war ihm gemäß § 283 ZPO nur zur Erwiderung auf neues Vorbringen des Beklagten gewährt worden, nicht zu eigenem neuem Sachvortrag.
Zu Unrecht verweist der Kläger darauf, dass die endgültige Entscheidung über die Übernahme der N. durch die X Bank am 4. Oktober 2000 noch gar nicht rechtswirksam getroffen gewesen sei. Dieser Umstand steht dem Verdacht eines möglichen Insidergeschäfts nicht entgegen; denn dafür reicht es, dass die Entscheidung der maßgebenden Organe "in Umlauf" gesetzt war. Das aber war sie nach dem eigenen Vortrag des Klägers. Die Auffassung des Klägers, dass eine den Verdacht eines Insidergeschäfts begründende "Insidertatsache" erst dann vorliege, wenn zu einer kursbeeinflussenden Tatsache ein entsprechender rechtswirksam getroffener Vorstandsbeschluss vorliegt, teilt der Senat damit nicht.
3.3. Unter diesen Umständen gewinnt auch die eidesstattliche Versicherung des Zeugen C. vom 13. November 2002 Bedeutung, die das Landgericht bei seinem Sachstand (noch) nicht für ausreichend angesehen hat, um die gegenteiligen eidesstattlichen Versicherungen des Klägers und seiner Ehefrau zu widerlegen.
Dieser Zeuge hat über ein am 3. August 2002 mit dem Kläger in einem Cafe in K. geführtes Gespräch berichtet. Anlass seien zwar die finanziellen Streitigkeiten der Parteien gewesen, die sich aus einem späteren - mit Verlust abgeschlossenen - Wertpapiergeschäft des Beklagten ergeben haben, das ebenfalls durch entsprechende Informationen seitens des Klägers veranlasst worden sein soll; bei diesem Gespräch habe der Kläger eingeräumt, Wertpapiere aufgrund seiner Insiderinformationen durch den Beklagten habe kaufen lassen, und zur Begründung angegeben, er habe gedacht, "warum sollten wir nicht von meinem Insiderwissen profitieren".
Soweit der Kläger eine eidesstattliche Versicherung seines Vaters, des Zeugen U. vom 3. Dezember 2002 vorgelegt hat, wonach der Zeuge C. am 21. November 2002 morgens gegen 7:18 Uhr den Kläger angerufen haben soll, um ihm mitzuteilen, dass er "das" - gemeint ist die eidesstattliche Versicherung - nicht freiwillig, sondern gezwungenermaßen gemacht und nunmehr darüber Gewissensbisse habe und es bereue, ist dies nicht geeignet, die eidesstattliche Versicherung des Zeugen C. zu erschüttern.
Zum einen bestehen bereits Bedenken gegen die Verwertbarkeit dieser eidesstattlichen Versicherung des Vaters des Klägers, da dieser unbefugt ein fremdes Telefongespräch abgehört hat, jedenfalls nicht vorgetragen ist, dass der Zeuge C. damit einverstanden gewesen sei. Zum anderen ist der Beweiswert dieser eidesstattlichen Versicherung nicht sehr groß. Es begründet ernstliche Zweifel an der Richtigkeit einer Bekundung, wenn ein Zeuge noch nach 12 Tagen den Inhalt eines in türkischer Sprache abgehaltenen Telefongesprächs, das er nicht selber geführt, sondern nur mitgehört hat, in Bezug auf die Äußerungen beider Gesprächsteilnehmer wortwörtlich und zudem noch in deutscher Übersetzung wiedergeben zu können behauptet. Solch ein phänomenales Gedächtnis ist zu ungewöhnlich, um glaubhaft zu sein. Soweit dieser Zeuge erklärt hat, dass sein Sohn - der Kläger - bei der Abfassung dieser -deutschsprachigen - eidesstattlichen Versicherung geholfen habe, mindert das ihren Beweiswert noch mehr.
Schließlich ist auch kein Grund ersichtlich, warum der Zeuge C. als unbeteiligter Dritter ein auch noch von ihm veranlasstes Gespräch mit dem Kläger frei erfunden haben soll.
3.4. Bei Abwägung all dieser Umstände ist es als genügend glaubhaft gemacht anzusehen, dass der Kläger tatsächlich in der beschriebenen Weise von internem Wissen seiner Arbeitsstelle Gebrauch gemacht haben kann, um den Beklagten und dessen Ehefrau zu veranlassen, unter Ausnutzung dieses weitergegebenen Wissens Wertpapiergeschäfte zu tätigen. Dann aber durfte der Beklagte als juristischer Laie diesen Vorwurf zu Recht erheben.
Im Übrigen beziehen sich die von beiden Seiten vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen weitgehend allein oder überwiegend auf die finanziellen Auseinandersetzungen der Parteien oder auf nicht entscheidungserhebliche Vorgänge.
3.5. Hatte der Beklagte somit begründeten Anlass zu dem Verdacht, dass der Kläger Insidergeschäfte betreibe, dann durfte er sich mit seinem Verdacht auch nicht nur an dafür vorgesehene staatliche Behörden wenden, sondern auch unmittelbar an die Arbeitgeberin des Klägers. Schließlich liegt die Ausschaltung von Mitarbeitern von Finanzdienstleistungsunternehmen, die einen beruflich erlangten Wissensvorsprung zu Spekulationsgeschäften ausnutzen, auch im volkswirtschaftlichen Interesse.
Dass der Beklagte die Mitteilung an die Arbeitgeberin des Klägers ohne Nennung seines Namens durch einen von ihm beauftragten Rechtsanwalt hat vornehmen lassen, ändert an der Berechtigung des Beklagten hierzu nichts; eine "anonyme" Anzeige ist das deswegen keineswegs.
3.6. Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagte mit seinem behaupteten Verdacht, dass der Kläger Insidergeschäfte betrieben habe, nicht sogar rechtmäßig gehandelt hat, weil an der Verhinderung unzulässiger und/oder strafbarer Insidergeschäfte ein überragendes öffentliches Interesse besteht. In diesem Falle träfe sogar den Kläger die Glaubhaftmachungslast hinsichtlich der Unwahrheit der Behauptungen des Beklagten. Die Unwahrheit der Behauptungen des Beklagten ist jedoch aus den vorstehend genannten Gründen gerade nicht glaubhaft.
4. Für die Frage, ob die Wahrheit (oder die Unwahrheit) der behaupteten Tatsachen glaubhaft gemacht ist oder nicht, ist es unerheblich, ob eine Versagung der einstweiligen Verfügung den Kläger stärker belastet als ein Fortbestand der einstweiligen Verfügung den Beklagten. Die Entscheidung dieser Frage kann nicht von Billigkeitserwägungen abhängig sein.
Dies gilt auch für den Umstand, dass der Beklagte sich zu seiner Anzeige erst nach erheblicher Zeit und auch das erst, nachdem er durch spätere eigene Geldanlagegeschäfte, bei denen er Empfehlungen des Klägers gefolgt ist, Verluste erlitten hat, die der Kläger nicht auszugleichen bereit war, entschlossen hat. Diese Motivation des Beklagten lässt zwar seine Handlung nicht gerade als moralisch wertvoll erscheinen, ändert aber an dem festgestellten Sachverhalt nichts.
Letztendlich mag der Kläger seine Rehabilitierung im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren suchen, wenn er meint, er habe sich nichts zu Schulden kommen lassen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
Ende der Entscheidung
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