Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 26.07.2005
Aktenzeichen: 17 U 18/05
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 844 II
ZPO § 287
Zur Berechnung von Unterhaltsansprüchen der Witwe und der Kinder eines durch einen Verkehrsunfall Getöteten.
Gründe:

I.

Die Parteien streiten um Unterhaltsansprüche der Kläger, Ehefrau und minderjährige Kinder eines getöteten Beteiligten eines vom Beklagten zu 1) verschuldeten Verkehrsunfalls, das Fahrzeug des Beklagten zu 1) war bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert war.

Hinsichtlich des zugrundeliegenden Sachverhalts kann vollumfänglich auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom 17. Dezember 2004 (Bl. 269 - 277 d. A.) verwiesen werden, dies gilt insbesondere hinsichtlich der Lebensdaten des Getöteten und der Kläger, seinen und deren aufenthaltsrechtlichen Status sowie den beruflichen Stand und Werdegang des Getöteten.

Dabei hat die Klägerin zu 1) als Ehefrau des Getöteten Zahlung der aufgelaufenen und Feststellung der zukünftigen Unterhaltsansprüche bis zum voraussichtlichen Eintritt des Getöteten in die Rente sowie die Feststellung der Unterhalts-Schadensersatzpflicht über diesen Zeitpunkt hinaus bis zum voraussichtlichen Todesdatum begehrt, die Kläger zu 2) - 4) begehrten als Kinder jeweils Zahlung der aufgelaufenen und Feststellung der zukünftigen Unterhaltsansprüche bis zum Eintritt der jeweiligen Volljährigkeit sowie die Feststellung der Unterhalts-Schadensersatzpflicht über diesen Zeitpunkt hinaus. Letztendlich begehrten die Kläger noch die diesbezügliche Freistellung von der Steuerpflicht.

Das Landgericht hat nach durchgeführter Beweisaufnahme die Zahlungs- und Feststellungsansprüche der Kläger bis zum voraussichtlichen Eintritt des Getöteten in die Rente und die Zahlungsansprüche und Feststellungsansprüche der Kläger zu 2) - 4) bis zum Eintritt der Volljährigkeit sowie die entsprechende Freistellung von der Steuerverpflichtung allesamt gekürzt in der Höhe zugesprochen, die weitergehenden Feststellungsansprüche wurden abgewiesen.

Hinsichtlich der Begründungen der Berechnungen und Absetzungen ist gleichermaßen auf das angefochtene Urteil zu verweisen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Kläger vom 25. Januar 2005, eingegangen am gleichen Tage (Bl. 298 d. A.) sowie die unselbständige Anschlussberufung der Beklagten vom 23. Mai 2005, eingegangen am 24. Mai 2005.

Die Kläger begründen ihre Berufung, mit der sie die ursprünglichen Anträge weiterverfolgen, zunächst im Hinblick auf die Feststellungsanträge mit der Ansicht, dass auch nach dem projezierten Renteneintritt des Getöteten der Klägerin zu 1) noch Unterhaltsansprüche zustünden, gleichermaßen gelte dies für die Kläger zu 2) - 4) nach dem Eintritt der Volljährigkeit aufgrund Ausbildung, Studium oder ähnlichem.

Der vom Landgericht vorgenommene Unwägbarkeitsabschlag wegen der Unsicherheit des Besitzes eines Arbeitsplatzes von 10 % wird gerügt, wie auch der Abschlag von 5 % für ersparte berufsbedingte Aufwendungen im Falle der Arbeitslosigkeit. Der geltend gemachte Haushaltsführungsschaden sei anzusetzen.

Schließlich sei der vom Landgericht vorgenommene Abzug von EUR 5.000,00 zu Unrecht erfolgt, da vorgerichtlich seitens der Beklagten zu 2) nur DM 5.000,00 gezahlt worden seien.

Die Kläger machen erstmalig in der Berufungsinstanz einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von EUR 2.556,46 geltend.

Die Beklagten verfolgen im Wege der Anschlussberufung ebenfalls ihr ursprüngliches Ziel der vollständigen Klageabweisung, hierbei wird vorgetragen, dass die Zusprechung einer Unterhaltsleistung über den März 2004 hinaus nicht gerechtfertigt sei, da der Getötete zu diesem Zeitpunkt entlassen worden wäre.

