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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 30.10.2007
Aktenzeichen: 18 W 282/07
Rechtsgebiete: ZPO, RVG-VV


Vorschriften:

ZPO § 91
RVG-VV Nr. 3100
Schuldet die im Rechtsstreit obsiegende Partei ihrem Prozessbevollmächtigten nur eine gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG um die anteilige Geschäftsgebühr geminderte Verfahrensgebühr, dann kann gemäß § 91 ZPO zu ihren Gunsten keine volle, sondern nur eine geminderte Verfahrensgebühr festgesetzt werden. Dies gilt unabhängig davon, ob die Geschäftsgebühr im Rechtsstreit tituliert oder unstreitig außergerichtlich ausgeglichen worden ist.
Gründe:

I.

In dem dem Kostenfestsetzungsverfahren vorausgegangenen Rechtsstreit hat die Klägerin die Beklagte auf Duldung der Zwangsvollstreckung in ein Grundstück aus einer im Grundbuch eingetragenen Grundschuld über 204.516,75 EUR in Anspruch genommen. Die Klage ist durch Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 12. März 2007 abgewiesen worden. Nach diesem Urteil hat die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Mit Schriftsätzen vom 9. Juli 2007 hat die Beklagte Kosten für die erste Instanz in Höhe von 5.700,59 EUR und für die zweite Instanz in Höhe von 3.802,61 EUR zur Festsetzung angemeldet. Dabei hat sie für die erste Instanz eine 1,3 Verfahrensgebühr in Höhe von 2.514,20 EUR zuzüglich Umsatzsteuer geltend gemacht. Auf Anfrage des Rechtspflegers hat die Beklagte mitgeteilt, durch die vorgerichtliche Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten sei eine 1,3 Geschäftsgebühr in Höhe von 2.514,20 EUR angefallen.

Mit Beschluss vom 21. September 2007 hat das Landgericht die der Beklagten von der Klägerin zu erstattenden Kosten auf insgesamt 8.044,96 EUR festgesetzt. Dabei hat es unter teilweiser Anrechnung der Geschäftsgebühr lediglich eine 0,65 Verfahrensgebühr für die erste Instanz in Höhe von 1.257,10 EUR anerkannt.

Die Beklagte hat gegen den ihr am 10. Oktober 2007 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss mit einem am 12. Oktober 2007 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Sie wendet sich gegen die teilweise Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die erstinstanzliche Verfahrensgebühr. Damit werde ihr die Möglichkeit genommen, ihre vorgerichtlichen Kosten gegenüber der Klägerin durchzusetzen. Hierin liege eine Ungleichbehandlung, weil sie anders als die Klägerin nicht die Möglichkeit gehabt habe, ihre vorgerichtlichen Kosten als Nebenforderung einzuklagen.

Mit Beschluss vom 15. Oktober 2007 hat das Landgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG sei die Geschäftsgebühr zwingend auf die Verfahrensgebühr anzurechnen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und zulässig (§§ 567 Abs. 2, 569 Abs. 1 und 2 ZPO). In der Sache selbst hat sie jedoch keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Landgericht zugunsten der Beklagten nur eine um die hälftige Geschäftsgebühr geminderte Verfahrensgebühr in Ansatz gebracht.

1. Gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO umfasst der prozessuale Kostenerstattungsanspruch, dessen Durchsetzung das Kostenfestsetzungsverfahren gemäß §§ 103 ff. ZPO dient, die notwendigen Kosten des Rechtsstreits, wozu gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO insbesondere die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei gehören. Erstattungsfähig sind danach nur die dem Berechtigten im Zusammenhang mit dem Rechtsstreit tatsächlich erwachsenen Kosten. Dementsprechend dürfen keinesfalls höhere Kosten festgesetzt werden, als dem Berechtigten tatsächlich entstanden sind (BVerfG, NJW 1983, 809; BGH, NJW-RR 2003, 1217, 1218; NJW-RR 2003, 1507, 1508).

Hatte die im Rechtsstreit obsiegende Partei ihren Prozessbevollmächtigten bereits mit ihrer vorgerichtlichen Vertretung in derselben Angelegenheit beauftragt und ist deshalb wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303 VV RVG angefallen, dann wird diese nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 zu Nr. 3100 VV RVG zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Dies bedeutet, dass sich die Verfahrensgebühr im Umfang der vorzunehmenden Anrechnung vermindert (BGH, NJW 2007, 2049, 2050; NJW 2007, 2050, 2052). Dabei kann für die Frage der Kostenerstattung dahinstehen, ob die Verfahrensgebühr zunächst in voller Höhe entsteht und erst in einem zweiten Schritt um den anrechenbaren Teil der Geschäftsgebühr gekürzt wird (so OLG München, Beschl. v. 30.08.2007, 11 W 1779/07, juris Rdn. 14; Schneider, AGS 2007, 441; Lickleder, NZM 2007, 589, 590) oder ob die Verfahrensgebühr von vornherein nur in reduzierter Höhe anfällt. Entscheidend ist allein, dass die Partei ihrem Prozessbevollmächtigten nicht die volle, sondern nur eine geminderte Verfahrensgebühr schuldet. Deshalb kann zu ihren Gunsten auch nur eine geminderte Verfahrensgebühr festgesetzt werden, weil ihr insoweit keine weitergehenden Kosten erwachsen sind (ebenso Ostermeier, NJW-aktuell Heft 34/2007, S. XVI).

