Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 05.11.2008
Aktenzeichen: 18 W 359/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 91
Die Aufwendungen eines Kraftfahrzeugpflichtversicherers für die noch vor Klageandrohung erfolgte Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung des Unfallhergangs können Kosten des Rechtsstreits im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO sein, wenn der Gutachtenauftrag erteilt wird.
Gründe:

Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist statthaft (§§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und zulässig (§§ 567 Abs. 2, 569 Abs. 1 und 2 ZPO). Auch in der Sache selbst hat das Rechtsmittel Erfolg.

Zu Unrecht hat das Landgericht die von der Beklagten angemeldeten Kosten für ein von ihr vorprozessual zur Aufklärung des Unfallhergangs eingeholtes Sachverständigengutachten nicht als erstattungsfähig anerkannt. Tatsächlich handelt es sich bei der von dem Sachverständigen SV1 unter dem 16. Januar 2007 in Rechnung gestellten Vergütung in Höhe von 3.984,43 EUR um notwendige Kosten des Rechtsstreits, die gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO erstattungsfähig sind.

1. Richtig ist allerdings, dass die Kosten für ein vorprozessual eingeholtes Privatgutachten nur ausnahmsweise als "Kosten des Rechtsstreits" im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO angesehen werden können. Insoweit genügt es nicht, wenn das Gutachten irgendwann in einem Rechtsstreit verwendet wird, sondern das Gutachten muss sich auf den konkreten Rechtsstreit beziehen und gerade mit Rücksicht auf den konkreten Prozess in Auftrag gegeben worden sein. Deshalb sind diejenigen Aufwendungen, die veranlasst werden, bevor sich der Rechtsstreit einigermaßen konkret abzeichnet, regelmäßig nicht erstattungsfähig. Damit soll verhindert werden, dass eine Partei ihre allgemeinen Unkosten oder prozessfremde Kosten auf den Gegner abzuwälzen versucht und so den Prozess verteuert. Die Partei hat dabei grundsätzlich ihre Einstandspflicht und ihre Ersatzberechtigung in eigener Verantwortung zu prüfen und den dadurch entstehenden Aufwand selbst zu tragen. Deshalb genügt die Vorlage eines in diesem Zusammenhang erstellten Gutachtens allein grundsätzlich nicht. Die Tätigkeit des Privatsachverständigen muss vielmehr in unmittelbarer Beziehung zu dem sich konkret abzeichnenden Rechtsstreit stehen (BGH, NJW 2003, 1398, 1399; NJW 2006, 2415; NJW 2008, 1597, 1598).

Unmittelbar prozessbezogen ist die Tätigkeit eines Privatsachverständigen regelmäßig dann, wenn das Gutachten erst nach einer vom Gegner ausgesprochenen Klageandrohung in Auftrag gegeben (BGH, NJW 2003, 1398, 1399) oder fertig gestellt (BGH, NJW 2006, 2415, 2416) wurde. Die Prozessbezogenheit kann aber auch dann zu bejahen sein, wenn ein auf Entschädigung in Anspruch genommener Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer noch vor einer Klageandrohung ein Sachverständigengutachten einholt, weil er aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte den nahe liegenden Verdacht hegt, dass er Opfer eines Versicherungsbetrugs werden soll (OLG Hamm, ZfSch 2003, 145). Besteht hinreichender Anlass für die Vermutung eines unlauteren Zusammenwirkens zwischen den am - angeblichen - Verkehrsunfall unmittelbar Beteiligten, muss der Versicherer, der eine Regulierung ablehnt, in aller Regel mit einer Klage rechnen, da die Gegenseite die ihr vermeintlich günstige Beweisposition ausnutzen möchte. Dies gilt umso mehr, wenn der geschilderte Unfallhergang scheinbar ganz eindeutig für ein Alleinverschulden des Versicherungsnehmers bzw. des Mitversicherten spricht (OLG Koblenz, NJW-RR 2004, 286; OLG Rostock, MDR 2005, 754).