Hinsichtlich des in 2. Instanz erstmalig geltend gemachten Anspruchs auf Schmerzensgeld wird die Einrede der Verjährung erhoben.

Die Kläger beantragen nunmehr

1.

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom 17. Dezember 2004, Az 4 O 158/03 nach den erstinstanzlichen Schlussanträgen zu erkennen;

2.

zusätzlich die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens aber EUR 2.500,- nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen

1.

die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom 17. Dezember 2004, Az 4 O 158/03 zurückzuweisen;

2.

die mit der Berufung erweiterte Klage unter dem Antrag zu Nr. 2 im Schriftsatz vom 23. Februar 2005 zurückzuweisen;

3.

auf die Anschlussberufung der Beklagten das Urteil des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom 17. Dezember 2004, Az. 4 O 158/03 in Ziffer 1, 3 und 5 abzuändern.

Die Klagen der Klägerin zu 1) (im Urteil tenoriert unter Ziffer 1 und 5) sowie die Klagen der Kläger zu 2), 3) und 4) (im Urteil tenoriert unter Ziffer 3 und 5) auf Zahlung einer monatlichen Geldrente und auf Feststellung der Verpflichtung auf Ersatz von etwaigen Steuern werden für die Zeiträume ab dem 1. April 2004 abgewiesen.

II.

Die Berufung ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

Zunächst sind die vom Landgericht vorgenommenen Feststellungen, denen zufolge der Getötete ab dem 1. Mai 2000 bei der Fa. "..." eine Vollzeitbeschäftigung zu einem Bruttogehalt von EUR 2.474,65 (DM 4.840,00) einschließlich Weihnachtsgeld in Höhe von 75 % und Urlaubsgeld in Höhe von 55 % erhalten hätte, zugrunde zu legen, da diese weder auf einer Rechtsverletzung beruhen, noch konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit begründen, §§ 513, 529 ZPO. Diese Feststellungen wurden von den Berufungen nicht angegriffen.

Gleichermaßen gilt dies für die Berechnung und Aufteilung der Fixkosten.

Damit ergibt sich für die Zeit zunächst bis zum 31. Dezember 2003 ein Netto-Einkommen des Getöteten in Höhe von EUR 1.932,53.

Hiervon hat das Landgericht in Ergebnis zu Recht für diese Zeit einen Abschlag von 5 % für berufsbedingte Aufwendungen vorgenommen. Da davon auszugehen ist, dass der Getötete ab dem 1. Mai 2000 eine Vollzeitstelle bei der Fa. "..." erhalten hätte, ist auch ein Abzug für berufsbedingte Aufwendungen vorzunehmen. Der Getötete hätte in diesem Fall Kosten für die Fahrt zum Betrieb oder Kosten für Berufskleidung etc. gehabt, die das ihm und damit auch seinen Unterhaltsverpflichteten zur Verfügung stehende Einkommen gemindert hätte (siehe dazu grundsätzlich die unterhaltsrechtlichen Hinweise des OLG Stuttgart, NJW 1985, 310).

Der Einwand der Kläger, die Fahrtkosten seien auch unter Berücksichtigung der für die Fahrtkosten zu erhaltenden Steuervorteile nicht in erheblicher Größe entstanden, da der Getötete unmittelbar neben der seinerzeitigen Baustelle gewohnt habe, ist zum einen hinsichtlich der letzteren Angabe neuer, in der Berufungsinstanz gemäß §§ 531 ZPO nicht zu berücksichtigender Vortrag, es erscheint aber auch darüber hinaus nicht sachgerecht, da der Betrieb der Fa. "..." sich in O1 befindet und es gerichtsbekannt ist, dass gerade Bauunternehmen vor der Arbeitsaufnahme an der konkreten Baustelle noch Tätigkeiten im Bereich des Unternehmenssitzes bzw. eines Lagers fordern. Auch unter Berücksichtigung der Steuervorteile durch den Werbungskostenpauschbetrag für Arbeitnehmer gemäß § 9 a EStG, der unabhängig von einem Nachweis der Fahrtkosten angesetzt wird, ist ein auf der Grundlage von § 287 ZPO zu ermittelnder pauschaler Abzug von 5 % angemessen, dieser beträgt in absoluten Zahlen EUR 96,63.

