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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 01.08.2005
Aktenzeichen: 16 U 24/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 1004
Die Veröffentlichung von Ergebnissen von Warentests darf nicht in verzerrender oder misszuverstehender Art und Weise erfolgen.
Gründe:

I.

Der Kläger, Betreiber eines Labors für genetische Analyse und Anbieter genetischer Vaterschaftstests, wendet sich im Rahmen des vorliegenden Verfahrens gegen den in Ausgabe 11/03 der Zeitschrift "ÖKO-Test" erschienenen Artikel "Auf Spurensuche". Gegenstand dieses von der Beklagten zu 2) verfassten, in der Rubrik "Kinder & Familie" der von der Beklagten zu 1) herausgebenenen Zeitschrift enthaltenen Artikels ist ein Testbericht über Vaterschaftstests.

Zur Durchführung dieses Tests waren 11 - hierüber vorab nicht informierten - Anbietern jeweils Speichelproben zum Vaterschaftstest übersandt worden; während eine Probe Testmaterial eines Vaters und seines neunjährigen Sohnes enthielt, bestand die zweite Probe aus Testmaterial des Chefredakteurs der Beklagten zu 1) und seines jüngeren Bruders. Die Untersuchungsergebnisse wurden im Auftrage der Beklagten zu 1) durch den Betreiber und Laborleiter eines nicht am Test beteiligten Labors, Dr. A, ausgewertet und bewertet. Im Ergebnis sind neun von elf Vaterschaftsgutachten der getesteten Anbieter, darunter auch des Klägers, als "ungenügend" eingestuft worden.

Der in "Öko-Test" erschienene Testbericht stellt zu Beginn des Artikels in einem optisch besonders hervorgehobenen, farblich unterlegten Textfeld die leitsatzartig gefassten "Empfehlungen" der Beklagten besonders heraus; der erste "Leitsatz" lautet:

"Nach unseren Testergebnissen müssen wir ganz klar von privaten Vaterschaftstests ohne das Wissen der Mutter abraten".

Auf der zweiten Seite des Artikels ist ein weiteres, rund ein Drittel der Seite ausfüllendes, wiederum farblich unterlegtes Textfeld mit Bild des Gutachters Dr. A und der Überschrift "Interview" eingefügt; darin ist unter der Überschrift "Heimliche Vaterschaftstests sind unmoralisch" in Wiedergabe von Fragen und Antworten die Ansicht des Gutachters zum Ausdruck gebracht, dass Labore "sich mindestens an die Anforderungen der Richtlinien der Bundesärztekammer halten" sollten und er "heimliche Tests aus moralischen Gründen" ablehne, denn es gehöre sich "einfach nicht, einen solchen Test ohne das Einverständnis der Betroffenen durchzuführen".

Gegen diese Veröffentlichung wendet sich der Kläger, der darin einen unzulässigen Eingriff in seinen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sieht.

Das Landgericht hat seiner Klage stattgegeben, soweit er Unterlassung weiterer Veröffentlichung und Feststellung künftiger Schadensersatzpflicht der Beklagten aufgrund der erfolgten Veröffentlichung beansprucht hat; hinsichtlich des auf Veröffentlichung einer Richtigstellung gerichteten weitergehenden Begehrens hat es die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die erforderliche Neutralität und Objektivität der Tests sei nicht gewährleistet gewesen, denn bei dem von den Beklagten hinzugezogenen Gutachter Dr. A habe sich sich um einen Konkurrenten der getesteten Anbieter gehandelt, der selbst Vaterschaftstests anbiete. Es komme nicht darauf an, ob die Testergebnisse dennoch zutreffend seien; es reiche aus, dass dem Prüfer Spielräume zugestanden haben könnten, die er möglicherweise unsachgemäß genutzt haben könnte. Die Beklagten hätten für einen möglichen Schaden des Klägers einzustehen, denn sie hätten erkennen können, dass sie Dr. A nicht als Sachverständigen hätten zuziehen dürfen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie die Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und die Abweisung der Klage erstreben.

