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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 01.07.2004
Aktenzeichen: 16 U 54/04
Rechtsgebiete: BGB, GG, HGB


Vorschriften:

BGB § 254
GG Art. 12 S. 1
HGB § 435
HGB § 449 II
1. Eine Vereinbarung der Vertragsparteien, ein Paket den Bedingungen einer Massenbeförderung briefähnlicher Sendungen zu unterstellen und dem Transportunternehmen eine weitergehende Haftungsfreizeichnung zu ermöglichen kann nur durch Individualvereinbarung ("Aushandeln") wirksam getroffen werden. Dem Versender in allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Auswahl gebotene Tarife mit unterschiedlich weitgehenden Haftungsbeschränkungen des Transportunternehmens reichen dafür nicht aus; dem Versender muss die Möglichkeit geboten werden, auf die Vertragliche Ausgestaltung im Verhandlungswege Einfuß zu nehmen.

2. Die darin liegende Beschränkung der Möglichkeiten für eine Haftungsfreizeichnung des Transportunternehmens stellt keinen verfassungswidrigen Eingriff in dessen freie Berufsausübung dar.

3. Setzt der Versender wertvolles Transportgut durch Verzicht auf vom Transportunternehmen gebotene weitergehende Schutzvorkehrungen freiwillig einem erhöhten Verlustrisiko aus, kann ihm der eingetretene Schaden bei wertender Betrachtung anteilig zuzurechnen sein. Dies setzt jedoch die Kausalität einer unterlassenen Wertdeklaration für den Schadenseintritt voraus.


OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

16 U 54/04

Verkündet am 01.07.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Hanau vom 22. Januar 2004 - 32 C 350/03-12 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Das beklagte Transportunternehmen übernahm am 11. Februar 2002 im Auftrage der Firma X GmbH den Versand eines Pakets von O1 nach O2. Die Sendung erreichte den Empfänger nicht; mit Verlustanzeige vom 13. Februar 2002 teilte die Beklagte mit, das Paket sei leer aufgefunden, die Verpackung vernichtet worden. Die Klägerin beansprucht als Transportversicherer der Geschädigten von der Beklagten Schadensersatz für mit dieser Sendung verloren gegangene Telefonkarten im Wert von 936,36 € aus übergegangenem bzw. abgetretenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin.

Die Beklagte hat bestritten, daß die Sendung den deklarierten Inhalt gehabt habe und die Klägerin (alleiniger) Transportversicherer der Geschädigten sei. Sie hat sich darüber hinaus auf die Regelungen in Nrn. 3 (a) und (e) sowie 9.2 ihrer Beförderungsbedingungen, Stand Februar 2002, berufen; Nr. 3 (a) regelt Beförderungsbeschränkungen für Pakete mit Gütern insbesondere von "außergewöhnlich hohem Wert"; (e) ergänzt diese Regelung dahin, daß ausgeschlossene Güter vom Versender nur übergeben werden dürfen, wenn die Beklagte der jeweiligen Beförderung vorher zugestimmt hat. Nr. 9.2. begrenzt ihre Haftung für Deutschland für Verlust oder Beschädigung auf nachgewiesene direkte Schäden bis maximal 510 pro Sendung oder 8.33 SZR für jedes Kilogramm, je nachdem welcher Betrag höher ist. Sie hat die Auffassung vertreten, sie treffe kein qualifiziertes Organisationsverschulden. Hilfsweise sei der Geschädigten der Einwand des Mitverschuldens entgegenzuhalten, weil sie wertvolle Güter trotz Beförderungsausschlusses ohne Deklaration versandt habe.

