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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 16.08.2005
Aktenzeichen: 19 U 95/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 234
Ist dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten das Datum der Zustellung des landgerichtlichen Urteils nur telefonisch von seinen Mandanten mitgeteilt worden, ist es seine Pflicht, im Rahmen einer beantragten Akteneinsicht auch die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist zu überprüfen.
Gründe:

I.

Der Beklagte zu 2) wurde durch das Schlussurteil des Landgerichts Hanau vom 17.3.2005 unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an den Kläger 1.122.217,99 € zuzüglich Zinsen zu zahlen. Das Urteil wurde dem Beklagten zu Händen seines erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 19.4.2005 zugestellt. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte zu 2), nunmehr vertreten durch Rechtsanwalt RA1, am 12.5.2005 Berufung eingelegt und diese am 19.7.2005 mit Schriftsatz vom selben Tag begründet. Ebenfalls am 19.7.2005 hat der Beklagte zu 2) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt.

Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags führt der Beklagte zu 2) aus, er habe Rechtsanwalt RA1 am 12.5.2005 fernmündlich das Mandat zu seiner Vertretung in der Berufungssache erteilt. Rechtsanwalt RA1 habe ihn daraufhin gebeten, er möge das ihm zugestellte Urteil per Telefax übermitteln und ihn darauf hingewiesen, dass er mitzuteilen habe, wann seinen erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten das Urteil zugestellt worden sei. Er habe Rechtsanwalt RA1 erklärt, dass die Zustellung am 19.4.2005 erfolgt sei. Sie seien überein gekommen, dass zunächst Berufung eingelegt und Akteneinsicht beantragt werde, um sich einen umfassenden Überblick über den gesamten Inhalt des Rechtsstreits zu verschaffen. Nach dem Telefonat und dem Eingang des Telefaxes habe die Büroangestellte A des Rechtsanwalts RA1 diesem das Telefax vorgelegt mit dem Bemerken, dass sich das Zustellungsdatum des Urteils nicht aus dem Telefax ergebe und sie daher nicht den Ablauf von Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist feststellen könne. Daraufhin habe Rechtsanwalt RA1 ihr gesagt, dass nach telefonischer Mitteilung des Mandanten die Zustellung am 19.4.2005 bewirkt worden sei. Sie möge den Berufungsschriftsatz fertigen und in den Schriftsatz einen Antrag auf Akteneinsicht aufnehmen. Zugleich sei sie angewiesen worden, den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist auf den 19.6.2005 zu notieren. Dies habe Frau A jedoch versäumt. Erst aufgrund des Schreibens des Gerichts vom 1.7.2005, bei Rechtsanwalt RA1 zugegangen am 6.7.2005, sei aufgefallen, dass die Frist zur Berufungsbegründung ergebnislos verstrichen sei. In der Kanzlei des zweitinstanzlichen Bevollmächtigten des Beklagten sei die Überwachung von Notfristen so organisiert, dass der zuständige Rechtsanwalt bei Annahme eines Mandats auf der Urteilsausfertigung die Rechtsmittelfrist vermerke oder vermerken lasse und den Vorgang an die zuständige Büroangestellte - hier Frau A - weiterleite, die die Frist in einem besonderen Fristenkalender notiere, der zum einen elektronisch geführt werde, zum anderen in ein besonderes Fristenbuch eintrage. Die Büroangestellte notiere die Frist und trage zusätzlich eine Vorfrist eine Woche vor Fristablauf ein, jeweils mit einem auffälligen Hinweis "Berufung" oder "Berufungsbegründungsfrist". Außerdem werde die Eintragung im Fristenkalender in den Handakten vermerkt. Die Mitarbeiterin A sei geschult und zuverlässig, sie habe den Fristenkalender seit über drei Jahren sorgfältig und fehlerlos geführt.

Der Beklagte zu 2) hat sein Vorbringen glaubhaft gemacht durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der Frau A sowie der anwaltlichen Versicherung durch Rechtsanwalt RA1.

II.

Die Berufung des Beklagten zu 2) gegen das Schlussurteil vom 17.3.2005 war als unzulässig zu verwerfen gemäß § 522 Abs. 1 ZPO wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Das erstinstanzliche Urteil wurde am 19.4.2005 zugestellt, mithin lief die Berufungsfrist am 19.5.2005 und die Berufungsbegründungsfrist am 20.6.2005 ab (§ 520 Abs. 2 ZPO). Die Berufungsbegründung erfolgte jedoch erst mit Schriftsatz vom 19.7.2005, bei Gericht per Fax am gleichen Tage eingegangen, so dass sie verspätet war.