Sie halten die Wertung des Landgerichts, es seien zwar keine falschen Testergebnisse festgestellt, der Sachverständige sei aber als Konkurrent dennoch nicht in der gebotenen Weise neutral und objektiv, für widersprüchlich. Irgendein Anhalt für eine Parteilichkeit des Gutachters sei weder festgestellt noch vorgetragen.

Das nicht selbst am Test beteiligte Institut für Blutgruppenforschung Dr. A sei nicht einmal dem Kreis vergleichbarer, der Testzielgruppe zuzuordnender Unternehmen zuzurechnen, weil es - unstreitig - keine "heimlichen" Vaterschaftstests (ohne Wissen der Mutter) anbietet. Auch die Testkriterien seien bereits vor der Beauftragung des Gutachters festgelegt worden. Ferner sei zu berücksichtigen, dass alle überhaupt in Betracht kommenden Sachverständigen selbst Vaterschaftstests - allerdings nur zum Teil auch ohne Wissen der Mutter - anböten; wollte man dies als Hinderungsgrund ansehen, wäre ein sachkundiger Anbietertest überhaupt nicht möglich.

Im übrigen ergebe sich aus Inhalt und Darstellung des angegriffenen Artikels für den Leser zweifelsfrei, dass Gegenstand des Tests nur heimliche Vaterschaftstests waren.

Sie beantragen,

die Klage unter Abänderung des am 27. Januar 2005 verkündeten Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main - 2-03 O 85/04 - abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und vertritt die Auffassung, die Beklagten hätten jedenfalls nicht hinreichend deutlich gemacht, dass sie nur Labors getestet habe, die heimliche Vaterschaftstests anbieten; die Leser hätten von einer zufälligen Auswahl aus einer nicht näher differenzierten Zielgruppe ausgehen müssen.

Der Gutachter Dr. A sei schon deshalb am Testausgang interessiert gewesen, weil ihm die Veröffentlichung Gelegenheit gegeben habe, seine Auffassung zu stützen, dass nur mit Zustimmung der Partnerin durchgeführte Tests statthaft seien.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf das erstinstanzliche Urteil sowie auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hält sich die Testberichterstattung der Beklagten innerhalb des zulässigen Rahmens. Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche des Klägers wegen deren Veröffentlichung (§ 1004 Abs.1 S.2 BGB in entsprechender Anwendung bzw. § 823 Abs. 1 BGB) bestehen nicht.

1. Ein unzulässiger Warentest stellt einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (17. Juni 1997 - VI ZR 114/96 = NJW 1997, 2953; 21. Februar 1989 - VI ZR 18/88 = NJW 1989, 1923; 10. März 1987 - VI ZR 144/86 = NJW 1987, 2222) handelt es sich bei den Ergebnissen vergleichender Warentests in der Regel um Meinungsäußerungen; nur ausnahmsweise liegen Tatsachenbehauptungen vor, wenn es z.B. um Merkmale eines Produkts geht, die einen objektivierbaren Gehalt haben (BGH a.a.O.; Senat, Urteil vom 25. April 2002 - 16 U 136/01 = NJW-RR 2002, 1697).

b) Voraussetzung für die Veröffentlichung von vergleichenden Warentests ist, dass die Untersuchung neutral, objektiv und sachkundig erfolgt und die Ergebnisse vertretbar erscheinen (BGH a.a.O.; Senat a.a.O.). Denn wer zur Wahrnehmung von Verbraucherinteressen einen öffentlichen Warentest veranstaltet, betont seine Neutralität. Fehlt indessen die Neutralität des Testveranstalters, so ist der Test wegen Irreführung des Publikums unzulässig, und zwar auch dann, wenn er seinem Inhalt nach richtig sein sollte (OLG Hamm - 13. Dezember 1979 - 4 U 236/79 = WRP 1980, 281; OLG München - 23. Mai 1996 - 29 U 5889/95 - OLGR München 1997, 71).