Das Amtsgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme stattgegeben.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie meint, das Amtsgericht habe verkannt, daß die Regelung in Nr. 2 ihrer Beförderungsbedingungen nicht der AGB-Kontrolle unterliege, denn diese beschreibe nur die dem Versender gebotenen drei verschiedenen Leistungsarten "Standard; Wertpaket; Expreß". Auf dieser Grundlage habe die Versenderin selbst ausdrücklich die Massenbeförderung ohne Kontrolle des Transportweges (die Standardbeförderung) gewählt und erhalten. § 449 HGB stehe nicht entgegen, denn für briefähnliche Sendungen des postalischen Massenverkehrs könne von den "Kardinalpflichten" des Frachtvertrages abgewichen werden; zudem liege sogar ein individuelles "Aushandeln" vor, weil der Versenderin die freie Wahl zwischen den gebotenen Beförderungsstandards "Standard" und "Wertpaket" überlassen gewesen sei. Die vom Amtsgericht herangezogene obergerichtliche Rechtsprechung, wonach die gesetzlichen, durch die Rechtsprechung ausgestalteten Sorgfaltsanforderungen auch für Massenbeförderungen gelten, sei nicht einschlägig, denn den der im vorliegenden Falle maßgeblichen "neuen" allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten statuierten einen eindeutigen Verzicht des Versenders nicht nur auf die Dokumentation vorgenommener Kontrollen, sondern auch auf die Kontrollen selbst. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts seien Telefoncashkarten zudem Wertgegenstände, die die Beklagte gerade von der Beförderung ausgeschlossen habe. Jedenfalls sei aber ihre Haftungsbegrenzung gemäß Nr. 9.2 der Beförderungsbedingungen zu beachten; wer in Kenntnis dessen dennoch höherwertige Güter ohne Wertangabe (Nr. 9.4 der AGB) versende, könne im Schadensfalle auch nicht mehr als die Haftungshöchstsumme nach Nr. 9.2 beanspruchen. Daß die Versenderin es unterlassen habe, den Wert ihrer Sendung anzugeben, stelle sich darüber hinaus auch als Obliegenheitsverletzung dar. Sie behauptet, die Versenderin habe - wie der gesamte Markt - gewußt, welche Sorgfaltsmaßnahmen die Beklagte nur anwende, um einen günstigen Preis bieten zu können, und meint, die Gerichte dürften die Sorgfaltsanforderungen auch unter verfassungsrechtlichen Aspekten nicht so hoch ansetzen, daß dies die Freiheit der Berufswahl und -ausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) verletze, denn die Massenbeförderung von Warensendungen zu Briefbedingungen müsse möglich bleiben.

Sie meint ferner, auch die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils sei fehlerhaft, denn der vernommene Zeuge Z1 habe an die Versendung des "streitgegenständlichen" Pakets keine Erinnerung mehr gehabt. Sie bestreitet darüber hinaus weiterhin den behaupteten Wert der (angeblich) verloren gegangenen Telefonkarten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils vom 22. Januar 2004 (Az. 32 C 350/03-12) abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil sowie auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Das Oberlandesgericht ist gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 b) GVG in der Berufungsinstanz zuständig, denn die Klägerin hat ihren Sitz im Ausland (in der Schweiz).

Die Berufung hat in der Sache jedoch keinen Erfolg; die Beklagte ist der Klägerin zum Schadensersatz in beanspruchter Höhe verpflichtet (§§ 407, 425 HGB).

1. Die Klägerin ist schon nach § 67 Abs. 1 VVG aktivlegitimiert, da sie der Geschädigten - ihrer Versicherungsnehmerin - den dieser durch den Verlust der streitgegenständlichen Sendung entstandenen Schaden ersetzt hat. Die Beklagte hat die hierzu durch das Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen in ihrer Berufung nicht mehr in Zweifel gezogen.

2. Ob Verträge zwischen einem Paketdienst und seinen Kunden als Frachtverträge (§§ 407 ff. HGB) und nicht als Speditionsverträge einzuordnen sind, weil die Beförderung der Fracht, nicht nur die Besorgung einer Beförderungsleistung, geschuldet sei (so Hanseatisches OLG Hamburg, Urteil vom 26. Mai 1988 - 6 U 228/87 = VersR 1989, 382) oder ob nicht doch die Besorgung einer Beförderungsleistung Vertragsgegenstand ist, kann offenbleiben. Zwischen den Parteien ist als Vergütung ein bestimmter Betrag vereinbart worden, der die Kosten für die Beförderung einschließt, so daß die Beklagte auch als Fixkostenspediteur die Rechte und Pflichten eines Frachtführers treffen würden (§ 459 HGB). Nach § 425 Abs. 1 HGB (ggf. in Verbindung mit § 459 HGB) haftet der Frachtführer (Fixkostenspediteur) u.a. für den Schaden, der durch Verlust oder Beschädigung des Gutes in der Zeit von der Übernahme zur Beförderung bis zur Ablieferung entsteht. Diese Voraussetzungen sind gegeben: Das von der Versenderin aufgegebene Frachtgut ist nach eigener Darstellung der Beklagten in ihrer Verlustanzeige vom 13.2.2002 in dieser Zeitspanne verloren gegangen.

3. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung des Amtsgerichts hinsichtlich des Inhalts und des Wertes des verloren gegangenen Pakets (§§ 520 Abs. 3 Nr. 3, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) gebieten könnten, hat die Beklagte nicht dargelegt.

Zwar hatte der vernommene Zeuge Z1 in der Tat "nach so langer Zeit ... keine konkrete Erinnerung an das streitgegenständliche Paket" mehr behauptet; das wäre angesichts der offenbar massenweisen Abwicklung derartiger Versendungen auch kaum zu erwarten gewesen. Er hat jedoch bestätigt, daß die Versendung von Telefonkarten am 11. Februar 2002 an die Zieladresse der von der Beklagten für verloren erklärten Sendung ("Tankstelle Y in O2") im Computersystem der Versenderin "erfaßt", die Seriennummern der einzelnen Telefonkarten - Voraussetzung für das spätere "Freischalten" - notiert seien und er aus den ferner vorliegenden Unterlagen (Rechnung und Lieferschein) habe ersehen können, daß auch er selbst mit der Lieferung "befaßt" gewesen sei. Die in seiner Vernehmung in Bezug genommenen Unterlagen hatte die Klägerin - von der Bestellung bis zur Verlustrechnung - bereits als Anlagen zur Klageschrift vorgelegt. Damit waren jedoch sowohl der Anlaß für den Versand der Telefonkarten, nämlich die Bestellung der "Tankstelle Y" in O2, als auch das Packen der Sendung einschließlich der einzeln erfaßten Telefonkarten und die Absendung am 11. Februar 2002 hinreichend dokumentiert. Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit dieser Umstände sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Damit ist der Senat an die tragfähige Tatsachenfeststellung des Amtsgerichts gebunden (§ 529 Abs. 1 ZPO); Anlaß zu ergänzenden Feststellungen besteht - auch hinsichtlich des Wertes der verloren gegangenen Telefonkarten - nicht.

4. Die Beklagte kann sich nicht zu Recht auf einen Ausschluß ihrer Haftung berufen. Ihre Argumentation, die Versenderin habe sich durch die Wahl des Standardtarifs mit einer "Massenbeförderung ohne Kontrolle des Transportweges" und damit auch mit einer entsprechenden Herabsetzung der an die Beklagte gestellten Sorgfaltsanforderungen einverstanden erklärt, überzeugt nicht.

a) Aus dem Wortlaut der von der Beklagten zur Begründung ihrer Ansicht herangezogenen Regelung in Nr. 2 ("Serviceumfang") ihrer Beförderungsbedingungen ergibt sich entgegen ihrer Interpretation nicht einmal, daß der Versender mit der Wahl der "Standardbeförderung" auf jegliche Überwachung und Kontrolle der Beklagten verzichten soll, sondern allenfalls, daß die Beklagte Kontrollen ­ immerhin - in allerdings nicht näher konkretisiertem eingeschränktem Umfange und ohne nähere Dokumentation vornehmen werde.

So nimmt der Versender danach zwar ausdrücklich "in Kauf, daß aufgrund der Massenbeförderung nicht die gleiche Obhut wie bei einer Einzelbeförderung gewährleistet werden kann", und erklärt sich "damit einverstanden, wenn eine Kontrolle des Transportweges, insbesondere durch Ein- und Ausgangsdokumentation, an den einzelnen Umschlagstellen innerhalb des Z-Systems nicht durchgeführt wird". Der durchschnittliche Empfänger wird dies aber nicht dahin verstehen, daß die Beklagte in Wahrheit überhaupt keine "Obhut" gewährleisten und auch keinerlei wie immer gearteten Kontrollen durchführen wolle; dagegen spricht auch die anschließende Wendung in der betreffenden Klausel "Soweit der Versender eine weitergehende Kontrolle der Beförderung wünscht, wählt er die Beförderung als Wertpaket"; wäre die Wahl der Standardbeförderungsart jedoch mit dem Verzicht auf jegliche Kontrolle verbunden, wäre der steigernde Zusatz "weitergehende" Kontrolle überflüssig und irreführend.

b) Auch ein rechtsverbindliches Einverständnis des Versenders mit einer Massenbeförderung zu Briefbedingungen i.S.d. § 449 Abs. 1 S. 1 2. Alt., Abs. 2 S. 1 2. Hs. HGB ohne wesentliche Kontrolle vermag die betreffende Klausel nicht zu begründen.