2. Allerdings wird in Rechtsprechung und Literatur bisher ganz überwiegend die Auffassung vertreten, die Anrechnungsvorschrift der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG sei im Kostenfestsetzungsverfahren grundsätzlich nicht anwendbar. Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn die Geschäftsgebühr aufgrund eines materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruchs tituliert oder unstreitig außergerichtlich ausgeglichen worden ist (OLG Hamm, JurBüro 2006, 202; KG, AGS 2007, 439; OLG Koblenz, JurBüro 2007, 429; OLG München, a. a. O.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18.09.2007, 13 W 83/07; VGH München, NJW 2007, 170; Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl., VV 2300, 2301 Rdn. 41, VV 3100 Rdn. 201; Schons, NJW 2005, 3089, 3091; Madert/Müller-Rabe, NJW 2006, 1927, 1931; Lickleder, NZM 2007, 589, 590; N. Schneider, NJW 2007, 2001, 2007; N. Schneider, AGS 2007, 441; Tomson, NJW 2007, 267, 268; a. A. OLG Frankfurt am Main - 6. Zivilsenat - , Beschl. v. 19.09.2007, 6 W 167/07). Die hierfür angeführten Sachgründe vermögen indes nicht zu überzeugen; jedenfalls rechtfertigen sie es nicht, unter Verstoß gegen § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO Kosten festzusetzen, die der Erstattungsberechtigte tatsächlich nicht zu tragen hat.

a) Der Umstand, dass es sich bei der Geschäftsgebühr um eine den außergerichtlichen Bereich betreffende Gebühr handelt, hindert ihre Berücksichtigung im Kostenfestsetzungsverfahren nicht (a. A. OLG Hamm, JurBüro 2006, 202; OLG Koblenz, JurBüro 2007, 429; OLG München, a. a. O., Rdn. 15; VGH München, NJW 2007, 170). Zum einen sind auch vorgerichtlich entstandene Kosten festsetzungsfähig, wenn sie der Vorbereitung eines konkret bevorstehenden Rechtsstreits dienen (BGH, WM 1987, 247, 248). Diese Voraussetzung mag für die Geschäftsgebühr nicht zutreffen, wenn die ihr zugrunde liegende anwaltliche Tätigkeit in einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung (BGH, NJW-RR 2006, 501, 502) oder in einem Mahnschreiben (BGH, NJW 2006, 2560) besteht (a. A. Bischof, JurBüro 2007, 341, 345). Etwas anderes kann jedoch dann gelten, wenn die Geschäftsgebühr durch ein anwaltliches Schreiben zur Abwehr einer solchen Abmahnung (OLG Hamburg, NJOZ 2007, 1373, 1374) oder durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Beschaffung der zur Klageerhebung oder zur Verteidigung gegen eine bereits angekündigte Klage erforderlichen Informationen ausgelöst worden ist. Zum anderen ist es auch dann, wenn die Geschäftsgebühr als solche nicht festsetzungsfähig ist, möglich und geboten, sie bei der Berechnung der zur Festsetzung angemeldeten Verfahrensgebühr zu berücksichtigen. Eine - sei es auch nur mittelbare - Festsetzung der Geschäftsgebühr liegt hierin nicht (so jedoch Schneider, AGS 2007, 441). Vielmehr führt die Berücksichtigung der Geschäftsgebühr wegen der in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vorgeschriebenen teilweisen Anrechnung lediglich dazu, dass statt der vollen nur eine reduzierte Verfahrensgebühr festgesetzt wird.