Bezogen auf Zuwendungen von Wettbewerbern reichen bloße Vermutungen in diese Richtungen allerdings nicht aus; es genügt andererseits bereits die Möglichkeit testfremder Einflussnahme, wenn damit nach den Umständen jederzeit zu rechnen ist, um die erforderliche Neutralität in Frage zu stellen. Entscheidend kann sein, dass der Veranstalter einen am Testergebnis interessierten Wettbewerber eingeschaltet hat, dessen eigene Produkte mit Gegenstand der Überprüfung sind (OLG München a.a.O.).

c) Um den Zweck einer zuverlässigen Verbraucheraufklärung zu erreichen, aber auch im Hinblick auf die Folgen fehlerhafter Bewertungen für die Anbieter, sind ein an an hinreichender Sachkunde orientiertes faires Prüfungsverfahren und sachliche Schlussfolgerungen aus den gewonnenen Ergebnissen erforderlich.

d) Der Darstellung des Testergebnisses sind Grenzen insoweit gesetzt, als sie nicht in verzerrender oder mißverständlicher Weise erfolgen darf. Von der Veröffentlichung vergleichender Warentests betroffene Produzenten können verlangen, dass zur Missdeutung des Untersuchungsergebnisses führende Äußerungen unterlassen werden und Aussagen, für deren richtige Einordnung oder Bewertung dies erforderlich ist, nur mit einem erläuternden Zusatz - der nicht seinerseits missverständlich, verzerrend oder gar unwahr sein darf - veröffentlicht werden (OLG Karlsruhe - 25. Oktober 2002 - 14 U 36/02 = NJW-RR 2003, 177).

2. Die so konkretisierten Grenzen vergleichender Testberichterstattung sind hier entgegen der Auffassung des Klägers nicht überschritten.

a) Die Objektivität und Vertretbarkeit der Beurteilungsmaßstäbe sowie die Sachkunde des durch die Beklagten hinzugezogenen Gutachters Dr. A stehen nicht in Frage.

b) Konkrete Anhaltspunkte für fehlende Objektivität des Gutachters in der Bewertung der durch die Testteilnehmer erbrachten Leistungen sind nicht ersichtlich: Vaterschaftstests des Instituts, für das der Gutachter selbst tätig ist, waren nicht Gegenstand der Beurteilung und Testberichterstattung. Auch nennenswerte Beurteilungsspielräume, die Raum für eine "parteiliche" Wertung belassen könnten, bestanden nicht; Gegenstand der Bewertung des Gutachters waren das von den Testinstituten beobachtete Bestimmungsverfahren und das Verfahren der mathematischen Wahrscheinlichkeitsberechnung anhand wissenschaftlicher Kriterien. Es ist weder erkennbar noch dargelegt, dass die ethisch ablehnende Einstellung des Sachverständigen zur Statthaftigkeit heimlicher Vaterschaftstests irgendeinen relevanten Einfluss auf die Bewertung der Testergebnisse haben konnte. Eine nur theoretische Möglichkeit reicht entgegen der Ansicht des Klägers nicht aus.

c) Den Beklagten kann auch nicht zu recht ein "unfaires" Prüfverfahren vorgeworfen werden, weil sie Genmaterial zweier Brüder zum Vaterschaftstest vorgelegt hat. Auch wenn - ja: gerade wenn - ihnen die im Testbericht beschriebene Besonderheit einer ungewöhnlich engen genetischen Verwandtschaft bekannt war (S. 70 unten / 71 oben: "Zugegeben: einfach war die Untersuchung nicht, da sich die DNA der beiden Männer ungewöhnlich ähnlich ist - so ähnlich, wie es oft bei Verwandten sein kann"), stellte sich derartiges Testmaterial sogar als besonders geeignet dar, um die Aussagekraft und Genauigkeit der Laboruntersuchungen der getesteten Anbieter sowie deren Bewertungen "auf die Probe zu stellen" und ggf. Anlass zu etwaigen Nachfragen zu geben, zumal die Beklagten bereits die Mitteilung von Zweifeln als ausreichende Leistung bewertet hat (S. 71: "Mit all diesen Antworten waren wir zufrieden, denn die Labore gaukelten kein eindeutiges Ergebnis vor").

d) Den Beklagten ist auch keine verzerrende oder mißverständliche Darstellung vorzuwerfen.