Die Beklagte befördert gemäß Nr. 1 ihrer Beförderungsbedingungen "Briefe, Pakete und Frachtgut"; die Regelung in Nr. 2 (Serviceumfang) trifft insoweit keine Differenzierung, soll also auch für Pakete und Frachtgut gelten. Gemäß § 449 Abs. 2 S. 1 2. Hs. HGB kann von den Vorschriften des Frachtrechts indes nur für Briefe und briefähnliche Sendungen durch allgemeine Geschäftsbedingungen abgewichen werden.

(1) Bei der hier gegenständlichen Sendung handelte es sich weder um einen Brief noch um eine briefähnliche Sendung, sondern um ein Paket. Soweit die Beklagte diese (erst) im Berufungsverfahren als "Päckchen" bezeichnet, um eine vermeintliche Briefähnlichkeit zu betonen, vermag dies schon deshalb nicht zu überzeugen, weil sie diese, beginnend mit ihrer Verlustbenachrichtigung, bislang durchgängig selbst als "Paket" bezeichnet hatte. Ebenso hat auch der Zeuge Z1 geschildert, die Geschädigte versende täglich "170 - 200 Pakete"; folgerichtig ist mithin auch im Tatbestand des angefochtenen Urteils festgestellt, daß die streitgegenständliche Sendung als "Paket" aufgegeben worden war.

(2) Im übrigen liegt der für die Abgrenzung zwischen "briefähnlichen" und Paketsendungen entscheidende Gesichtspunkt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darin, daß dem Versender eines Briefes aus dessen Verlust mangels eigenen wirtschaftlichen Wertes grundsätzlich kein materieller Schaden entsteht, während der Versender eines Pakets bei Einschaltung eines Paketdienstunternehmens gerade daran interessiert ist, daß die Lieferung den Empfänger vollständig und unbeschadet erreicht (BGH, Urteil vom 15. November 2001 - I ZR 158/99 = BGHZ 149, 337 = TransportR 2002, 295). Dann aber könnte die hier gegenständliche Versendung von immerhin 60 Telefonkarten im Wert von immerhin knapp 1.000.- € auch dann, wenn man die Sendung verniedlichend als als "Päckchen" bezeichnen wollte, angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung des Transportgutes nicht mehr als als "briefähnliche Sendung" gewertet werden.

c) Dann aber hätte eine Vereinbarung der Vertragsparteien, den Versand des Pakets oder "Päckchens" dennoch den Bedingungen einer Massenbeförderung briefähnlicher Sendungen zu unterstellen und der Beklagten so eine weitergehende Freizeichnung zu ermöglichen, nur durch Individualvereinbarung (durch "Aushandeln") wirksam getroffen werden können (§ 449 Abs. 2 S. 1 HGB). Auch insoweit vermag die Argumentation der Beklagten jedoch nicht zu überzeugen.

Auch eine vorformulierte Vertragsbedingung kann zwar ausgehandelt sein, wenn sie der Verwender als eine von mehreren Alternativen anbietet, zwischen denen der Vertragspartner die Wahl hat. Erforderlich hierfür ist nach der - vorwiegend zu ergänzungsfähigen Vertragsformularen entwickelten - Rechtsprechung jedoch, daß die Ergänzungen nicht lediglich unselbständiger Art bleiben (z.B. Anfügen von Namen und Vertragsobjekt), sondern den Gehalt der Regelung mit beeinflussen, und die Wahlfreiheit nicht durch Einflußnahme des Verwenders, sei es durch die Gestaltung des Formulars, sei es in anderer Weise, überlagert wird (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2002 - V ZR 220/02 = BGHZ 153, 148 = NJW 2003, 1313). Daß die Beklagte der Versenderin über die reine Auswahl der angebotenen Leistungsvarianten hinaus jedoch die konkrete Möglichkeit geboten habe, auf die Ausgestaltung des ausgewählten Vertragsmodells im Verhandlungswege Einfluß zu nehmen, ist weder dargelegt noch ersichtlich.