Das Landgericht hat sodann auch richtigerweise für diese Zeit die Berücksichtigung eines Haushaltsführungsschadens abgelehnt. Die Erwägungen des Landgerichts, auf die hierbei Bezug genommen wird, sind in Gänze richtig. Zwar kann ein Haushaltsführungsschaden auch bestehen, wenn der Partner einer Berufstätigkeit nachgeht (siehe OLG Frankfurt, Urteil vom 2. Juli 1980, VersR 80, 1122).

Dies setzt aber voraus, dass der berufstätige Partner diese Hausarbeit als Unterhaltsbeitrag erbringt (BGH, Urteil vom 6. Oktober 1992, NJW 1993, 124, 125 m.w.N.; Palandt-Heinrichs, BGB, 64. Auflage, vor § 249 Rdnr. 42; Ermann/Schiemann, BGB, 11. Auflage, § 845 Rdnr. 11). Wenn der alleine voll berufstätige Ehepartner im Haushalt Leistungen erbringt, ist regelmäßig davon auszugehen, dass dies freiwillig geschieht und nicht aufgrund seiner Unterhaltsverpflichtung (siehe OLG Oldenburg, Urteil vom 20. Dezember 1982, VersR 1983, 890).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem erstinstanzlichen Vortrag der Kläger. Die Kläger haben zwar vorgetragen, wie die Arbeitsaufteilung im Haushalt bis zum Tode des Ehegatten und Vater geregelt war, nicht aber, welche Arbeiten der Getötete nach seiner Einstellung in die Vollzeitbeschäftigung bei der Fa. "..." dann noch als Unterhaltsbeitrag zu leisten gehabt hätte.

Dass es - wegen des Todes des Ehegatten und Vaters - noch nicht zu konkreten Absprachen über die zukünftige Haushaltsführung zwischen den Beteiligten gekommen war, kann nicht dazu führen, dass das Gericht jetzt eine ohne jede weitere Grundlage anzusetzende Schätzung vornehmen könnte. Die von den Klägern angeführten Verrichtungen, die der Getötete auch nach dem Eintritt in eine Vollzeitbeschäftigung noch hätte wahrnehmen wollen, wurden bestritten - und entsprechend auch im erstinstanzlichen Urteil im streitigen Klägervorbringen dargestellt - und nicht unter Beweis gestellt.

Ob diese Tätigkeiten vom Getöteten wirklich vorgenommen worden wären, kann aber dahingestellt bleiben, denn es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Getötete gegenüber seiner nicht berufstätigen Frau und den Kindern eine Verpflichtung zur unterhaltsrechtlichen Haushaltsmithilfe hatte. Dabei darf nicht außer Acht bleiben, dass die beiden älteren Kinder zum Zeitpunkt des Unfalls bereits schulpflichtig waren, das älteste Kind sogar bereits im Alter des Besuchs einer weiterführenden Schule war.

Damit hat - allerdings wohl mit einem Rundungsfehler - das Landgericht die Unterhaltsbeiträge für die Zeit der Vollbeschäftigung ab dem 1. Mai 2000 richtig berechnet mit EUR 577,20 für die Klägerin zu 1) und EUR 277,84 jeweils für die Kläger zu 2), 3) und 4). Auf die insoweit richtigen und insoweit auch nicht angegriffenen Berechnungen des Landgerichts im Urteil wird verwiesen.

Diese Unterhaltsansprüche wurden von den Klägern für die Zeit ab dem 1. April 2003 geltend gemacht, ab diesem Termin waren sie daher zuzusprechen.

Damit errechnet sich ein aufgelaufener Unterhaltsanspruch für die Klägerin zu 1) in Höhe von EUR 20.202,00 für die dem Klageantrag zu 2 zugrundliegenden Zeitraum vom 1. Mai 2000 bis zum März 2003 einschließlich (35 Monate). Das Landgericht ist hierbei irrtümlich von 36 Monaten ausgegangen.

Hiervon ist der Betrag von EUR 2.556,46 abzuziehen, die Beklagte zu 2) hat vorgerichtlich einen Betrag in Höhe von DM 5.000,- (nicht EUR 5.000,-, wie vom Landgericht irrtümlich berechnet, vgl. aber den Tatbestand des angefochtenen Urteils) an die Klägerin zu 1) gezahlt. Entsprechend der Tilgungsbestimmung durch die Beklagte zu 2) im Schriftsatz vom 20. August 2003 war dieser vorgerichtlich gezahlte Betrag auf den Unterhaltsanspruch der Klägerin zu 1) anzurechnen.