(1) Die Meinung der Beklagten, sie hielten es für eine "ethische Grundvoraussetzung, daß die Mutter mit einem solchen Test einverstanden ist", ist ebenso deutlich herausgestellt wie die - objektiv zutreffende - Darstellung, dass "das Ergebnis durch die Untersuchung der Mutter wesentlich genauer und damit sicherer" wird (S. 69, linke Spalte).

(2) Es trifft auch nicht zu, dass die Beklagten den Eindruck erweckt hätten, bei den "Richtlinien für die Erstattung von Abstammungsgutachten", die der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer entwickelt habe, handele es sich um verbindliche Vorgaben. Es ist deutlich hervorgehoben, dass die Beklagten die Einhaltung dieser Richtlinien zwar als (ethische) Grundlage für einen "seriösen" Vaterschaftstest ansehen (S. 69, linke Spalte), ihre Einhaltung aber nicht vorgeschrieben oder sonst "vorgegeben" ist.

(3) Dass keines der getesteten Labore "die Zustimmung der Mutter zum Test für nötig" hielt, ist ebenso eindeutig ausgeführt (S. 71, rechts unten; Tabelle S. 72). Unter diesem Aspekt stand ja gerade der gesamte Testbericht ("Empfehlungen", S. 69: "Nach unseren Testergebnissen müssen wir ganz klar von privaten Vaterschaftstests ohne das Wissen der Mutter abraten"). Deshalb konnte kein Leser zu Recht von einer "offenen Testgruppe" ausgehen.

(4) Das Institut des Gutachters Dr. A ist - in diesem Artikel - zwar nicht ebenfalls als Anbieter von Vaterschaftstests bezeichnet. Auf S. 73 (linke Spalte, erster Absatz) ist jedoch ausgeführt, dass er "als Laborleiter des Instituts für ...", außerdem "als Vorsitzender der Interessengemeinschaft der ..."... "an seriösen Vaterschaftstests interessiert" sei. Dem Leser ist die gegenüber heimlichen Tests ablehnende Einstellung des Sachverständigen also auch keineswegs vorenthalten worden; er konnte sie bei seiner Bewertung des Testberichts und etwaiger persönlicher Folgerungen mit berücksichtigen.

(5) Nur ergänzend ist anzumerken, dass sich aus dem Anschlussartikel (S. 76, zweite Spalte), der in direktem thematischem und räumlichem Zusammenhang mit der gegenständlichen Veröffentlichung steht und daher zum Kontext des angegriffenen Artikels gerechnet werden kann, auch ergibt, dass auch der Gutachter Dr. A - allerdings nur einvernehmlich beauftragte - Abstammungsgutachten anbietet ("Auch deshalb sitzt im Labor des Gutachters Dr. A die Mutter von vornherein mit am Tisch").

Es dürfte naheliegen, dass Leser des gegenständlichen Artikels wegen des unmittelbaren Sachzusammenhanges im Falle ihres Interesses an dem behandelten Thema auch den Anschlussartikel ("Papa ante portas - Zweifel an der Vaterschaft") lesen.

3. Die Kostenentscheidung zu Lasten des unterlegen Klägers folgt aus § 91 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

4. Die Revision war nicht gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung; sie betraf nur die Anwendung anerkannter Rechtsgrundsätze und Rechtsprechung in einem Einzelfall. Auch ist in dieser Sache eine Entscheidung des Bundesgerichthofs nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.

Ende der Entscheidung

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