5. Zu Unrecht hält die Beklagte die zur Anwendung des § 435 HGB und damit zum Wegfall jeglicher Haftungsbeschränkungen führende Bewertung des Amtsgerichts für rechtsfehlerhaft, ihr falle ein qualifiziertes Verschulden zur Last, denn sie habe nicht dargelegt, daß die transportierten Güter durch ein ausreichendes Sicherungssystem hinreichend geschützt seien. Die Beklagte hat zwar den - angeblich mit ihren Kunden im "Standardtarif" vereinbarten vollständigen Kontrollverzicht betont, zu etwa dennoch ergriffenen Sicherungsmaßnahmen jedoch selbst im Berufungsverfahren konkret nichts vorgetragen. Die rechtliche Bewertung des Amtsgerichts erscheint angesichts dessen eher noch zurückhaltend.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 15. November 2001 - I ZR 158/99 = BGHZ 149, 337 = TransportR 2002, 295, noch zur Rechtslage vor Neufassung des § 435 HGB) liegt grobe Fahrlässigkeit - Maßstab des heutigen § 435 HGB ist demgegenüber Leichtfertigkeit - vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden und unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem einleuchten mußte. Ist die Ursache des Schadens überhaupt ungeklärt, führt dies zwar nicht per se zu einer qualifizierten Haftung des Spediteurs; wegen des unterschiedlichen Informationsstandes der Vertragsparteien ist er jedoch nach Treu und Glauben gehalten, soweit möglich und zumutbar zu den näheren Umständen aus seinem Betriebsbereich eingehend vorzutragen und insbesondere substantiiert darzulegen, welche Sorgfalt er aufgewendet hat; kommt er dem nicht nach, kann daraus je nach den Einzelumständen der Schluß auf ein qualifiziertes Verschulden gerechtfertigt sein (sekundäre Darlegungslast; BGH, Urteil vom 3. November 1994 - I ZR 100/92 = BGHZ 127, 275 = NJW 1995, 1490; bestätigt durch Urteil vom 8. Dezember 1999 - I ZR 230/97 = NJW 2000, 2497). Diese Grundsätze hat der BGH auch zur neuen Rechtslage nach Inkrafttreten des Transportrechtsreformgesetzes am 1. Juli 1998 aufrechterhalten, und zwar ausdrücklich auch für einen Paketdienst, bei dem es auf Massenumschlag, Massenlagerung und Massenbeförderung ankommt und dessen Kunden eine kostengünstige Abholung und Zustellung binnen 24 Stunden erwarten; auf für derartige Unternehmen gelten ausdrücklich keine geringeren Sorgfaltsanforderungen (Urteil vom 5. Juni 2003 - I ZR 234/00 = NJW 2003, 341).

b) Die Beklagte meint allerdings, diese Grundsätze könnten deshalb nicht Anwendung finden, weil ihre neuen AGB bereits den Ausschluß jeglicher Kontrollen statuierten.

Das ist - wie oben unter 4. dargelegt - aber nicht einmal der Fall. Ihre Einlassung legt indes zugleich nahe, daß sie - offenbar im Vertrauen oder in der Hoffnung auf die Tragfähigkeit dieser Argumentation - überhaupt keine Kontrollen vornimmt und auch keine nennenswerten sonstigen Sicherheitsvorkehrungen trifft, um zu gewährleisten, daß der Abholung und dem Transport einer Sendung auch tatsächlich - wie in Nr. 2 "Serviceumfang" ihrer Beförderungsbedingungen beschrieben - die Zustellung folgt. Dann aber hat sie es nicht, wie das Amtsgericht angenommen hat, unterlassen, ihre Organisationsmaßnahmen detailliert darzulegen, um erkennbar zu machen, wie sie ineinandergreifen und praktisch durchgeführt werden; aus ihrem Prozeßvortrag ergibt sich nicht einmal, daß sie solche Maßnahmen überhaupt ergreift. Vielmehr nimmt sie das Verlust- und Beschädigungsrisiko, wie es sich gerade im vorliegenden Falle realisiert hat, bewußt in Kauf; dafür spricht auch ihr ergänzender Vortrag im Schriftsatz vom 11. Juni 2004 (dort S.2 Mitte), denn danach will sich die Beklagte durch die Formulierung ihrer AGB nur "die Möglichkeit" offenhalten, "die eine oder andere Kontrolle durchzuführen".

Dann aber handelt sie in der Tat (bewußt) fahrlässig und damit leichtfertig i.S.d. § 453 HGB.

6. Auf die Frage der grundsätzlichen Wirksamkeit der Vertragsklauseln über eine Haftungsbegrenzung der Beklagten der Höhe nach (Nrn. 9.2, 9.4) kommt es damit nicht mehr an.

7. Auch soweit die Beklagte in einem solchen Rechtsverständnis einen unzulässigen Eingriff in ihr Grundrecht auf freie Berufswahl und -ausübung sieht, ist dem nicht zu folgen.

a) Inwiefern die Beklagte insoweit ihre Freiheit der Berufswahl tangiert sieht, erschließt sich schon im grundlegenden Ansatz nicht; auf nähere Darlegungen hierzu hat sie allerdings auch verzichtet. Eine den Zugang zum Beruf eines Transportunternehmers beschränkende Regelung liegt in den genannten Vorschriften (insbes. §§ 425, 435, 449 HGB) geradezu offensichtlich nicht.

b) Die Vorstellungen und Erwartungen der Beklagten zu den Bedingungen der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit mag hingegen tangiert sein. Die Freiheit der Berufsausübung ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Gesetzliche Regelungen der Berufsausübung sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zulässig, wenn sie durch hinreichende Gründe des gemeinen Wohls gerechtfertigt sind, wenn das gewählte Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und auch erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist. Je empfindlicher die Berufsausübenden in ihrer Berufsfreiheit beeinträchtigt werden, desto stärker müssen die Interessen des Gemeinwohls sein, denen die Regelung zu dienen bestimmt ist (BVerfG, Urteil vom 13. Dezember 2000, 1 BvR 335/9 = BVerfGE 103, 1-20 = NJW 2001, 353-357).

§ 449 Abs. 2 HGB macht die Wirksamkeit einer Vertragsgestaltung, die den Versand von anderen als Briefen und briefähnlichen Sendungen zum Gegenstand hat und dennoch eine zum Nachteil des Versenders von den in Abs. 1 der Vorschrift genannten Schutznormen des Frachtrechts abweicht, indem sie eine weitergehende Haftungsfreizeichnung des Frachtführers vorsieht, von einer "im einzelnen ausgehandelten Vereinbarung" abhängig. Bedenken gegen ihre Verfassungsmäßigkeit dieser Einschränkung sind jedoch nicht gerechtfertigt; diese Begrenzung der Möglichkeiten insbesondere für eine Haftungsfreizeichnung erscheint gleichermaßen geeignet wie geboten, um sicherzustellen, daß dem regelmäßigen Interesse der Versender von (im Gegensatz zu Briefen und briefähnlichen Sendungen i.d.R. wirtschaftlich bedeutsamen) Frachtgütern wirksam Rechnung getragen wird, daß diese Sendungen den Adressaten auch wirklich erreichen, zumal die Möglichkeit einer im Rahmen der Vertragsautonomie "ausgehandelten" abweichenden Vertragsgestaltung nicht einmal ausgeschlossen ist. Der Beklagten ist diese Möglichkeit also keineswegs per se verwehrt; es liegt in ihrer eigenen Hand, durch geeignete Vertragsgestaltung sowie durch entsprechende Ausgestaltung der Vertragsanbahnung ein freies "Aushandeln" der Versandbedingungen zu ermöglichen. In der hier zu beurteilenden Fallgestaltung liegen diese Voraussetzungen nicht vor.