Damit ergibt sich ein aufgelaufener Unterhaltsanspruch für diese Zeit von EUR 17.645,54.

Für die Kläger zu 2), 3) und 4) errechnet sich hierbei ein aufgelaufener Unterhaltsanspruch in Höhe von jeweils EUR 9.724,40 für den Zeitraum vom 1. Mai 2000 bis März 2003 (35 Monate).

Für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 31. März 2004 war mit der Berufung von den Beträgen für den vorherigen Zeitraum auszugehen. Ein Ansatz eines Unwägbarkeitsabschlags für diese Zeit ist nicht sachgerecht, da die Arbeitslosigkeit erst ab dem März/April 2004 drohte. Die sonstigen Erwägungen der Berufung für diesen Zeitraum greifen aus den dargestellten Gründen nicht durch. Eine Herabsetzung dieser Beträge ist nicht möglich, denn die Anschlussberufung umfasst den für diesen Zeitraum ausgeurteilten Unterhaltsbeitrag nicht, das Gericht ist insoweit an den durch die Berufungsanträge vorgegebenen Prüfungsumfang gebunden, § 528 ZPO.

Die Anschlussberufung ist zulässig, aber nur zu einem Teil begründet.

Für die Zeit ab dem 1. April 2004 hat das Landgericht zu Recht eine Neuberechnung vorgenommen, da nach der Beweisaufnahme zu diesem Zeitpunkt eine Arbeitslosigkeit des Getöteten anzunehmen war. Das Landgericht hat dabei aber gleichermaßen zu Recht und entgegen der Ansicht der Anschlussberufung den Unterhaltsanspruch der Kläger nicht komplett entfallen lassen, sondern hat ausgehend vom seitherigen Gehalt einen Unwägbarkeitsabschlag vorgenommen.

Dies ist nicht zu beanstanden.

Das Gericht hat in den Fällen des § 844 Abs. 2 BGB eine Prognose aufzustellen, wie sich die Unterhaltsbeziehungen zwischen den Unterhaltsberechtigten und dem Unterhaltspflichtigen bei Unterstellung seines Fortlebens nach dem Unfall entwickelt hätten (siehe BGH, Urteil vom 27. Januar 2004, NZV 2004, 291; Urteil vom 24. April 1990, NJW-RR 1990, 962;).

Dabei muss es unter Anwendung des Maßstabes des § 287 ZPO eine vorausschauende Betrachtung vornehmen, in die es alle voraussehbaren Veränderungen der Unterhaltsbedürftigkeit des Berechtigten und der hypothetischen Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, wäre er noch am Leben, mit einzubeziehen hat (BGH, NZV 2004, aaO; NJW-RR 1990, aaO).

Dabei sind Unsicherheiten über die Bemessungsfaktoren im Rahmen des nach § 287 ZPO zulässigen im Schätzungsergebnis zu verarbeiten, dabei können grundsätzlich auch Abschläge vorgenommen werden, die Einschätzung des Gerichts darf nur nicht "in der Luft schweben" (BGH NJW-RR 1990, 962, 963).

Dabei rechtfertigt eine zeitlich begrenzte Arbeitslosigkeit grundsätzlich nicht ohne weiteres die Prognose, dass der Unterhaltsverpflichtete aufgrund dessen überhaupt keine Einkünfte mehr bis zum Eintritt in das Rentenalter erzielen würde (siehe zu einem ähnlichen, allerdings nicht identischen Fall BGH, Urteil vom 17. Januar 1995, VersR 1995, 422, 424). Dies kann grundsätzlich bei einem Unterhaltsverpflichteten, der nach einer Zeit der projezierten Vollzeitbeschäftigung in eine gleichermaßen projezierte Arbeitslosigkeit geraten würde, nicht anders zu werten sein. Dies könnte nur dann gelten, wenn eine Prognose belastungsfähig mit Angabe der entsprechenden Gründe erstellt werden könnte, dass der Getötete für die gesamte restliche Zeit seines Erwerbsfähigenalters keine Stelle mehr finden würde.

Das Gericht ist in diesen Fällen gehalten, in seine Prognoseentscheidung durch entsprechende Abschläge Zeiten der drohenden oder auch möglichen Arbeitslosigkeit mit einzubeziehen.