b) Die Nichtanwendung der Anrechnungsvorschrift der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG im Kostenfestsetzungsverfahren lässt sich auch nicht mit Sinn und Zweck der Bestimmung begründen (a. A. KG, AGS 2007, 439, 440; OLG Karlsruhe a. a. O.; VGH München, NJW 2007, 170, 171 f.; Tomson, NJW 2007, 267, 268). Zwar mag es zutreffen, dass die Vorschrift in erster Linie den Schutz des Mandanten vor zu hohem Rechtsanwaltshonorar und nicht die Begrenzung der Erstattungsforderung der im Prozess obsiegenden Partei bezweckt. Die zunächst allein das Innenverhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt betreffende Kürzung der Verfahrensgebühr ist aber gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO auch im Erstattungsverhältnis zu berücksichtigen, weil nur die der obsiegenden Partei tatsächlich entstandenen Kosten vom Prozessgegner zu ersetzen sind. Die Erstattungsforderung wird damit nicht durch die Regelung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG, sondern durch § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO begrenzt. Über diese gesetzliche Anordnung dürfen sich die Gerichte nicht hinwegsetzen. Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, die Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG bewirke keine Reduzierung der Verfahrensgebühr, sondern nur die Reduzierung des insgesamt abrechenbaren Gebührenaufkommens des Rechtsanwalts gegenüber seinem Auftraggeber (OLG München, a. a. O., Rdn. 18; Schneider, AGS 2007, 441). Denn nach dem klaren Wortlaut der Anrechnungsvorschrift wird ausschließlich die gerichtliche Verfahrensgebühr und nicht die vorgerichtliche Geschäftsgebühr gekürzt (BGH, NJW 2007, 2049, 2050). Ignoriert man die gesetzliche Differenzierung zwischen beiden Gebühren, dann kann dies zur Folge haben, dass mit der ungekürzten Verfahrensgebühr der Sache nach ein Teil der Geschäftsgebühr festgesetzt wird, obwohl diese im konkreten Fall möglicherweise nicht zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO gehört und deshalb auch nicht festsetzungsfähig ist.

c) Schließlich würde es die Anwendbarkeit der Regelung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG im Kostenfestsetzungsverfahren nicht in Frage stellen, wenn man die Berufung des Erstattungspflichtigen auf die Anrechnungsvorschrift als materiell-rechtliche Einwendung ansähe (so jedoch KG, AGS 2007, 439, 440; siehe auch OLG München a. a. O., Rdn. 20). Materiell-rechtliche Erwägungen sind dem Kostenfestsetzungsverfahren nämlich keineswegs fremd. Insbesondere bestimmt sich die Frage, welche Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig sind, häufig nach materiellem Recht (BGH, NJW-RR 2003, 1217, 1218). Jedenfalls ist eine materiell-rechtliche Einwendung gegen den Erstattungsanspruch im Kostenfestsetzungsverfahren dann zu berücksichtigen, wenn sie aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung feststeht oder wenn ihre tatsächlichen Voraussetzungen zwischen den Parteien unstreitig sind oder gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gelten (OLG Hamburg, MDR 2003, 294; Musielak/Wolst, ZPO, 5. Aufl., § 104 Rdn. 9). Dies wird hinsichtlich der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr regelmäßig der Fall sein, über deren Anfall und Höhe sich der Erstattungsberechtigte spätestens nach einem entsprechenden Einwand des Erstattungspflichtigen vollständig und wahrheitsgemäß erklären muss (§ 138 Abs. 1 ZPO). Ob in den Fällen, in denen die Parteien im Kostenfestsetzungsverfahren kein Einvernehmen über die Geschäftsgebühr erzielen, von den glaubhaft gemachten Angaben des Berechtigten auszugehen und der Verpflichtete mit seinen Einwendungen auf den Weg der Vollstreckungsgegenklage gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss zu verweisen ist, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, da die Höhe der Geschäftsgebühr aufgrund der unbestrittenen Angaben der Beklagten feststeht.

3. Richtig ist allerdings, dass sich die hier vertretene Auffassung insbesondere für einen im Prozess obsiegenden Beklagten ungünstig auswirken kann, wenn man die von ihm für die vorgerichtliche Tätigkeit seines Prozessbevollmächtigten geschuldete Geschäftsgebühr nicht für festsetzungsfähig hält und er - wie regelmäßig (vgl. etwa OLG Köln, NJOZ 2006, 3718) - keinen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch gegen den unterlegenen Kläger hat. Diese im materiellen Recht angelegte Ungleichbehandlung von Anspruchstellern und Inanspruchgenommenen lässt sich jedoch nicht dadurch beseitigen, dass man dem materiell nicht Erstattungsberechtigten einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch zubilligt, der ihm nach der gesetzlichen Regelung in § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht zusteht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Beschwerdewert ergibt sich aus dem Interesse der Beklagten an der Festsetzung nicht berücksichtigter Kosten in Höhe von 1.458,24 EUR.

Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO zuzulassen. Die Rechtsfrage, ob die teilweise Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG im Kostenfestsetzungsverfahren stets oder nur ausnahmsweise zu berücksichtigen ist, hat grundsätzliche Bedeutung. Der Senat beantwortet diese Rechtsfrage in Übereinstimmung mit dem 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, aber abweichend von den oben zitierten Oberlandesgerichten, so dass eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs als Rechtsbeschwerdegericht auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

Ende der Entscheidung

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