8. Der Klägerin kann ein Mitverschulden der Versenderin - ihrer Versicherungsnehmerin - wegen unterlassener Wertdeklaration nicht anspruchskürzend entgegengehalten werden kann.

a) Der Versender kann zwar in einen nach § 254 Abs. 1 BGB beachtlichen Selbstwiderspruch geraten, wenn er trotz Kenntnis, daß der Spediteur die Sendung bei zutreffender Wertangabe mit größerer Sorgfalt behandelt, von einer Wertdeklaration absieht und bei Verlust gleichwohl vollen Schadensersatz verlangt. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, ob die von dem Geschädigten vernachlässigte Sorgfaltsanforderung darauf abzielt, einen Schaden wie den eingetretenen zu vermeiden, ob also der eingetretene Schaden von ihrem Schutzzweck erfaßt wird. Mit seinem Verzicht auf die vom Spediteur angebotenen weitergehenden Schutzvorkehrungen setzt der Versender das Transportgut freiwillig einem erhöhten Verlustrisiko aus mit der Folge, daß ihm der eingetretene Schaden bei wertender Betrachtung gemäß § 254 BGB anteilig zuzurechnen ist. Eine Mitverantwortlichkeit des Geschädigten erscheint dann auch mit Blick auf § 254 Abs. 2 S. 1 BGB geboten, wonach sich ein anspruchsminderndes Mitverschulden auch daraus ergeben kann, daß er Geschädigte es unterlassen hat, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schuldner weder kannte noch kennen mußte (BGH, Urteil vom 5. Juni 2003 - I ZR 234/00 = NJW 2003, 3626). Nach der Rechtsprechung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg (8. März 2001 - 6 U 78/00 = TranspR 2001, 443) kann der unterlassene Hinweis auf den sehr hohen Wert einer Ware ein grobes Mitverschulden des Absenders begründen; das Oberlandesgericht Köln hat dem Einlieferer von "Verbotsgut" (dort eines ungefaßten Edelsteins) per Expreßbrief ohne Transportversicherung ein Mitverschulden angelastet.

b) Ein relevanter Verstoß der Versenderin gegen die "Beförderungsbeschränkungen" der Beklagten (Nr. 3 (a) (iii) ihrer Beförderungsbedingungen) wegen "außergewöhnlich hohen Werts" des Versandgutes ist indes schon nicht ersichtlich. Der Wert der verloren gegangenen Sendung überstieg das in Nr. 9.2. der Beförderungsbedingungen bezeichnete Haftungslimit der Beklagten von 510.- pro Sendung um nicht einmal 100 %; im Vergleich zu den in 3.a.iii beispielhaft genannten ausgeschlossenen Gütern (Kunstwerke, Antiquitäten, Edelsteine, ... Gold oder Silber, Geld...) und der in 3.a.ii bezeichneten Wertgrenze von 50.000.- US-$ für den Wert eines Pakets fällt er sogar vergleichsweise bescheiden aus.

c) Die Argumentation der Beklagten, der Versenderin sei ihre Vertriebsorganisation gut bekannt gewesen, vermag deren Mitverantwortlichkeit ebenfalls nicht zu begründen. Daß die Beklagte praktisch überhaupt keine Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen durchführt, ergab sich aus den Beförderungsbedingungen jedenfalls nicht; daß beim Transport mit der Beklagten schon vorher wiederholt Sendungen der Versenderin verloren gegangen seien, ist ebenfalls nicht behauptet.

d) Im übrigen hat die Beklagte auch nicht dargelegt, daß die unterlassenen Wertangaben auf der in Verlust geratenen Sendung den Schaden tatsächlich (mit-) verursacht haben, weil sie bei richtiger Wertangabe ihre Sorgfaltspflichten besser erfüllt hätte und es dann nicht zum Verlust gekommen wäre. Der schlichte Hinweis, die Versenderin hätte "entweder eine Wertangabe machen oder ein anderes Beförderungsunternehmen beauftragen" können bleibt insoweit inhaltsleer.

Damit fehlt es jedoch auch an der Feststellbarkeit der Kausalität einer unterlassenen Wertdeklaration am Schadenseintritt durch die Klägerin. Eine Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens kommt somit nicht in Betracht.

9. Die Kostenentscheidung zu Lasten der unterlegenen Beklagten ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

10. Für die Zulassung der Revision besteht kein Anlaß. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und die Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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