Die Prognoseentscheidung des Landgerichts ist als Ausübung des richterlichen Ermessens nicht nur auf Ermessensfehler zu überprüfen, sondern auch darauf, ob die Lösung des erstinstanzlichen Gerichts überzeugt (siehe hierzu den Prüfungsmaßstab bei der Auslegung von Verträgen, BGH, Urteil vom 14. Juli 2004, MDR 2004, 1434, 1435)

Das Oberlandesgericht ist nach sorgfältiger Abwägung der Umstände der Auffassung, dass der vom Landgericht vorgenommene Abschlag von 10 % zwar vertretbar, nicht aber überzeugend.

Ein Unwägbarkeitsabschlag von 20 % erscheint für die Zeit ab dem 1. April 2004 als sachgerecht.

Dabei ist die notwendige Prognose auf der Grundlage der allgemeinen, aber auch der persönlichen Situation des Getöteten zu erstellen (siehe dazu BGH VersR 1995, 422, 424).

Sicherlich spricht für die Fähigkeiten des Getöteten, auf dem deutschen Arbeitsmarkt einen auskömmlichen Arbeitsplatz mit mindestens dem seitherigen Gehalt erhalten zu können, sein noch junges Alter, seine Erfahrung und vor allem auch die Flexibilität, die er bereits in seinem vorherigen Erwerbsleben an den Tag legte.

Allerdings sind auch die gesamtwirtschaftlichen Gegebenheiten zu beachten, ausgehend von der auch dem Gericht bekannten derzeitigen Situation am Arbeitsmarkt stellt sich die Stellensituation gerade im Baubereich als für Arbeitssuchende nicht befriedigend dar. Auch weitergehend ist im Segment der Niedrig-Verdienst-Berufe für ungelernte Kräfte nur schwer eine Vermittlung in den Arbeitsmarkt zu erreichen, wobei diese Sachlage sich aller Voraussicht nach nicht wesentlich ändern wird.

Das Gericht hält daher einen Unwägbarkeitsabschlag von 20 % ab dem 1. April 2004 für sachgerecht, darin enthalten sind weiterhin auch etwaige arbeitsbedingte Aufwendungen für die Zeiten der Wiederbeschäftigung wie auch ein etwaiger Haushaltsführungsschaden in den Zeiten der Arbeitslosigkeit.

Für die Zeit nach dem 1. April 2004 ergibt sich daher für die Klägerin zu 1) folgende Berechnung:

 Netto-Einkommen wie vorher:EUR 1.932,53
Abzüglich 20 % Unwägbarkeit EUR 386,51
ErgibtEUR 1.546,02
Abzüglich FixkostenEUR 585,34
ErgibtEUR 960,68
Davon 27 %EUR 259,38
Z züglich anteilige Fixkosten (27/66)EUR 239,46
GesamtEUR 498,84

Für die Kläger zu 2), 3) und 4) ergibt sich folgende Berechnung:

 Netto-Einkommen wie vorher:EUR 1.932,53
Abzüglich 20 % UnwägbarkeitEUR 386,51
Ergibt EUR 1.546,02
Abzüglich Fixkosten EUR 585,34
ErgibtEUR 960,68
Davon 13 %EUR 124,89
Zuzüglich anteilige Fixkosten (13/66)EUR 115,29
GesamtEUR 240,18

Sollten sich erhebliche Veränderungen der Grundlagen dieser Berechnung ergeben (so z.B. eine Erwerbstätigkeit der Klägerin zu 1) steht den Parteien der Weg des § 323 ZPO offen.

Im übrigen konnte die Anschlussberufung nicht zum Erfolg führen.

Die Gegebenheiten rund um die projezierte Arbeitslosigkeit sind im Unwägbarkeitsabschlag enthalten.

Die Feststellungsanträge sind begründet.