So liegen die Dinge im vorliegenden Fall. Wie sich aus dem mit der Klageerwiderung vorgelegten unfallanalytischen Gutachten des Sachverständigen SV1 ergibt, hat die Beklagte den Gutachtenauftrag deshalb erteilt, weil die ihr gegenüber von dem Kläger und von dem Fahrer des versicherten Fahrzeugs, dem Zeugen Z1, abgegebene Unfallschilderung nicht nur den Aussagen der weiteren polizeilich vernommenen Zeugen, sondern auch ihren eigenen in den Ermittlungsakten dokumentierten Angaben am Unfallort widersprach. Wie der Polizeibeamte Z2 bei seiner Vernehmung durch das Landgericht nochmals bestätigt hat, hatte der Zeuge Z1 am Unfallort angegeben, das Klägerfahrzeug sei bei dem Versuch, rechts zu überholen, ins Schleudern geraten. Dies habe, so der Polizeibeamte Z2, den Schilderungen der übrigen Unfallzeugen entsprochen. In den später eingegangenen Unfallbögen hätten der Kläger und der Zeuge Z1 den Unfallhergang dann jedoch völlig anders dargestellt, nämlich dahin, dass der Unfall von dem Zeugen Z1 verschuldet worden sei. Hierüber sei er, der Zeuge Z2, sehr verwundert gewesen. Auch gegenüber der Beklagten haben der Kläger und der Zeuge Z1 behauptet, der Unfall sei auf einen Anstoß des versicherten Kraftfahrzeugs gegen das Klägerfahrzeug zurückzuführen, obwohl von einem solchen Anstoß am Unfallort nicht die Rede gewesen war. Die Beklagte musste deshalb annehmen, dass der Kläger beabsichtigte, ihr gegenüber in kollusivem Zusammenwirken mit dem Zeugen Z1 einen tatsächlich nicht gegebenen Schadensersatzanspruch zu realisieren. Da sich der Kläger auf das ihm günstige Zeugnis des anderen - angeblich - Unfallbeteiligten stützen konnte, musste die Beklagte zugleich damit rechnen, dass der Kläger versuchen würde, seine - vermeintlich - günstige Beweisposition auszunutzen und den geltend gemachten Anspruch notfalls im Wege der Klage durchzusetzen, wie dies später auch tatsächlich geschehen ist. Die Beklagte war daher zur Wahrung ihrer eigenen Belange gehalten, den von ihr gehegten Betrugsverdacht durch die Einholung eines Privatgutachtens zu erhärten und damit zugleich die vorhandenen Beweise zu sichern. In einem derartigen Fall ist die Prozessbezogenheit der für das Gutachten verauslagten Kosten ausnahmsweise zu bejahen. Unerheblich ist dabei, dass die Klage erst zehn Monate nach Beauftragung des Sachverständigen und acht Monate nach Fertigstellung des Privatgutachtens erhoben worden ist. Dieser zeitliche Ablauf ist schon deshalb unbeachtlich, weil ansonsten ein ursprünglich zur alsbaldigen Klageerhebung entschlossener Versicherungsbetrüger es in der Hand hätte, durch zwischenzeitliches Zuwarten dem Privatgutachten des Versicherers die Prozessbezogenheit zu nehmen (OLG Koblenz, NJW-RR 2004, 286; OLG Rostock, MDR 2005, 754).

2. Die Beauftragung des Sachverständigen SV1 durch die Beklagte war auch zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig. Die Beurteilung dieser Frage hat sich daran auszurichten, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei diese die Kosten auslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Partei die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen. Unter diesem Gesichtspunkt kommt eine Erstattung der Kosten eines Privatgutachtens dann in Betracht, wenn die Partei infolge fehlender Sachkenntnisse nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage ist (BGH, NJW 2003, 1398, 1399 m. w. Nachw.). Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte aus den dargestellten Gründen konkreten Anlass, an der Unfallschilderung des Klägers und des Zeugen Z1 zu zweifeln. In solchen Fällen, in denen ein Versicherungsbetrug ernsthaft in Betracht kommt, gestaltet sich für den Versicherer der Nachweis eines versuchten Versicherungsbetrugs erfahrungsgemäß schwierig.

Der Versicherer wird in der Regel selbst nicht die Sachkenntnis besitzen, die erforderlich ist, um eine Verursachung der geltend gemachten Schäden durch den Unfall mit hinreichender Sicherheit und Überzeugungskraft auszuschließen oder den ihr präsentierten Unfallhergang zu widerlegen. Er bedarf daher regelmäßig sachverständiger Hilfe, um den zur Rechtsverteidigung erforderlichen Vortrag halten zu können, und kann deshalb nicht darauf verwiesen werden, zunächst die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das Gericht abzuwarten. Jedenfalls ist es in einem solchen Fall zweckmäßig, wenn die Partei sich sachkundig beraten lässt, ehe sie vorträgt (BGH, NJW 2006, 2415, 2416).

3. Da der Kläger gegen die Höhe der geltend gemachten Sachverständigenkosten keine Einwendungen erhoben hat, waren diese unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses antragsgemäß festzusetzen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Beschwerdewert entspricht den angemeldeten Sachverständigenkosten.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.

Ende der Entscheidung

Zurück