Dem Beklagten zu 2) ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.

Der Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zu 2) vom 19.7.2005 ist unzulässig, da er nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 2 ZPO bei Gericht eingegangen ist. Die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung beginnt mit dem Ablauf des Tages, an dem das Hindernis behoben wird, § 234 Abs. 2 ZPO. Ein Hindernis ist jedoch nicht erst bei Kenntnis des wahren Sachverhalts entfallen; ein Hindernis ist im Sinne von § 234 Abs. 2 ZPO auch behoben, sobald das Fortbestehen der Ursache der Verhinderung nicht mehr unverschuldet ist (BGH GRUR 2004, 80). Im vorliegenden Fall bestand das Hindernis in der Unkenntnis des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist mangels Notierung im Fristenkalender. Der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte, dessen Verschulden sich der Beklagte zu 2) gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss, hätte jedoch bereits am 27.6.2005 bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennen können und müssen, dass die Berufungsbegründungsfrist am 20.6.2005 abgelaufen war. Aufgrund der gewährten Akteneinsicht hätte er Kenntnis von dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist bereits am 20.6.2005 erlangen können und müssen, so dass die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung spätestens ab dem Datum der Rückgabe der eingesehenen Akte, nämlich am 27.6.2005 begann. Zwar stand nach dem Vortrag des Beklagten die Einsicht der Gerichtsakten nicht im Zusammenhang mit der Ermittlung der Berufungsbegründungsfrist, sondern habe dazu gedient, sich einen umfassenden Überblick über den Rechtsstreit zu verschaffen. Dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Beklagten hätte sich aber die Notwendigkeit der Überprüfung der Frist zur Berufungsbegründung angesichts seines eigenen Vortrags aufdrängen müssen (BGH NJW 2002, 3636 f.). Danach war ihm lediglich telefonisch durch den Beklagten mitgeteilt worden, wann das erstinstanzliche Urteil zugestellt worden sei. Aus dem ihm zugefaxten Urteil ergab sich das Zustellungsdatum ebenfalls nicht. Daher wäre es notwendig gewesen, dass der Prozessbevollmächtigte die ihm obliegende Verpflichtung der Überprüfung der Einhaltung der Rechtsmittelfristen, mithin auch die Einhaltung der Berufungsbegründungspflicht, erfüllte.

Zur schuldlosen Verhinderung der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist nach § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO nach Behebung des Hindernisses hat der Beklagte zu 2) nichts vorgetragen.

Die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung ist darüber hinaus auch nicht als unverschuldet anzusehen.

Der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte, dessen Verschulden sich der Beklagte zu 2) gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss, hätte bereits am 21.5.2005 bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennen können und müssen, dass die Berufungsbegründungsfrist am 20.6.2005 ablaufen würde und die Frist dementsprechend eintragen lassen. Das Berufungsgericht hat mit Schreiben vom 17.5.2005, das unter Berücksichtigung normaler Postlaufzeiten am 21.5.2005 bei dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 2) eingegangen sein wird, unter Bekanntgabe des Aktenzeichens mitgeteilt, dass die Berufungsschrift am 12.5.2005 bei Gericht eingegangen ist. Sinn und Zweck dieser gerichtlichen Mitteilung über den Eingang eines Rechtsmittels bestehen auch darin, dem Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers zu ermöglichen, die Einhaltung der Rechtsmittelfristen zu überprüfen; eine solche Prüfung alsbald nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung auch tatsächlich anzustellen, gehört zu den anwaltlichen Pflichten (BGH NJW 1992, 2089 f.). Im vorliegenden Fall hat der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte nicht vorgetragen, eine solche Überprüfung vorgenommen zu haben, was umso notwendiger gewesen wäre, als das Datum der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils ihm nur fernmündlich vom Mandanten mitgeteilt worden war.

Des Weiteren hätte dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 2) die Pflicht oblegen, die Befolgung der mündlichen Anweisung an seine Mitarbeiterin, die Berufungsbegründungsfrist zu notieren, zu kontrollieren. Wird ein so wichtiger Vorgang wie die Notierung einer Rechtsmittelfrist nur mündlich vermittelt, müssen in der Rechtsanwaltskanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die Anweisung in Vergessenheit gerät und die konkrete Fristeneintragung unterbleibt (BGH NJW 2003, 435 f.).

Ende der Entscheidung

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