Solange der entstandene oder noch entstehende Schaden nicht oder nicht voll beziffert werden kann, ist eine Feststellungsklage zulässig (BGH, Beschluss vom 4. April 1952, NJW 1952, 740; MünchKomm/Wagner, BGB, 4. Auflage, § 844 Rdnr. 85). Eine Bezifferung kann dann nicht vorgenommen werden, wenn die mutmaßliche Weiterentwicklung sich noch nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit übersehen lässt. Allerdings wird eine Prognoseentscheidung nur dann nicht ausreichend und damit ein Feststellungsinteresse zu bejahen sein, wenn wesentliche Änderungen zu erwarten sind, die bei der Festlegung der Unterhalts-rente nach Dauer und Höhe nicht berechenbar oder abschätzbar wären (siehe auch BGH, Urteil vom 22. Juni 1956, NJW 1956, 1479; OLG Köln, Urteil vom 17. Februar 1989, VersR 1990, 1285).

Ausgehend von der derzeitigen Unsicherheit im Hinblick auf die gesetzliche Rentenversicherung, lassen sich belastungsfähige Prognosen hierbei nicht wagen. Es ist in keiner Weise zum heutigen Zeitpunkt auch nur ansatzweise errechenbar, welche Rentenerträge der Getötete ab dem Jahre 2034 erhalten hätte, es ist nicht einmal ansatzweise planbar, mit welchem prozentualen Anteil des Einkommens ein Rentner dann rechnen kann, wobei ebenfalls nicht klar erscheint, ob zu diesem Zeitpunkt die Rente auf das letzte Nettoeinkommen bezogen wird oder andere Parameter eine Rolle spielen.

Unter diesen Umständen erscheint es als nicht sachgerecht, die Klägerin zu 1) auf eine Prognose mit der Möglichkeit der Abänderung gemäß § 323 ZPO zu verweisen, vielmehr ist unter diesen Gesichtspunkten ein Feststellungsinteresse zu bejahen.

Hinsichtlich des Feststellungsinteresses der Kläger zu 2), 3) und 4) ist ein Feststellungsinteresse für Unterhaltsansprüche nach dem Zeitpunkt des Erreichens der Volljährigkeit bereits deshalb zu bejahen, da die Unterhaltsleistung des Getöteten zu diesem Zeitpunkt zwar regelmäßig endet, es aber doch durchaus realistische Abläufe gibt, die eine weitergehende Unterhaltsverpflichtung begründen können (BGH NJW 1952, 740, 741; BGH Urteil vom 13. Oktober 1954, VersR 1955, 86; BGH, Urteil vom 15. März 1983, NJW 1983, 2197). Hierzu zählt sicherlich eine Ausbildung oder ein Studium, welches auch nach dem Eintritt der Volljährigkeit die Unterhaltspflicht nicht entfallen lässt.

Der erstmalig mit der Berufung geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch ist verjährt. Dieser Anspruch auf Schmerzensgeld für das Ereignis vom 28. April 2000 verjährt nach altem Recht gemäß § 852 BGB a. F. innerhalb von drei Jahren seit Kenntniserlangung des Schadens und der ersatzpflichtigen Person. Auf der Grundlage des übereinstimmenden Vortrags wäre damit von einer Verjährung am 28. April 2003 auszugehen. Das neue, ab dem 1. Januar 2002 geltende Recht würde eine längere Verjährung vorsehen (§ 199 BGB), daher sind die kürzeren Verjährungsfristen des alten Rechts anzuwenden (Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB). Die Klage wurde am 22. April 2003 eingereicht und würde damit als Hemmung der Verjährung gemäß § 204 BGB n.F. wirken. Der Schmerzensgeldantrag wurde allerdings nicht bereits mit der ursprünglichen Klage geltend gemacht, sondern erstmals im Rahmen des Schriftsatzes vom 6. November 2003 (Bl. 108 d. A.) und damit nach Ende der Verjährungsfrist erwähnt. Eine Hemmung der Verjährung ist damit nicht eingetreten. Die Hemmung durch Klageerhebung gemäß § 204 BGB bezieht sich nur auf die eingeklagten Schadensersatzforderungen, nicht jedoch auf andere, nicht eingeklagte Schadensfolgen (BGH Urteil vom 19. November 1997, NJW 1998, 1303; 1304/1305Palandt/Heinrichs, § 204 Rdnr. 15). Dies ist auch nicht im Angesicht der Feststellungsanträge anders zu beurteilen, da diese sich ausdrücklich auf "Unterhaltsansprüche" beziehen. Vergleichsverhandlungen (Hemmung gemäß § 203 BGB) sind nicht vorgetragen.

Die Kostenentscheidung folgt § 97 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO:

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichtes erfordert, § 543 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück